Schatten über Jupiter
Nach der Gartenarbeit fühlte sich Annemarie schon besser. Das restliche Gefühl von Scham und Wut würde sie einfach mit einem leckeren Schokoladenkuchen bekämpfen. Schokolade war die beste Medizin gegen so gut wie alles! Anne vermischte die Zutaten und schob den Kuchen in den Ofen. Dann setzte sich zu Jeff, der nun wach war. Sie schaltete das Radio ein und nahm sich ihr Nähzeug.
„Wir unterbrechen das Programm für eine Durchsage", hörte sie den Radiosprecher schnarren. „Heute Morgen wurden die schrecklich zugerichteten Leichen des Ehepaars Bachman in ihrem Haus aufgefunden. Ihr Sohn Corey ist spurlos verschwunden. Es wird fieberhaft nach ihm gesucht. Bei Hinweisen melden Sie sich bitte dringend unter der örtlichen Not..."
„Oh, mein Gott!", rief Annemarie. „Erst diese jungen Leute am See, und jetzt...Was geht in dieser Stadt nur vor sich?"
Jeff morste: R-e-v-o-l-v-e-r.
Annemarie überlegte.
„Dein Revolver?"
Er nickte.
H-o-l-e-n
„Aber Schatz, ich habe so ein Ding noch nie benutzt!"
Er morste: Ü-B-E.
Sie seufzte.
„Ich mag diese Dinger nicht. Sie machen mir Angst."
M-ö-r-d-e-r G-e-f-a-h-r
„Ich habe dich ja verstanden. Ich soll mit deinem Revolver fleißig üben, um den Teufel zur Strecke zu bringen, nicht?", scherzte sie.
Jeff schüttelte den Kopf.
J-e-t-z-t
„Ja, ja, schon gut. Wo war er nur?"
D-a-c-h
„Ach ja."
Sie befestigte die Klingel an Jeff's Maske, ging nach oben und klappte die alte, staubige Bodentreppe aus. Wie lange war sie nicht mehr dort oben gewesen! Sie mied diesen Bereich des Hauses, weil hier Jeffs Uniformen, Medaillen und Waffen aufbewahrt waren. Denn sie hasste jedes Stück, welches von seinem Militärdienst zeugte. Sie war stolz auf Jeff selbst, nicht aber auf die Idee des Kriegshelden. Und das Schlimmste an der Sache war, dass ihr eigenes Volk ihn so zu ihr zurückgeschickt hatte, als wollte es ihr sagen: „Du hast kein Glück verdient, Verräterin!"
Vielleicht hatte sie es tatsächlich nicht. Annemarie hatte den fürsorglichen Schwestern einfach den Rücken gekehrt, die ihr damals ein Zuhause gegeben und sie getröstet hatten. Nach dem Anne erfahren hatte, dass ihre Eltern nicht mehr auf die Kontaktgesuche der Internatsleitung reagiert hatten und sie genau wußte, dass es nichts Gutes zu bedeuten hatte. Sie konnte sich an einen Streit erinnern, kurz bevor sie in die Schweiz geschickt worden war. Ihre Mutter hatte ihren Vater unter Tränen gebeten, einen bestimmten Artikel in seiner Zeitung nicht zu veröffentlichen. Doch ihr Vater meinte, die Bevölkerung müsse über die Machenschaften dieses "winzigen Despoten, der sich Führer nennt" informiert werden.
Endlich hatte Anne die Waffe gefunden. Sie nahm sie mit in die große, unbewohnte Scheune, um dort ungestört zu üben. Dunkel erinnerte sie sich, dass Jeff ihr mal gezeigt hatte, wie man eine Waffe entsicherte. Es klappte beim dritten Anlauf. Dann stellte sie ein paar Milchkannen in eine Reihe und zielte darauf.
Der Knall war ohrenbetäubend! Vor Schreck liess sie die Waffe fallen. Sie schalt sich sofort für ihre Dummheit und hob sie wieder auf. Beim zweiten Schuss war es besser, doch zielte sie mit größter Präzision vorbei. Annemarie lud nach. Wenn es etwas in diesem Haus gab, woran es nicht mangelte, war es Munition. Beim gefühlten hundertsten Schuss verfehlte sie die Milchkanne nur noch um einen Millimeter, sie wackelte leicht.
