[2] Ersatzvariable
Eine Sanddühne hinunterzurollen ist definitiv nicht lustig.
Nur um euch darauf aufmerksam zu machen: Wir reden hier nicht von einer weichen, flockigen Düne aus weißem Sand wie auf der Karibik oder den Malediven, oh nein. Hier sind lauter Erdklumpen, spitze Steine und trockene Ästchen, die aus dem dem Untergrund ragen und sich schmerzhaft in meinen Körper bohren, als ich wie ein Fass bergabwärts kuller. Denn leider habe ich nicht bedacht, dass es sowohl eine steile Seite hinauf gibt bei einer Erhebung, wie auch eine Seite hinunter. Ich bin dem Riss unter meinen Füßen ausgewichen, indem ich einen weiten Satz zurück gemacht habe; nur leider war da kein Hügel mehr, sondern nur Luft. Und die hält ja bekanntlich nicht viel Gewicht, stattdessen falle ich der Länge nach auf die Nase, überschlage mich, einmal, zweimal, dreimal...
Einzig und allein die Tatsache, dass ich auf der Nicht-Lichter-Seite herunterrolle und somit halbwegs noch meine optische Ehre wahre, erleichtert mich in diesem Moment ein wenig.
Schwerfällig rappel ich mich hoch, ein gutes Kilo Steine fliegt aus meinen Haaren und staubt um mich herum, als ich das Klumpenfell einmal kräftig durchbeutel. Verflixt, wie soll die dieses Vogelnest je wieder sauber bekommen?
Hektische Schreie lenken meine Aufmerksam auf sich und ich sehe den Hügel hinauf. Er ist nur etwa zwei bis drei Meter hoch von meinem Standpunkt aus gesehen schätze ich, doch an dieser Seite hier fällt er steiler ab und hat somit meine lustige Rutschpartie ermöglicht. Gerade taucht ein Schopf hinter dem Kamm auf; Newt kämpft sich nach oben, mit seinem Hinkebein dürfte das nicht allzu leicht sein. Doch irgendetwas veranlasst ihn dazu, stehenzubleiben; ich kann sein Gesicht nicht genau sehen, nur sein Haar, welches ruckartig wieder aus meinem Sichtfeld verschwindet.
Die Rufe werden lauter, vereinzelt höre ich auch meinen Namen heraus.
Dann sehe ich die Spalten. Als würde man den Boden nach und nach aufsprengen, bahnen sie sich den Weg durch den harten Boden, direkt auf mich zu. Eine ungute Vorahnung beschleicht mich und ich rappel mich hastig hoch, mache einige Schritte zur Seite. Wie erwartet, ändern die sonderbaren Risse die Richtung. Wie dunkle Adern überziehen sie den Boden, doch sie teile sich nicht auf, sondern bleiben an einem Hauptstrang zusammen. Egal was das ist, es ist.. etwas.
Rückwärts beginne ich den Hügel wieder hinaufzujoggen, versuche die seltsamen Spalten im Kreis zu führen, damit ich nicht von den anderen getrennt werde. Komischerweise verspüre ich nicht die geringste Angst; eine eisige Ruhe hat sich über mich gelegt, erstickt jegliche aufsteigende Panik im Keim. Es ist genauso wie im Labyrinth, als Thomas und ich Alby an der Wand befestigt haben, und genauso wird mich - vermute ich - die Angst so plötzlich überrollen, dass mir jeglicher logischer Gedankengang entgleitet und ich wie ein kopfloses Huhn planlos umherrennen werde. Ich muss diesen Wendepunkt also so weit wie möglich hinauszögern oder, wenn geht, ganz vermeiden, ansonsten könnten einige Leben dafür bezahlen.
Umso steiler der Weg wird, um so schneller muss ich laufen, da ich bei jedem Schritt immer wieder ein Stück herunter rutsche. Den Rissen scheint der Untergrund keine Probleme zu bereiten, im selben geschwinden Tempo wie davor kommen sie auf mich zu, bilden nun eine breite Schleife am zerstören Boden. Attrupt hört die Düne auf und endet in einer abgerundete Spitze. Überrascht japse ich auf, als ich - erneut - ins Leere trete und den Halt verliere. Bevoe ich jedoch ein weiteres Mal durch den Dreck wälzen kann, drehe ich mich und breite die Arme aus, um eine Überschlag zu verhindern. Dies gelingt mir auch, aber auch nur, weil mich jemand an den Schultern packt und hastig hochzieht.
