04
„Ich liebe dich", Dylans Worte sind nur ein Flüstern in meinem dunklen Zimmer. Ich starre in die Dunkelheit, spüre seinen Arm, der grausam und schützend zugleich, um meinen Körper liegt. Es hat etwas Hämisches, dass wir hier liegen in einer so verliebten Position, die vielleicht überhaupt nicht mehr der Realität entspricht. Meine nackte Brust hebt und senkt sich ruhig, während in meinem Kopf ein Sturm tobt, den niemand sehen kann. Manchmal wünschte ich, jemand könnte es sehen, jemand würde hören wie meine Seele in unsagbarem Leid und Schmerz ertrinkt.
„Bist du überhaupt noch wach?" Seine Frage klingt, als würde ich ihn beleidigen wenn nicht. „Natürlich. Ich liebe dich auch", antworte ich leise. Meine Stimme klingt wie die eines Roboters, doch er hört das nicht, er wird es auch nie hören, weil er es nicht will.
Ich spüre, wie Dylan sich neben mir bewegt und aufsetzt. Durch das sachte Licht, dass durch mein Zimmerfenster scheint, kann ich seinen nackten Rücken und die vielen Kratzer darauf sehen. Ich weiß, dass sie nicht von mir sind. Das sind sie nie. Das Klicken eines Feuerzeug erfüllt kurz den Raum. Das kleine Licht durchflutet mein Zimmer nur für wenige Sekunden, dann sehe ich nur noch seine Zigarette die aufleuchtet, wenn er daran zieht. Ein Zug an einer Zigarette verkürzt das Leben um fünf Minuten, habe ich mal gelesen, und irgendwie ist es befriedigend zu wissen, dass jeder seine Schulden bezahlen muss - auch Dylan. Ich decke mich mit der dünnen Decke zu und setze mich gleichzeitig etwas auf. Meine Haare sind immer noch feucht von der Dusche vor ein paar Stunden. Es hat etwas Ironisches, dass ich mich trotzdem wieder schmutzig fühle. Oh, so schmutzig.
„Möchtest du heute Nacht bleiben?" Ich frage, weil ich weiß, dass er sonst enttäuscht wäre. „Nein", ich sehe wie er den Kopf leicht schüttelt. „Ich gehe, mit den anderen noch trinken", er zieht ein letztes Mal an seiner Zigarette und geht zum Fenster, um sie rauszuwerfen. Erleichtert senke ich die Schultern. Die Anderen seine Freunde, mit mindestens genauso vielen Schulden auf der Liste wie Dylan selbst. Sie trinken, sie nehmen Drogen, feiern immer bis in den Morgen, machen mit Frauen noch soviel schlimmere Dinge als Dylan sie je mir antun könnte und trotzdem sagt niemand etwas. Niemand würde jemals ein schlechtes Wort über sie verlieren, weil jeder sich der Konsequenzen bewusst ist. Auch ich und deshalb ist es manchmal besser zu schweigen und darauf zu warten, dass dieses Kapitel im Leben bald ein Ende hat. Ich hoffe, dass dieses Kapitel in meinem Leben bald ein Ende findet. Dass er wieder der Alte wird und wir ein glückliches Leben zusammen führen können.
Manchmal denke ich, dass er ein besserer Mensch wäre, würde er seine Zeit nicht mit ihnen verbringen, aber wer bin ich um ihm das zu sagen? Er könnte wieder alles sein, was er auch schon davor war. Der liebenswerte Dylan, der der mich mit Blumen und einem Date bei Kerzenschein überrascht hat. Der, der so liebevoll war, dass jede Trennung schmerzvoll war. Wer hätte ahnen können, dass die Trennungen zur Erleichterung werden.
Meine Augen verfolgen jede seiner Bewegungen während er sich wieder anzieht. Neben seinen Klamotten liegt mein Bademantel, einsam und verlassen. In nur ein paar Sekunden hat er alle seine Kleidung wieder angezogen. Er dreht sich zu mir und gibt mir einen harschen, schnellen Kuss. „Wir sehen uns morgen", raunt er und bevor ich etwas erwidern kann ist er aus meinem Zimmer verschwunden. Alle Last fällt von mir ab und bricht in Form von stillen Tränen aus mir heraus. Es fühlt sich schrecklich an. Alles, mein Körper, mein Kopf, meine Seele. Alles scheint so kaputt zu sein, dass ich nicht weiß, wie ich es je wieder reparieren soll.
Ich wische mir die Tränen vom Gesicht und steige aus meinem Bett. Ich kann nicht länger dort sitzen, mit dem wissen, was dort passiert ist. Meine Finger greifen nach einem Pyjama und ziehen ihn über. Meine Hände sind so kalt, dass sich eine Gänsehaut auf meinem Körper bildet. Mama und Papa schlafen um diese Uhrzeit schon und James sicherlich auch, weshalb ich so leise wie möglich die Treppen nach unten steige. Der Boden ist kalt, genauso wie das Geländer an das sich meine Hände hilflos klammern, genauso kalt wie mein Herz.
