21
Vor Schreck lasse ich fast mein Glas fallen. Mit großen Augen drehe ich mich um und schaue in ein Gesicht, dass mir bekannt vorkommt, ohne dass ich es zuordnen kann.
„Entschuldigung, ich war nur auf der Suche nach einem Badezimmer", erkläre ich eher stotternd. Mit meinen Händen versuche ich offenbar ihm zu erklären, was ich meine denn diese bewegen sich in alle Richtungen. Lachend schüttelt er den Kopf. „Unten gibt es ein Bad aber angesichts ... dessen", er wirft einen Blick nach unten zu den anderen. „Will ich dir das nicht zumuten. Zweite Tür links." Er deutet mit seinem Kopf in die richtige Richtung. Ich nicke verstehend.
„Wenn du willst, hole ich dir so lange etwas Neues zu trinken", bietet er mit einem Blick auf mein Glas an. „Das wäre nett, danke." Er nimmt mir das leere Glas aus der Hand und verschwindet nach unten. Im Badezimmer angekommen schließe ich die Tür hinter mir ab und atme tief durch. Mein Magen verknotet sich aus unerfindlichen Gründen, was mich fast dazu bringt zur Toilette zu Sprinten. Doch stattdessen stütze ich mich mit beiden Händen am Waschbecken ab. Ein Blick in den Spiegel verrät mir, wie fahl mein Gesicht aussieht, als hätte ich einen Geist gesehen. Meine Augen sind müde und rot umrandet, das kann nicht einmal Concealer abdecken. Ich schließe die Augen und atme tief durch.
Es gibt keinen Grund dafür, sich Sorgen zu machen. Es ist alles okay, bald kannst du nach Hause.
Leise öffne ich die Tür wieder. Der blonde Unbekannte steht mit meinem Glas unweit von der Tür. „Lass mich dir was zeigen", er nimmt meinen Arm, doch anstatt etwas zu sagen, lasse ich ihn einfach machen. Wir kommen vor großen, bodentiefen Fenstern zum Stehen, die zu einer Terrasse führen. Dicke Schneeflocken fallen vom Himmel, landen auf der Veranda.
„Das wolltest du mir zeigen?" Frage ich skeptisch und nippe an meinem Glas, welches er mir netterweise wiedergegeben hat. Dabei hat dieses Getränk mehr Alkohol als mir lieb ist.
„Ja" seine Augen mustern mich, als würde er auf irgendetwas warten. „Sag mal, kenn wir uns?", will ich wissen. Mir wird schwummrig, was er zu bemerken scheint, denn er hält mich an meinem Arm fest. „Hier", er deutet auf das große Bett unweit der Fenster, doch ich schüttle den Kopf. Das Gefühl keine Luft zu bekommen macht sich in mir breit, aber ich laufe dennoch taumelnd Richtung Tür.
Bevor ich reagieren kann, schnappt diese vor mir zu. Mit großen Augen sehe ich den blonden Mann vor mir an, welcher Wortlos die Tür verschließt. Mein Herz rast wie verrückt, benommen taumle ich nach hinten, bis meine Kniebeuge das Bett berühren.
„Dylan wäre nie dazu in der Lage gewesen", murmelt er. Meine Sicht verschwimmt, das grelle Licht der kleinen Nachttischlampe, macht es nicht besser. „Mit Emily", erklärt er als wüsste ich nicht, wovon er redet. „Aber Dylan konnte nicht mal dir klarmachen, wo dein Platz ist", seine Stimme klingt weit weg, wie der Teufel, der bei Nacht Dinge flüstert. Ich will aufstehen, doch meine Beine lassen mich nicht. „Dummes Kind", murmelt er und beugt sich über mich, doch ich stoße ihn mit aller Kraft von mir. Atemlos versuche ich aufzustehen. Meine Beine sind wacklig, kaum zu etwas zu gebrauchen, doch ich schaffe es bis zur Tür, die nicht aufgeht, weil er sie verschlossen hat.