"Was ist das??"
fragt Clint laut und deutet wild auf die Risse, welche schon wieder näher kommen. Nun doch leicht panisch stoße ich den Sani von mir und weiche auf die andere Seite aus. Und die Risse...
folgen mir nicht. Sondern Clint.
"Rennt!"
schreie ich erstickt auf und fuchtel wild mit den Händen herum. Sofort stolpern die Lichter zurück, laufen auseinander oder stoßen sich gegenseitig um.
"Hier lang, ihr Strünke!"
höre ich Minho brüllen, kann ihn zwischen den vielen Körpern jedoch nicht ausmachen. Nur Thomas sehe ich, der gerade Chuck energisch bergauf zerrt.
Nun haben sich die Spalten doch getrennt, teilen sich in mehrere Stränge auf. Wie Zweige erstrecken sich die Ausläufer über den Erdboden, greifen nach den Lichtern. Was ist das nur??
Schnell laufe ich den Jungs hinterher, als ich bemerke dass ich als Einzige noch am Fuß der Düne stehe. Mehrmals strauchel ich, der Sand bröckelt unter meinem Gewicht und und lässt mich nach jedem Meter wieder um die Hälfte zurückfallen, doch ich laufe weiter, keuchend, schmutzig, verschwitzt. Als ich ganz oben ankomme sind die Lichter bereits dabei, den nächsten Hügel zu erklimmen, der bereits ein wenig flacher ist als der hier. Ich setze schon zum Sprung an, um den anderen nachzusetzen, da stoppt das tonlose Vibrieren der Luft plötzlich attrupt, als hätte man die Bassmusik abgedreht. Mir fällt das erst auf, als die Lichter stehenbleiben und sich verunsichert umsehen. Auch die Risse haben aufgehört, sich weiter auszubreiten, als wäre das seltsame Wesen ins Innere der Erde abgetaucht. Misstrauisch lasse ich meinen Blick über den Boden wandern, folge dabei den Linien mit den Augen. Wars das? Oder kommt...
Wie aufs Stichwort schreit ein Lichter auf, kreischt wie am Spieß. Alle rund um ihn stürmen auf die Seite, nur Newt und Minho sprinten auf ihn zu. Auf den ersten Blick fehlt dem Jungen nichts, doch dann sehe ich weiter nach unten und stocke.
Es sieht wie aus wie... ja, wie eigentlich? Wie ein lebendiger, blattloser Trauerweidenzweig, mit Schuppen und... Krallen?!
Eilig mache mich an den Abstieg, rutsche mehr als dass ich laufe. Der Tentakel hat sich um den Knöchel des mir Unbekannten gewunden, wandert nun immer weiter hinauf, wickelt sich um die Wade wie eine Würgeschlange. Blut schießt unter dem Schuppenleib hervor, tränkt den Sand rund um ihn herum dunkel, das Mondlicht verleiht dem ganzen einen äußerst gruseligen Touch. Unschlüssig kniehen Newt, Minho und nun auch Alby und Thomas vor dem Jungen, die zwei Exläufer versuchen krampfhaft den sich windenden Lichter am Boden zu halten. Währenddessen ritzt Newt mit einem Messer hastig am Ansatz des Schlangenkörpers herum, erzeilt haber, wies aussieht, nicht wirklich den gewünschten Effekt. Alby schreit Befehle, doch keiner rührt sich, alle starren nur entsetzt das Schauspiel vor sich an.
Schwer atmend komme ich neben dem Blonden zu stehen und mustere mit wachsender Panik den schreienden Jungen. Die seltsame kopflose Schlange hat bereits sein rechtes Bekn bis zur Mitte des Oberschenkels eingerollt, immer mehr Blut quillt zwischen dem pulsierdenden Leib hervor. Zittrihlg taste ich nach meinen Messern, die immer noch an meinem Gürtel hängen. Wenn man nicht bald etwas unternimmt...
