25. Home, sweet Home
Daran erinnert mich Thomas' überraschte Stimme, als sie ruft:
"Gally?!?"
◇◆◇◆◇◆◇◆
Ruckartig schlage ich die Augen auf.
Verdammt...!
Ich beginne mich in Minhos festen Griff zu winden und aufzubäumen, zappel herum wie ein Fisch an Land. Überrascht lässt mich der Asiate los und kaum spühre ich festen Boden unter den Füßen, stürme ich auch schon nach vorne und stelle mich breitbeinig vor Thomas hin, denn dorthin wird Gally zielen. Oder besser gesagt ANGST, er steht ja unter ihrem Einfluss.
"Wagt. Es. Nicht."
keuche ich, noch total benebelt, und versuche wankend mein Gleichgewicht zu finden. Mit drohendem Blick fixiere die blonde Frau, die mit ausdruckslosem Gesicht neben Gally steht, ihr rotgeschminkter Mund zu einem leeren Lächeln verzogen. Ava Paige, höchstpersönlich.
Aber im Buch ist sie doch gar nicht hier?
denke ich irritiert. Vielleicht macht sie das ja extra, um mich zu verwirren? Wenn ja, ist es ihr gelungen.
Einen Moment lang herrscht Schweigen, dann räuspert sich hinter mir jemand.
"Alina, was wird das...?."
höre ich Clint sagen, drehe mich aber nicht zu ihm um. Weiterhin liefern Ava und ich uns ein Blickduell, dass mehr als tausend Worte spricht, sie mit ihrem kalten Blick, ich mit meiner überbrodelnden Wut.
"Wagt es nicht"
sage ich noch einmal, diesmal lauter und fester, und mache einen Schritt auf Gally zu, ohne den Augenkontakt mit Paige zu unterbrechen. Der ehemalige Hüter rührt sich nicht, nur seine Augen zucke hektisch hin und her und lassen geringfügig Einblick auf seine Gedanken.
"Oder was?"
Ich brauche eine Sekunde um zu checken, dass Ava gesprochen hat. Ihre Lippen haben sich kaum dabei bewegt, ihre Züge bleiben unverändert.
"Oder ich sorge dafür, dass ihr das Heilmittel nicht finden werdet."
Das ist gelogen. Denn sie werden es nicht finden. Aber was sie nicht weiß, macht sie nicht heiß...
Nun erkenne ich doch ein Fünkchen Unruhe in Paiges Maskengesicht. Sie lässt die Akte in ihren Händen sinken und klemmt sie sich unter die Achseln, dann mustert sie mich mit prüfendem Blick.
"Wir könnten einen Deal eingehen, Mädchen."
Einen Deal? Als ob.
Ich mache noch einen Schritt auf Gally zu. Hinter mir wird gemurmelt und ich höre ein leises "Alina, nicht!" aber ich blende diese Einzelheiten aus.
"Nein."
antworte ich mit selbstsicherem Ton, obwohl ich gerade mehr als nur nervös bin. Am liebsten hätte ich mich umgedreht und hinter Minho versteckt, bis diese ganze schreckliche Prozedur vorbei ist, und nicht länger in der Schussbahn gestanden, aber Chuck... nein, Chuck darf nicht sterben. Auf gar keinen Fall.
"Nein?"
Ava klingt etwas überrascht. Ich mache noch einen Schritt vorwärts, und Gally hebt wie ein Roboter die Hand, der altbekannte Dolch liegt darin, schimmert im fahlen Licht. Erschrockene Laute kommen von den Lichtern, die Unruhe ist nun deutlich spührbar. Einige rufen meinen Namen.
Machen wir einen Deal.
Nicht deren Ernst.
Jetzt soll ich über Telepathie mit denen diskutieren?
Nein!
schreie ich stumm zurück und meine Zahne knirschen aufeinander. Ava bewegt sich nicht.
Hilf uns.
