29. Im Wald
Auch in dieser Nacht träumte Carl schlecht, doch er wollte immer noch nicht darüber reden. Ob der Tag je kommen würde? Ich hielt ihn einfach fest und streichelte ihm beruhigend über den Rücken, bis er wieder eingeschlafen war. Ich lag noch eine Weile nachdenklich wach, dann holte auch mich der Schlaf wieder ein.
Am nächsten Tag machte ich mich sehr früh mit Daryl auf die Jagd. Ich hatte eine Pistole mit Schalldämpfer von ihm bekommen und musste ihm erklären, was ich darüber weiß und wie sie in der Theorie funktionierte. Wieder nickte er nur, dann zogen wir los. Ich beobachtete ihn fasziniert, wie er im Wald die Spuren von einem Hasen las und diesem ziemlich geräuschlos folgte. Ich versuchte es ihm gleichzutun, doch scheiterte ich kläglich. Der Schnee knirschte leise unter meinen Schuhen. Versteckte, vom Schnee bedeckte Äste knacken leise. Er muss jahrelang geübt haben, um so gut zu sein. Plötzlich vernahm ich hinter mir das bekannte, leise röcheln, welches sich jedoch nährte. Schnell drehte ich mich um, zielte mit meiner Waffe und drückte ab, doch ich traf ihn nicht. Unbeirrt lief der Beißer weiter auf mich zu und ich schoss wieder, aber wieder ging der Schuss daneben. Langsam stieg Panik in mir auf und ich griff nach meinem Messer im Gurt, als ein surrendes Geräusch an mir vorbeizog und der Beißer nach hinten umkippte. Der Pfeil steckte ihm tief im Kopf.
„Dankeschön" wandte ich mich nun an Daryl. Er nickte mir zu, zog den Pfeil heraus und säuberte diesen an seiner Hose.
„Denke vorher an das ein und ausatmen. Versuche seine Bewegungen vorher einzuschätzen" brummte er leise und verfolgte weiter seine Spur. Nickend folgte ich ihm und hielt unterwegs nach Beißer Ausschau. Nur vereinzelt liefen welche vorbei, die uns nicht bemerkten, wenn wir uns ganz still verhielten. Aber so lernte ich das schießen nicht und bis wir zur Tour aufbrechen müssten, wollte ich besser sein. Ich musste es lernen. Für die anderen. Für Carl. Für mich.
Ich achtete mehr auf die Beißer, als auf meinen Weg und trat auf einen Ast, der unter meinem Gewicht laut krachte.
„Shit" fluchte ich leise und sah mich hektisch um. Mehrere Beißer hatten mich gehört und kamen auf uns zu. Wieder zielte ich, atmete tief ein und aus und versuchte einzuschätzen, was seine nächste Bewegung sein würde und drückte ab. Ich traf ihn an der Schulter und er fiel etwas zurück, als ein Beißer auf meiner rechten schon nach mir griff. Schnell zog ich mein Messer und stach es ihm in den Kopf. Ächzend fiel der Beißer zu Boden und ich rannte zu dem Beißer, den ich in der Schulter getroffen hatte, um auch ihn zu erledigen. Dann verschaffte ich mir flink ein Bild von unserer Situation. Daryl wollte gerade einen Beißer erledigen, als hinter ihm einer auftauchte. Schießen wollte ich nicht riskieren, nachher traf ich noch Daryl, also rannte ich hin und schubste den Beißer grob weg. Er fiel nach hinten, ich beugte mich über ihn und stach auch diesem in den Kopf. Anschließend stand ich auf und wischte das Messer an meiner Hose ab.
„Danke" grummelte Daryl leise.
„Kein Problem. War ja auch meine Schuld, dass die gekommen sind" erwiderte ich schuldbewusst.
„Kann jedem passieren" murmelte er leise vor sich hin und ging weiter. Ich folgte ihm wieder und versuchte mich unterwegs weiter im Schießen. Bis zum späten Nachmittag waren wir im Wald jagen und üben. Wir hatten 4 Hasen. Das war nicht viel, aber immerhin gab es ein bisschen Fleisch. Ich hatte auch tatsächlich ein paar Beißer in den Kopf getroffen. Wobei ich mir nicht sicher war, ob das nun gekonnt oder nur Glück war. Meistens traf ich in die Schulter oder in den Brustbereich. Doch morgen würde ich wieder in den Wald gehen und üben. Daryl war ein guter Lehrer. Sehr schweigsam und ein bisschen grummelig, aber er wusste genau, worauf es ankam.
Diesmal ging ich vor. Ich hatte Daryl darum gebeten, musste ich doch die Umgebung von Alexandria auch kennenlernen und mir einprägen. Ich hielt nach auffälligen Punkten und Markierungen Ausschau. Dinge, die ich wiedererkennen würde.
„Verfluchte Scheiße" fluchte Daryl mit einmal los und erschrocken drehte ich mich zu ihm um, doch er war nicht mehr da.
„Was...?" aus den Augenwinkeln vernahm ich Bewegungen und schaute nach oben. Daryl hing kopfüber an einem Baum. Um sein Fuß war eine Seilschlinge, die ihn festhielt. Er hing mindestens zwei Meter über der Erde, wenn nicht sogar drei Meter. Er würde sich sicher etwas brechen, wenn er jetzt runterfiel.
„Du musst zurückgehen. Es wird bald dunkel. Ich komm schon klar" rief Daryl mir da zu.
