Willkommen in Morioh! (Part 1)
»Ich habe dem Nichts weiter hinzuzufügen! Ab Morgen sind Sie entlassen!«, kündigte der Mann vor ihr im Sessel an, während er unruhig auf diesem herum rutschte und mühevoll ein Feuerzeug aus seiner Hosentasche zog. Sein breiter Körperbau erschwerte ihm diese simple Aktion sichtlich.
Entsetzt blickte die Blondhaarige ihren Chef an, während sich ihre Augen weiteten. Langsam nahmen sie einen glasigen Zustand an und bildeten kleine Tränen, die drohten, ihr unteres Augenlid zu verlassen. Ihr Herz pochte wild im Zweiertakt, als sie fester den Riemen ihrer Ledertasche umklammerte und vorsichtig einige Worte herauspresste: »Morgen schon?«
Sie schluckte schwer, bevor sie ihre nächsten Sätze zurecht legen und aussprechen konnte: »Soll ich den Artikel für nächste Woche denn noch für Sie fertigstellen?«
»Nicht nötig!«, fiel der Mann ihr am Ende des Satzes direkt ins Wort und zündete mithilfe seines Feuerzeuges, welches er nun endlich in die Hände bekommen hatte, die Zigarette an, die zwischen seinen gelblich verfärbten Zähnen steckte. »Ich habe Sagimoto bereits damit beauftragt!«, erklärte er, während der Tabak seiner Zigarette aufqualmte und der Rauch sich in der stickigen Luft verteilte. Ein wenig Asche fiel auf den polierten Schreibtisch, was der übergewichtige Mann mit einer nachlässigen Handbewegung zur Seite wischte.
Kurz machte ihr Chef eine wegwerfende Fächelbewegung in Richtung der Bürotür und fügte mit herablassendem Unterton hinzu: »Sie können Ihre Sachen zusammenpacken, Tsuchinai. Es gibt sicherlich haufenweise Agenturen, die Sie für Ihre kreativen Schreibarbeiten einstellen würden!« Er nahm die Zigarette zwischen die fleischigen Finger, während er den Qualm hustend ausstieß.
Von dem Spott ihres Chefs zutiefst gekränkt, machte Lara auf ihren hohen Absätzen kehrt und ließ den Klang des quietschenden Bodens auf sich wirken. »Gut, dann wünsche ich Ihnen und Ihrer Agentur noch viel Erfolg!«, fügte die Blondhaarige zum Abschied hinzu und presste die bebenden Lippen aufeinander. Ein stechender Schmerz machte sich in ihrer Brust bemerkbar, tief und brennend wie geschmolzenes Blei.
Dies war die größte Ablehnung, die sie jemals in ihrem Leben erfahren hatte, und sie traf sie mit der Wucht eines Vorschlaghammers.
Ihre Absätze klackten in einem gleichmäßigen Tempo über den Linoleumboden, was sich rapide steigerte und an das Ticken eines Kugelstoßpendels erinnerte. Die Blicke der Mitarbeiter verharrten irritiert auf ihrer Person und ihrem überhasteten Gang. Sie fühlte sich beobachtet, verachtet – wusste, dass bloß jeder so tat, als wüsste er nicht von ihrer Kündigung. Das leise Tuscheln hinter vorgehaltener Hand drang dennoch bis zu ihr vor.
Lara biss die Zähne zusammen und kniff die Augen zu, als sie die Tür zu ihrem Büro aufriss und diese dann mit einem lauten Knall hinter sich ins Schloss fallen ließ. »Scheiße! Was mach ich denn jetzt?!«, stieß sie verzweifelt hervor und ging vor der Tür in die Hocke, während sich schlagartig Tränen in ihren Augen bildeten und ungehindert ihre geröteten Wangen hinunterflossen. Der sorgfältig aufgetragene Mascara hinterließ dunkle Spuren auf ihrer blassen Haut.
