Willkommen in Morioh (Part 2)
Das Gepäck fest in ihrer Hand und mit einem Dauerlächeln, was stetig auf ihrem Gesicht verweilte, machte Lara Tsuchinai ihre ersten Schritte. Die ersten Schritte in ein neues, zuversichtliches und glückerfülltes Leben. Dies klingt nach einem perfekten Anfang oder einem nahezu perfekten Ende für eine Geschichte – aber dies hier war erst der Anfang eines bizarren Abenteuers.
Mit einem schnellen Blick auf die Adresse, welche auf einem zerknitterten Notizzettel notiert war, ging die 20-Jährige voran und hielt Ausschau nach einem Stadtplan oder nach einer Geschäftsstelle, die ihr zumindest eine Wegbeschreibung oder Stadtkarte geben konnte. Der frühe Morgen hatte die Straßen in einen feinen Nebelschleier gehüllt, der die Konturen der Gebäude sanft verwischte.
»Vielleicht ist hier auch irgendwo ein Taxi in der Nähe... das wäre zumindest ganz praktisch«, merkte die Blondine bei ihrer Spurensuche an und ließ ihren Blick durch die noch verschlafenen Straßen wandern. Die wenigen Passanten, die ihr begegneten, schienen sie mit einer Mischung aus Neugier und Zurückhaltung zu mustern.
Ziellos irrte Lara also durch die Straßen, wobei ihre Augen sich dann vor positiver Überraschung weiteten, als ihr ein großer Stadtplan ins Auge fiel. »Ah! Ein Stadtplan!«, stieß sie freudig aus und beschleunigte ihren Schritt etwas, als sie das Objekt aus der Ferne ausmachen konnte. Das Glas der Anzeigetafel reflektierte das Morgenlicht wie ein matter Spiegel. »Wäre auch komisch gewesen, wenn in der Nähe vom Bahnhof keiner gewesen wäre.«
Die Absätze ihrer Schuhe klackerten rhythmisch auf dem Pflaster, während sie näher an den Stadtplan herantrat. Ein kühler Windhauch ließ sie kurz frösteln, trug aber auch den süßlichen Duft frisch gebackener Brötchen aus einer nahen Bäckerei heran.
Ihre Taschen raschelten unter ihren Bewegungen und passten sich ihren flinken Bewegungen an, während sie weiterhin auf den Plan zusteuerte. Doch plötzlich zuckte die Blondhaarige heftig zusammen, als sie einen stechenden Schmerz in ihrem Rücken wahrnahm und auf der Stelle stehen blieb. Mit einem Mal sackte sie auf dem Boden zusammen, während sich ein hastiges Keuchen in ihrer Kehle breitmachte und der Schmerz rasant zunahm.
»A-ah...«, stöhnte sie vor Schmerz, während sie sich auf dem rauen Pflaster krümmte und bemerkte, wie sich die Peinen weiter ausbreiteten. Die kalten Steine unter ihr bildeten einen grausamen Kontrast zu der brennenden Qual in ihrem Körper. Ihr Blick richtete sich starr auf den Boden vor sich, während sich unwillkürlich Tränen in ihren Augen breit machten und ihre Wangen hinunter liefen. Die Schmerzen zogen sich von ihrem Rücken in ihre Magengrube und ließen die junge Frau weiterhin aufjammern.
Schluchzend fasste sich die Blondhaarige an ihren Bauch, wobei sie eine feuchte Wärme bemerkte, die sie für einen Moment einfrieren ließ. Die Zeit schien stillzustehen, während der morgendliche Nebel sich wie ein Schleier um sie legte. Zitternd hob sie ihre Hand vorsichtig an und bemerkte, dass diese mit einer roten Flüssigkeit übersät war. Geschockt starrte sie auf ihre Hand, während sie in diesem Moment realisierte, dass Blut an ihrer Hand klebte. Doch nicht etwa ihr eigenes?
Der süßliche Duft der Bäckerei von eben wurde von einem metallischen Geruch überlagert, der ihr die Kehle zuschnürte. Die wenigen frühen Passanten schienen wie vom Erdboden verschluckt – die Straße lag plötzlich in gespenstischer Stille da.