„Lass mich hier raus", brülle ich. Zumindest fühlt es sich so an, doch was aus meinem Mund kommt, klingt viel leiser. „Was willst du von mir?" Angst jagt durch jede Ader meines Körpers, meine Hände zittern, versuchen den Schlüssel im Schloss umzudrehen, doch es klappt nicht. Verzweifelte Tränen bilden sich in meinen Augen.
„Du bist erbärmlicher, als Dylan dich beschrieben hat. Was hat er nur an dir gefunden?" Fragend legt er den Kopf schief, als würde er wirklich eine Antwort von mir erwarten. Er kommt auf mich zu, reißt mich von der Tür weg. Ich taumle nach hinten gegen etwas Hartes, dass ich nur schwer identifizieren kann, weil das Licht der Nachttischlampe nicht so weit scheint.
Ziehender Schmerz durchzieht meine Schulter. Als er auf mich zu kommt erinner ich mich an etwas, das Nana mir schon als Teenager beigebracht hat. So weit ich kann hole ich aus und schlage mit meiner Faust zu. Der Blonde zischt vor Schmerz auf, sinkt auf die Knie, die Hände zwischen die Beine gepresst.
Obwohl meine Beine wackelig sind, schaffe ich es, mich aufzurappeln und zur Tür zu rennen. Diesmal lässt sich das Schloss öffnen. Helles Licht blendet mich für einen Moment, doch ich renne trotzdem den langen Flur entlang. Mein Herz schlägt so laut, dass ich Angst habe, dass jeder es hören kann, doch als ich die Treppe hinunter Hetze werfen mir alle nur komische Blicke zu.
Ich hätte niemals aus dem Haus gehen sollen. Es war eine dumme Idee. Wieso bin ich nur so naiv.
Tränen brennen in meinen Augen als ich in die Küche komme, doch ich finde Miri nicht. Auch Matt ist nicht da. Meine Tasche liegt einsam auf der Kücheninsel zusammen mit dem aufgerissenen Netz Limetten.
Mit zittrigen Fingern suche ich mein Handy und wähle die erste Nummer, die mir in den Sinn kommt. Während ich warte, dass das Tuten endlich aufhört, sehe ich mich nach meiner besten Freundin um, von der es Weit und Breit keine Spur gibt.
„Hallo?" Höre ich am anderen Ende der Leitung, als ich endlich dieses Horrorhaus verlasse. „Grey", ich atme erleichtert aus. Die Musik, die aus dem Telefon kommt, wird nach und nach leiser. Schluchzend hocke ich mich neben die Treppe. „Kannst du... kannst du mich bitte abholen? Miri ist weg und", meine Stimme bricht unter der Last des heutigen Abends.
„Was ist passiert? Wo bist du?" Die Besorgnis in seiner Stimme sorgt dafür, dass ich noch mehr Schluchze. Benommen halte ich mich an den Eisenstangen des Geländers fest. Die Kälte brennt sich in meine Hand, doch ich kann nicht loslassen. Zu groß ist die Angst, zu fallen.
„Ich weiß es nicht", antworte ich und atme hörbar aus. „Schick mir deinen Standort und ich bin so schnell wie ich kann da." Die Stimme am anderen Ende des Telefons erstickt. Nickend durchsuche ich mein Handy, dass meine kalten Finger nicht erkennt und sich deshalb nur spärlich bedienen lässt.
Doch irgendwann habe ich es geschafft, Grey meinen Standort zu schicken. Während ich in der Kälte warte, habe ich das Gefühl, dass die Zeit langsamer vergeht. Kaum noch jemand befindet sich draußen, weshalb ich bei jeder Bewegung zusammen zucke. Mein Blick fällt auf Miris Auto. Sie würde niemals ohne mich fahren, dass weiß ich. Jetzt gerade wünschte ich mir, ich müsste sie nicht suchen, dass sie einfach hier wäre.
Sie hat den Abend nur viel schlimmer gemacht. Wir hätten niemals herkommen sollen.