Sie hatte es geschafft, nicht direkt im Flur zusammenzubrechen. All den aufgestauten Schmerz und die Demütigung ließ sie nun hier heraus. Allein, ungestört, sicher vor den verurteilenden Blicken der Arbeitskollegen, die von ihrem Schicksal bereits Kenntnis hatten.
»Tsuchinai-san, ist alles in Ordnung?«, ertönte dann die weiche und zugleich tiefe Stimme ihrer Bürokollegin Mei Jinnai, welche an ihrem Arbeitsplatz saß und besorgt sowie verdutzt zu der Blondhaarigen blickte. Lara verstummte augenblicklich und sah mit verweinten Augen und verlaufener Mascara auf, während sie die Rothaarige vor sich anstarrte. Das sanfte Tageslicht, das durch die großen Fenster fiel, ließ Meis kupferfarbenes Haar wie flüssiges Feuer erscheinen.
Sie schluckte schwer, bevor sie mit zittriger Stimme aufstand und hervorbrachte: »Ich hab ganz vergessen, dass du auch noch da bist...« Ihre Hände zitterten, als sie versuchte, die Tränenspuren von ihren Wangen zu wischen.
Vorsichtig richtete sich die 20-Jährige auf und strich sich mit einer groben Handbewegung die blonden Haarsträhnen hinters Ohr, woraufhin sie taumelnd auf ihren Arbeitsplatz zuging und sich mit einem schwerwiegenden Seufzen auf ihren Bürostuhl niederließ. »Möchtest du darüber reden?«, fragte Mei sie mit einem Hauch von Sorge in ihrer Stimme, die Augen sanft und nicht verurteilend. Lara atmete tief durch, versuchte sich zu beruhigen und ihren Atem unter Kontrolle zu bringen.
Ihr Blick fixierte sich auf ihren Computerbildschirm, die Tastatur und die ganzen Schreib- und Büroartikel an ihrem Arbeitsplatz, während sie begann, ihrer Arbeitskollegin die missliche Lage zu erläutern: »Matsuda-san hat mich gefeuert. Er sagte außerdem, dass meine "kreativen Schreibarbeiten" woanders sicherlich erwünscht wären.« Die Worte ihres ehemaligen Chefs hallten bitter in ihren Ohren nach, als wären sie ein Echo seiner jahrelangen Geringschätzung ihrer Arbeit.
Ihr Gegenüber lauschte der Erklärung, während sich ihre Stirn langsam runzelte und sie ihre eckige Halbrandbrille zurechtrückte. Das metallische Gestell glänzte im Licht der Neonröhren, als sie den Kopf leicht zur Seite neigte. »Da hat Matsuda-san auch recht!«, erwiderte Mei und blickte in das blasse Gesicht Laras, das sie mit geweiteten Augen musterte. Eine einzelne Träne hatte eine glänzende Spur auf Laras Wange hinterlassen, die im kalten Bürolicht wie ein feiner Silberfaden schimmerte.
Die Worte ihrer Kollegin trafen sie unerwartet. War das etwa Schadenfreude in Meis Stimme? Doch bevor sich die Enttäuschung in Laras Brust weiter ausbreiten konnte, legte sich ein warmes Lächeln auf Meis Lippen. Ihre dunkelbraunen Augen funkelten hinter den Brillengläsern mit einer Mischung aus Mitgefühl und... war das etwa Begeisterung?
»Deine Arbeiten sind viel zu kreativ für das Magazin, da hat er recht, aber das hat auch viele Kunden angezogen. Vielleicht eignest du dich besser als Autorin, Lektorin bei einem Verlag, oder als Szenaristin für Mangas!«, erklärte die Rothaarige, wobei sie dann mithilfe ihrer schlanken Finger einige Vorschläge auflistete. Die silbernen Ringe an ihrer Hand funkelten dabei im Neonlicht des Büros. Bei der Auswahlmöglichkeit, die Mei ihr gab, wurde Lara hellhörig, woraufhin sich ihre Laune merklich aufhellte, als würde ein Sonnenstrahl durch dunkle Wolken brechen.