Qualvoll kämpfte Lara gegen den Schwindel an, welcher sich mit einem Schlag breit machte und ihr die klare Sicht versperrte. Die Straße vor ihren Augen verschwamm zu einem wirbelnden Kaleidoskop aus Grau- und Brauntönen. Ein angestrengtes Husten drang aus ihrer Kehle, bevor sie endgültig das Bewusstsein verlor und dann mit dem Kopf auf dem Boden stieß.
Ein neues, zuversichtliches und glückliches Leben... diese Worte hallten wie bitterer Spott durch ihre schwindenden Gedanken, während die Dunkelheit sie verschlang.
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»Alter Verwalter, zum Glück sind wir noch rechtzeitig angekommen!«, ertönte eine raue, aufgeweckte Stimme, die Lara fremd war. Die Worte hämmerten lautstark in ihren Ohren und erschienen ihr tausend Mal lauter als gewöhnlich. Ein leiser Tinnitus mischte sich unter das Gespräch, während der kühle Morgennebel sich langsam über den Straßen von Morioh lichtete. »Ja, das war echt eng!«, stimmte eine weitere, etwas dunklere Stimme zu, welche genauso laut wie die andere klang.
Die 20-Jährige verzog runzelnd die Stirn, als die Worte in ihrem Kopf hämmerten. Das raue Pflaster drückte unangenehm gegen ihren Rücken, während der metallische Geruch von Blut noch schwach in der Luft hing. Vorsichtig öffneten sich ihre schweren Lider – sie regte sich langsam – während immer noch leichte Schmerzen in ihrem Brustbereich vorhanden waren.
»Yo, Josuke! Sie kommt zu sich!«, rief die hellere Stimme dann wieder aus, welche Lara nun auch langsam ein Gesicht zuordnen konnte. Ein Jugendlicher in dunkelblauer Schuluniform und einem vernarbten Gesicht fiel ihr direkt ins Auge. Die Haare kurz und nach oben frisiert, während seine Iriden vor Aufregung geweitet waren. Seine ganze Körperhaltung strahlte eine Mischung aus nervöser Energie und unbeholfener Sorge aus. Die frühe Morgensonne warf lange Schatten über sein vernarbtes Gesicht. Sofort kniff die Blondhaarige ihre Augen wieder zusammen, als das grelle Licht sie blendete.
Und plötzlich legte sich ein wohltuender Schatten über sie. Wieder wagte Lara einen Versuch und öffnete die Augen, wobei sie nun in das Gesicht eines anderen Jugendlichen blickte. Dies schien wohl der andere Gesprächspartner mit der dunkleren Stimme zu sein. Ozeanblaue Augen trafen auf ihre grau-blauen Augen, während eine besorgte Miene, welche Stirnrunzeln aufwarf, ihren Anblick musterte. Die aufwändig gestylte Pompadour-Frisur warf einen schützenden Schatten über ihr Gesicht, während entfernt das Rauschen vorbeifahrender Autos zu hören war.
»Hey, alles in Ordnung mit dir?«, fragte der Dunkelhaarige mit einer Mischung aus Coolness und aufrichtiger Besorgnis, während er ihren Oberkörper vorsichtig stützte.
Die Angst und Verwirrung der letzten Minuten ließen langsam nach, ersetzt von einer seltsamen Mischung aus Erleichterung und Unbehagen. Zögernd versuchte die 20-Jährige zu Wort zu kommen und blinzelte kurz. Die Buchstaben lagen zwischen ihren trockenen Lippen, wobei es ihr schwer fiel, die Töne aus sich herauszubekommen. Ein kurzes Räuspern wendete das Blatt. »Mir... tut alles weh...«, presste sie angestrengt heraus und strich sich einen Teil ihres Ponys hinters Ohr, ihre Hand zitterte dabei leicht.
»Boah, krass! Da hast du aber echt Schwein gehabt, dass dich der Pfeil nicht umgebracht hat!«, platzte es aus dem Jungen mit dem vernarbten Gesicht heraus, seine Arme wild gestikulierend.
»Aber keine Sorge! Ich und Josuke waren zur Stelle!« Seine unbeholfene, aber gutmütige Art stand in starkem Kontrast zu der ruhigen Präsenz seines Freundes. Ein warmer Windhauch wehte den Duft frisch gemähten Grases von einem nahen Vorgarten herüber.
