4. I knew...
Alle starren das Buch an, als hätten sie vorher nie eines zu Gesicht bekommen.
Langsam kommt wieder Bewegung in die erstarrte Menge.
Newt macht einen zaghaften Schritt auf mich zu.
"Was ist das?"
Ich hebe das Buch höher, sodass man mein Gesicht wieder sieht.
"Das ist ein Buch",
schnaubt Alby genervt, aber Newt reagiert nicht darauf. In Zeitlupentempo rappel ich mich hoch.
"Das ist eure Gesichte",
versuche ich laut und deutlich zu sagen, bringe aber nur ein Flüstern heraus. Newt macht noch einen hinkenden Schritt vorwärts.
Ich strecke ihm das Buch entgegen, ohne ihn anzusehen. Als das Gewicht in meiner Hand leichter wird, lasse ich los, in der Hoffnung, dass Newt auch wirklich nach den Buch gegriffen hat, und ich nicht wie ein Idiot das Teil fallen lasse.
Aber ich höre nichts zu Boden fallen. Pew.
Newt dreht das Buch um und beginnt, den Klapptext vorzulesen.
"Er heißt Thomas. An mehr kann er sich nicht erinnern. Und er ist an einem seltsamen Ort gelandet - er Lichtung, umgebeb von einem riesigen Labyrinth, in dem mörderische Kreaturen lauern. Nun liegt es an ihm und den anderen Überlebenden..."
"Was ist das für ein Klonk?",
fährt ein fremder Junge dazwischen, wird aber sogleich mit warnenden Blicken zum Schweigen gebracht.
"Ist das ein Tagebuch von den Schöpfern oder so?",
knurrt Alby, beugt sich aber zu Newt hinüber und mustert die Zeilen neugierig.
"Nein, das ist ein Jungendbestseller. Erster Band von drei. Wurde sogar verfilmt."
Müde lehne ich mich an die Gitterwand. Wie würden sie jetzt reagieren?
Vorerst sagt niemand etwas.
Dann richtet Newt sich plötzlich kerzengerade auf und sieht mich genau an. Ich sehe instinktiv weg und versuche, nicht verlegen zu wirken.
"Wir werden heute Abend wieder eine Versammlung einberufen. Mit Tommy und dir. Bringt das andere Mädchen zur Krankenstation."
Er dreht sich zu Alby um.
"Das muss besprochen werden. Egal ob Tagebuch oder nicht, da drin könnten wichtige Infos stehen. Es geht um unser Labyrinth."
Kunstpause.
"Klar?"
Alby nickt ohne ein Wort, was mich überrascht. Normalerweise hat der doch immer so eine große Klappe?
Ich werde trotz allem wieder in den Bau gesteckt. Doch diesmal gehe ich ohne zu protestieren; ich will mir die Chance, alles zu erklären, nicht entgehen lassen. Und wenn alle Hüter mir zuhören, dann kann ich sie vielleicht wirklich überzeugen, so unrealistisch meine Story auch klingen mag.
Hey, ich komme aus einer anderen Welt, die theoretisch die Vergangenheit ist. Ich habe alles über euch gelesen und weiß, wie wir hier rauskommen und fliehen können.
Realistisch. Wirklich sehr realistisch.
Der Abend kommt. Es wird immer dusterer auf der Lichtung, was gleichzeitig gruselig und faszinierend aussieht. Ich werfe Steine gegen die Wand, weil ich nichts besseres zu tun habe. Die Versammlung beginnt, wenn Minho wieder da und bereit ist, aber wann ist das, verdammt noch mal? Bald wird es dunkel, ja, aber wann schließen sich die Tore genau? Wenn es bereits finster ist? Oder davor? Oder...
Plötzlich schießt mir eine Erinnerung durch den Kopf. Wie von der Terantel gestochen springe ich vom Boden auf und werfe mich gegen die Tür. Klar ist sie abgesperrt, aber ich weiß, dass davor wer steht. Irgendein Wächter, der sich langweilt.
"Hey, was wird das?",
kommt auch gleich das Kommentar von draußen. Verzweifelt hämmere ich gegen die Tür.
"Lass mich raus, bitte! Schnell!"
Meine Stimme überschlägt sich beinahe vor Panik.
Es passiert eh nichts,
rede ich mir ein, aber trotzdem...
"Warum?"
Warum? Warum?? Darum, du Idiot!
"Ein... äh... weibliches Problem!",
schreie ich, und hoffe, dass ihn das so verlegen macht, dass er nachgibt. Und tatsächlich: Das Schloss klickt.
Im nächsten Moment drücke ich die Tür weit auf und knalle es dem Jungen auf die Nase. Fluchend springt der mir Unbekannte zurück.
