26. Frau Doktor Blauhaar
Was, um alles in der Welt, hat Gally ihm zugeflüstert, dass er solche Stimmungsschwankungen gegenüber mir hat?
◆◇◆◇◆◇◆
Die ganze Busfahrt schlafe ich, auch wenn ich gerne die Umgebung gesehen hätte. Meinen Gesicht in Clints Halsbeuge vergraben, sitze ich still da, und fühle mich einfach nur... geborgen. Beschützt. Keine Ahnung, wie Clint dass macht. Ich habe ihn verdammt gerne, so viel steht fest. Natürlich mag ich Newt und Thomas auch, aber Clint, der hat irgendwie ein... beste Freundin-Niveu. Auch wenn es großteil an seine Homosexualität liegt, die er mir ganz bereitwillig anvertraut hat, hat er ja auch einen ruhigen, gutmütigen Charakter, ist ist noch dazu wahnsinnig hilfsbereit. Er wäre ein Arzt, zu dem man gerne gehen würde.
Sanft werde ich an der Schulter wachgerüttelt. Mit leisem Murren öffne ich meine vom Schlaf klebrigen Augen und sehe als erstes Clint, der mich grinsend von oben herab ansieht.
"Aufwachen Schlafmütze, wir sind da"
flüstert er und schiebt mich von seinem Schoß. Taumelnd komme ich zu Stehen und klammere mich an einen der Sitze fest, um mich zu fassen, ehe ich langsam aus dem Gefährt klettere und auf das bunt gestrichene Haus zuschlurfe. Es wirkt auf mich wie ein Kindergarten, der nicht ganz fertig gemacht wurde: Manche Stellen sind gräulich-weiß, andere wiederum mit kräftigen Farben gestrichen und übertrieben genau ausgemalt. Vielleicht hat die Sonnenerruption die Arbeit gestört, und man hat es nicht als nötig ersehen das Gebäude fertig zu stellen.
Der erste Raum ist beinahe schon saalartig groß und hell beleuchtet, ein riesiger, bereits gedeckter Tisch steht darin. Mehreren Pizzakartons liegen übereinander gestapelt in der Mitte, der vertraute Geruch von geschmolzenem Käse und Tomatensauce kitzelt mich in der Nase und lässt mir das Wasser im Mund zusammenlaufen. Gosh, Pizza! Wenigstens zeigt ANGST beim Thema Henkersmahlzeiten Geschmack.
"Nun esst erstmal, dann könnt ihr euch waschen, danach werden eure Wunden versorgt. Und dann dürft ihr euch einmal so richtig ausschlafen!"
sagt eine der Betreuerinnen, eine freundlich aussehende blonde Frau mit warmen, hellbraunen Augen. Sie ist so ein Mensch, dem man allein vom Hinsehen her sympatisch findet, aber ich beäuge sie trotzdem mit wachsendem Misstrauen. Wie kann jemand so freundlich Aussehendes nur bei ANGST arbeiten?
Chuck und Clint sitzen links und rechts neben mir, jeder ein großes Stück Salamipizza in der Hand. Außer dem genießerischen Schnurren der Lichter ist der Raum still, keiner spricht, niemand unterhält sich. Die Atmosphäre ist entspannt und locker, jeder ist sich seiner Freiheit hundert prozentig sicher, jeder hat Hoffnung; und das tut weh. So sehr ich mich auch umsehe, nirgends kann ich Skepsis oder Unsicherheit in den Blicken der Jungs finden, scheinbar vertrauen sie ihren "Rettern" völlig bedingungslos ihr Leben an. Ansonsten gebe es nun sicher viele Diskussionen und Fragerein, wo, warum und wie lange wir hier nun sind; doch weiterhin, Schweigen. Diese falsche Hoffnung brennt fast noch schmerzhafter als der Schnitt an meinem Arm.
"Ihr könnt nun einer nach dem anderen duschen gehen, wer möchte! Mädchen, ihr habt ein eigenes Zimmer."
verkündet die nette Blonde schließlich und einige erheben sich von ihrem Platz.