Verwirrt runzelte die Blondhaarige die Stirn, während sie versuchte, sich aufzusetzen. Der dumpfe Schmerz in ihrem Rücken ließ langsam nach, aber die Verwirrung über die Situation wuchs mit jedem Moment. »Keine Sorge«, erwiderte Josuke mit einem zuversichtlichen Lächeln, während er ihr half, sich aufzurichten. »Ich hab dich bereits geheilt. Der Schmerz sollte gleich ganz verschwunden sein.«
»Geheilt?«, wiederholte sie schwach und stützte sich vorsichtig mit den Händen auf dem rauen Pflaster ab. »Und... von welchem Pfeil sprichst du eigentlich?«, wandte sie sich dann an Okuyasu, dessen Augen sich vor Überraschung weiteten.
Der vernarbte Jugendliche trat näher an seinen Freund heran und senkte die Stimme zu einem Flüstern, während er seine Lippen hinter seiner Hand versteckte: »Oi, Josuke! Sie hat den Pfeil überlebt! Weißt du, was das bedeutet?« Seine Augen funkelten vor Aufregung, während er bedeutungsvoll nickte.
»Hmm...«, murmelte Josuke, während er einen prüfenden Blick auf die verwirrte junge Frau warf. »Wenn sie den Pfeil überlebt hat...« Er ließ den Satz unvollendet in der kühlen Morgenluft hängen.
»Dann ist sie jetzt bestimmt auch ein Standmaster!«, platzte es aus Okuyasu heraus, diesmal etwas zu laut für ein Geflüster. Er schlug sich hastig die Hand vor den Mund und sah sich um, als hätte er ein gut gehütetes Geheimnis verraten. »O' kacke!«, entkam ihm ein leiser Fluch, den nur sein Freund und die blondhaarige junge Dame mitbekamen.
Lara, die auf dem Boden saß und die seltsame Unterhaltung der beiden verfolgte, spürte wie sich ihre Verwirrung in leichte Frustration verwandelte. Die nebelverhangene Straße um sie herum schien sich zu drehen, während sie versuchte, einen Sinn in den Worten der Jugendlichen zu finden. »Wovon... redet ihr da? Was ist ein Standmaster?«
Die beiden Jungen tauschten einen vielsagenden Blick aus. »Sollen wir...?«, begann Okuyasu zögernd, während er nervös von einem Fuß auf den anderen trat.
Josuke nickte langsam, sein Gesichtsausdruck wurde ernst. »Ich denke, wir müssen es ihr zeigen. Sonst bekommt sie noch Probleme, wenn sie auf andere Standmaster trifft.«
»Pass auf«, sagte Josuke ruhig und machte einen vorsichtigen Schritt zurück. Seine Schuluniform raschelte leise bei jeder Bewegung. Die Luft um ihn herum begann zu flimmern, als würde die Morgensonne auf heißem Asphalt tanzen. Und dann materialisierte sich etwas hinter ihm – eine große, humanoide Gestalt in schimmerndem Rosa und Silber, die majestätisch über ihm schwebte. »Das ist Crazy Diamond, mein Stand. Mit ihm habe ich dich geheilt.«
Laras Augen weiteten sich in blankem Entsetzen. Mit zitternden Händen kroch sie einen Schritt rückwärts über das raue Pflaster, während ihr Herz wie wild gegen ihre Rippen hämmerte.
»W-was... was ist das für ein Ding?!«, keuchte sie panisch. Sie versuchte, mehr Abstand zwischen sich und die erscheinende Gestalt zu bringen. »Das... das kann nicht echt sein! Sowas gibt es nicht!«
»Oi, oi! Keine Panik!«, rief Okuyasu und wedelte wild mit den Händen. »Crazy Diamond ist echt harmlos! Also, meistens...« Er verstummte, als Josuke ihm einen scharfen Blick zuwarf, der keine Widerrede duldete.
Die morgendliche Stille wurde nur von Laras heftigem Atmen unterbrochen, während sie mit geweiteten Augen zwischen den beiden Jugendlichen und der schwebenden Gestalt hin und her blickte. Kleine Schweißperlen bildeten sich auf ihrer Stirn, glitzerten im Morgenlicht wie winzige Diamanten. »Ich... ich verstehe das nicht«, flüsterte sie mit brüchiger Stimme. »Was ist hier los?«
Vorsichtig hob der Jugendliche mit der Pompadour-Frisur seine beiden Hände in die Höhe.
