08
Die letzte Vorlesung für heute vergeht viel zu langsam. Ich quäle mich durch die letzte Lesung, bekomme eigentlich kaum noch was mit und schließe seufzend meinen Laptop. Als eine der Letzten verlasse ich den Hörsaal. Das Einzige, dass ich noch tun will, ist nach Hause gehen und schlafen. Es ist eisig kalt draußen. Hektisch stopfe ich den Rest meiner Sachen in meine Tasche und schließe meine Jacke. Das Kunstfell wärmt meinen Hals augenblicklich. Eine Melodie summend, die ich selbst nicht wirklich kenne und von der ich nicht weiß wie sie in meinen Kopf kommt, gehe ich in die Richtung der Bushaltestelle. Miri hatte schon lange vor mir Schluss gehabt, weshalb ich heute alleine fahre.
Ich höre ein lautes Räuspern. Sofort erstickt mein Summen und ich drehe mich um. „Evan?" Frage ich überrascht. Der Mann, der heute keinen Anzug trägt, mustert mich und grinst spitzbübisch. Die Tatsache, dass er legere Kleidung trägt und das freche Grinsen lassen ihn viel jünger aussehen als damals, als wir zusammen im Café saßen.
„July", begrüßt er mich ebenfalls. Ich lächle ihn an und richte meinen Schal. „Was machst du hier?" Will er wissen. Sein Haare ist ganz nass und platt gedrückt vom Schnee, der seit gestern fast durchgehend fällt. „Ich hatte bis gerade noch eine Vorlesung", erkläre ich. „Und du?" Evan ist der letzte, mit dem ich gerechnet hätte. Um ehrlich zu sein, hätte ich nicht gedacht, dass ich ihn irgendwann mal wieder sehen würde. Diese Begegnung scheint mir, rückwirkend betrachtet, ganz surreal. „Ich war einkaufen", er nickt nach unten zu seinen Händen, die zwei volle Taschen halten. "Ah" verstehend nicke ich und hebe wieder meinen Kopf. Der Bus sollte bald kommen, wenn er denn bei dem Wetter überhaupt fährt. Das heißt ich muss mich beeilen wenn ich ihn noch rechtzeitig bekommen will.
"War echt nett dich mal wieder zu sehen, aber ich muss den Bus noch bekommen", lasse ich ihn wissen. Evan zeigt mir dass er versteht. Stumm laufe ich an ihm vorbei in die Richtung der Haltestelle. Wir sind uns nur zufällig über den Weg gelaufen und trotzdem ist mein schlechtes Gewissen Dylan gegenüber groß. Etwas in mir weiß, dass das übertrieben ist, dass das hier kein Flirten oder etwas Derartiges war und trotzdem kann ich die Stimme in meinem Kopf nicht abstellen, die sagt, dass ich etwas Falsches gemacht habe.
"Ich.. Ich könnte dich fahren!" Höre ich Evan über den gesamten Parkplatz rufen. Mittlerweile sind wir schon einige Meter auseinander und obwohl er es durch die Dunkelheit und den Schnee nicht sehen kann, schüttle ich den Kopf. "Danke aber geht schon", rufe ich ebenso laut zurück und drehe mich zum Gehen um.
Der Bus kommt, mit ein wenig Verspätung, ist bis auf zwei weitere Menschen vollkommen leer. Der Busfahrer starrt konzentriert auf die Straße. Ich summe zu der Melodie, die aus meinen Kopfhörern spielt und sehe aus dem Fenster. Die Stadt wirkt wie in Trance, der Schnee hat alles in eine ruhige Hülle getaucht, bunte Weihnachtslichter brennen an den Fenstern, die Menschen scheinen langsam in der ruhigen Weihnachtszeit anzukommen.
Ich stehe von meinem Sitz auf, sehe auf die große Anzeige, auf der meine Haltestelle steht und drücke den roten Knopf. Einen Moment später hält der Bus und die Kälte holt mich wieder zu sich zurück.