Teresas Mund klappt auf, bestimmt wären jetzt ein Haufen Protestreden gefolgt, aber die Sprecherin winkt bereits ab und stößt sie und mich Richtung einer schmalen Türe am anderen Ende des Saals. Sicherheitshalber lasse ich den Blick noch einmal über die Schulter wandern; der Schlafraum der Jungs befindet sich genau gegenüber, okay. Dann schlägt auch schon die Türe vor meiner Nase zu und ich muss mich gezwungener Maßen der neuen Situation stellen: die Dusche.
Es klingt verlockender, als es ist. Nicht nur dass ich kaum etwas abbekommen habe und mich somit fast nicht genötigt sehe, mich zu waschen, meine teilweise aufgeschürfte Haut, vor allem aber die Wunde an meinem Arm brennt durch das scharfe Waschmittel wie die Hölle. So fällt mein Bad also relativ kurz aus und ich lasse mich erschöpft in das frisch überzogene Bett fallen. Das Gewand, das ich nun anhabe, ist weich wie ein Pyjama und riecht irritierender Weise nach Lebkuchen und Honig. Außerdem scheint es vor kurzem gebügelt worden zu sein, der Stoff ist noch warm und schmiegt sich um mich wie ein Thermophor. Mhh...
"Nicht einschlafen, lass dir zuerst den Arm verbinden!"
reisst mich Teresas Stimme wieder hoch und ich hebe den Kopf. Sie hat ebenfalls ein lockeres graues Top und eine dunkle Jogginghose an, ihr Haar ist noch leicht feucht und glänzt im Kunstlicht. Einen Moment lang starre ich ihr in ihre wunderschönen Augen - hab ich euch schon mal gesagt, dass diese Iris... gosh... - dann lächelt sie verschmitzt und zieht mich hoch. Ohne groß zu erklären schupst sie mich wieder in den Saal zurück, wo bereits einige Lichter oben ohne herunstehen und sich ihre Wunden verbinden lassen. Chuck wird ebenfalls gerade verarztet, er scheint irgendeine Kleinigkeit am Bein zu haben, doch sonst strahlt und lacht er wie immer. Wieder überkommt mich dieses Glücksgefühl, ich laufe spontan auf den Jungen zu und umarme ihn kräftig. Etwas verwirrt drückt er mich zurück, während mich der Arzt schimpft, dass er noch nicht fertig gewesen sei und ich mich nun verziehen solle.
Widerwillig lasse ich von Chuck ab und lasse mir von einer älteren Schwester den Arm verbinden. Das Desinfektionsmittel brennt ein wenig, aber sonst tut es nicht wirklich weh.
Den Rest der Zeit stehe ich eigentlich nur gelangweilt herum und sehe zu, wie meine Freunde verpflegt werden. Alby hat es ziemlich übel erwischt, die Ärzte müssen ihn mehr oder weniger in Heilsalbe baden und wie eine Mumie einwickeln. Thomas und Teresa haben fast keine Wunden, Clint ebenso wenig. Newt wird der Knöchel untersucht, da ein Griewer ihn dort gepackt hat und nach seiner Aussage nun mehr schmerzt als davor.
Während der langwirrigen Prozedur - kalter Umschlag, Salbe, Umschlag, Verband - sitze ich stumm neben ihm und spiele gedankenverloren mit meinen Haaren herum. Müde bin ich komischer Weise garnicht, wahrscheinlich habe ich schon genug Schlaf im Bus getankt. Jetzt will ich nur noch... ach, ich weiß auch nicht. Aufhören, Pause machen. So was in der Art.
Aber das geht ja nicht.
Newt tippt mich vorsichtig an und ich sehe auf.
"Ähm, Alina?"
sagt er mit fragendem Unterton, dabei lächelt er mich unsicher an, als wäre ihm die kommende Frage unangenehm. Ich ziehe die Augenbrauen hoch.
"Ja, das ist mein Name."
Der Blonde seuftzt leise.
"Kannst du mal nach Minho sehen?"
Verdutzt blinzel ich ihn an. Ich soll was...?