»Hör zu«, begann Josuke in beruhigendem Ton, während er Crazy Diamond langsam wie Morgennebel verblassen ließ. »Ich weiß, das ist alles sehr verwirrend, aber versuch bitte, ruhig zu bleiben.« Er ging vorsichtig in die Hocke, das Pflaster knirschte leise unter seinen Schuhen, um auf Augenhöhe mit der noch immer zitternden Lara zu sein. Ein warmes, verständnisvolles Lächeln lag auf seinen Lippen.
»Stands sind... naja, quasi die Manifestation unserer Seelenkraft«, erklärte er, während er nach den richtigen Worten suchte. »Sie sind wie unsichtbare Beschützer, die nur andere Standnutzer sehen können.«
»Genau!«, warf Okuyasu ein, der vor Aufregung kaum stillstehen konnte. »Und jetzt, wo du von dem Pfeil getroffen wurdest und überlebt hast, hast du wahrscheinlich auch einen! Das ist echt krass!« Seine Narben verzogen sich, als sich ein breites Grinsen auf seinem Gesicht ausbreitete.
Lara schlang die Arme fest um sich selbst, ihr Blick unsicher zwischen den beiden hin und her wandernd wie ein verängstigtes Reh. Die kühle Morgenluft ließ sie frösteln – oder war es die Erkenntnis, dass ihre Welt gerade komplett auf den Kopf gestellt wurde? Ihre Finger strichen nervös über den rauen Stoff ihrer Jackenärmel. »Seelenkraft? Stands?«, murmelte sie ungläubig. »Das... das klingt wie aus einem Manga...«, stellte sie fest, während sich ihr Blick auf dem Pflaster verfestigte.
20 Jahre jung, gerade neu in eine Kleinstadt gezogen, die Taschen noch gepackt mit all ihren Hoffnungen und Träumen. Und nun wird Lara Tsuchinai erklärt, dass sie eine Manifestation ihrer Seelenkraft besitzt, die sie beschützt. Das pochende Herz in ihrer Brust schrie: Totaler Quatsch!
Sie schluckte schwer, während sie versuchte, ihre zitternde Stimme unter Kontrolle zu bringen. »Ihr meint also, diese... diese Erscheinung, die ich gerade gesehen habe, ist real? Und ich... ich soll jetzt auch so etwas haben?« Die Worte fühlten sich fremd auf ihrer Zunge an, als würde sie eine Sprache sprechen, die sie nie gelernt hatte.
»Tja, willkommen im Club!«, grinste Okuyasu breit und hob die Schultern, was ihm einen weiteren mahnenden Blick von Josuke einbrachte, dessen Augen sich leicht verengten.
Der Morgennebel um sie herum begann sich zu lichten, aber in Laras Kopf herrschte noch immer dichter Nebel. Sie wollte den beiden glauben, wollte verstehen, was geschah, aber ihr rationaler Verstand sträubte sich gegen jedes Wort wie ein störrisches Kind. »Ich... ich brauche einen Moment«, flüsterte sie, während ihre Finger sich fester in den Stoff ihrer Jacke krallten, kleine Falten im Material hinterlassend. »Das ist alles... zu viel.«
Josuke richtete sich langsam auf, seine Gelenke knackten leise bei der Bewegung. Er trat einen Schritt zurück, seine polierten Schulschuhe glänzten im Morgenlicht, während er ihr den Moment gab, den sie brauchte.
Nach einem Augenblick der Stille, hob Lara zögernd den Kopf. Eine einzelne blonde Strähne fiel ihr ins Gesicht. »Du sagtest, dein... dein 'Stand' hat mich geheilt?«, ihre Stimme war noch immer unsicher, aber die pure Panik war einer vorsichtigen Neugier gewichen. »Können das alle diese... Stands?«
»Nein«, erklärte Josuke und schüttelte den Kopf, seine perfekt frisierte Pompadour bewegte sich dabei keinen Millimeter. »Jeder Stand ist einzigartig. Crazy Diamond kann Dinge und Menschen heilen oder reparieren. Das ist seine spezielle Fähigkeit.« Seine Stimme trug einen Hauch von Stolz.