„Aber Dylan konnte nicht mal dir klarmachen, wo dein Platz ist." Seine Stimme hallt in meinem Kopf nach wie fernes und trotzdem lautes Echo. Verzweifelt lasse ich mein Gesicht in meine Händen versinken.
Dylan. Dylan. Dylan.
Wie konnte ich nur denken, dass du es warst. Dass du der eine warst.
Helles Licht veranlasst mich dazu den Kopf zu heben. Ein Auto fährt die Einfahrt hoch, Greys Auto. Schnellen Schrittes steuere ich darauf zu. Meine Finger lassen sich kaum bewegen, weil sie so kalt sind, doch als ich die Autotür endlich offen habe, steige ich ein und werfe sie zu.
Grey sieht mich stirnrunzelnd an. „Fahr", bitte ich ihn leise. Alles, was mich die letzten Monate verfolgt zu haben scheint, bricht von meiner Schulter. Ein lautes Schluchzen verlässt meinen Mund. Ich schlüpfe aus den Schuhen und ziehe meine Beine an mich um mein Gesicht auf meine Knie zu legen. Leise Tränen fallen meine Wange herunter. Ein warmer Kontrast zu den kalten Schneeflocken, die durch die warme Luft im Auto langsam schmelzen.
„Fahr los", sage ich deutlich lauter, weil er immer noch dasitzt und mich ansieht. Leise fährt er die Ausfahrt nach unten. „Es tut mir leid", ich atme schwer aus. „Du hast deine Party meinetwegen verlassen, das tut mir leid. Ich.. Miri war nicht zu finden und ich wollte bloß von dort weg." Was ich sage, ergibt für Grey keinen Sinn, denn er geht immer noch davon aus, dass ich krank bin. Zumindest war das sein letzter Wissensstand.
Wir fahren die Landstraße, anstatt durch die einzelnen Stadtteile zu fahren, weil es angenehmer ist. Der Scheibenwischer bewegt sich schnell hin und her, um mit den Schneemengen zurechtzukommen, die vom Himmel fallen.
„Was ist passiert?" Greys Blick liegt auf der Straße. Kopfschüttelnd sehe ich aus dem Fenster. Wenn ich jetzt darüber rede, bricht es aus mir heraus wie aus einem kaputten Damm. „July", mahnt er. Seine Augen huschen kurz zu mir rüber.
Also erzähle ich ihm was passiert ist. Das Dylan und ich uns getrennt haben, dass ich meinen Geburtstag nicht feiern wollte und das Miri mich trotzdem hierhergeschleppt hat. Ich erzähle ihm von dem blonden Typen, der mir bekannt vorkam, doch dessen Gesicht ich nicht ganz zu Ordnen konnte. Meine Brust tut weh, brennt vor Schmerz während meiner Lunge die Luft zum Reden ausgeht.
Minuten nachdem ich zu Ende gesprochen habe, bleibt es still. Grey umklammert mit einer Hand die Kupplung so fest, dass ich angst habe er reißt sie heraus. „Fahr langsamer", gebe ich mit einem Blick auf den Tacho zu bedenken, doch stattdessen wird er immer schneller.
„Ich werde ihn umbringen", murmelt er angestrengt. „Grey hör auf. Du fährst viel zu schnell." Angst macht sich in meiner Brust breit wie dickflüssiger Honig.
„Er hat dich nicht verdient. Ich wusste es. Ich wusste es", betont er als wäre es seine Schuld, dass mein Leben so miserabel ist.
Plötzlich, im Bruchteil einer Sekunde, sehe ich ein Auto in der Kurve auf uns zufahren. Die Straße ist zu glatt als das Grey irgendwie bremsen könnte. Mit großen Augen versucht er die Kontrolle über den Wagen zu behalten, doch er schlittert immer weiter ab.
Die Lichter des anderen Wagens werden immer größer. „Grey!", schreie ich so laut, das meine Lunge zerberstet, da ist der Schaden schon getan. Mein Kopf trifft das Armaturenbrett und von einer Sekunde auf die andere, ist die Dunkelheit mein bester Freund.
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