"Bitte. Auf mich will er nicht hören, aber dir wird er folgen. Ich glaube er hat irgendwo am Rücken einen hässlichen Schnitt, und wenn sich der infiziert... wenn er wegen einer Blutvergiftung stirbt statt durch einen Griewer, wäre das etwas..."
Er wachelt wild mit den Händen herum, während er nach Worten sucht, sodass ich ihm die Arme runterdrücken muss um nicht getroffen zu werden.
"Ja, meinetwegen."
seuftze ich und suche den Saal mit den Augen ab.
"Aber warum sollte er auf mich hören? Du hast ja gesehen wie er sich auf der Lichtung aufgeführt hat."
"Ja, das habe ich. Aber ich hab auch gesehen wie er die Wachen angeguckt hat, als sie dich festgehalten haben. Und wie er dich die ganze Zeit ansieht. Im Bus zum Beispiel."
Mein Blick schnellt ruckartig zu ihm, ungläubig blinzel ich ihn an.
"Was soll denn das jetzt schon wieder heißen?"
gifte ich ihn etwas zu aggressiv an, denn Newt beginnt sofort zu schmunzeln.
"Das weißt du genau."
Oh nein. Nicht schon wieder dieses Thema...
"Weiß ich nicht!"
gebe ich trotzig zurück und rappel mich tollpatschig hoch.
"
Du bist ein Idiot"
schieße ich noch nach, dann sause ich davon, ohne mich noch einmal umzudrehen. Trotzdem kann ich Newts triumphierendes Grinsen selbst auf diese Distanz deutlich im Rücken spühren.
Nach einigen Schritten sehe ich meinen Patienten auch schon. Minho steht an die Wand gelehnt da, jedoch hält nur die eine Schulter mit dem Putz in Berührung, die andere streckt er merkwürdig verbogen auf die Seite. Anscheinend hat Newt recht, er dürfte wirklich etwas am Rücken abgekriegt haben.
Schnell stibitze ich etwas Verbandszeugs, Desinfektionsmittel und ein weißes Hygienetuch, dann schlängel ich mich durch die gut gefüllte Halle zu meinem Ziel. Als Minho mich bemerkt runzelt er zuerst irritiert die Stirn, sein Blick wandert zu den Sachen in meinen Händen und sofort presst er die Lippen zusammen.
"Nein"
knurrt er kurz und knapp und wendet demonstrativ den Blick ab. Ich verschränke so gut es geht die Arme vor der Brust und recke das Kinn in die Höhe, um einiger Maßen selbstbewusst zu wirken.
"Doch"
gebe ich in dem selben Tonfall zurück und bemühe mich um eine strenge Stimme. Der Asiate sieht wieder zu mir, mustert mich abschätzend. Ich halte seinem Blick mehr schlecht als recht stand; irgendwie ist es mir unangenehm, wenn er mich so direkt anstarrt.
"Du schuldest es mir"
lege ich noch nach, in meinen Worten schwingt deutlich Enttäuschung mit. Ja, ich war enttäuscht, als er sich gegen mich gestellt hat. Aber deswegen bin ich noch lange nicht unsterblich verliebt in ihn! Oder?
...oder???
Eine Weile rührt sich Minho nicht, sieht mich nur an. Und dann... haltet euch fest: er nickt. Er nickt! Er gibt nach. Holy...
Stumm warte ich darauf, dass er mir nun endlich seine Wehwehchen zeigt, aber er macht keine Anstalt sich irgendwie zu bewegen.
"Wirds bald?"
frage ich ihn schließlich über das Gemurmel der Ärzte hinweg, das langsam immer leiser und leiser wird, umso mehr Lichter gut versorgt von dannen ziehen. Unruhig trommelt Minho mit den Fingern gegen seinen Oberschenkel, antworten tut er aber nicht. Da verstehe ich.
Er will sich nicht vor den Anderen als verwundet outen.
Sein Ernst?
Kopfschüttelnd packe ihn am Handgelenk und zerre ihn kurzerhand in das Mädchenzimmer, in dem nur Teresa sitzt und müde vor sich hin starrt. Als wir den Raum betreten hebt sie den Kopf und sieht mich fragend an.