»Genau!«, platzte Okuyasu dazwischen und schob sich vor den Dunkelhaarigen, seine Schuhe scharrten über das Pflaster. Er ging einige enthusiastische Schritte auf Lara zu. »Mein The Hand zum Beispiel kann Dinge ausradieren! Willst du's sehen?« Er hob enthusiastisch seine rechte Hand und lächelte sie mit einer Mischung aus kindlichem Stolz und unbändiger Begeisterung an, seine Augen leuchteten dabei wie polierte Murmeln.
»Okuyasu!«, ermahnte Josuke ihn scharf, seine Stimme schnitt durch die Morgenluft wie ein Messer. »Nicht jetzt. Das ist vielleicht... etwas zu viel auf einmal«, fügte er hinzu und wandte seinen Blick leicht zur Seite ab.
»Oh... stimmt, sorry!«, murmelte Okuyasu verlegen und rieb sich den Nacken. Seine Wangen färbten sich in einem tiefen Rotton, während er einen unbeholfenen Schritt zurücktrat. Die Spitzen seiner Ohren glühten vor Verlegenheit. »Manchmal bin ich echt nicht die hellste Leuchte auf dem Kuchen, was?« Er lachte nervös und steckte seine Hände tief in die Taschen seiner Schuluniform.
Lara saß noch immer auf dem rauen Pflaster, ihre Finger unbewusst über die Stelle streichend, wo vor wenigen Minuten noch eine Wunde gewesen war. Ihr Kopf schwirrte von all den unglaublichen Informationen, die sie zu verarbeiten versuchte. Die Realität, die sie gekannt hatte, schien sich wie ein Kartenhaus aufzulösen, ersetzt durch eine Welt voller übernatürlicher Kräfte und mysteriöser Fähigkeiten.
Über ihnen zog eine einzelne Wolke vorüber, während die Stadt um sie herum langsam zum Leben erwachte - unwissend über die außergewöhnlichen Ereignisse, die sich gerade auf einer ihrer ruhigen Straßen abspielten.
»Hey«, sagte Josuke und streckte ihr seine Hand entgegen. »Der Boden ist echt kalt. Lass mich dir hochhelfen.« Seine direkte, aber freundliche Art spiegelte sich in seinem offenen Gesichtsausdruck wider, während er wartend vor ihr stand.
Mit noch immer zitternden Fingern ergriff Lara Josukes angebotene Hand. Seine Hilfe war überraschend sanft, als er sie auf die Beine zog. Das raue Pflaster hatte kleine Abdrücke auf ihren Handflächen hinterlassen. Ihre Knie fühlten sich wackelig an wie die eines neugeborenen Rehs, aber sie schaffte es, ihr Gleichgewicht zu halten.
»Ähm... danke«, murmelte sie und klopfte sich den Staub von ihrer Kleidung. Dann griff sie in ihre Jackentasche und zog einen leicht zerknitterten Zettel hervor, den sie hastig glatt zu streichen versuchte. »Da ihr beiden von hier seid... kennt ihr vielleicht diese Adresse?« Ihre Stimme war noch immer unsicher, aber sie zwang sich, die beiden Jugendlichen anzusehen. Nach all dem Übernatürlichen wäre es eine Erleichterung, wenigstens ihr neues Zuhause zu finden.
»Mal sehen...«, sagte der 17-Jährige und beugte sich vor, um die handgeschriebene Adresse zu lesen, seine Pompadour warf einen Schatten auf das Papier. Seine Stirn legte sich in Falten, während er die Lippen lautlos bewegte. »Kommt mir irgendwie bekannt vor...«
»Oi, lass mal sehen!«, rief Okuyasu und schnappte sich den Zettel so enthusiastisch, dass er ihn fast zerriss. Josuke zuckte zusammen, bereit, das Papier notfalls mit Crazy Diamond zu reparieren. Okuyasus Augen wanderten wild über die Adresse, während er den Zettel näher an sein vernarbtes Gesicht hielt. »Warte mal! Das ist doch...« Er kratzte sich am Kopf, die Uniform knisterte bei der Bewegung. Seine Miene hellte sich plötzlich auf, als hätte jemand einen Schalter umgelegt. »Das ist das alte Haus neben dem Supermarkt! Du weißt schon, Josuke, das mit dem merkwürdigen Garten!«
»Ach das!«, Josuke schnippte mit den Fingern, seine Augen leuchteten auf. »Stimmt, das stand ewig zum Verkauf. War echt günstig, oder?« Er warf Lara einen wissenden Blick zu.