Ich stoße ein wütendes Knurren aus, dass mich im ersten Moment selbst etwas erschreckt, doch dann beginne ich nachzudenken. Ich könnte sie anlügen... sie austricksen. Sie vertrauen in mein Wissen, so viel steht fest. Warum also dieses Vertrauen nicht ausnutzen?
Okay. Unter einer Bedingung.
Beenden sie das Experiment. Sofort.
Nein.
Idioten.
Dann helfe ich ihnen nicht.
So einfach ist das.
Wir werden das Projekt weiter führen, ob mit oder ohne dir.
Das hört sich nach einer beschlossenen Sache an. Jetzt bloß keinen Blödsinn machen, keine Kurzschlussreaktionen... ich muss nachdenken. Ich kann nicht verhindern, dass sie die Jungs in die Wüste schicken, dazu ist ANGST zu stark. Ich muss wohl oder übel auf die alte Methode zurückgreifen und mit meinem Wissen so viele wie möglich durchschmuggeln. Oder ihnen zur Flucht verhelfen. Aber momentan... momentan sind sie in den Händen von ANGST. Und ich auch. Das macht mir dezent... Angst. Badum Tsss.
Mann, war der flach...
Okay. Dann sorgen Sie dafür, dass ich bei Gruppe A bleiben kann und mir nichts - unter gar keinen Umständen - passiert. Dann bin ich dabei.
Das ist gelogen. Aber psschht...
In Ordnung.
Auf einmal geht ein Schuss los, und Ava Paige bricht an Ort und Stelle scheinbar tot zusammen. Natürlich nicht wirklich; ich weiß, dass sie nur spielt. Aber das ist mir im Moment egal.
Mit schnellen Schritten laufe ich auf Gally zu und reisse ihm das Messer aus der Hand; versuche es zumindest, denn ehe ich es zu fassen bekomme, fällt es schon scheppernd zu Boden. Auch Gally sinkt in sich zusammen, als hätte man ihn umgeschossen, doch ich kann auf den ersten Blick keinerlei Verletzungen an ihn erkennen. Er steht also noch immer unter dem Einfluss von ANGST.
Bewaffnete Soldaten stürmen herein, schießen die Forscher um uns herum nieder, welche ich erst jetzt bemerke. Die Lichter schreien verängstig auf, zucken zurück, aber die Leute - ANGST's Mitarbeiter - zerren sie erbarmungslos Richtung Ausgang.
"Keine Sorge, wir holen euch hier raus!"
Als ob. Und Paige ist in Wirklichkeit Kindergärtnerin.
"Los los los!"
brüllt ein grauhaariger Muskelprotz und rudert hektisch mit den Armen. Behandschuhte Hände packen mich und zerren mich über den Boden. Erschrocken fauche ich auf, winde mich, doch die Griffe verstärken sich dadurch nur und werden schmerzhaft bis blutabdrückend.
"Lauft! Es geht um Leben und Tod!"
hallt es durch den Raum, der schon beinahe leer ist. Ich werde immer noch nicht losgelassen.
"Hey!"
ertönt es plötzlich direkt neben mir und ich drehe den Kopf.
Minho steht da und starrt die Männer, die mich festhalten, dermaßen hasserfüllt an, dass es selbst mir kalt über den Rücken rieselt. Ohne Vorwarnung werde ich freigegeben und lande sogleich unsanft am Boden. Dort darf ich jedoch auch nicht lange blieben, keinen Herzschlag später fasst mich wieder eine Hand am Arm - diesmal aber viel, viel sanfter - und zerrt mich in einen dunklen Gang. Ich kann gar nicht anders als hinter Minho herzustolpern, der anscheinend nicht vor hat mich alleine rennen zu lassen, und werde so den ganzen Weg hinauf gezogen. Gang, Treppe, Gang, Treppe. Immer so weiter.
Langsam sickert das eben Geschehene zu mir durch.
Chuck lebt.
Er lebt.
Chuck lebt!
Ich schnappe nach Luft, so plötzlich strömen die Glücksgefühle über mich herein, erfüllen mich mit purer Freude und Motivation. Er lebt! Ich habe ihn gerettet! Er lebt!!!
