14 | Eine letzte Überraschung
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Nachrichten flimmern über die Bildschirme. Reporter stellen Fragen an Überlebende. Die Menschen trauern um ihre Verwandten und Freunde, die während dieser Invasion ihr Leben verloren haben. Sie legen Bilder, Kerzen und Blumen als Gedenken ab. Sicherheitskräfte suchen nach Überlebenden in den Trümmern. Sie entsorgen die Körper der Chitauri und deren Waffen. Menschen aus aller Welt trauern über das Geschehen in New York. Die Leute hier versuchen, ihr normales Leben wieder aufzunehmen.
Jetzt lassen sich die Menschen sogar denselben Bart wie Tony machen, oder Tattoos mit Avengers-Motiven stechen. An dieser Stelle muss ich grinsen. Die Menschen sind größtenteils ahnungslos, denn die Regierung verrät nichts. Sogar die Waffen der Chitauri wurden so schnell wie möglich entsorgt. SHIELD hält sich weiterhin verborgen. Vielleicht ist es auch besser so.
Mein Blick bleibt bei einer Frau hängen, die Augen voller Tränen. Glücklich hält sie ihre Kinder in den Armen. Sie bedankt sich bei dem unbekannten Mädchen, das sie und ihre beiden Söhne gerettet hat. Ein zufriedenes Lächeln schleicht sich auf meine Lippen.
Aber auch bei mir hat dieser Tag Spuren hinterlassen. Diese eine Szene will mir nicht mehr aus dem Kopf gehen. Was hat Loki nur mit meinem Gehirn angestellt?
»Judy, kommst du endlich?«, ruft Tony. Ich schalte die Bildschirme ab.
»Bin schon da!«
Vor dem demolierten Stark Tower steigen wir in einen roten Sportwagen. Tony legt mir einen schweren, grauen Koffer auf den Schoß und setzt seine Sonnenbrille auf.
»Verlier das bloß nicht. Die Schuld danach auf dich zu schieben, ist zwar verlockend, aber das würde ganz schön viele Probleme machen«, warnt er mich, während er die Straßen von Manhattan entlangfährt.
Irgendwo am Central Park halten wir an. Ich sehe Natasha, Doctor Banner und Agent Barton aus einem grauen Auto steigen, auch Captain Rogers ist schon da. Missmutig steht Loki neben seinem Bruder Thor. Seine Hände sind gefesselt und er trägt eine Art Maulkorb aus Metall, der nicht wirklich bequem aussieht.
Ich steige ebenfalls aus dem Cabriolet aus, den Koffer mit dem Tesserakt fest an mich gedrückt.
»Hallo Judy. Alles in Ordnung?«, fragt mich Natasha mit einem Lächeln. Ich nicke und puste mir eine Haarsträhne aus dem Gesicht.
»Der Koffer«, erinnert mich Tony und ich überreiche ihm den metallenen Koffer mit dem Tesserakt. Vorsichtig setzt Doctor Selvig diesen in eine Glaskuppel und reicht das Gerät an Thor weiter.
»Lady Judy, ich hoffe Ihr könnt mich irgendwann einmal auf Asgard besuchen kommen«, sagt Thor zum Abschied.
»Das wäre toll«, antworte ich.
Doch Tony schüttelt den Kopf. »Nicht solange der Ziegenpeter auf freiem Fuß ist«, sagt er und deutet mit seinem Kinn in Richtung Loki.
»Er wird seine gerechte Strafe erhalten. Odin wird sein Urteil sprechen.« Thor greift den einen Henkel des Gerätes und Loki nimmt den anderen. Wir treten alle einen Schritt zurück, als die beiden Götter in einem Lichtstrahl verschwinden.
»Schade. Ich fand's ganz lustig. Insgesamt«, sage ich traurig.
»Der Tesserakt ist in Sicherheit und Loki wird eingesperrt«, sagt Doctor Banner zufrieden und geht mit Tony und Captain Rogers zurück zum Auto.
Natasha umarmt mich zum Abschied. »Wir sehen uns bestimmt bald wieder, in Ordnung? Und bis dahin, pass auf Stark auf«, zwinkert sie mir zu.
Ich lache. »Mach ich.« Nachdem ich mich auch von Clint Barton verabschiedet habe, steigen die beiden Agenten in ihr Auto und fahren davon.
»Ich bringe Banner noch zum Flughafen«, sagt Tony zu mir. »Du findest allein zurück?«
»Ich bringe sie zum Stark Tower«, bietet Steve Rogers an.