»Als freie Schriftstellerin zu arbeiten wäre schon ein Träumchen...«, schwärmte die 20-Jährige vor sich hin und wurde letztendlich von ihren eigenen Worten überzeugt. Die Vorstellung, endlich ohne Einschränkungen schreiben zu können, ohne Matsudas ständige Kritik an ihrem Stil, ließ ihr Herz schneller schlagen.
Mit einem Ruck richtete sich Lara vom Bürostuhl auf und stützte die Hände auf der Tischplatte ab, woraufhin sie ihre Arbeitskollegin breit anlächelte und dann mit neugefundener Entschlossenheit beschloss: »Ja! Ich werde als freie Schriftstellerin arbeiten!«
Irritiert blickte die Rothaarige sie an und blinzelte bloß für einen Augenblick. Der plötzliche Enthusiasmus ihrer sonst so zurückhaltenden Kollegin schien sie zu überraschen. »Ich brauche bloß eine Inspiration! So etwas wie ein dramatisches Ereignis! Oder eine herzergreifende Familiengeschichte.« Laras Augen leuchteten nun vor Begeisterung, die letzten Tränenspuren waren vergessen. Die Kündigung, die sie vor wenigen Minuten noch so erschüttert hatte, verwandelte sich in ihrem Kopf bereits in den ersten Kapitel ihrer persönlichen Erfolgsgeschichte.
Auf Meis Gesicht zeichnete sich ein wissendes Lächeln ab. Sie hatte ihre Kollegin in den letzten Monaten gut genug kennengelernt, um zu wissen, dass hinter der vermeintlich ruhigen Fassade ein kreativer Sturm tobte, der nur darauf wartete, entfesselt zu werden.
»Also weißt du, ich kenne da ein Örtchen, in dem ich als Kind und Jugendliche gelebt habe...«, begann die Brillenträgerin mit einem freundlichen und zugleich schüchternden Lächeln. Laras Interesse sofort geweckt, ließ diese sich wieder auf dem Stuhl nieder und beobachtete ihre Arbeitskollegin mit Argusaugen.
»Und was gibt es dort?«, informierte sie sich neugierig, gespannt auf die Antwort ihres Gegenübers.
Nervös fummelte Mei mit ihren Fingern herum und rückte dann ihre Brille zurecht, welche beim heruntersehen leich verrutscht war. »Nun ja, meine Familie und ich sind damals von dort weggezogen, weil viele Leute dort verschwunden sind. Man sagt sich nach, dass es ein Serienmörder gewesen sein könnte.« Eine leichte Melancholie schwang in ihrer Stimme mit, die Lara zum einen beunruhigte aber gleichzeitig ihr Interesse weckte.
»Aha?«, hakte sie nach und hob interessiert eine Augenbraue. »Und wie heißt der Ort?«, informierte sie sich weiterhin, wobei ihre Lippen ungeduldig zu einer dünnen Linie verzogen waren. Mei schluckte, während kurze Erinnerungen an ihre Kindheit wie dunkle Schatten vor ihrem geistigen Auge vorbeizogen. Für einen Moment schien sie zu zögern, ihre Finger spielten nervös mit dem Rand ihrer Brille.
»Es ist eine Kleinstadt namens Morioh. Ich kann dir den Namen gerne notieren«, erwiderte die Ältere sodann und nahm sich bereits einen Kugelschreiber und Post-It zur Hand. Ihre sonst so ruhigen Finger zitterten kaum merklich, als sie das leuchtend gelbe Papier vor sich platzierte.
Lächelnd winkte Lara mit der Hand ab und bedankte sich dann: »Danke, danke! Vielleicht wird das ja wirklich der Anfang von etwas Gutem!« Meis Augen fixierten sich auf die Worte, welche sie schrieb, während sich ein ungutes Gefühl in ihrer Magengrube ausbreitete. Die Buchstaben schienen vor ihren Augen zu verschwimmen, als alte, längst verdrängte Erinnerungen an die Oberfläche drängten.