„Vergiss es. Ich lass niemanden zurück. Außerdem würdest du erfrieren" erklärte ich bestimmend und schaute mir den Baum an. Ich würde ihn problemlos hochkommen, aber ob ich Daryl halten konnte? Das wage ich zu bezweifeln.
„Wie weit ist es noch bis nach Alexandria?" erkundigte ich mich.
„Etwa zwei Stunden schätze ich. Traust du dir zu, dass du den Weg alleine zurückfindest?" fragte er mich.
„Ehrlich gesagt...nein. Nicht auf Anhieb. Es würde sehr viel länger dauern. Zu lange" erwiderte ich geknickt.
„Ich versuche das Seil durchzuschneiden" meinte er, zog sein Messer aus seinem Gurt und versuchte an seinem Fuß ranzukommen, doch das gestaltete sich schwieriger, als es aussah. Mittlerweile hing er sicher schon an die 30 Minuten dort.
„Und wenn ich versuche, dich hochzuziehen?" fragte ich ihn und deutete auf den Ast, an dem er hing. Ungläubig schaute er mich an. Ich wollte seine Antwort gar nicht abwarten und kletterte den Baum hoch. Das habe ich früher schon immer gerne getan und von oben alles beobachtet. Ich setzte mich oben breitbeinig auf den Ast und verschränkte unter diesem meine Füße, um besseren Halt zu haben. Dann griff ich nach dem Seil.
„Schneide es einfach durch. So hoch ist es nun auch wieder nicht" meinte er und nun sah ich ihn ungläubig an.
„Du könntest dir sämtliche Knochen brechen" erwiderte ich zweifelnd und fing an, am Seil zu ziehen. Scheiße, war das schwer. Noch viel schwerer, als ich dachte. Doch ich biss meine Zähne zusammen und zog aus Leibeskräften. Ich spürte durch meine dünnen Handschuhe hindurch, wie das Seil auf meiner Haut scheuerte, doch ignorierte ich diese Tatsache. Ich zog und zog, doch es rührte sich nicht wirklich viel.
„Scheiße" fluchte ich und ließ das Seil wieder los, „Wir brauchen eine andere Lösung" meinte ich grübelnd, doch es kam keine Antwort.
„Daryl?" rief ich leise und schaute zu ihm herunter. Seine Augen waren geschlossen und sein Gesicht nahm langsam eine rötliche Farbe an. Er war Bewusstlos, schoss es mir durch den Kopf. Ich fackelte nicht lange und zog mein Messer.
„Verzeih mir" murmelte ich leise, während ich das Seil durchtrennte, bis er kopfüber herunterfiel. Der Sturz selber sah schon verdammt schmerzhaft aus und ich betete, dass er sich nicht ernsthaft verletzt hat. Flink kletterte ich den Baum hinab und hockte mich zu Daryl.
„Daryl?" flüsterte ich leise und schaute mir seinen Kopf an. Er hatte eine Platzwunde an der Stirn, mehr konnte ich auf den ersten Blick nicht erkennen. Ich zog meine Jacke aus und legte ihm diese vorsichtig unter seinem Kopf. Dann holte ich Verbandsmaterial aus meinem Rucksack und säuberte seine Wunde. Anschließend klebte ich ihm ein großes Pflaster drauf. Zum Glück war die Wunde nicht tief, aber er hat sicher eine Gehirnerschütterung davongetragen. Ich leerte meinen Rucksack aus und legte diesen vor dem Baum. Vorsichtig griff ich unter seine Achseln und zog ihn unter den Baum. Halb an den Baum lehnend, aber auf dem Rucksack sitzend. Nun deckte ich ihn mit meiner Jacke zu. Er musste schnell wieder aufwachen, sonst würde er sehr schnell auskühlen. Ich überlegte, ob ich ein kleines Feuer riskieren sollte und entschied mich dann dagegen. Ich würde nicht genug trockenes Holz finden und feuchtes qualmte zu sehr.
Aus der Ferne vernahm ich leise den knirschenden Schnee und das nur allzu bekannte Röcheln. Ich hoffte, sie würden weiterziehen, doch sie kamen genau auf uns zu. Ich stellte mich so hin, dass ich Daryl im Blick hatte und kümmerte mich nach und nach um die Beißer. Es waren zum Glück immer nur ein oder zwei gleichzeitig, die schaffte ich problemlos. Aber es durften auf keinen Fall mehr werden.
So verging Stunde um Stunde. Es war mittlerweile mitten in der Nacht. Wachsam tötete ich Beißer um Beißer und betete gleichzeitig, dass Daryl bald aufwachte. Seine Hose war schon lange durchgeweicht und er fühlte sich so kalt an. Viel zu kalt. Die Nacht würde er so nicht überleben...
Fieberhaft überlegte ich, was ich tun konnte. Ich zog mir mein Sweatshirt und mein Shirt aus, dann zog ich nur mein Sweatshirt wieder an. Ich schob neben Daryl seinen Beinen den Schnee beiseite und legte mein Shirt auf den Boden. Ich packte das Verbandsmaterial darauf und auch meine Handschuhe. Dann zündete ich alles mit meinem Feuerzeug an. Es würde nicht lange brennen, aber ihm kurzzeitig etwas Wärme spenden. Wärme, die er so dringend benötigte.
„Komm schon Daryl. Ich weiß, du bist ein harter Hund. Wird Zeit, dass du mir das beweist" rief ich Daryl zu und hielt wieder Ausschau nach Beißern.
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