Mit einem lauten Aufschrei, der mich selbst zusammenzucken lässt, reisse ich den erstbesten Dolch aus der Halterung und ramme ihn in das eingehüllte Bein. Der Junge schreit, schreit in einem durch; wahrscheinlich hat er garnicht bemerkt, dass ich ihn eine Klinge ins Fleisch gejagt habe. Ich höre das wiederliche Schmatzen von Fleisch, dass auseinandergerissen wird, als ich das Hafter nach links zerre und somit den dünnen Teil der lebendigen Liane durchtrenne.
Das lose Ende schnalz fast schon lassoartig zurück und prallt mit einem dumpfen Ton gegen die rauen Erde, dann zieht sich der Stummel zurück, wie wenn man Spaghetti einsaugen würde. Das Bein des Lichters ist weiterhin mit dem seltsamen Schuppending eingehüllt, hängt nun aber locker und leblos an seinem Körper. Vorsichtig greife ich nach dem einen Ende, aus welchem unaufhörlich eine klebrige, trübe Flüssigkeit tropft, ähnlich wie der Saft eines frisch gepflückten Löwenzahns, und ziehe probehalber daran. Sofort brüllt der Junge schmerzerfüllt auf und tritt reflexartig nach mir, doch Minho, Thomas und Newt halten ihn zu dritt gewaltsam am Boden. Alby beugt sich über das merkwürdige Gebilde und mustert es prüfend.
"Das Ding hat Widerhaken"
murmelt er abwesend und zupft an der schuppigen Liane. Wieder ein gellender Schmerzensschrei.
Hilfesuchend ich von einem zum anderen, doch alle scheinen genauso ratlos wie ich. Was sollen wir denn jetzt machen? So kann der Junge unmöglich laufen, alleim wegen der Breite der Schlingen nicht. Dazu kommen noch die Schmerzen, das Gewicht...
"Wir tragen ihn, irgendwie"
sagt Newt in die Stille hinein, weder Nicken noch Kopfschüttel bwkommt er als Antwort. Alle Schweigen einfach voe sich hin, deutlich kann ich sie Verunsicherung in den Blicken meiner Freunde lesen. Zwei mir unbekannte Lichter werden herbeigerufen, stämmige Burschen, wahrscheinlich ehemalige Baumeister. Sie packen den Verwundeten unter den Armen und zerren ihn ungeschickt hoch, dabei versuchen Newt und Thomas, sein Bein zu schonen. Trotzdem stöhnt er auf, zischt immer wieder auf oder zuckt heftig zusammen. Alles in allem macht er einen heftig leidenden Eindruck, und mir läuft ein kalter Schauer über den Rücken bei dem Gedanken, dass mir das gleiche hätte passieren können. Haargenau das gleiche.
Keuchend schleppen die Jungs den Verletzten - dessen Name Leon ist, wie ich herausgefunden habe - den nächsten Hügel hoch, tragen ihn den nächsten wieder hinunter. Im Schneckentempo trottet die restliche Gruppe hinterher, die Augen ständig auf den Boden gerichtet in der Angst, das Monster könnte wieder kommen. Ich kaue mir meine Lippen wund vor Nervosität, da helfen auch Chucks und Clints einfühlsame Worte nichts. Immer wieder suche ich die Truppe nach meinen Freunden ab, als könnten sie von jetzt auf gleih spurlos im Boden verschwinden, würde ich einen Moment lang nicht aufpassen. Als könnte das Vieh jeden Augenblick aus dem Boden schießen und sich auf einen der Lichter stürzen; auf Newt, Clint, Thomas, Chuck, Alby. Minho...
