20
„Wir werden etwas machen, ob du das willst oder nicht." Bockig wie ein Kleinkind steht Miri vor mir. Sie kräuselt ihre Nase, verschränkt ihre Arme vor der Brust und stemmt die Hände in die Hüften. Dabei ist mir nicht danach, meinen Geburtstag zu feiern. Unglaublich, dass ich jetzt einundzwanzig sein soll.
Auch Grey war heute Morgen verwirrt, als er seinen Kofferraum mit Alkohol beladen und mir dabei zugehört hat wie ich ihm erkläre, dass ich nicht feiere. Er und Mama denken, ich habe mir eine Grippe eingefangen. Erst nach dem zehn tausendsten Mal, dass ich ihm versichert habe, dass er seien Geburtstag trotzdem feiern kann, hat er sich in sein Auto gesetzt und ist gefahren.
Dabei ist das es keine Grippe die mich plagt, sondern die Tatsache, dass ich jetzt Single bin. Aus irgendeinem Grund, hat sich die Unterhaltung mit Dylan vor ein paar Tagen so endgültig angefühlt, dass ich es nicht noch einmal hinterfragt habe. Auch er hat sich seitdem nicht mehr gemeldet, was untypisch für ihn ist. Normalerweise hätte er angerufen, eine Nachricht geschrieben oder wäre einfach vorbeigekommen und hätte so getan als wäre nie etwas passiert. Vielleicht ist es besser so, wenn wir getrennte Wege gehen, den anderen nicht mehr in den Abgrund ziehen.
„Wir können es nachholen", biete ich ihr als Friedensangebot an, doch sie schüttelt entschlossen den Kopf. Ich beobachte sie dabei, wie sie sich auf die Küchenzeile neben den Herd setzt und dabei fast die Schale mit den Orangen umwirft. Mama hatte die großartige Idee, Orangensaft selbst zu machen, anstatt ihn zu kaufen, wann sie allerdings dazu kommt, ist die andere Frage. Nachdenklich sehe ich aus dem Fenster an ihr vorbei. Mein Kaffe ist immer noch heiß, doch ich umklammere die Tasse nur fester, anstatt sie loszulassen. Irgendwie fällt es mir schwer etwas anderes zu fühlen als gähnende Leere, der ziehende und brennende Schmerz in meiner Hand ist eine willkommene Ablenkung.
Miri beginnt mir aufzuzählen, welche Gründe dafür sprechen meinen Geburtstag zu feiern und dass ich ihr das schuldig bin, weil sie bei ihrem letzten Geburtstag mit einer Lebensmittelvergiftung im Bett lag. Damals hab ich ihr versprochen, dass wir das an meinem Geburtstag nachholen werden aber wer hätte wissen können, dass ich mich an meinem Geburtstag so schrecklich fühlen würde?
„Wir haben uns getrennt", platze ich einfach raus, woraufhin Miri ihre Rede stoppt und mich ansieht. Einen Moment lang tut sie nichts anderes. Ich muss ihr nicht sagen, wen ich mit wir meine, denn das ist selbst erklärend. Plötzlich ändert sich etwas in ihrem Gesicht, sie zieht die Stirn in Falten, hopst mit einer Bewegung von der Küchenzeile und kommt zu mir an den Tisch.
„Das.. Wie ist das denn passiert?" Fragt sie ehrlich. Ihre Hand legt sich auf meine, die die Kaffeetasse nicht umklammert. Ich sehe ihr in die Augen und zucke mit den Schultern. Ich bin mir ja selbst nicht im Klaren darüber wie das passieren konnte.
„Ich... ähm... wir haben uns unterhalten und festgestellt, dass wir verschiedene Dinge wollen." Meine Stimme versagt unter dem Kloß, der sich in meinem Hals bildet. Ich unterdrücke das verlangen laut zu seufzen während die Tränen in meinen Augen brennen.