Und genauso schnell, sie sie gekommen waren, verschwinden sie auch wieder, als die Bilder der vielen leblosen Körper vor meinem inneren Auge auftaucht und den pausbäckigen Jungen aus meinem Kopf verdrängen. Meine Beine werden schwer, der Boden beginnt sich zu drehen.
Sie sind tot. Wie viele? Sind es mehr als im Buch? Weniger? Hat es sich ausgezahlt? Oder habe ich alles noch schlimmer gemacht?
Das Rauschen von Regen holt mich aus meinen Gedanken. Wie ein grauer Vorhang hüllen die niederfallenden Wassertropfen die Welt in traurige Stimmung und passen sich so perfekt meiner aktuellen Laune an. Der kaputte Bus sieht genauso aus, wie ich ihn mir vorgestellt habe, alt und rostig, mit einem schmutzigen Gelbton, der früher einmal grell geleuchtet haben muss. Der Lack blättert an manchen Stellen ab wie eine Schlammmaske von der Haut; an gewissen Regionen jedoch wurde er heruntergekratzt, man kann noch krallenspurenartige Risse erkennen. Von wem oder was diese stammen, will ich garnicht so genau wissen.
Minho zerrt mich weiter, durch die schlammigen Pfützen, in den stinkenden Bus hinein. Die Sitze sind teilweise zerkratzt und das Innere quillt hervor, andere wurden gänzlich hinausgebrochen und liegen umgekippt in ihren Verankerungen. Im Gang bleibe ich kurz stehen, zähle hastig die Leute.
28.
Und 20 haben im Buch überlebt.
Also hat es sich ausgezahlt! Na wenigstens etwas. 8 Leute habe ich gerettet. Acht Leben. Acht Lichter. Darunter Alby, Clint, Chuck. Ich könnte stolz auf mich sein.
Bin ich aber nicht, im Gegenteil...
Ich setze mich auf einen Einzelplatz im vorderen Bereich - der andere Sitz exestiert nicht mehr - und lasse die Stirn gegen die kühle Glasscheibe sinken. Wasser strömt daran herunter, einiges von dem Nass tropft durch einen dicken Riss hindurch ins Businnere. Die Welt da draußen ist traurig und kaputt, genau wie ich. Wie soll ich da nur leben? Wie soll ich hier glücklich werden, wenn ich es in meiner Welt schon nicht wirklich war?
Plötzlich überkommt mich Sehnsucht, Sehnsucht nach meiner eigenen Welt. Nach dem grünen, lebhaften Wäldern Österreichs, nach den Flüssen voller Fische, den blumendurchwachsenen Wiesen, auf denen Bienen summen und Grillen zirpen. Ich vermisse die Vogelschwärme, die über den Himmel ziehen, die Katzen, die durch das Unterholz schleichen, vermisse das Gebell der Nachbarshunde. Ich vermisse das Klopfen der Marder, wenn sie nachts über mein Dach laufen, sehne mich nach den Krächtzen meiner Papageien am frühen Morgen, wenn sie Hunger bekommen und mich aufwecken. Ich vermisse alles, was mit Leben und Alltag zusammenhängt, alles, was es hier nicht mehr gibt. Exestieren Papageien überhaupt noch? Oder sind sie längst ausgestorben? Dieser Gedanke macht mich so traurig, dass ich sogar mit den Tränen kämpfe.