Die Landschaft ebbt langsam ab und die Häuser der Stadt kommen mir jeder Stunde etwas näher, werden greifbarer. Zusätzlich zu der luftabdrückenden, kehlezuschnürenden Angst vor dem unbekannten Monster, kommen nun auch meine Sorgen über das Watter und den damit verbundenen Blitzen zurück. Ich kann mich nicht mehr genau erinnern, wie lange die Lichter im Buch gelaufen sind, bis sie die Stadt erreichten, doch ich bin mir ziemlich sicher, dass meine Gruppe im Plus ist. Inzwischen habe ich Buch und Realität in A uns B eingeteilt, so kann ich die Geschehnisse besser und vor allem fachlicher vergleichen. Es ist einfacher, es als Fakt zu sehen, was nun genau wann und wie passieren wird, als wenn man ständig von einem FANTASY Roman redet. Zwar muss ich nur für mich selbst denken, doch diese Strategie distanziert das alles etwas und macht meinen Kopf klarer für logische Überlegungen.
Die Sonne kommt langsam hinter dem Horizont hervorgekrochen und nach wenigen Minuten ist mein Shirt bereits durchgeschwitzt, als hätte ich geduscht. Zwar perlt der Großteil der Schweißes an dem hochmodernen Stoff meines Anzugs ab, trotzdem kommt immer wieder neuer und dementsprechend durstig werde ich nach einer Zeit. Doch ich traue mich nicht, anzuhalten und nach meiner Wasserflasche zu kramen; dafür ist die Lage viel zu angespannt. Weiter vorne kann ich Minho joggen sehen, der mit angespannter Miene mit Alby diskutiert, doch auf diese Distanz kann ich nur gedämpftes Stimmengemurnel verstehen. Die Träger von Leon wechseln sich nach einer Zeit ab, der Arme ist wegen der Schmerzen bereits mehrmals in Ohnmacht gefallen und wimmert ständig unterdrückt auf, fleht seine Leute an, ihm doch das Ding vom Fuß zu schneiden. Ich will nicht wissen wie es sich anfühlt, einen schweren Schlangenleib um sein Bein gewickelt zu haben, das noch dazu Krallen mit Widerhaken besitzt, die sich fest im Fleisch verankert haben. Es quillt immer noch Blut unter dem Wickel hervor, jedoch schon viel weniger als vorher. Entweder, weil die durch den nicht abnehmbaren Lianenwulst unverbindbare Wunde langsam verkrustet, oder weil Leon schon bald kein Blut mehr im Körper hat, dass hätte fließen können.
Mit jedem Schritt scheint die Welt heißer zu werden, obwohl die Sonne erst seit einer geschätzten halben Stunde scheint. Alle keuchen und husten gegen die Trockenheit an, der erstickende Mief undeodorierter Jugendlicher schwebt wie eine unsichtbare Hülle um die Grubbe herum und macht das Atmen schwer. Trotz der nun einfacheren Route scheinen alle viel mitgenommener und erschöpfter als gestern, außerdem ust die Temperatur locker um 15 °C gestiegen, im Gegensatz zu gestern. Und ich habe auch schon einen dringenden Verdacht, woran das liegen könnte.
Ich sehe sie... die Wolken. Ganz weit weg noch, aber sie kommen. Und die Stadt ist noch so weit entfernt...
Ganz in Gedanken versunken merke ich nicht, wie die anderen stehen beleiben. Ich merke nicht, wie jeder erschrocken die Augen aufreisst und sich hektosch hin und herdrehen, wie Leute meinen Namen rufen. Ich merke das leise Knistern nicht, dass durch die schwüle Luft echot, als würde man über zersplitterte Eierschalen gehen.
Ich bemerke das Geräusch erst, als es kurzzeitig anschwillt, schmerzhaft in meinen Gehörgängen nachhallt und sich in mein Trommelfell bohrt wie ein spitzer Dorn. Erst danach fällt mir die Reaktion der anderen auf und bei mir fällt der Groschen.
Dann bricht der Boden erneut unter meinen Beinen auf, und ich springe abermals noch rechtzeitig zu Seite. Doch diesmal ist da kein Hügel, den ich hinunter rollen kann. Da ist nur flache Ebene, und dementsprechend komme ich auch nicht weit mit meiner lahmärschigen Reaktionszeit.
Ehe ich einen einzigen Ton hervorbringen kann, schlingt sich der warme, merkwürdig puslierende Schuppenleib um meinen nackten Hals, und drückt zu.
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