Miri sagt nichts, sondern nimmt mich in den Arm, drückt mich wie sie es schon immer gemacht hat, wenn mein Herz schmerzte und ich lehne mich einfach nur in ihre Umarmung wissend, dass ich wenigstens sie habe. Eine Konstante in meinem Leben schon so lange, dass ich nicht weiß wie ich ohne sie überleben würde.
„Weißt du, gerade deswegen, sollten wir heute ausgehen." Sie schiebt mich von sich weg, damit sie mich ansehen kann. Verständnislos hebe ich eine Augenbraue. Genau deswegen? Das ergibt keinen Sinn. Doch in ihrem Ton liegt nichts Hartes und forderndes wie noch vor ein paar Minuten. Stattdessen lächelt sie mich aufmunternd an.
„Du musst den Kopf freibekommen und ich habe dafür die perfekte Lösung", schmunzelnd legt sie den Kopf schief, doch ich bin immer noch mehr als skeptisch.
**
Tatsächlich hat Miri es geschafft, mich dazu zu bringen mir ein Kleid anzuziehen und mich zu schminken. Ich betrachte meine Augen im Rückspiegel ihres Autos, während sie im Supermarkt ist. Sie sind immer noch geschwollen vom vielen weinen und leicht gerötet. Seufzend lehne ich mich in meinem Sitz zurück. Die Sitze in Miris altem Ford Focus sind nicht unbedingt bequem, auch der Stoff hat schon einige Abnutzungsspuren.
Ich weiß immer noch nicht was Miri vorhat, aber ich habe schon zu Hause aufgehört zu fragen, denn eigentlich ist es egal. Ich habe noch für genau drei Stunden Geburtstag, danach ist der Spuk vorbei. Der erste Geburtstag den Grey und ich nicht zusammen feiern, doch im Gegensatz zu mir, scheint er seine Party zu genießen. Monoton swipe ich durch die Bilder seiner Freunde, die unseren Geburtstag wohl als Grund nehmen um sich zu betrinken.
Eigentlich war ich nie jemand, der diesen Tag verteufelt hat; ganz im Gegenteil, mein Geburtstag war immer etwas auf das ich mich gefreut habe, doch heute ist einfach anders. Ein mulmiges Gefühl breitet sich in meiner Magengegend aus, doch als ich höre wie Miri die Autotür öffnet verdränge ich es und packe mein Handy wieder in die kleine Handtasche. Grinsend beugt sie sich nach hinten, um ein paar Flaschen zu verstauen. Ich verfolge ihre Bewegungen und ziehe eine Augenbraue nach oben. „Wodka, Gin und einen Beutel Limetten?" Sie kann deutlich raushören, wie viele Fragezeichen sich angesichts ihres Absurden Einkaufs in meinem Kopf bilden.
Kopfschüttelnd legt sie den Autogurt an. „Ich habe dir gesagt, du sollst nicht alles hinterfragen." Resigniert nicke ich und sehe aus dem Fenster. Es ist dunkel, einzelne Schneeflocken fallen vom Himmel, landen auf dem Boden, an der Fensterscheibe und auf den Grünflächen, die sich abseits der Straße erstrecken. Ich bin froh, eine Strumpfhose unter mein Kleid gezogen zu haben, denn auch wenn es im Auto warm ist, ist es außerhalb so kalt, dass einem die Gliedmaßen abfrieren.
Zuerst weiß ich nicht wo genau Miri hin möchte, doch nach einer Weile kommt mir die Gegend bekannt vor, in die sie fährt. Stirnrunzelnd lasse ich meinen Blick über die einzelnen Häuser streifen, die alle so groß und protzig sind, wie sonst in keinem anderen Stadtteil den man hier finden kann.
„Was wollen wir hier?" Will ich wissen und presse die Lippen zusammen. Meine beste Freundin schmunzelt nur, ohne den Blick von der Straße zu nehmen. Seufzend akzeptiere ich, dass ich von ihr keine Antwort bekommen werde.
