Kapitel 13
An diesem Abend griff Liv mit beinahe eingefrorenen Fingern nach dem Telefon. Sie hustete kurz in ihren Schal, bevor sie Lisas Nummer wählte. Vielleicht hätte sie heute doch nicht reiten sollen.
Nach dem vierten Freizeichen ertönte die Stimme des jüngeren Mädchens.
"Hi Liv" Liv konnte förmlich das Lächeln auf Lisas Lippen sehen, obwohl die Stimme ein wenig niedergeschlagen klang. Liv war immer noch suspekt, was sie von ihr wollte.
"Hallo Lisa. Was gibt's denn jetzt so wichtiges?" Während Liv mit Lisa telefonierte, füllte sie Wasser in den Wasserkocher und stellte ihn dann auf.
"Ich will nicht lange um den heißen Brei herum reden", meinte Lisa und seufzte so laut, dass Liv es am anderen Ende der Leitung hören konnte. "Dino geht es nicht so gut. Er ... " Sie stockte kurz. "Er hat sich verändert in der letzten Zeit und ich habe mich gefragt, ob es nicht besser wäre, ihn aus dem Sport zu nehmen"
"Er ist erst vierzehn", räumte Liv ein. Sie kam nicht wirklich mit. Wieso wollte Lisa ihn nicht mehr auf Turnieren reiten? Aber hatte ihr Vater nicht erst letztens gesagt, sie käme nicht mehr so gut mit ihm zurecht?
"Ich weiß. Aber ich merke, dass er nicht mehr so gerne springt. Seit den Meisterschaften nehmen seine Leistungen stetig ab, er verweigert im Training ziemlich häufig und wenn er springt, dann ziemlich unberechenbar", erzählte Lisa und Liv konnte nicht wirklich glauben, was sie ihr erzählte. Das klang so gar nicht nach dem Demo's Dino, den sie einst kannte.
"Meine Eltern wissen nichts davon. Vielleicht braucht er auch einfach nur eine Pause. Schließlich ist er in dieser Saison beinahe jedes Wochenende eine Prüfung unter mir gegangen. Vielleicht ist es aber auch was langwierigeres", erklärte Lisa weiter.
Für Liv klang das ziemlich danach, dass er springsauer war. Aber wieso sollte er das sein? So etwas kam nicht von heute auf morgen und Dino war immer so gerne gesprungen. Das konnte nicht sein.
"Du solltest das nochmal mit deinen Eltern überdenken", entgegnete Liv. "Im Sport gibt es immer Hochs und Tiefs. In zwei Monaten sieht es vielleicht schon wieder ganz anders aus"
"Ich wollte es eigentlich mit dir überdenken", meinte Lisa. "Du kennst ihn besser, wie jeder andere. Ich hatte gedacht, du könntest mir helfen"
"Helfen?" Liv klang ein wenig skeptisch.
"Ja helfen. Liv, du weißt, dass du früher zu meinen Idolen gehört hast und ich finde es immer noch ein wenig schade, dich auf keinem Turnier mehr zu sehen. Ich habe keine Ahnung, wieso du aufgehört hast und ich denke es geht mich auch nichts an. Aber du bist eine unglaubliche Reiterin und deshalb bitte ich nur darum: Ich brauche wirklich deinen Rat bei Dino" Lisa hielt für einen kurzen Moment inne, dann fügte sie leise hinzu, sodass es Liv nicht verstand. "Es zwischen uns nicht, wie zwischen dir und ihm"
"Ich weiß nicht ... Das, was du mir erzählt hast, klingt überhaupt nicht nach Dino", erwiderte Liv nach einer längeren Pause. Das Wasser war mittlerweile fertig gekocht und sie goss es in die Teekanne zu ihrer rechten. Nun müsste der Tee nur noch ziehen, dann konnte sie ein Tasse trinken, um sich aufzuwärmen.
"Ich weiß, ich versteh einfach nicht, was mit ihm los ist. Er ist so ein wundervolles Pony, aber ich spüre einfach nicht Magie. Verstehst du? Es ist nicht so, wie mit Smokey. Dino ist ein wundervolles Pony und ich habe endlich Erfolg mit ihm. Aber ich weiß nicht, ob ich das wirklich will, wenn es ihm dabei nicht gut geht"
Zum ersten Mal kam Liv der Gedanke, dass Lisa gar keine Ahnung von dem Angebot ihres Vaters haben könnte. Es kam ihr so vor, als suchte sie wirklich einen Rat, nicht, dass sie Liv ihr früheres Pony unter seinem Wert andrehen könnte.