Der Jüngere grinste breit, seine ganze Haltung sprühte vor Aufregung. »Das heißt ja...« Er drehte sich so schnell zu Lara um, dass seine Uniformjacke durch die Luft wirbelte. »Du bist unsere neue Nachbarin!« Seine Stimme überschlug sich fast vor Begeisterung. »Das ist total praktisch! Falls du mal Hilfe brauchst oder... naja, du weißt schon...« Er deutete vielsagend in die Luft, offensichtlich auf die übernatürlichen Ereignisse anspielend.
Josuke verdrehte die Augen ob der wenig subtilen Geste seines Freundes, konnte aber ein leichtes Grinsen nicht unterdrücken. »Der Supermarkt ist übrigens echt gut«, fügte er hinzu, in dem Versuch, etwas Normalität in das Gespräch zu bringen. »Und die Gegend ist... meistens ruhig.«
»Könnt ihr mir vielleicht den Weg beschreiben?«, fragte Lara hoffnungsvoll und strich sich eine blonde Strähne hinters Ohr. Der Morgenwind hatte ihre Frisur ziemlich durcheinander gebracht.
»Klar!«, nickte Okuyasu eifrig. »Also, du gehst hier geradeaus bis zur...« Er deutete vage die Straße hinunter, während seine Stirn sich in Falten legte. »Ähm, Josuke, war da nicht diese eine Kreuzung mit dem...«
»Nein, nein«, unterbrach Josuke und schüttelte den Kopf, seine Pompadour perfekt in Form bleibend. »Du musst zuerst rechts bei dem Laden mit den grünen Markisen, dann...« Er hielt inne und rieb sich das Kinn. »Oder war das der mit den roten?«
»Ach! Und dann bei der Ampel links!«, warf der Schüler ein, wild mit den Armen gestikulierend.
Lara verfolgte den chaotischen Austausch mit wachsender Verwirrung, ihr Kopf wanderte zwischen den beiden hin und her wie bei einem Tennisspiel. Die Wegbeschreibung wurde mit jedem Versuch komplizierter und verwirrender.
»Wartet«, unterbrach sie schließlich das Chaos und schüttelte ihre beiden Händen, während sie die zwei musterte. »Vielleicht... könntet ihr es mir einfach zeigen?« Sie zögerte kurz. »Also, wenn das keine Umstände macht.«
Die beiden Jugendlichen tauschten einen schnellen Blick aus.
»Klar, kein Problem!«, grinste Okuyasu breit und warf dann selbstsicher ein: »Wir kennen hier eh alle Abkürzungen!«
»Stimmt«, pflichtete Josuke bei und steckte lässig die Hände in die Taschen seiner Schuluniform. »Ist ja quasi auf unserem Weg.«
Während sie die morgendlichen Straßen von Morioh entlang gingen, ihre Schritte auf dem Pflaster hallend, wagte die Blondhaarige es endlich, die Frage zu stellen, die ihr seit dem Vorfall keine Ruhe ließ. Ihre Finger streiften unbewusst über die Stelle an ihrer Brust, wo vor kurzem noch der stechende Schmerz gewesen war.
»Dieser Pfeil...«, begann sie zögernd, ihre Stimme leiser als beabsichtigt. »Was hat es damit auf sich? Ich spürte auf einmal diesen furchtbaren Schmerz und...« Sie schluckte schwer, die Erinnerung noch zu frisch. »Wer... wer hat ihn überhaupt geschossen?«
Josuke und Okuyasu tauschten einen bedeutungsvollen Blick aus. Die Morgensonne tauchte die Häuserfronten in warmes Licht.
