Kapitel 14
Gojos Sicht
"Nein!", schrie ich und saß aufrecht in einem Bett. Was ... wo war ich? Mein Atem ging schneller und ich konnte meine Gedanken nicht ordnen. Alles prasselte auf mich ein. Erinnerungen ... Einbildungen? Mein Kopf dröhnte so dermaßen, dass ich ihn mir halten musste. Zusätzlich schloss ich die Augen, was die Bilder in meinem Kopf nur noch schlimmer werden ließ.
Ich sah alles vor mir, als würde ich einen Film sehen. Wie ich ausrastete, weil Makoto in dem Portal gefangen war. Wie ich Nanami und Masamichi bekämpfte. Wie ich Sukuna durch die Luft warf. Wie ich ... wie ich Megumi ...
"Megumi!", keuchte ich und riss meine Augen auf.
"Satoru, beruhige dich", sprach mich jemand an und legte mir eine Hand auf die Schulter. Ich schlug aus Reflex nach der Hand, sah auf und in Shokos braune Augen. "Es ist alles gut."
"Entschuldige", murmelte ich und ließ meine Hand sinken.
"Alles gut. Ich bin nur froh, dass du wieder der Alte bist." Also waren das keine Einbildungen? Es waren Erinnerungen. Was hatte ich getan? Ich sah hinunter zu meinen Händen, die sofort anfingen zu zittern. Vor meinem inneren Auge tauchte ein Bild auf ... Megumi.
Komm...zu..rück. Ich b...rauche ...dich.
"Wo ist Megumi?"
"Gojo ...", sagte sie ein bisschen zurückhaltend. Meine Augen weiteten sich. Ich hatte ihn nicht getötet oder? Hatte ich ... das durfte nicht ... das konnte nicht sein. "Er ist nicht tot." Sofort sah ich sie an. Sie schluckte. "Aber er ist ... er ist in keiner guten Verfassung. Du ... er hat ein Schädelhirntrauma und ist noch nicht aufgewacht." Ich hörte was sie sagte, aber ich konnte nur auf meine Hände sehen. Schädelhirntrauma? Das hatte ich zu verantworten und nicht nur das. Alles was in der Halle am Hafen passiert war. Was ich alles getan hatte ... Makoto ...
"Wo ist das Gefängnisportal?", murmelte ich.
"In Megumis Schatten. Solange er nicht aufwacht ... ist auch der Würfel verloren." Ich hob meine zitternden Hände und fuhr mir erst durchs Gesicht und dann in die Haare.
"Was habe ich getan?", hauchte ich.
"Ist er endlich wach?" Ich sah auf und in Masamichis vertrautes Gesicht. Hinter ihm trat auch Nanami ein und sah mich besorgt an.
"Bist du wieder unter uns?", wollte er wissen. Was war das für eine Frage? Warum machten sie sich um mich Sorgen? Ich sollte nebensächlich sein. Megumi. Makoto. Sie waren so viel wichtiger. Nanami legte mir eine Hand auf die Schulter, sorgte so dafür, dass ich ihn ansah. "Hör auf. Wir sind so froh, dass du wieder bei uns bist und wir dich nicht verloren haben. Es ist nur wichtig, dass wir euch alle nicht verloren haben. Megumi kommt schon durch und dann kann er uns den Würfel geben und wir retten Makoto."
"Was ist mit Geto?", wollte ich wissen, aber Nanami schüttelte den Kopf.
"Es war ein einziges Chaos, als du durchgedreht bist, da haben wir uns nicht mehr um ihn gesorgt. Als Inumaki dich dann endlich ruhig gestellt hat, war er schon längst weg", erklärte Masamichi. "Aber das ist jetzt nicht wichtig. Wie geht es dir?"
"Mir?", fragte ich ein bisschen lauter und sah ihn an. "Ich bin sowas von egal. Ich hätte euch alle töten können, weil ich mich nicht unter Kontrolle hatte."
"Ja, das stimmt, aber das hast du nicht, weil wir nicht so schwach sind, wie du uns gerade hinstellst."
"Das wollte ich nicht ...", fing ich an, aber Nanamis Hand drückte meine Schulter, stoppte mich so.