"Sorry!",
rufe ich noch, dann wirbel ich herum und presche in Highspeed zum Wald. Ich schaff das. Ich schaff das. Ich schaff...
Gerade noch sehe ich die Gestalt, die aus dem Busch hervorspringt, bleich, wild abstehende Haare, wie ein Vampier. Ich zögere nicht lange und werfe mich in vollem Galopp gegen den Twilight-Grufti. Dieser gibt ein animalisches Brüllen von sich, windet sich unter meinem Griff, der leider nicht stark genug ist, um ihn zu halten. Schon reißt er sich los, setzt sich rittlinks auf mich und holt zum Schlag aus, trifft aber nur die Erde neben meinem Kopf.
Zuerst bemerke ich den Grund nicht, weshalb er mir verfehlt hat, doch dann wird Ben zurückgerissen und ich bin frei. Schwer atmend rappel ich mich auf und sehe, wie Thomas sich auf die Seite wirft, um Ben auszuweichen, der wie ein Raubtier herumspringt. Doch er erwischt ihn am Arm und krallt sich fest, dass es mir allein beim Hinsehen wehtut. Ben greift nach dem Hals seines Opfers, drückt zu. Thomas würgt, schnappt nach Luft, aber er sitzt wie eine Zecke auf ihm und quetscht ihm die Luftzufuhr ab.
Wut packt mich und mit einem Satz werfe ich mich gegen den Verrückten, nehme ihn so gut es geht in den Schmitzkasten und reiße seinen Kopf zurück. Ben schreit kehlig auf, knurrt wie tollwütig und schlägt mit enormer Wucht um sich. Ich bekomme sein Handgelenkt zu packen, drücke mit der anderen Hand den Ellbogen hoch und verdrehe ihm so den Arm auf der Rücken. Er fällt auf den Bauch, windet sich wie ein Wurm.
Ich setze mich auf seine Hüfte, mit der einen Hand halte ich die Hand, mit der anderen drücke ich meinen Ellbogen gegen sein Genick. Er faucht, Spucke fliegt, aber er kommt nicht los. Warum auch immer, vielleicht macht mich das Adrenalin gerade zu Superwoman.
"Was wird das hier? Bedrohst du unsere Leute oder was?",
hallt plötzlich Albys Stimme von der Seite und im nächsten Moment tritt er auch schon aus dem Gebüsch. Mit Pfeil und Bogen bewaffnet, wie im Buch.
Er hasst mich wirklich, wies aussieht.
Diese Sekunde der Unachtsamkeit, in der ich zu Alby aufsehe, nutzt Ben und katapultiert mich von seinem Rücken. Ich falle auf die Seite, unfähig zu schreien vor Schock, dann stürzt Ben auf Thomas zu. Verblüfft und erschrocken zugleich hebt Alby seine Waffe.
"Ben! Was tust...",
setzt er an, schießt dann auch schon. Der Pfeil trifft ihn nicht an der Wange wie im Buch, sondern an der Schulter. Ben stolpert, fällt auf die Schnauze und schreit vor Schmerz auf. Thomas robbt rückwärts davon, seine vor Schreck geweiteten Augen starren unverwandt Ben an, der sich am Boden krümmt und dabei "Ich hab ihn gesehen!" schreit.
Und das einzige, was ich dabei denken kann, ist: Ich weiß.
"Was geht hier ab?",
will Alby wissen, aber sowohl Thomas als auch ich bringen kein Wort heraus. Ich habe zumindest einen epischen Kampf verhindert, bei dem der arme Tommy sicher ziehmlich traumatisiert gewesen wäre. Jetzt würde ich seinen Zustand nur als... erschrocken bezeichnen.
Alby packt mich am Arm und zerrt mich hoch. Ich wehre mich nicht; ich lasse es einfach passieren. Thomas steht ebenfalls auf, sein Blick hängt an Ben, der immer schlaffer wird, als würde ihm die Kraft ausgehen.
Alby schleift mich einfach durch den Wald davon, Thomas stolpert hinterher. Erst als ich ein Gebäude gestoßen werde, checke ich die Situation: die Versammlung.
Minho ist wahrscheinlich schon da.
Wie aufs Stichwort fangen die Wände an, zu rumpeln und zu quitschen, nur leider kann ich dieses Schauwerk von hier drinnen aus nicht sehen. Aber das wird sich schon noch ergeben.
Fast alle haben sich bereits versammelt.
Die verschiedenen Hüter sitzen im Kreis, Newt in der Mitte, links und rechts von ihm je ein freier Stuhl. Das sind dann wohl Toms und meiner.
Ohne ein Wort drückt mich Alby unsanft in den Sessel. Was hat der Typ gegen mich? Ok, bessere Frage... warum behandeln mich die Anderen nicht auch so?