Eigentlich gehe ich nie in diese Gegend, weil ich erstens niemanden direkt kenne, der hier wohnt und zweitens nicht das Bedürfnis habe, mich dort aufzuhalten, wo man nur auf andere heruntersieht. Das einzige Mal, dass ich hier war, war als ich Greys betrunkenen Freund nachhause kutschiert habe, weil er sein Handy und seine Schlüssel auf einer Party verloren hat. Damals musste ich mich zusammenreißen, um ihn nicht vor Grey auszulachen.
Ben ist ein überheblicher und ekelhafter Mensch, der denkt er sei besser als alle anderen. Dass er sich mit Grey, einem Kind aus der Mittelschicht, abgibt, ist schon ein Wunder. Er ist der einzige Freund meines Bruders, den ich nicht ausstehen kann. Klar, die anderen sind auch nicht gerade das, was ich unter guten Freunden verstehen würde, aber das ist nicht mein Problem.
So sehr in Gedanken versunken, merke ich gar nicht, dass das Auto zum Stehen kommt. Ich schaue zu Miri, die mit ihren roten Locken und dem dunkelblauen Kleid aussieht wie eine gemalte Göttin. Ich war schon immer der Meinung, dass nichts und niemand ihre Schönheit übertreffen konnte.
Laute Musik zieht meine Aufmerksamkeit auf sich. Mein Blick wandert zu dem Haus, vor dem wir stehen. Wir befinden uns am äußeren Rand des Bonzenviertels, wie ich es gerne nenne. Da wo die Häuser weiter auseinander stehen dafür aber mehr Fläche haben.
Laute Musik dringt aus dem Haus, vor dem sich trotz der schneidenden Kälte, Menschen tummeln. „Da gehe ich nicht rein", kopfschüttelnd verschränke ich die Arme vor der Brust, den Blick auf das Haus gerichtet. In den Fenstern kann man einzelne Schatten und Figuren erkennen, die tanzen. Selbst mit geschlossener Autotür kann man das Klirren von Flaschen und Gelächter hören. Ich war noch nie ein Fan von irgendwelchen Hauspartys, weil ich zu viele Bücher gelesen habe und weiß, wie diese meistens für das Mauerblümchen enden.
„Du wirst da jetzt mit mir hereingehen und ein bisschen Spaß haben. Dylan hat es nicht verdient, dass du deinen Geburtstag seinetwegen Zuhause heulend auf dem Sofa verbringst. Traurige Liebesfilme schauen und Eis essen können wir morgen immer noch. Also auf, nimm das", nachdem sie ihre Ansprache beendet hat, drückt sie mir das Netz mit Limetten in die Hand, schnappt sich die zwei Flaschen im Fußraum des Rücksitzes und steigt aus. Eher unfreiwillig öffne ich die Tür, jongliere die Limetten und meine Handtasche während ich aussteige und haue sie wieder zu. Ich weiß wie sehr Miri es hasst, wenn man die Tür ihres Autos knallt. Deshalb überrascht mich ihr warnender Blick nicht.
Mit jedem Schritt, den wir die große Einfahrt nach oben laufen, will ich eigentlich wieder zurückgehen, doch ich ignoriere das mulmige Gefühl und gehe meiner besten Freundin nach die Treppen nach oben. Ohne zu Klopfen dreht sie den Knauf und öffnet die Haustür. Niemanden scheint das wirklich zu interessieren, denn obwohl man uns anschaut, sagt niemand etwas. Mein Blick wandert durch den großen Eingangsbereich, der voll mit Menschen ist. Der Boden sieht unter dem Müll und den Bechern aus, als könnte er aus Marmor sein, sicher bin ich mir da aber nicht. Vorsichtig steige ich über einige Hindernisse, als jemand mit einem alten Schlitten die Treppen nach unten gerast kommt. Quietschend springe ich zur Seite, gerade noch rechtzeitig. Miri lacht auf und sieht der Person hinterher.
„Wo hast du uns hier hingebracht?" Frage ich, doch meine Frage geht dank der lauten Musik und der Tatsache, dass Miri schon weiter gegangen ist, unter. Ein paar der Gesichert erkenne ich aus der Uni wieder, allerdings kann ich keines richtig zuordnen.