"Erinnerst du dich an Legden?" Liv erwartete keine Antwort auf diese Frage, schließlich war diese augenscheinlich klar. "Dein Vater hat mir ein Angebot gemacht und ... ich habe es abgelehnt"
Am anderen Ende entstand eine kleine Pause. "Was für ein Angebot?" Lisa hatte also wirklich nichts davon gewusst, was Liv ein wenig verwunderte.
"Dein Vater hätte Jumper gekauft, mir dafür Dino überlassen und mir Jumper für mein letztes Ponyjahr zur Verfügung gestellt" Jetzt, wo Liv es ausgesprochen hatte, klang es etwas verwirrend, doch Lisa verstand sofort.
"Wirklich?", fragte sie etwas perplex. "Warum hat er mir davon nichts erzählt? Ich meine, es geht hier um mein Pony. Und warum hast du nicht angenommen? Das wäre doch super"
Ja, warum hatte Liv nicht angenommen? Ach ja richtig, weil sie sich hintergangen gefühlt hatte. Aber das konnte sie Lisa auf gar keinen Fall sagen.
"Ich weiß es selbst nicht", antwortete sie also.
Während Liv also ihren mittlerweile abgekühlten Tee schlürfte, telefonierte sie noch eine weitere halbe Stunde mit Lisa, um darüber zu diskutieren, was denn nun die beste Lösung wäre.
Als Liv schließlich ziemlich müde die Treppen zu ihrem Zimmer hochstapfte, hatte sie bereits einen Entschluss gefasst. Aber ob es wirklich das Richtige wäre, wusste sie nicht so genau.
*
Am nächsten Tag beschloss sie noch einmal mit Sham zu springen. Julia traf sie schon sehr früh im Stall an und kurzerhand beschloss Liv sie zu fragen, ob sie denn Lust hätte, mit ihr zu springen.
"Gerne, aber nicht so hoch. Ich bin furchtbar müde" Sie grinste verschmitzt und ging zu der Box ihres Ponys Cara. Gemeinsam putzten die Mädchen ihre Pferde und als sie schließlich fertig damit waren, kam Liv eine Idee.
"Wir könnten ja eine Gymnastikreihe aufbauen und ein wenig mit Cavaletti arbeiten", schlug sie vor und Julia willigte sofort ein.
"Klasse Idee"
Auch heute arbeitete Sham besonders gut mit, auch wenn ihm bei der geringen Höhe ein wenig langweilig wurde. Doch die dicht aufeinander folgenden Hindernisse forderten ihn so sehr, dass er sich konzentrieren musste und gar keine Zeit für seine Späßchen hatte.
Cara Mia, Julias Pony, war im Gegensatz zu gestern ziemlich spritzig und Julia musste drei Mal eine Volte reiten, bevor sie schließlich an den Sprung reiten konnte.
"Heute zeigt sie ihr wahres Gesicht", grinste die Dunkelblonde und klopfte ihrer Stute den Hals, nachdem sie das In-Out ordentlich gesprungen war. "Am Turnier ist sie genauso"
"Kenn ich", meinte Liv und erinnerte sich an ihre frühere Stute Ma Belle, die sich letztes Frühjahr nach einer langen Verletzungspause die Bänder gerissen hatte und nun wahrscheinlich nie wieder so springen konnte, wie vorher. Diese hatte auch solche Stimmungsschwankungen besessen. An manchen Tagen war sie extrem brav gewesen und anderen wieder unberechenbar.
Nach dem frühen morgendlichen Training betrat Liv gemeinsam mit Julia, die ihr immer sympathischer wurde, das Reiterstübchen, wo Liv ihren Vater vermutete.
Und tatsächlich. Die ganze Familie saß mit ein paar Einstellern um einen Tisch versammelt und tratschte ausgelassen. Moritz lächelte seiner Schwester zu, als er sie entdeckte.
Liv räusperte sich. "Papa?"
Die Gespräche verstummten und alle Augen waren nun auf sie gerichtet. Liv hatte gestern Abend noch einmal sehr lange darüber nachgedacht. Sie wusste, dass es letztendlich die richtige Entscheidung sein würde.
"Ich habe gestern noch mit Lisa unterhalten und wir sind zu dem Schluss gekommen" Sie unterbrach sich selbst. "Kommende Saison werde ich wieder Turniere reiten"
Der Raum war für ein paar Minuten mit völliger Stille gefüllt. Erstaunte Gesichte blickten ihr entgegen und Liv dachte, sie müsste im Erdboden versinken. Für einen kurzen Moment war sie sich doch nicht mehr so sicher, aber dann begann Moritz langsam zu grinsen. "Liv Langhoff ist wieder zurück. Macht euch bereit, denn es ist noch nicht vorbei. "
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