Der Strunk hier traut sich nicht den anderen Lichtern seine Verwundbarkeit zu offenbaren
sende ich ihr mit möglichst viel Sarkasmus und hoffe insgeheim, dass es auch bei ihr ankommt.
Kurz darauf beginnt Teresa zu grinsen. Okay, das könnte jetzt heißen dass sie
A) mich gehört hat und Minho auslacht oder
B) genauso 'nen Vogel hat wie Newt und uns beide auslacht.
Zweifelnd sehe ich sie an.
Teresa?? Hast du mich gehört?
Jaja, kein Stress.
kommt es sofort zurück und auch ich muss grinsen.
"Wenn ihr dann mal fertig geplauscht habt..."
motzt mich Minho an und klopft unruhig mit dem Fuß gegen das nächste Bettgestell. Seuftzend verdrehe ich die Augen und werfe die erbeuteten Sachen auf die näheste Matratze.
"Na zeig schon her"
fordere ich und sehe ihn abwartend an. Er verdreht übertrieben die Augen, dreht mir dann aber den Rücken zu und greift nach dem Saum seines Shirts. Wie von der Tarantel gestochen fährt Teresa plötzlich hoch und läuft mit schnellen Schritten ins Badezimmer.
"Ich gehe, ähm, kurz weg"
labert sie und zwinkert mir verschwörerisch zu.
Okay, ich glaube, das vorher war eine Kombination aus A und B. Na toll, ein zweiter Newt. Newtiene....
Bevor Minho diese merkwürdige Geste ansprechen kann greife ich nach dem Tuch und dem Spray.
"Jetzt mach, ich bin auch müde"
lüge ich und versuche etwas gereizt zu klingen, auch wenn ich eher ins nervöse tendiere. Oberkörperfreier Minho? Da kommen Erinnerungen hoch...
"Du kannst es wohl kaum erwarten, dass ich mich ausziehe, was?"
gibt er sarkastisch von sich, zieht sich dann aber doch das Shirt aus. Und dann... autsch.
Der Schnitt wirkt nicht sehr tief, zieht sich aber von der rechten Schulter bis zur Mitte des Kreuzes hinunter. Die Wunde ist blutverkrustet und gerötet, wirkt im Großen und Ganzen nicht sehr angenehm. Naguut... dann mal ans Werk! Ich spraye etwas von dem scharf riechenden Zeugs auf das Tuch und tupfe damit vorsichtig über die verletzte Haut. Minho zischt auf, seine Muskeln verspannen sich und die Wunde verzieht sich, sodass mir keinen Platz mehr zum verarzten bleibt.
"Du musst dich entspannen Minho, sonst wird das nichts"
seuftze ich und betrachte seinen muskulösen Rücken. Sogar von hinten sieht er mega gut aus...
"Wie, wenn du mir Salz ins Fleisch reibst?"
giftet er, aber ich lasse mich davon nicht irritieren. Zögernd lege ich eine Hand zwischen seine Schulterblätter; dort, wo später das ANGST-Tattoo sein wird. Seine Haut fühlt sich warm und weich an, ich kann die Bewegungen seiner Atemzüge spühren, wie sein Körper sich hebt und senkt.
Eine kurze Weile stehen wir so da, keiner sagt ein Wort. Und dann, ganz langsam, lässt Minho die Schultern sinken, und ich kann weiter arbeiten. Zwar zischt und flucht er noch vor sich hin, aber er verspannt sich kein einziges Mal mehr. Meine Hand bleibt die ganze Zeit über an seinem Rücken liegen; ich finde irgendwie nicht den passenden Zeitpunkt, sie von dort wegzunehmen. Oder vielleicht will ich auch garnicht...
Quatsch. Alles Quatsch!
Hallöle.
Ich habe heute TubeClash für mich entdeckt und nun voll den Ohrwurm vom Intro... joah. Das wars auch schon mit meiner Leidensstory.
Tschüss.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro