[6] Failed it
Der Bunker ist dunkel und riecht schimmlig. Ich gehe ganz vorne bei Jorge und Brenda, wobei ich nicht drumherum komme, das Mädchen neugierig zu mustern. Sie ist genauso schön wie Teresa; nur auf eine ganz andere Art und Weise. Ihre hellbraunen Haare sind wallend und reichen ihr bis zu den unteren Rippenbögen, ihre Augen huschen aufmerksam hin und her und erinnern mich wage an eine lauernde Raubkatze. Sie ist eine Kämpferin, das sieht man ihr auf den ersten Blick an. Im Gegensatz zu mir...
Die Tatsache auf meinen bald bevorstehenden grausamen Tod, den ich gemeinsam mit Newt gegenübertreten darf, macht mich dermaßen fertig, dass ich absolut demotiviert und lustlos hinter dem Spanier herschlurfe und dabei meine Rolle sogar noch besser spiele als Jorge. Der unterhält sich die ganze Zeit leise mit Brenda, erklärt ihr vermutlich den Plan. Sie hört wortlos zu, nickt ab und an und schüttelt auch einmal den Kopf. Sagen tut sie kein einziges Wort.
Als eine knarrende Türe aufgestoßen wird und dahinter ein kleiner Raum mit allerlei Konservendosen zum Vorschein kommt, knurrt mein Magen sofort laut auf und erinnert mich an meinen ach so großen Hunger. Doch ehrlich gesagt kann ich mir kaum vorstellen, jetzt noch einen Bissen hinunter zu bekommen. Was hat es noch für einen Sinn? Wenn ich so und so verrecke? Verrückt werde? Womöglich als menschenfleischfressender Zombie ende? Der Gedanke widert mich an und unschlüssig starre ich auf die Dose in meinen Händen, welche mir eben zugeworfen wurde. Spanische Texte sind daraufgedruckt, ich kann also nichts davon verstehen. Völlig ansatzlos kommt mir der Gedanke, warum hier eigentlich jeder Deutsch spricht. Das Orginal ist doch in Englisch, außerdem befinden wir uns in Mexiko. Wo bleibt da die Logik?
Unbewusst rutsche ich die Wand hinab und presse die Stirn gegen das lauwarme Blech. Ich bin müde, nicht nur körperlich. So unendlich müde....
Jemand setzt sich neben mich und ich schrecke hoch.
"Ich bin dir nicht böse"
flüstert Minho leise und schenkt mir ein gezwungenes Lächeln, dann taucht er den Löffel in den glibbrigen Inhalt der Dose und nimmt einen Bissen.
"Ich kann verstehen..."
nuschelt er mit vollem Mund und hält sich dabei eine Hand vor,
"dass, wenn es heißt: Alle sterben oder einer..."
"Minho."
Ich kann nicht anders, ich muss ihn unterbrechen. Natürlich denkt er, ich bin wegen seiner Strafe niedergeschlagen, das war ja auch das Ziel meiner Schauspielerei. Doch dass ich nun wirklich gerade drohe schwerst depressiv zu werden... war nicht geplant gewesen.
Minho sieht mich abwartend an, und ich hole tief Luft.
"Hier wird niemand..."
"Alle Mal herhören!"
hallt Jorges Stimme durch den Gang und sofort verstummt jegliches Gemurmel. Alle Köpfe drehen sich dem Spanier zu, neben ihm hat sich Brenda positioniert.
"Eure liebe Anführerin..."
Minho beginnt zu lachen, verstummt aber attrupt, als er meinen warnenden Blick bemerkt,
"...hat mich überzeugt, euch zu helfen. Und zwar nicht nur mit Essen; nein, Brenda und ich werden euch bis zum Sicheren Hafen begleiten. Dafür wurde uns eine Heilung versprochen."
Nun liegt alle Aufmerksamkeit bei mir und ich räuspere mich verlegen. Dabei wundere ich mich ein wenig, dass genau das gleiche Kriterium wie im Buch gewählt wurde, doch es scheint seine Wirkung zu entfalten. Jeder nickt stumm, keiner scheint misstrauisch.
"Wir werden morgen Früh aufbrechen, also packt eure Sachen zusammen. Bis dahin dürft ihr euch ausruhen."
Damit scheint die Rede beendet und Gemurmel bricht los. Eine zweite Person lässt sich neben mich fallen, ein breit grinsender Newt blickt auf mich herab.
"Ich dachte mir schon, dass das nicht dein Ernst sein konnte. Deinen Minho auspeitschen, ach was!"
Der Asiate und ich seuftzen gleichzeitig genervt, was Newt zum lachen bringt und uns daraufhin auch. Wie ich in dieser Situation noch lachen kann, ist mir beim besten Willen ein Rätsel.
"Aber dich bedrückt trotzdem etwas."
Schlagartig wird der Blonde wieder ernst und mustert mich prüfend.
"Hab ich recht?"
Nervös trommel ich mit den Nägeln gegen die leere Dose und druckse ein wenig herum, ehe ich zu sprechen beginne.