Wir scheinen in der Küche angekommen zu sein, als Miri einen Mann umarmt, den ich nicht kenne. Erst nachdem sie ihn umarmt hat, stellt sie die zwei Flaschen auf den Tisch. „Matt, das ist July meine beste Freundin", sie deutet zu mir und dann wieder zu dem jungen Mann, der inmitten der betrunkenen Leute wie ein Kontrast wirkt. Seine dunklen Augen mustern mich, während er freundlich Lächelt. „Hi", ich halte ihm eine Hand entgegen, doch anstatt sie einfach nur zu schütteln, zieht er mich näher an sich und deutet einen Kuss auf meiner linken, sowie rechten Wange an. Irritiert gehe ich einen Schritt nach hinten.
„Matt und ich kennen uns von meinem Praktikum bei Donan Puplics." Erklärt sie. „Ah", antworte ich verstehend und nicke, obwohl mir die Firma nichts sagt. Hier in der Küche ist die Musik etwas leise als im Eingangsbereich und im Wohnzimmer. Immer noch zu laut für meinen Geschmack aber man kann hören was die andere Person sagt, ohne sein Gehör zu verlieren.
„Wollt ihr etwas trinken?" Fragend sieht er zu uns. Miri lässt ihm nicht die Chance ein zweites Mal zu fragen, sondern nickt stattdessen eifrig. Ich tue es ihr gleich. Etwas trinken kann nicht schaden so lange ich nicht mit einem alten Schlitten die Treppe runterfahre.
Die Küche ist relativ leer, was daran liegt, dass hier laut des Besitzers niemand rein darf, wie Matt erklärt. Nur ein paar Freunde seiner Kinder sind hier erlaubt. Matt ist da um aufzupassen, dass das Haus am nächsten Tag noch steht. Es fühlt sich ein bisschen an wie der VIP Bereich eines Clubs, wo der Boden sauber und die Menschen nicht ganz so betrunken sind.
**
Während Miri und Matt in ihren Gesprächen vertieft sind, bis zu einem Punkt an dem ich mir sicher bin, dass sie vergessen hat, dass ich überhaupt existiere, beschließe ich das Haus zu erkunden, weil ich sonst vor Langeweile einschlafen würde. Außerdem habe ich zu viele Margheritas getrunken und der Alkohol beginnt, sich in meinen Adern festzusetzen. Ich laufe an den vielen Menschen vorbei, die in den unteren Räumen verteilt stehen und sich unterhalten, tanzen und lachen. Bald ist Mitternacht, was bedeutet, der Spuk meines Geburtstags hat bald ein Ende und ich kann Miri bitten, dass wir nach Hause fahren.
Ich will gerade eine Tür öffnen, von der ich hoffe, dass sie zum Badezimmer führt, als mir jemand von der anderen Seite zuvor kommt und sie gegen mich haut. Überrascht sieht der braunhaarige zu mir. Es dauert ein Moment, bis ihm ein „Oh scheiße, sorry", entfährt. Mit gerunzelter Stirn reibe ich über mein Knie, dass einen heftigen Schlag abbekommen hat. Doch bevor ich dazu komme etwas zu sagen ist, er auch schon weg. Mein Blick fällt in das Zimmer, dass offensichtlich kein Badezimmer ist, denn das halbnackte Mädchen, dass sich gerade auf dem Bett anzieht bestätigt meinen Verdacht mit einem „Mach die Tür zu!"
Vorsichtig schaue ich zur Treppe, auf der zum Glück gerade niemand runter schlittern möchte, wie es aussieht und gehe nach oben. Hier oben ist es stiller, nicht leise aber auch nicht so laut wie unten. Die Musik kommt gedämpfter an. Mein Blick fällt auf die vielen Familienfotos, die an der Wand hängen. Fotos von einem Hochzeitspaar, von Schulabschlüssen, Urlauben und sogar Kindergartenfotos.
„Hier oben darf sich eigentlich niemand aufhalten", flüstert mir eine Stimme zu.
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