"Hör auf zu diskutieren, Satoru. Egal was du getan hast, wir sind hier und unterstützen dich weiterhin, dafür sind Freunde da. Also hör auf dir irgendwelche Schuld zu geben. Keiner von uns kann sich vorstellen mit deiner Macht umgehen zu können, jeder von uns hätte deswegen genauso reagiert wie du. Aber es geht jetzt nur darum, dass wir uns zusammenraufen und zusammenhalten. Mehr brauchen wir nicht, wir bekommen das hin." Seine Worte waren nett und sicherlich auch ernst gemeint, aber ich konnte nicht ... noch nicht zumindest. Megumi ... ich sah sein Gesicht vor mir, als stünde er wirklich vor mir. Diese Angst in seinen Augen, als ich ihm die Luft zum Atmen genommen hatte. Dieser verzweifelte Blick mich nicht retten zu können. Dieser verzweifelte Hilferuf, den ich nicht erhört hatte.
Ich schloss die Augen, krallte meine Hände in meine Haare. Und nicht nur er tauchte vor meinen Augen auf. Auch sie.
Ich liebe dich.
Wie konnte sie das tun? Was hatte sie sich dabei gedacht? Was war daran gut gewesen? Ich hätte in diesen beschissenen Würfen gezogen werden sollen. Dann wäre Megumi nicht verletzt und sie würde nicht in dieser Leere stecken und langsam verbluten. Ihre Leben waren so viel wichtiger als meines. So viel wertvoller. Wäre ich doch nur in dem Portal, dann wären sie alle nicht so sehr verletzt, wenn ...
"Was ist mit Toge?", wollte ich wissen, sah wieder auf.
"Er ruht sich aus. Es hat ihn ziemlich viel Kraft gekostet, dich schlafen zu legen", meinte Masamichi. "Aber es hat geklappt. Du hast ganze drei Tage geschlafen." Was allerdings auch bedeutete, dass Megumi und Toge auch schon drei Tage in Krankenbetten lagen, weil sie mich hatten aufhalten wollen. "Ruh dich noch etwas aus. Lass dich von Shoko einmal durchchecken und dann sehen wir weiter." Wehren konnte ich mich jetzt eh nicht mehr. Was sollte ich auch anderes tun. Also ließ ich es einfach über mich ergehen.
Als Shoko mit mir fertig war, lehnte ich mich an die Wand und konnte nur auf meine Hände herunter schauen. Langsam kam alles zurück. Ich konnte mich an alles erinnern, konnte mich daran erinnern, was ich alles getan hatte. Wie sie alle versucht hatten mich aufzuhalten. Selbst Sukuna. Er hatte Megumi vor mir beschützt.
Shoko ließ mich irgendwann alleine. Sie wollte mir etwas zu essen besorgen. Ich nutzte diese Gelegenheit, um aufzustehen. Ich musste Megumi sehen ... ich musste ... auch wenn ich nichts tun konnte.
Barfuß lief ich aus dem Zimmer und fand Megumi auch schon im nächsten der vielen Krankenzimmer. Es versetzte mir einen Schock ihn reglos in einem der Krankenbetten zu sehen. Dennoch trugen mich meine Beine zu dem Bett und ich konnte nicht anders, nahm mir seine Hand und hielt sie fest. Ich wusste, dass es nichts ändern würde, aber ... ich brach an seinem Bett zusammen, sackte auf meine Knie und hielt mir seine Hand gegen die Stirn.
Niemals hatte ich gedacht, dass ich sie beide verlieren würde. Wie könnte ich ihm noch in die Augen sehen, wenn er aufwachte. Wenn er denn aufwachte. Ich hätte mich mehr über seinen Zustand erkundigen sollen. Jetzt sah ich nur, dass er einen Verband um den Kopf trug und an die ganzen Maschinen angeschlossen war. Er war blass, viel zu blass für meinen Geschmack.
Ich hätte ihn beschützen müssen. Ich war dafür da, um ihn zu beschützen. Das hatte ich geschworen, als ich Makoto und ihn aufgenommen hatte. Aber anstatt das zu tun, hatte ich beide nur in Gefahr gebracht. Ich hätte die Beziehung mit Makoto nie eingehen dürfen. Ich hätte sie beide retten sollen und mich dann von ihnen fernhalten können. Ich wusste doch, dass ich kein guter Umgang war. Wie hatte ich denken können, dass das alles funktionierte? Als wenn ich den beiden irgendwas geben konnte.
Komm...zu..rück. Ich b...rauche ...dich, hallte wieder Megumis Stimme in meinem Kopf wieder.
"Das stimmt nicht", murmelte ich. "Ich brauche euch. Ich brauche dich, Megumi, also wach auf."