"Naja... der Gedanke daran, dass ich auch mal ein Crank werde... ist nicht angenehm."
sage ich wahrheitsgemäß. Nach Jansons Erzählung hat hier jeder Den Brand, also ist es egal, ob ich so rede oder nicht. Im Nachhinein, wenn sie von der Immunität erfahren, werden sie wahrscheinlich durchaus schockierter reagieren. Beruhigend legt Newt mit eine Hand aufs Knie und lächelt mich schwach an, was ihm einen bohrenden Blick von Minho einhandelt.
"Wir stehen das gemeinsam durch"
versucht er mich aufzumuntern, erzielt aber damit nur das Gegenteil. Wenn er wüsste. Wenn er wüsste...
"Ich lass euch mal in Ruhe"
unterbricht er meinen pessimistischen Gedankengang und erhebt sich ächzend, dann humpelt er hinüber zu Alby und Thomas, wo ich auch Chuck finde. Der Kleine winkt mir zu und ich tue es ihm nach, nur mit weit weniger Fröhlichkeit.
Ein Arm legt sich um meine Schulter und presst mich gegen eine harte Brust und ehe ich weiß, was ich tue, vergrabe ich mein Gesicht auch schon in Minhos schmutziges Hemd. Er streicht mir beruhigend über den Kopf, während ich versuche meine hektische Atmung unter Kontrolle zu bringen und gegen die Tränen anzukämpfen. Gerne hätte ich jetzt geweint und mich meiner Schwäche hingegeben, doch etwas hindert mich daran. Chuck.
Dieser Junge ist der einzige persönliche Stützpunkt, den ich noch habe. Und Clint vielleicht, die anderen Jungs kenne ich ja kaum. Und die Übrigen, die mir etwas bedeuten, sterben entweder zu 100 % - *hust* Newt *hust* - oder überleben.
Langsam aber sicher beruhige ich mich von meinem kleinen Schwächeanfall und hebe vorsichtig den Kopf, um Minho in die Augen sehen zu können. Der Asiate lächelt vorsichtig, als wäre er sich nicht sicher, ob er gerade das richtige tut, dann umschließen auf einmal seine beiden Hände mein Gesicht und ziehen mich näher an seines. Mein Herz macht einen Purzelbaum, als warmer Atem über meine Wangen streicht, genauso wie Minhos Daumen. Meine Augen flattern wie von selbst zu und mein Hirn schaltet ab, vergisst die kritische Lage, die grauenvolle Zukunft, die anderen Lichter. Alles was zählt sind die weichen Lippen, die unglaublich sanft und zärtlich auf meinen liegen, so gefühlvoll, wie man es dem ehemaligen Hüter der Läufer gar nicht zutraut. Meine Haut kribbelt, wo er sie berührt, und sei es auch nur durch den hautengen Anzug, der übrigens in keinster Weise verkohlt ist, trotz Blitzschlag. Bestimmt verdanke ich einzig und allein diesem speziellen Stoff, dass ich nicht flambiert wurde wie ein Cocktail, oder wie Minho im Buch.
Es ist ein ziemlich zurückhaltender Kuss, obwohl ich spüre, dass Minho das gerne geändert hätte. Trotzdem löst er sich nach nicht allzu langer Zeit von mir und zieht mich ohne ein Wort auf seinen Schoß, auf welchen ich mich zusammenkugel wie ein Igel. Allein den ständigen Streichelbewegungen und Minhos scheinbare Vorliebe, sein Gesicht in meinen Haaren zu vergraben, verdanke ich, dass ich einigermaßen ruhig einschlafe und sogar albtraumlos bis zum nächsten Morgen durchmütze.
Ich werde von einem lauten Knall geweckt, den ich anfangs ignoriere. Hallo? Ich will schlafen, immerhin bin ich noch am Vortag gerannt wie eine Irre!
Aber als mein Bett sich plötzlich bewegt, mich hochhebt, da wird es mir doch zu viel und ich sehe hoch.
Die Decke stützt ein.
Na toll.
Moment mal...
Scheiße, die Decke stürzt ein!!!
Ich hätte es wissen müssen, dass das Glück nicht allzu lange auf unserer Seite ist. Panisch springe ich auf und sehe mich hektisch um, da packt mich auch schon eine Hand am Arm und zerrt mich einen Gang hinunter. Noch ein wenig belämmert stolpere ich hinterher, ich kann die Explosionen der Sprengkörper nur dumpf wahrnehmen. Gesichter ziehen an mir vorbei, Clint, Newt, Alby. Jorge schreit Befehle, dann einen Namen.
"Brenda!"
Ach fuck...
Ruckartig drehe ich mich um und wäre beinahe auf die Schnauze geflogen, da Minho mich unbamherzig weiterschleift. Gerade noch sehe ich zwei verschwommene Gestalten am Ende des Gangs stehen, da donnert es nochmals und der Balken zwischen den zwei Gruppen stürzt ein.
"Verdammter Mist!"
fluche ich laut und beginne selbstständig zu laufen, weg von den Trümmern. Weg von Thomas und Brenda.