Eine Hand legt sich auf meine Schulter und ich fahre herum. Clints Welpenaugen sehen mich mitfühlend an, seine Finger streichen beruhigend über meine Haut und geben mir letztendlich den Rest. Schluchtzend schlinge ich die Arme um seinen Hals und drücke ihn fest an mich, sodass er fast umkippt und sich an der Sessellehne festhalten muss. Vorsichtig schiebt er mich zur Seite, lässt sich selbst auf den Stuhl fallen und zieht mich auf seinen Schoß. Es macht mir nichts; denn Clint hat kein Interesse an mir, oder besser meinem Körper. Vielleicht hätte ich es bei Newt oder Thomas ebenfalls zugelassen, aber da wäre die Situation doch irgendwie... komisch gewesen. Aber so kann ich jeglichen Hintergedanken abschieben, mich gänzlich in die Umarmung fallen lassen und mein Gesicht ungeniert in das nach Blut und Schweiß riechende Hemd drücken. Es ist mir egal, was die anderen denken. Meine Nerven sind überstrapaziert, und ich weiß nicht, ob ich je wieder so werden kann wie früher. So fröhlich, ausgelassen, sorglos. Nicht nach dem, was ich gesehen habe.
Ein gedämpftes Kreischen ertönt, ein gackerndes Lachen folgt darauf. Ich will den Kopf hochreissen, aber Clint hält mich fest.
"Nicht..."
murmelt er, sein Herschlag beschleunigt sich und seine Atmung wird flach und schnappend. Er hat Angst.
Achja, sie lassen ja einen Crank auf Thomas losgehen. Aber ihm wird nichts passieren. Ich muss mir dieses Vieh also nicht unbedingt live ansehen; noch nicht.
Entsetztes Gemurmel geht durch den Bus, aber als ein schwer atmender Thomas durch die Reihen stapft, verstummen jegliche Gespräche und es wird totenstill. Fast schon gespenstig.
Langsam hebe ich den Kopf. Mit Thomas sind es 29. Also 9 Leute. Sehr gut. Sehr sehr gut.
Mein Blick wandert über die Reihen, erfassen Alby. Der Anführer lehnt mit geschlossenen Augen in seinem Sitz und sieht müde und gebrochen aus. Newt sitzt neben ihm er lässt seine Augen genau wie ich durch den Bus wandern. Als sich unsere Blicke treffen lächelt er schwach, doch ich bleibe ausdruckslos. Mir ist nicht nach lächeln zu Mute.
Teresa und Thomas sitzen weiter hinten, direkt vor ihnen Chuck und ein Unbekannter. Jeff und Bratpfanne dösen nur wenige Reihen hinter mir, dahinter Toby und ein unbekanntes Gesicht, dann kommt Zart. Alle sind da... alle. Mit einem Seuftzer lasse ich mich auf Clints Schoß zusammensinken und schließe die Augen, konzentriere mich auf die zarten Berührungen seiner Finger. Sie streichen in sanften Kreisbewegungen meinen Arm hinab, meinen Rücken wieder hinauf, meine Wange entlang, dann wieder runter. Eine beruhigene Massage, die meinen Herzschlag verlangsamt, meine Sinne benebelt und mich fast zum einnicken bringt...
MOMENT!
schießt es mir durch den Kopf und ich reisse die Augen wieder auf. Clint merkt nichts davon, er döst bereits vor sich hin, sein Atem geht leise und gleichmäßig. Fast schon ein wenig hektisch suche ich die Sitzreihen ab, bis ich schließlich gefunden habe, was ich suche: Minho.
Der Asiate sitzt ungefähr in der Mitte des Busses, alleine. Und er sieht mich an; mich und Clint, wie wir zu zweit auf einem Sessel hocken, übereinander, ineinander verschlungen, uns gegeseitig streichelnd. Sein Blick ist dermaßen traurig, dass ich promt Gewissensbisse bekomme; warum, weiß ich nicht. Oder ich weiß es schon, und will es mir nicht eingestehen.
Doch viel mehr noch als dieses schuldige Gefühlt trifft mich das Erstaunen: Was, um alles in der Welt, hat Gally ihm zugeflüstert, dass er solche Stimmungsschwankungen gegenüber mir hat?
Hallo.
Hallo.
HALLO.
Ja, äh... well.
Guckt doch mal bei scarsspeak vorbei, die schreibt echt kuhle Storys. Und sie macht einen OS-Adventkalender *-*
Ja. Das wars. Tschüss.
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