„Ha! Dein letztes Stündlein hat geschlagen, du Hund!", rief sie fröhlich und zielte wieder.
Plötzlich hörte sie ein Quietschen hinter sich und schnellte herum. Jimmy stand in der Scheunentür und starrte auf die Waffe in ihrer Hand. Er hauchte erschrocken: „Woho! Natürlich verstehe ich, dass du sauer auf mich bist. Aber mich gleich zu erschiessen wäre vielleicht etwas zu heftig, oder?"
Er lächelte dieses wunderschöne Lächeln, das bei anderen Frauen sicher bewirkte, dass sie ihm sofort verziehen. Doch Anne war noch nicht soweit und sie entgegnete: „Herr Darling, ich habe eine Stunde mit dem Mittagessen auf sie gewartet! Jetzt ist der gute Braten kalt und wenn ich ihn aufwärme, wird er zäh. Sodass ich Erschiessen tatsächlich in Erwägung ziehe..."
Jimmy lachte. „Bitte, Annemarie. Tu es nicht! Denk doch nur an die Dinge, die dir entgehen würden, wenn du mich jetzt umbringst!"
Er hielt eine Hand hoch und blinzelte ihr zu. Sie spürte, wie es in ihrem Unterleib zog. Atmete tief durch und sagte: „Sie kennen meine Meinung zu diesem Thema! Und nun gehen sie, ich muss meine Schiessübungen machen."
„Hm. Ich würde es dir ja zeigen, aber leider wurde ich mit diesen unbrauchbaren Dingern geboren", murrte er und hielt beide Hände hoch.
Annemarie schüttelte den Kopf.
„Hast du nicht zu mir gesagt, dass man sich nicht selbst schlecht machen sollte?"
Jimmy schloss die Augen und seufzte.
„Ja. Danke, Gott, dass sie mich wieder gerne hat."
„Das habe ich nicht. Ich meine, ich...bin wirklich böse auf dich."
Jimmy nickte.
„Verstehe ich, aber könntest du das Ding jetzt weg legen? Es macht mich ziemlich nervös...", bat er.
Sie sicherte die Waffe und legte sie in den Kasten. Jimmy sagte sanft:„Puh. Also...es tut mir wirklich leid. Mein Boss hat mich den halben Tag Holz hacken lassen. Ich konnte nicht weg."
Holz hacken! Annemarie nickte.
„Ich verstehe. Jimmy, ich habe noch viel zu tun. Einen schönen Abend wünsche ich dir."
Jimmy verzog das Gesicht. Es schien ihm nicht zu gefallen, dass sie ihn wegschicken wollte. Eigentlich wollte sie das auch nicht. Aber... Jimmy flehte sie an: „Nein, bitte, Annemarie. Lass uns ehrlich zueinander sein."
Sie nickte.
„Wie du willst. Ich glaube nicht, dass du Holz hacken warst, nein. Du warst bei den anderen Frauen und... jetzt bist du zu feige, um mir die Wahrheit zu sagen."
Damit drehte sie sich um und verließ die Scheune. Draussen wurde es langsam dunkel.
„Warte...", rief Jimmy und griff nach ihrem Unterarm.
Annemarie schloss die Augen. Sie mochte seine Berührung, schon wieder kribbelte es in ihrem Unterleib. Sie stieß mühevoll hervor: „Geh. Und bitte, komm nicht wieder her. Ich habe einen Ehemann, Jimmy."
„Ich weiß. Es stört mich nicht."
Annemarie schüttelte den Kopf.
„Ich kann mir denken, dass es dich nicht stört. Gute Nacht."
Sie drehte sich um, doch Jimmy hielt sie wieder auf und stellte sich vor sie. Ihr Herz klopfte wild. Er raunte: „Vielleicht kann dich das überzeugen, dass ich die Wahrheit sage..."
Er hielt seine Hände unter ihre Nase. Plötzlich musste sie an ihre nasse Unterhose denken und zog schnell ihr Gesicht zurück. Doch seine Hände rochen tatsächlich nach frischem Holz. Ein Geruch, den sie liebte!
„Ich würde dich nicht anlügen!", murmelte er dann.
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