»Das ist 'ne ziemlich lange Geschichte«, antwortete der Dunkelhaarige vorsichtig, während er seine Schritte verlangsamte. Seine Hand fuhr nachdenklich durch seine Pompadour. »Der Pfeil ist... besonders. Er wählt Menschen aus, die das Potenzial für einen Stand haben.«
»Aber viele überleben den Pfeil nicht«, platzte der Jüngere heraus und kickte einen kleinen Stein über das Pflaster. »Du musst echt stark sein, wenn du's überlebt hast!« Seine Narben verzogen sich, als er anerkennend nickte.
»Warte...«, Lara blieb abrupt stehen, ihre Augen vor Schreck geweitet. »Man kann daran sterben? Ihr meint, ich hätte...« Die Erkenntnis traf sie wie ein Schlag, ihre Knie wurden weich.
»Hey, alles okay!«, Josuke griff schnell nach ihrem Arm, um sie zu stützen und hinter sich her zu ziehen. »Du hast es ja geschafft. Der Pfeil hat dich als würdig ausgewählt.«
»Aber wer...?«, ihre Stimme zitterte leicht. »Wer schießt so etwas auf unschuldige Menschen?«
Die beiden Jugendlichen tauschten erneut einen Blick aus, diesmal ernster.
»Yoshihiro Kira ist sein Name...«, sagte Josuke schließlich, seine Stimme hatte einen grimmigen Unterton angenommen. »In letzter Zeit gab es mehrere... Vorfälle.«
Die Blondhaarige spürte, dass die beiden mehr wussten, als sie preisgaben, aber die ernsten Mienen der sonst so ausgelassenen Jugendlichen hielten sie davon ab, weiter nachzufragen.
»Oi, Josuke«, murmelte Okuyasu und zog seinen Freund ein Stück zur Seite, während Lara ein paar Schritte vor ihnen ging. »Meinst du, wir sollten ihr von dem anderen Kira erzählen? Der Typ ist echt gefährlich.« Seine Stimme war ungewöhnlich ernst, die Narben in seinem Gesicht wirkten im Schattenwurf der Morgensonne tiefer.
Josuke trug einen nachdenklichen Ausdruck auf dem Gesicht und hielt inne. »Noch nicht«, antwortete er leise, den Blick auf Lara gerichtet. »Sie hat heute schon genug durchgemacht. Das mit dem Pfeil und den Stands ist erstmal genug.« Er wartete einen Moment ab, ehe er dann fortfuhr: »Außerdem müssen wir erst selbst herausfinden, wo Kira sich aufhält.«
»Oh!«, rief der Jugendliche mit den Dollarzeichen auf seiner Uniform plötzlich aus, seine Stimme wieder zu ihrer gewohnten Lautstärke zurückkehrend. »Da vorne ist es!« Er deutete auf ein traditionelles japanisches Haus, das sich zwischen den anderen Gebäuden erhob. Der verwilderte Vorgarten war von einer alten Steinmauer umgeben, über die sich wilder Wein rankte.
»Das ist es also«, murmelte die 20-Jährige, während sie durch das leicht quietschende Gartentor trat. Der Kiesweg knirschte unter ihren Füßen, während hohe Gräser im Morgenlicht tanzten. Das Haus selbst hatte etwas Geheimnisvolles an sich, mit seinem leicht verwitterten Holz. Ein alter Kirschbaum warf bewegte Schatten auf die Veranda.
»Die Gegend ist echt nett«, bemerkte Josuke und ließ seinen Blick über die Nachbarhäuser schweifen. »Und der Supermarkt ist nicht weit.«
»Genau!«, fügte Okuyasu enthusiastisch hinzu und deutete die Straße hinunter. »Falls du mal was brauchst oder... naja, Hilfe mit deinem Stand und so...« Er verstummte, als ihm Josuke einen mahnenden Blick zuwarf.
Lara drehte sich zu den beiden um, ein warmes Lächeln erhellte ihr Gesicht. »Danke, dass ihr mir den Weg gezeigt habt«, sagte sie aufrichtig und ließ ihren Blick über den verwilderten Garten schweifen. Die Morgensonne brach durch die ungepflegten Äste des Kirschbaums. »Auch wenn hier noch einiges zu tun ist... der Garten ist total zugewuchert, und am Haus müsste auch...«
»Oi! Da können wir helfen!«, platzte es aus dem jüngeren Nijimura-Bruder heraus, bevor Josuke ihn bremsen konnte. »Crazy Diamond könnte das Haus im Handumdrehen...« Er verstummte, als ihm bewusst wurde, dass er schon wieder zu enthusiastisch war.