Als meine Füße den weichen und warmen Teppich im Wohnzimmer betreten, entspanne ich mich ein bisschen. Der Kamin ist immer noch warm, was bedeutet, es ist noch nicht lange her, dass Mama und Papa schlafen gegangen sind. Die Tür der kleinen Bar, die Papa hier stehen hat, knarzt so laut, dass mein Herz einen Aussetzer macht. Ich weiß, dass wir hier nicht dran dürfen, dass er mich wahrscheinlich dafür Köpfen würde, doch in Nächten, in denen ich mich besonders alleine fühle, suche ich ein bisschen Wärme in Papas Scotch, der so teuer ist, dass er einen Monat lang unser Essen bezahlen könnte.
Die braune Flüssigkeit brennt in meinem Hals und schmeckt absolut widerlich. Es schmeckt nie gut, Alkohol generell. Aber es betäubt von innen heraus und manchmal ist es genau das, was man braucht. Ich schaue durch die großen Veranda-Türen in den schwarzen Garten. Mein Spiegelbild blickt mir schwach und müde entgegen. In einer Hand hält es die Scotch Flasche, die andere umklammerte meine Hüfte wie ein Rettungsanker. Ich sehe hilflos aus, weil ich mich so fühle. Ich kneife die Augen zusammen und kippe noch einen Schluck herunter.
„Du weißt, Dad bringt dich um", höre ich eine Stimme hinter mir kichern. Erschrocken drehe ich mich um und lasse dabei fast die teure Flasche fallen, doch ich kann sie gerade noch so retten. „Du bist so ein Arschloch", murmle ich wütend und sehe Grey böse an. Er ist offensichtlich gerade erst nachhause gekommen. Er trägt noch immer seine Klamotten, selbst seine Jacke und die Schuhe hat er noch an.
„Gib mir was ab und ich bin vielleicht so nett, es ihm nicht zu sagen. Vielleicht." Ich weiß, dass Grey es sowieso nichts sagen würde, dafür hat er sich selbst schon zu oft an Papas Bar bedient. Außerdem ist er mein Bruder, er verpetzt mich nicht und das hat er noch nie. Ich gehe zu ihm rüber, damit er mit seinen dreckigen Schuhen nicht auf den Teppich gehen muss und gebe ihm die Flasche. Mir ist nicht klar, warum Papa nie bemerkt, dass sein Scotch so schnell leer ist, aber es soll mir auch egal sein.
„Und was ist bei dir los?" Mein Bruder gibt mir die Flasche wieder, von der ich nur einen Schluck nehme und sie dann wieder in die Bar stelle. Ich zucke mit den Schultern. „Kann wohl einfach nicht schlafen", murmle ich und sehe ihn an. Er beißt sich auf die Lippe und mustert mich einen Moment lang bevor er skeptisch nickt. „Warum bist du noch unterwegs so spät?" Will ich wissen und stelle mich mit meinen nackten Füßen wieder auf den weichen Teppich. Der Karmin gibt immer noch ein bisschen Wärme ab. „Du kennst mich doch. Immer auf der Strunz", er grinst mich an und hebt seine Hand um mir durch die Haare zu wuseln. Gerade so weiche ich seiner Hand noch aus. Mit bösem und warnendem Blick sehe ich ihn an.Er hat das schon gemacht als wir noch kleine Kinder waren und hat nie damit aufgehört obwohl ich es nicht mag. Grey weiß, wenn es mir schlecht geht und deshalb macht er das immer wieder. Weil es mich trotzdem irgendwie aufheitert, wenn er mich ärgert. Es erinnert mich an eine Zeit, in der wir beide noch unschuldige Kinder waren. Aber jetzt hat jeder von uns irgendetwas an sich kleben, von dem er nichts erzählt.
„Ich werde schlafen gehen", informiert Grey mich, da steht er schon halb auf den Stufen nach oben. „Gute Nacht", er zwinkert mir zu und lacht. „Schlaf gut", rufe ich ihm noch leise hinterher und dann bin ich wieder alleine im Wohnzimmer. Es ist erdrückend still und ich weiß, dass ich weder hier noch in meinem Bett ein Auge zu bekommen werde. Ich beschließe, noch ein mal duschen zu gehen und mein Bett neu zu beziehen. Es wird nichts an dem ändern, was dort oben passiert ist, aber es hält meinen Kopf auf Trab. Ich entscheide mich ganz bewusst dafür nicht in den Spiegel im Badezimmer zu sehen, sondern direkt in die Dusche zu steigen. Dylans Finger auf meiner Haut spüle sich mit dem Wasser in den Abfluss, aber seine Abdrücke auf meiner Seele bleiben, ganz egal wie oft ich dusche und wie oft ich versuche all diese Dinge von mir zu waschen.
Dylan wir immer an mir hängen.
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