Tony mustert ihn prüfend und nickt. »Vielleicht ist es so sogar sicherer.« Dann gibt er ihm zum Abschied die Hand und setzt sich mit Banner in den Sportwagen. Steve reicht mir einen Motorradhelm.
»Der ist viel zu groß«, beschwere ich mich.
»Das wird schon reichen, schließlich fahren wir ja nicht weit.«
Ich setze mich hinter ihm auf das Motorrad.
»Gut festhalten.«
Die ganze Fahrt über klammere ich mich an ihm fest, und steige vor dem Stark Tower ein wenig schwankend wieder ab.
»Danke für's Mitnehmen«, sage ich und setze den Helm ab.
»Keine Ursache.«
»Und? Wo gehst du jetzt hin?«, frage ich.
Steve zögert. »Ich weiß es nicht. Vieles hat sich geändert. Ich muss mich mit dem ganzen modernen Zeug erstmal zu Recht finden.«
Ich nicke verständnisvoll. Ich wünschte, ich könnte mich mal etwas länger mit ihm unterhalten. Die Tatsache, dass er quasi aus einer anderen Zeit stammt, macht ihn sehr interessant.
»Wahrscheinlich gehe ich nach D. C. Director Fury hat da sowas angedeutet«, redet Steve weiter.
»Na dann, viel Spaß«, winke ich ihm zum Abschied, als er das Motorrad wieder in Bewegung setzt.
Ich denke an Celly. Ob ihr der Tod von ihrem Onkel Phil sehr zu schaffen macht? Ich würde sie gerne wieder treffen. Sie ist nett. Leider haben wir vergessen, Nummern aus zu tauschen.
Da höre ich das Zuschlagen einer Autotür und das stöckelnde Geräusch hoher Schuhe. Ich drehe mich um.
»Judy?«, fragt Pepper ungläubig.
»Pepper!« Ich laufe auf sie zu, und sie umarmt mich.
»Ich habe gesehen was passiert ist und bin so schnell wie möglich wieder hergekommen«, sagt sie. Dann betrachtet sie mich genauer. »Und dir ist nichts passiert?«, fragt sie besorgt.
»Ach, ein paar Schrammen und blaue Flecken, aber ich werde es überleben«, sage ich mit einem Schulterzucken, zupfe an dem Pflaster an meiner Wange und ziehe den Ärmel meiner Jacke über den Verband an meiner Hand. Über Lokis Gedankenbann sage ich nichts. Das habe ich nicht mal Tony erzählt. Er würde ausflippen. »Aber Tony... Ich weiß nicht. Ich glaube das Ganze hat ihn mehr mitgenommen, als alle anderen.«
Pepper seufzt. »Er hat sich beinahe aufgeopfert. Wollte den Helden spielen. Das konnte ja nicht gut gehen«, sagt sie und verdreht die Augen. »Wo ist er jetzt?«
»Er bringt Doctor Banner noch zum Flughafen. Wahrscheinlich müsste er bald wieder hier sein«, erkläre ich und sehe auf die große Uhr in der Lobby des Stark Towers, die ihre Funktion aber aufgegeben hat. Die Zeiger stehen permanent auf halb Zwölf.
»Der Tower sieht auch ziemlich mitgenommen aus«, stellt Pepper fest, als sie an dem Tower hochblickt, und seufzt.
»Tony hat ein Talent dafür, alles zu zerstören«, sage ich und sie nickt zustimmend
Einige Männer sind gerade dabei, die zertrümmerten Buchstaben vom Gehweg zu räumen. Nur das ›A‹ hängt noch am Tower.
»Wir bauen ihn wieder auf. Viel besser als vorher«, verspricht Pepper.
»Aber er braucht einen neuen Namen«, sagt eine Stimme hinter uns.
»Tony!«, sagt Pepper glücklich. Er kommt auf uns zu.
»Was denn, kein Kuss?«, fragt er, leicht eingeschnappt.
»Ich weiß nicht, ob ich dich schlagen oder umarmen soll«, seufzt Pepper und sieht ihn zweifelnd an. »Was hast du nur wieder angestellt.«
»Diesmal war ich aber nicht ganz allein schuld daran«, rechtfertigt sich Tony.
»Stimmt, es ist ja nie deine Schuld«, neckt Pepper ihn, und gibt ihm dann den gewollten Kuss.