Ein gähnender Minho kommt in den Raum gestapft. Ohne mich eines Blickes zu würdigen lässt er sich auf seinen Stuhl fallen und schließt erschöpft die Augen. Mann, seine Kondition will ich haben, wenn der die ganze Zeit nur durchrennt.
"Also...",
setzt Newt an, doch Alby unterbricht ihn.
"Wir müssen ein paar starke Strünke zum Wald schicken. Mal sehen ob er noch lebt."
Klar starren ihn alle verständnislos an. Wie sollen die anderen Lichter ihn auch verstehen?
Alby seufzt, als läge es auf der Hand.
"Ben ist ein wenig ausgezuckt. Ich musste ihn abschießen."
Ein wenig? Haha...
Anscheinend regt Thomas diese Untertreibung ein klitzeklein wenig mehr auf, denn er spring erzürnt von seinem Hocker auf.
"Ein wenig?? Der wollte mich umbringen! Sie ist der einzige Grund warum ich noch lebe!",
fährt er Alby an und deutet dabei wild auf mich. Ich muss ich weit zurücklehnen, um seinen pieksenden Finger auszuweichen.
"Wowowow, was labert ihr für Klonk?",
meldet sich jetzt auch Minho und betrachtet Thomas mit hochgezogenen Augenbrauen. Doch bevor er etwas sagen kann, entriegelt sich auch schon die Sicherung an meinem Mundwerk.
"Ben hat bei seiner Verwandlung Thomas gesehen und wollte ihn deshalb umbringen. Ich hab etwas mitgemischt, sorry. Aber du wärst nicht gestorben, Thomas, keine Bange."
Die Wörter sprudeln einfach so über meine Lippen, und sobald der letzte Satz verklungen war, bereue ich auch schon meinen Wortschwall. Als würden die mir irgendetwas glauben.
Zum Glück nickt Thomas heftig, um meine Geschichte zu unterstreichen. Dann sieht er mich an und lächelt vorsichtig.
"Danke. Ich bin dir was schuldig."
Ich hebe schon die Hand um irgendetwas cooles zu sagen, wie Kein Problem oder Das ist doch selbstverständlich, als die Tür aufgerissen wird und ein Junge, den ich als meinen Wächter wiedererkenne, mit panischem Blick hereingestürmt kommt.
"Sie ist abgehauen! Sie ist..."
Dann treffen sich unsere Blicke, und er verstummt attrupt.
"Hä?" machen einige Hüter im Chor und lassen ihre Blicke zwischen mir und den Typen hin und her wandern.
"Wie meinst du, sie ist ausgebrochen?",
fragt Gally und beäugt mich mit feindseliger Miene. Der Junge schaut beinahe beschämt zu Boden.
"Naja... sie... sie hat gesagt sie muss plötzlich ganz schnell raus... sie hätte ein äh... weibliches Problem."
So wie er es sagt, klingt es sogar noch peinlicher, als es eh schon ist. Sofort sind alle Blicke auf mich gerichtet. Jetzt bloß nicht rot werden...
Abwehrend hebe ich die Hände.
"Ich musste da ganz schnell raus, ok? Sonst hätte ich Thomas nicht helfen können."
Kurz herrscht absolute Stille.
"Du meinst, du hast gewusst, das Ben Thomas angreifen wird?",
fragt Minho mit ungläubigem Gesicht.
Das darf doch nicht wahr sein!
Checken die garnichts? Wütend stampfe ich auf wie ein kleines Kind.
"Ich checkt aber auch gar nichts, oder? Ich habe das alles gelesen, verdammt noch mal! Die ganze Story!"
Mit jedem Wort wird meine Stimme höher, der Ton will mir nicht mehr gehorchen und wirkt seltsam verzerrt.
"Du meinst, in dem Buch da?",
hackt Newt nach und ich drehe mich zu ihm um, da er hinter mir steht. Als Antwort nicke ich nur.
"Das ist unmöglich."
Ich gebe mir einen Facepalm.
"Glaubt es oder nicht, es ist so. Ich könnt ja nachlesen, da stehr alles drinnen, ihr..."
"Nein."
Newt sagt das so ruhig, dass ich ihn einen Moment lang verwirrt anstarre. Ganz gelassen zieht er das Buch aus seiner Tasche hervor und lässt vor mir die Seiten fliegen. Was ich dann sehe, bringt mich an den Rand eines Herzinfakts.
Anfangs sind die Seiten noch beschrieben, aber dann... nichts mehr.
Weiß.
Alles weiß.
Leere Seiten.
Die Geschichte ist ausgelöscht.
Das Bild oben ist übrigens das, was auch am Cover ist. Halt nur Spiegelverkehrt.
Tschüss.
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