Immer noch summend schließe ich die Haustür auf und ziehe meine Jacke und meine Schuhe aus. „Jemand zu Hause?" Rufe ich und schlendere in die Küche, wo ich meinen kleinen Bruder sehe, der verzweifelt auf dem Boden sitzt. Desto länger ich die Situation auf mich Wirken lasse, umso unsicherer bin ich, ob ich geschockt sein oder in Lachen ausbrechen soll.
Das Bild, das sich mir gibt, ist so viel mehr als nur einen Lacher wert. Und auch wenn es vielleicht fies ist, kann ich nicht anders als mein Handy heraus zu holen und ein Foto zu schießen. „Hör auf mit dem Scheiß und hilf mir lieber", knurrt James und wirft noch eins von Mamas guten Handtüchern auf den Boden. Die kompletten Fließen der Küche stehen unter Wasser, während James versucht das Chaos unter Kontrolle zu bringen. „Wie zum Teufel ist das passiert?" Will ich wissen und schaue mir die Unordnung an.
Triefend nasse Handtücher liegen auf dem Boden verteilt. Vereinzelt bilden sich kleine Pfützen auf den Marmor Fließen, die Mama fast noch heiliger sind als ihre teure Küche. „Ich wollte den Abfluss reparieren", mein Bruder rauft sich die Haare während er noch mehr Handtücher verteilt. Mir war gar nicht bewusst, dass wir so viele besitzen. Ein lautes Grunzen verlässt meinen Mund. „Du wolltest was? Mama wird dich umbringen", lachend hebe ich den Stuhl an, der einsam in der Küche steht. Das Holz beginnt schon sich mit Wasser vollzusaugen. „Das weiß ich, also hilf mir", jammert er verzweifelt. „Sie sind in spätestens einer Stunde wieder da und bis dahin muss es hier aussehen, als wäre nie etwas passiert!" Flehend sieht er mich an und faltet die Hände zusammen. Seine ganzen Klamotten sind nass, weil er auf Knien durch die Küche rutscht.
Fassungslos schüttle ich den Kopf. „Natürlich helfe ich dir aus der Scheiße. Wie immer", kichernd greife ich nach ein paar der Handtücher und verteile sie auf dem Boden. Viel Zeit haben wir nicht mehr um Mamas Küche wieder in einen Zustand zu bringen, in dem ihr das Chaos nicht auffallen wird. Die Küche ist ihr Heiligtum. Nachdem meine Eltern das Haus gekauft haben, musste Mama noch lange für die Küche sparen und seit dem hegt und pflegt sie die im Landhausstil angehauchte Küche wie ein Baby. Eins ist klar, sollte das hier ans Licht kommen, wird sie uns beide Köpfen und das, obwohl ich noch nicht Mal etwas gemacht habe.
Nachdem die Handtücher den Großteil des Wassers aufgesaugt haben, weise ich James an sie in den Trockner zu werfen, ohne den auch noch kaputtzumachen und hole den Wischer aus der Abstellkammer. Der Abfluss hat einen Gestank hinterlassen, der selbst einem Stinktier Konkurrenz machen könnte, weshalb ich die Fenster aufreiße, dabei gleichzeitig den Kamin anfeuere und Pfefferminzöl durch den Diffuser jage. Währenddessen schaut James mir hilflos und gleichzeitig dankbar dabei zu. „Warum hast du das nicht einfach Papa oder Grey machen lassen?" Ich schaue kurz zu meinem Bruder rüber, der an der Küchen Insel lehnt und mit den Schultern zuckt. „Weil ich das auch kann. Es müssen nicht immer nur Grey oder Papa solche Aufgaben machen." Instinktiv will ich ihn darauf hinweisen, wie schlecht sein Plan aufgegangen ist, doch stattdessen sage ich einfach nichts und nicke nur stumm. Ich weiß, worauf er hinaus will. Egal ob es arbeiten am oder im Haus sind, immer sind es Grey oder Papa die diese Aufgaben übernehmen.