»Was er meint ist...«, übernahm der Blauäugige mit einem nachsichtigen Grinsen, »...dass du nicht alles alleine machen musst. Die Nachbarschaft hier hält zusammen.« Seine Hand fuhr automatisch zu seiner perfekt frisierten Pompadour.
»Das ist wirklich nett von euch«, erwiderte die 20-Jährige und strich sich eine blonde Strähne hinters Ohr. Sie zögerte kurz, dann hellte sich ihr Gesicht auf. »Hey, wisst ihr was? Wenn ihr mal einen Rat braucht, oder... naja, jemanden zum Reden, oder Hilfe bei Hausaufgaben... könnt ihr gerne vorbeikommen.« Sie lachte leise. »Als kleine Entschädigung sozusagen. Immerhin habt ihr mir heute vermutlich das Leben gerettet.«
»Hausaufgaben?«, Okuyasus Augen leuchteten auf, was ihm einen amüsierten Seitenblick von Josuke einbrachte. »Das ist echt cool von dir! Nicht wahr, Josuke?«
»Definitiv«, nickte Josuke, während er einen schnellen Blick auf seine Armbanduhr warf. Das Fehlen des morgendlichen Schulunterrichts schien ihm plötzlich wieder einzufallen. »Wir sollten dann mal...«
»Oh, stimmt!«, rief Lara erschrocken. »Ihr müsstet ja eigentlich in der Schule sein! Tut mir echt leid, dass ich...«
»Ach was«, winkte Josuke lässig ab. »War wichtiger.« Er deutete mit einem Kopfnicken auf ihre Brust, wo der Pfeil sie getroffen hatte. »Außerdem...«, fügte er mit einem schiefen Grinsen hinzu, »...sind wir jetzt quasi Nachbarn.«
»Dann... bis bald!«, verabschiedete sich die ehemalige Journalistin mit einem Winken. Die beiden Jugendlichen erwiderten die Geste, Okuyasu enthusiastisch mit beiden Armen, während Josuke ein lockeres Salutieren andeutete.
»Pass auf dich auf!«, rief Okuyasu noch, während sie sich bereits umdrehten. »Und meld dich, falls was ist!« Seine laute Stimme hallte durch die morgendliche Straße.
Lara beobachtete, wie die beiden sich entfernten, ihre dunklen Schuluniformen kontrastierten gegen das helle Morgenlicht. Josukes markante Frisur und Okuyasus energetische Gestik waren noch lange zu erkennen, bis sie schließlich um eine Ecke verschwanden.
Mit einem leisen Seufzen drehte sie sich zu ihrem neuen Zuhause um. Der verwilderte Garten, das alte Holz der Veranda – alles wartete darauf, von ihr entdeckt zu werden. Der Kirschbaum warf tanzende Schatten auf den Kiesweg, während sie langsam auf die Eingangstür zuging.
Ein neues Leben in Morioh. Es hatte anders begonnen, als sie es sich vorgestellt hatte. Viel anders. Ihre Hand glitt unbewusst zu der Stelle, wo der Pfeil sie getroffen hatte, während sie den traditionellen Schlüssel ins Schloss steckte.
Das leise Klicken der sich öffnenden Tür vermischte sich mit dem sanften Rauschen der Blätter im Morgenwind. Lara Tsuchinai trat über die Schwelle ihres neuen Zuhauses, nicht ahnend, dass dies erst der Anfang einer Reihe außergewöhnlicher Ereignisse in der scheinbar beschaulichen Stadt Morioh sein sollte.
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Vielen Dank fürs Lesen des zweiten Kapitels! Ich arbeite nebenbei noch an einer kleinen Spin-Off Serie zu dieser Fanfiction mit den selben Charakteren, die allerdings in Frankreich, Paris spielen wird. Es wird eine kurze Geschichte mit 6 Kapiteln oder so werden. Bleibt auf jeden Fall gespannt. Ich werde die Kapitel alle schon einmal vorschreiben und dann irgendwann veröffentlichen, wenn es sich anbietet.
Viel Gesundheit, Freude und nur das beste für euch meine Leser!
Eure Lara-chan!
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