»Ich verbinde mit Morioh zwar keine schönen Erinnerungen, aber solange du auf dich aufpasst und eine ordentliche Arbeit findest, sollte alles glatt laufen.« Ihre Stimme klang belegt, fast als müsste sie die Worte durch einen unsichtbaren Kloß in ihrem Hals zwängen. Mit einer unterschwelligen Bewegung reichte die Rothaarige ihr dann den Notizzettel und fügte dann nachdenklich hinzu: »Zudem sind die Vorfälle schon über 10 Jahre her... bestimmt ist es mittlerweile ruhig in Morioh...«
Strahlend nahm die 20-Jährige den Zettel entgegen, wobei sie der Älteren ein aufheiterndes Lächeln zuwarf. »Mach dir keine Sorgen Jinnai-san, ich werde auf mich Acht geben! Vielen Dank für deine Mithilfe!«, sprach Lara dann nochmals aus und erhob sich wieder von ihrem Bürostuhl, wobei sie dann sofort anfing, ihre persönlichen Wertgegenstände zusammen – und in ihre Tasche – zu packen.
Mei beobachtete sie genauestens bei ihrem Treiben, während sie sie bloß mit einer stetigen Besorgnis musterte. »Ich meine ja nur, du bist schließlich erwachsen und alt genug um allein zu entscheiden«, entgegnete die Rothaarige und zwang sich zu einem leichten Lächeln.
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Die darauffolgenden Wochen vergingen wie im Flug. Lara verbrachte ihre Tage damit, Immobilienanzeigen zu durchforsten, Banken zu kontaktieren und ihre Ersparnisse zu überprüfen. Als sie dann tatsächlich auf eine Versteigerungsanzeige für ein altes, aber gut erhaltenes Haus in Morioh stieß, konnte sie ihr Glück kaum fassen. Der Preis lag weit unter dem üblichen Marktwert – ein echtes Schnäppchen, wie der Makler betonte, auch wenn er merkwürdig nervös wirkte, als er die Papiere ausstellte.
Einen Monat später stand sie nun hier, auf dem kleinen Bahnsteig von Morioh, umgeben von ihren wichtigsten Habseligkeiten. Die Morgensonne tauchte die beschauliche Kleinstadt in ein warmes, goldenes Licht. Der leichte Frühlingswind spielte mit ihren blonden Haaren, während sie tief die frische Luft einatmete. Vor ihr erstreckte sich ein Meer aus traditionellen Häusern, durchbrochen von vereinzelten modernen Gebäuden. In der Ferne konnte sie die grünen Hügel erkennen, die die Stadt wie schützende Arme umschlossen.
Ihr Herz klopfte vor Aufregung, als sie ihre Reisetasche fester umklammerte. Dies war er – der Neuanfang, von dem sie geträumt hatte. Eine Chance, ihre Geschichten zu schreiben, fernab vom hektischen Treiben der Großstadt. Die Morgenstille wurde nur vom entfernten Zwitschern der Vögel und dem sanften Rauschen der Bäume unterbrochen.
Ein kleines Schild am Bahnhofsausgang schwankte leicht im Wind. Die verblassten, aber noch gut lesbaren Buchstaben verkündeten: »Willkommen in Morioh«
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Vielen Dank fürs Lesen des ersten Kapitels! Ich freue mich schon auf dieses großes Projekt, welches ich hier auf die Beine stellen werde! Bereits möchte im Voraus ankündigen, dass diese Geschichte hier über Part 4 hinausgeht. Wer also jetzt ein reines Morioh-cho Abenteuer erwartet, liegt hierbei falsch, denn nach einer gewissen Anzahl an Kapiteln, schlägt diese Geschichte eine große Wendung und somit ein neues Abenteuer ein! Bleibt gespannt!
Viel Gesundheit, Freude und nur das beste für euch meine Leser!
Eure Lara-chan!
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