Ich verdrehe die Augen. »Können wir dann reingehen?«, frage ich. »Der Tower baut sich nicht von allein wieder auf.«
Oben angekommen und umgezogen, stellen sich Pepper und Tony an einen Tisch und bauen ein Hologramm des Towers auf. Ich sitze auf ein paar Stufen und lasse die Beine baumeln, während ich aus der Fensterfront, jetzt noch ohne Glas, auf New York schaue. Das war wirklich ein krasses Erlebnis. Eine Alien-Invasion in New York. Was wäre wohl passiert, wenn die Avengers nicht eingegriffen hätten? Hätte Loki gewonnen?
»Wie wäre es mit Avengers-Tower«, sage ich plötzlich und sehe zu Pepper und Tony. »Das ›A‹ hängt ja noch.«
»Daran habe ich auch schon gedacht«, sagt Tony und sieht zu Pepper. Er wischt auf dem Hologramm rum. »So, jedes Mitglied bekommt seine eigene Etage, was haltet ihr davon?«
»Eine wunderbare Idee«, stimmt Pepper ihm zu.
»Miss Stark, Besuch erwartet Sie in der Lobby«, meldet sich plötzlich Jarvis.
Überrascht fahre ich aus meinen Gedanken hoch. »Besuch?«
Ich fahre mit dem Fahrstuhl nach unten. Als sich die Türen öffnen, sehe ich ein Mädchen mit langen braunen Haaren, die etwas verloren in der menschenleeren Lobby steht.
»Celly?«, frage ich ungläubig.
»Gefunden!«, ruft sie glücklich. »Wusste ich doch, dass ich dich hier finde. Ich dachte fast, du wärst tot«, witzelt sie, aber ihre grünen Augen blitzen nicht so fröhlich wie zuvor.
»Tja, so schnell wirst du mich nicht los«, sage ich schief grinsend. Dann stehen wir ein paar Minuten nur rum.
»Ähm, wir fliegen wahrscheinlich bald wieder zurück nach Kalifornien«, breche ich schließlich das Schweigen. Sie nickt und wippt nervös mit dem Fuß. Vielleicht sollte ich ihr erzählen, was passiert ist. Dass Loki mich einer Gehirnwäsche unterzogen hat.
»Da gibt es noch etwas, das ich dir sagen wollte«, sagen Celly und ich gleichzeitig. Wir brechen in Gelächter aus.
»Du zuerst«, sage ich, immer noch lachend.
»Okay«, sagt sie und holt Luft. »Aber lass uns vielleicht nicht hierbleiben. Es ist so stickig hier drin.«
Wir verlassen den Tower und schlendern ein wenig die Straßen entlang. Überall sind Aufräumarbeiten im Gang.
»Also, das ist ein wenig schwierig zu erklären, aber ich versuch's«, fängt Celly schließlich an. »Und halte mich bitte nicht für vollkommen bescheuert.«
Ich nicke und sie fährt fort: »Ich habe dir doch erzählt, dass ich auf ein Internat gehe. In Massachusetts. Und auf diese Schule gehen halt... besondere Kinder.«
Ich sehe sie abwartend an. »Wie, besonders?«
»Also es gibt, äh - wie soll ich das erklären? - Also es ist eine Schule für angehende Hexen und Zauberer«, schließt sie und wirft mir einen zweifelnden Blick zu.
Ich nicke. »Okay.«
»Okay? Du hältst mich nicht für bescheuert oder so?«
»Doch tue ich. Zauberer? Ernsthaft? So wie Loki, oder was?« Das kann doch nicht ihr Ernst sein.
»Du glaubst mir also doch nicht«, sagt sie enttäuscht.
»Celly, ich würde dir gerne glauben. Aber mal ernsthaft, das klingt so banal... Ich meine... Zauberer? Die mit Zauberstäben rumfuchteln und Kaninchen aus Hüten ziehen? Ich bitte dich.« Im letzten Moment weiche ich einem Fahrradfahrer aus.
»Was? Nein, doch keine Kaninchen. Ich meine das Ernst.« Ich seufze. Andererseits, es gibt auch Götter und böse Aliens, die die Erde vernichten wollen. »Aber... Okay. Dann halt anders.« Celly bleibt stehen und kramt etwas aus ihrem Rucksack. Ich beobachte sie dabei. Schließlich zieht sie ein kleines, orangenes Wollknäuel heraus und stellt sicher, dass uns keiner beobachtet.