Noch nie in meinem Leben hatte ich mich so schlecht gefühlt. Die Niederlage gegen Toji war gar nichts hiergegen. Denn nach dem Kampf mit ihm ... nach diesem Kampf hatte ich Makoto und Megumi gehabt. Sie hatten dafür gesorgt, dass ich nicht abrutschte. Sie hatten mir einen Grund gegeben weiterzumachen. Beide, auch wenn ich es Megumi manchmal nicht deutlich gezeigt hatte.
Aber jetzt? Jetzt hatte ich beide in Gefahr gebracht und würde sie verlieren. Als wenn Megumi mir verzeihen könnte, als wenn Makoto mir verzeihen konnte, dass ich Megumi nicht beschützt hatte. Mal davon abgesehen, dass sie sterben würde, wenn er nicht aufwachte und wir keine Chance bekamen sie aus dem Würfel zu befreien. Dieser Druck, diese Schuldgefühle machten mich fertig.
Sie waren meine Familie. Ja, ich konnte mich auf Nanami und die anderen verlassen. Es bedeutete mir viel, dass sie mich trotz der Dinge, die ich getan hatte, vertrauten. Aber ...
"Gojo-sensei?" Ich sah auf und drehte meinen Kopf zur Türe. Yuji stand in ihr. Er hatte auch überall Schrammen am Körper, einen Verband um den Kopf.
"Yuji", murmelte ich. "Wie ..."
"Mir geht es gut, mach dir keine Sorgen und auch Sukuna geht es gut. Er hat alles dafür getan, um Megumi zu beschützen."
"Das weiß ich. Ich kann mich an alles erinnern, aber du ..." Er lächelte mich an und kratzte sich am Hinterkopf.
"Es war schon heftig und Sukuna konnte letztendlich nicht alles heilen, weil er am Ende keine Kraft mehr hatte, aber das ist okay für mich. Das Schlimmste hat er überstanden und diese kleinen Wunden bekomm ich auch so verkraftet. Es ist nur gut, dass du wieder bei uns bist und das im normalen Zustand. Alle hatten Angst, dass du, wenn du wach wirst, wieder durchdrehen könntest." Es war nicht unmöglich, dass ich wieder einen Ausraster bekam ... ich spürte, dass mein Körper noch immer zum Zerreißen angespannt war. Ich zitterte am ganzen Körper, aber die Erinnerung daran, was ich getan hatte ... Megumi war so viel wichtiger im Moment, sodass ich es irgendwie unterdrückte. Keine Ahnung, wie lange das anhalten würde, aber ich musste dagegen ankämpfen, wie auch die letzten zwei Jahre ... was aber auch bedeutete, ich durfte nicht zu sehr über Makoto nachdenken. Sie ... sie wäre der Auslöser, wenn ich nicht aufpasste ...
Meine Hände zitterten unkontrollierter und ich spürte, wie sich Energie sammelte. Auch wenn es schmerzte, auch wenn es mein Herz in tausende Teile zerspringen ließ ... ich musste sie beiseite schieben. Ich musste ...
"Gojo-sensei?" Ich schluckte hart und schloss die Augen.
"Schon gut", murmelte ich.
"Reiß dich zusammen, Maske." Sofort riss ich meine Augen wieder auf und sah Yuji an ... nein, Sukuna. Er hatte mit ihm getauscht, war in Angriffsposition gegangen.
"Du beschützt ihn", war ich überrascht.
"Du bist ein Monster in diesem Zustand. Ich kann nicht zulassen, dass du ihnen irgendwas antust." Ich lächelte leicht.
"Danke", hauchte ich, sah auf meine Hände herunter. "Es ist nicht deine Sache und du könntest dich raushalten, aber das tust du nicht."
"Na ja, es geht mich schon etwas an. Ihr habt fast all meine Finger, da ist es sehr unwahrscheinlich, dass es noch einmal jemand geben wird, der ausversehen einen meiner Finger isst. Ich muss mich ein bisschen um den Bengel kümmern."
"Könntest du ... könntest du mit meiner Macht umgehen?", wollte ich wissen, sah ihn aber immer noch nicht an. "Wenn ich die Finger esse, die wir haben, würde das reichen, um mich aufzuhalten?"
"Keine Ahnung. Aber vier werden sicherlich nicht ausreichen. Ich war dir unterlegen, ich war dir nicht nur unterlegen, ich war machtlos gegen dich in diesem Zustand." Dass er das zugab, musste etwas heißen. "Und da Yuji schon vier meiner Finger gegessen hat, werde ich eh nicht meine komplette Kraft entfalten können, wenn du die anderen isst."