Es wäre so und so sinnlos gewesen, sich zu lange über den Fehlschlag zu ärgern, nun kann man es nicht mehr ändern. Jetzt heißt es, die beiden abzupassen, bevor sie auf diese Party geschleppt werden. Bevor Thomas angeschossen wird. Der hat sicher kein Problem damit, wenn ich ihm Höllenquahlen erspare.
Das Tageslicht kommt so plötzlich, dass ich erschrocken aufjapse und mir schützend die Hand vors Gesicht halten muss, um nicht zu erblinden. Ich stolpere hinter der Jungsmenge her, die weiter läuft, von Schatten zu Schatten, ehe sie nach einer gefühlten Ewigkeit im Schutz eines schiefstehenden Hauses zu stehen kommt. Alle keuchen und haben rot angelaufene Gesichter, die Jüngeren schluchtzen leise. Etwas weiter entfernt kann ich sehen, wie Chuck sein pausbäckiges Gesicht in Clints Shirt vergräbt, total aufgelöst und schockiert von dem Geschehniss. Er tut mir leid, so unendlich leid; er hat es nicht verdient, so zu leiden.
Eine Hand verhakt sich mit meiner und ohne genau nachzudenken drücken ich sie zurück. Erst einige Sekunden danach schnellt mein Kopf herum und ich erblicke - welch Überraschung - Minho, der ebenfalls leicht aus der Puste ist und prüfend die Gruppe mustert. Mein Blick gleitet hinunter auf unsere Hände, dann wieder hoch zu ihm. Ich hätte so gerne einen Einblick auf die Gedanken dieses Jungen, nur ein Mal...
"24. Immer noch"
hustet der Asiate und sieht mich erstmals an. Fragend runzel ich die Stirn.
"5 sind im Gewitter draufgegangen. Wir haben Thomas verloren, dafür diesen Neppdeppen da. Also sind mir jetzt 24."
Ich nicke nur und lasse mich mit einem Seufzer gegen Minho fallen. Mir ist egal, ob das nun schwach wirken sollte oder nicht, ich bin schlicht und einfach einfach erschöpft.
Ich höre gedämpftes Fluchen hinter mir und drehe den Kopf nach hinten. Jorge tritt immer wieder gegen die Hausmauer und zischt dabei spanische Sachen, die nicht freundlich klingen.
Auch Minho bemerkt nun den Mann und wendet sich langsam zu ihm um.
"Hey! Das bringt doch auch nichts mehr"
sagt er scharf und der Spanier sieht auf.
Ehe er etwas erwidern kann, trete ich vor und stelle mich sicherheitshalber zwischen die zwei Angriffslustigen.
"Sie werden in etwa drei Tagen auf eine Party geschleppt, wo man ihnen irgendwelche Drogen einschleusen wird. Danach wird Thomas... angeschossen. Dass können wir uns ersparen, wenn wir sie früh genug abpassen."
Einen Moment lang herrscht Schweigen, auch die anderen Lichter glupschen mich nur stumm an. Dann meldet sich Newt zu Wort.
"Na dann... suchen wir die zwei mal lieber."
Zustimmendes Gemurmel erhebt sich, doch Jorge schüttelt den Kopf.
"Bist du noch ganz richtig im Kopf, hermano? Woher soll die Kleine hier wissen, was passiert?"
Irgendetwas passt mir nicht, wie er es sagt. So trocken, als würde er...
Schauspielern, denke ich mir. Er weiß, dass ich weiß, was passieren wird, doch er muss es seiner Rolle zuliebe verschweigen. Minho verschränkt die Arme vor der Brust und strafft aggressiv die Schultern.
"Sie weiß es einfach. Finde dich damit ab."
Als keiner sich rührt, setzt er noch ein
"Wir sind 23, du alleine"
nach. Dass scheint Jorge wohl ausreichend Grund genug, die Diskussion zu beenden, denn er nickt ergeben und sieht sich stattdessen wachsam um.
"Ich werde euch durch die Stadt führen, bishin zu jenem Ort, an dem ich diese seltsame Party vermute. Es ist ziemlich gefährlich bis dorthin, aber wenn wir leise sind und nur bei Nacht laufen..."
"...werdet ihr trotzdem nicht ankommen."
Ruckartig drehe ich mich um und erblicke die Horde Cranks, die am Ende der Gasse Aufstellung genommen hat. Sie haben immer noch die Waffen bei sich, wie auch schon am Vorabend, im hellen Licht wirken sie fast noch gruseliger als im Dunkeln. Zwar sehen diese Menschen noch ganz normal aus, wenn man von ihren zerlumpten Kleidern absieht, doch ihre Augen glitzern irre und blutdurstig. Einer der Cranks, ein großer, dünner Mann mit raspelkurzen Haaren, tritt nach vorne und schwenkt dabei seine selbstgebaute Keule.
"Hast du wirklich geglaubt, wir wären so dumm und fallen auf deinen Trick rein, Jorge? So weit hinüber sind wir noch nicht."
Dann gibt der Fremde seiner Truppe ein Zeichen - nur ein knappes Kopfnicken in unsere Richtung - und die Horde stürzt brüllend auf die im Schock erstarrten Lichter zu.
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