Ich seufze. »Falls du mir jetzt einen Zaubertrick zeigen willst-« Da bewegt sich das Wollknäuel. Eine kleine Nase, fast wie die eines Igels, und zwei große, braune Augen kommen zum Vorschein. Und nicht nur das.
»Es summt«, stelle ich ungläubig fest.
Celly nickt. Sie streicht durch das Fell des... ja, was ist das eigentlich? »Das ist Josh«, sagt sie. »Er ist ein Knuddelmuff.«
»Ein was?«, sage ich und starre das flauschige Ding an.
»Ein Knuddelmuff. Ein magisches Wesen. Magische Wesen leben überall, nur könnt ihr No-Majs sie nicht sehen.«
»No-Majs?« Das Ganze wird immer verwirrender. Vielleicht stehe ich immer noch unter Lokis Gedankenbann?
»Ja, so heißen in der Zauberwelt die Menschen ohne Zaubergene.« Wie selbstverständlich das alles für sie ist. Naja, sie ist ja auch damit aufgewachsen, während ich noch nie davon gehört habe.
»Und du hast diese Zaubergene?«, frage ich.
Celly nickt. »Genau wie meine Mutter. Sie ist übrigens die Schwester von Phil. Also sie war es zumindest...« Zum Ende hin wird Cellys Stimme immer leiser.
Ich räuspere mich. »Ähm ja, das mit deinem Onkel tut mir leid. Wenn ich... irgendwas tun kann oder so, sag einfach Bescheid.« Oh Gott, war das dumm. Ich atme auf. »Okay. Also Zauberer, magische Wesen, No-Majs«, zähle ich auf. »Sonst noch was?«
»Du glaubst, ich spinne«, schmollt sie.
»Ne, wirklich nicht. Also, und du sagst mir das, weil...?« So ganz verstehe ich Cellys Punkt noch nicht.
»Genau, also... Ich kann Josh nicht mit nach Ilvermorny nehmen und-«
»Ilvermorny?«
»Das Internat.« Natürlich. Ich komme mir unglaublich dumm vor. Josh beginnt, ein weiteres Lied zu summen.
»Ist das... Johnny Boy?«, frage ich verwirrt.
»Ja, er singt bevorzugt Twenty One Pilots-Songs. Von mir hat er das nicht. Jedenfalls kann ich ihn nicht mitnehmen. Und deswegen hatte ich gehofft... du könntest vielleicht... auf ihn... aufpassen?«
Celly sieht mich bittend an. Ich reibe mir die Augen, seufze und starre in den Himmel. Dann betrachte ich das orangene Fellbällchen. »Klar, warum nicht«, sage ich schließlich.
»Wirklich?«, fragt Celly überrascht. »Danke!« Sie fällt mir um den Hals. Tony wird das bestimmt nicht gefallen. Aber er muss ja nichts von Josh erfahren.
»Aber kannst du mir dann noch deine Handynummer geben? Damit wir schreiben können?«, frage ich und krame schon mein Handy aus meiner Jackentasche.
»Naja... also in Ilvermorny gibt es grottenschlechten Empfang«, bedauert Celly. »Aber wir können Briefe schreiben. Über Frodo.« Auf meinen fragenden Blick hin fügt sie noch hinzu: »Meine kleine Eule.«
»Deine Eule.« So langsam wundert mich wirklich nichts mehr.
»Oh, ich muss los«, sagt sie mit einem Blick auf ihre Armbanduhr. Ich gucke mich um. Irgendwie sind wir vor der Grand-Central-Station gelandet.
»Warte... wie findet mich diese Eule? Und wie schicke ich sie zu dir zurück?«, frage ich verwirrt.
»Ach das ist ganz einfach, Frodo ist schlau. Sie findet den Weg schon. Kalifornien, sagtest du?« Sie nickt und dreht sich zum Eingang. »Warte, wolltest du mir nicht noch etwas sagen?«
»Ach... nicht so wichtig, eigentlich«, murmele ich.
»Achso. Na dann... Tschüss?« Wir umarmen uns noch einmal, dann verschwindet Celly in der Central Station. Ein wenig ratlos stehe ich herum. Irgendwie fühle ich mich schlecht. Celly hat mir gerade von ihrem halben Leben und der Existenz einer Zauberwelt erzählt, und ich schaffe es nicht mal, ihr zu erzählen, was während der Invasion passiert ist. Aber ehrlich gesagt muss ich das erstmal selbst verarbeiten.
Ich seufze und wende meine Schritte zurück zum Tower. Vielleicht ein anderes Mal.
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