"Aber es wäre möglich, dass du es mit den anderen sechzehn Fingern schaffen könntest? Und auch mit den sieben, die wir jetzt noch haben."
"Du ... willst das nicht wirklich tun oder?"
"Nein, weil ich dir einfach nicht vertrauen kann. Wenn ich deine Finger esse, dann wirst du Schaden anrichten, genauso wie ich, wenn ich ausraste, also wäre es keine Option, dir die Kontrolle zu überlassen."
"Wir könnten einen Pakt schließen, in dem du es mir verbietest."
"Den du dann wieder brechen wirst?"
"Ich hab nicht ..."
"Als du das erste Mal rausgekommen bist, hast du Makoto an der Wange verletzt."
"Du bist auch ziemlich kleinlich." Bei ihm musste ich das auch sein ... bei ihm und auch bei mir. Es war eine Idee, eine Möglichkeit. Aber auch nur, wenn ich von meiner Verantwortung weglaufen wollte. "Geh nicht zu sehr mit dir ins Gericht. Beide waren da, um dich zu retten und das würden sie immer wieder tun. Das solltest du dir ins Gedächtnis rufen und nichts anderes." Ich sah auf und zu Sukuna, aber der hatte schon wieder mit Yuji getauscht, der mich verdutzt ansah.
"Habe ich schon wieder mit ihm getauscht?", fragte er dümmlich. Ich seufzte.
"Es wird wirklich anstrengend, wenn er einfach so mit dir tauschen kann", sagte ich.
"Ich versuche ja mit ihm zu sprechen, aber er lässt mich nicht."
"Ja, das kann ich mir vorstellen." Dennoch war ich ihm so dankbar, dass er da gewesen war ... und nicht nur deswegen. Anscheinend wuchsen wir ihm ans Herz, denn ich konnte mir nicht vorstellen, warum der König der Flüche sich Sorgen um uns machen sollte. Aber ich dankte wem auch immer, dass er es tat. Das hatte uns alle gerettet.
Ich blieb noch Stunden an Megumis Bett sitzen. Essen tat ich nichts, mir war nicht danach, auch wenn Shoko mir die Hölle heiß gemacht hatte. Ich bekam einfach nichts runter. Die Sorge um Megumi fraß mich regelrecht auf. Als ich das Gemeckere von Shoko allerdings nicht mehr aushielt, floh ich aus dem Zimmer. Aber auch nur, um auch einmal nach Toge zu sehen.
Im Gegensatz zu Megumi saß er schon wieder aufrecht in seinem Bett. Hatte gerade seine Suppe fertig gegessen und stellte den Teller zur Seite.
"Takana?", war das Erste, was er fragte, und ich konnte nicht anders und lächelte leicht. Sie sorgten sich alle um mich, obwohl ich so ausgerastet war.
"Ja, ich bin in Ordnung, so einigermaßen. Was ist mit dir? Du hast es geschafft mich aus den Latschen zu kippen."
"Tsuna", antwortete er mir dann. "Mentaiko." Dabei hielt er drei Finger hoch.
"Doch nur drei Versuche? Geht es dir gut?"
"Shake."
"Ruh dich bitte noch etwas mehr aus. Ich würde es mir nicht verzeihen, wenn du noch weiter verletzt wirst." Damit drehte ich mich um und wollte gehen.
"Satoru?" Ich blieb stehen. "Du bedeutest uns allen sehr viel. Du hast all unsere Leben beeinflusst, also werden wir dir immer zur Seite stehen, egal was es ist. Als Freunde, Schüler und Familie. Vergiss das bitte nicht." Ich spürte einen kurzen Druck auf mir, sodass ich mich zu ihm umdrehte. Toge lächelte entschuldigend und zuckte die Schultern. "So war das nicht geplant." Es brachte mich zum Lächeln. Denn mein Herz wusste das schon längst, es wusste, dass ich mich auf sie alle verlassen konnte und dass es ganz normal war, wenn man stolperte und hinfiel. Aber mein Verstand hatte das noch nicht begriffen, würde auch noch etwas länger brauchen. Denn mein Glück oder meine Familie lag gerade in Trümmern und ich wusste nicht, wie lange es dauern würde, bis ich alles wieder zusammengesetzt hatte.
Aber dank Toge, würde ich es jetzt nicht mehr vergessen, auch wenn es schwer werden würde.
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