„Du hast dein Stärken eben in anderen Sachen", sage ich beiläufig. Er fühlt sich ausgeschlossen, das war schon früher so und ist von Beginn an ein Streitthema zwischen Grey und James. Die beiden haben sich immer gemessen, wer der stärkere und bessere ist. Dabei ist James immer hinten runtergefallen, weil er in solchen handwerklichen Sachen nicht gut ist. Ein sarkastisches Schnauben verlässt seinen Mund. „Und das wäre?" Er ist wütend und enttäuscht von sich selbst, dafür brauche ich nicht ein Mal in seine Richtung zu sehen. „Du kennst dich besser mit Gedichten aus, als jeder andere den ich kenne. Du bist wissbegieriger als ich es je sein könnte, hast ganz schön viel auf dem Kasten und machst etwas aus deinem Talent. Vergleiche dich doch nicht immer mit Gey oder Papa. Ob du einen Abfluss reparieren kannst, sagt nichts über deine Männlichkeit" ich wedle mit dem Putzlappen in der Luft umher. „Dann hast du eben die Küche unter Wasser gesetzt. Der Abfluss ist trotzdem wieder ganz. Es ist doch egal wie du es geschafft hast, Hauptsache ist, dass du am Ziel angekommen bist." Das war wahrscheinlich die längste Rede, die ich bis jetzt in meinem Leben gehalten habe. Und es scheint zu funktionieren, denn auf James Lippen bildet sich ein kleines Lächeln.
„Du bist die beste, Jules", er kommt auf mich zu und umarmt mich kurz. Zufrieden grinsend nicke ich und weise ihn an die Beweise verschwinden zu lassen. Das Aufräumen, Fenster schließen und trocken wischen passiert gerade noch rechtzeitig, bevor ich höre, wie sich der Schlüssel im Schloss dreht. Wissend sehe ich zu James, der neben mir auf dem Sofa sitzt und ein Buch liest. Ich habe meinen Laptop auf dem Schoss und erledige noch ein paar Sachen für die Uni.
Mama und Papa kommen von ihrem monatlichen Date zurück. Jedes Mal, wenn ich sehe, wie Mama sich für diesen Abend zurechtmacht und wie beeindruckt und stolz Papa auf sie ist, geht mir das Herz ein bisschen auf. Ich hoffe, dass ich irgendwann das Gleich finden werde wie die beiden. Vielleicht sogar in Dylan.
Tuschelnd und kichernd betreten die beiden das Haus. Mama hat nur Augen für Papa, der sich heute mit einem Jackett und einer Jeans verhältnismäßig herausgeputzt hat. „Hey!" Rufe ich so laut, dass die beiden vor Schreck auseinander springen. Frech grinse ich sie an. „Schuhe aus auf dem guten Teppich!" Weise ich sie daraufhin, dass sie mit ihren dreckigen Schuhen beinah auf Mamas heiligen Teppich gelaufen wären. Beide Lachen und schütteln den Kopf. „Wie war euer Abend?" Will ich wissen und klappe das Display meines Laptops ein bisschen nach unten. „Sehr schön", Mama scheint immer noch auf Wolke sieben zu schweben. Der verträumte Blick in ihren Augen spricht Bände.
Langsam macht sie sich auf den Weg in die Küche. Aus dem Augenwinkel sehe ich James, der sich immer mehr verkrampft. Locker stupse ich ihn an der Schulter und rolle mit den Augen. Wir haben nicht eine Sache hinterlassen, die auf das Chaos hindeuten könnte. Ich bin mir sicher, dass ihr nicht mal auffällt, dass etwas passiert ist. Abwartend lausche ich in die Küche, als ich nach ein paar Minuten immer noch nicht höre, wende ich mich grinsend zu James, der etwas erleichterter aussieht.
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Long time no see
HI! I'm back.
Ok ich war ja nicht wirklich weg aber die Feiertage und Neujahr haben so viel Zeit geschluckt, da blieb mir keine Zeit zu updaten. Sorry.
FROHES NEUES NACHTRÄGLICH. 🎊💕
Dann mach ich auch mal schamlos Werbung für mein anderes Buch "Die anonymen Versager" wenn ihr es euch noch nicht angeguckt habt, rate ich euch dazu ehehehe. Das Cover ist wie bei (fast) allen anderen auch von ozeanwind thanks bby <3
Ich hoffe euch hat das Kapitel gefallen, auch wenn's nicht aufregend war.
Xx
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