•○Memories○•
Die Hoffnung
Ähnlich wie die Sonn' am Morgengrauen aufgeht,
So schnell wird auch die Zeit verweht.
Viele Wochen vergingen,
Viele Jahre hatten sein Herz in Schlingen.
Niemals konnte er sich heilen,
Der Schmerz würde immer dort verweilen.
Dort wo einst sein sein Herze stand,
Voller Liebe, Freude und Verstand,
Dort hauste nur noch Leere,
Die langsam aber sicher sein Herz verzehre.
Ihren Tod vermochte er nicht zu verarbeiten,
Nichts konnte ihn wieder zur Freude leiten.
Nichts, außer noch einmal das Lächeln zu sehen,
Ihre Stimme ein allerletztes Mal zu vernehmen...
Erst dann könne er Ruhe geben,
Und sein Leben in Ruhe weiterleben.
{Aus den Archiven des Magnum Oppus Palastes; Francesca Bonnefoy 1704}
~♡~
3 Jahre später...
[27. Juli 2019; Kanto Region]
Schweigend beobachtete ich, wie die goldene Abendsonne hinter dem Horizont verschwand und dabei all die schönen Himmelsfarben mit sich nahm. Die sanften Wellen, die gegen die Küste preschten und langsam die kleinen Sandkörner ins abendlich scheinende Meer zogen, beruhigten mich ungemein und für einen Moment dachte ich, sorgenfrei zu sein. Jedoch konnte man dies nur als Wunschdenken bezeichnen. Seit jenem Tag, an dem sie mich verließ, war nichts mehr so gewesen, wie es einst war. Ich war ruhiger geworden, verschlossener und auch deprimierter. Pokémon-Kämpfe erweckten nicht mehr den Kampfgeist in mir, das Treffen mit Freunden war mehr ein erzwungener Zeitvertreib als wirkliche Freude.
Meine Motivation...sie existierte nicht mehr.
Meine Lebensfreude...sie wurde mir genommen.
Mein Herz...es war seit jeher in Scherben.
Meine Welt war nicht mehr als nur eine Farbpalette aus Weiß und Grau; gefühlskalt, einsam und verloren. Es wunderte mich jedes Mal aufs Neue, dass ich nach all der Zeit noch lebte...Wenn man dies überhaupt noch als "leben" bezeichnen konnte. Ich war ein Wrack, ich war leer, ich war eine Silhouette meines alten Selbst. Ich hatte längst aufgegeben, jemals wieder von ganzem Herzen glücklich zu werden, und doch gab es diesen kleinen Funken Hoffnung, der in der schier endlosen Dunkelheit meiner Selbst sein Licht und seine Wärme entfachte. Ich seufzte und streichelte meinem Pikachu vorsichtig über den Kopf. Es war doch alles nur Einbildung. Ich machte mir etwas vor. Sie würde nie mehr zurückkommen. Sie war verloren...für immer. Und doch...nach all den Jahren spürte ich den Schmerz in meiner Brust wie am ersten Tag.
Hätte ich doch nur mehr Zeit gehabt.
Hätte ich meine Gefühle doch eher entziffert und verstanden.
Hätte ich Serena doch nur retten können...
Doch auch diese Wenn und Abers konnten nichts daran ändern.
Es gehörte der Vergangenheit an. Alles gehörte der Vergangenheit an...
Ich blickte noch ein letztes Mal aufs Meer hinaus, ließ das leise Rauschen der Wellen auf mich einwirken und spürte, wie sich Pikachu leise auf meine Schulter setzte. Wortlos beobachteten wir, wie die Sonne ihre letzten goldenen Strahlen erlöschte und die Finsternis das Himmelszelt eroberte. Ich mochte das Abendrot. Ich mochte und verabscheute es zugleich. Denn jedes Mal, wenn ich diese edlen Farben des Himmels erblickte, erinnerte ich mich daran, wie Serena mir einst ihre Liebe gestand...doch zeitgleich war es eine tägliche Erinnerung an ihren Tod, an ihr Verschwinden. Und diese Wahrheit jeden Tag aufs Neue ins Gesicht geklatscht zu bekommen, trug eher spärlich dazu bei, dass ich über die Geschehnisse hinweg kam. Es war ein endloser Teufelskreis; ein Kreis, aus dem es kein Entrinnen mehr gab.
Und erst als der helle Feuerball endgültig hinter dem Horizont verschwand und aus den sanften Wellen wildere Fluten wurden, setzte ich den Heimweg an. Ich musste immerhin noch meine Sachen packen, denn morgen würde ich zurück nach Kalos reisen, um Citro und Heureka in Illumina City zu besuchen. Wir verbrachten den Tag, an dem Serena von uns ging immer gemeinsam und doch fühlte ich mich jedes Mal einsam und allein. Ob es dieses Mal anders werden würde?
***
[28. Juli 2019; Illumina Flughafen]
Die lauten Motoren der Flugzeuge rauschten noch in meinen Ohren und zahlreiche Gespräche auf verschiedenen Sprachen wurden eroberten den ansonsten ruhigen Flughafen. Viele der Menschen rannten hektisch umher, andere wiederum ließen sich Zeit und machten den ein oder anderen Zwischenstop in einem der hier beherbergten Geschäfte. Kinder rannten mit Eiscreme und Sonnenhut herum und einige Touristen machten bereits die ersten Fotos. Ich selbst hielt nur nach einem Ausschau. Nach den zwei Blondschöpfen, die mir anbaten mich hier abzuholen, doch es war weit und breit keiner der beiden zu sehen. Vielleicht warteten sie weiter hinten auf mich, dachte ich und entfernte mich einige Meter vom ursprünglichen Treffpunkt.
Ich sah mich um, sah aber auch dieses Mal niemanden. Leise aufseufzend holte ich mein Handy heraus und versuchte, Citro zu erreichen; nebenbei behielt ich Pikachu im Auge, der sich durch eine Menschenmenge drängelte, in der Hoffnung, Citro oder wenigstens die kleine Heureka im Menschen- und Pokémonwirrwarr des Flughafens zu wittern. Doch das war nahezu unmöglich für den Kleinen, da sich einfach viel zu viele verschiedene Gerüche auf einem Platz befanden, die die Spur verwischten.
Mit einer schnellen Handbewegung tippte ich auf Citros Kontakt und rief ihn an.
Keine Antwort.
Ich versuchte es erneut.
Keine Antwort.
Und auch nach dem dritten Anruf meldete er sich nicht zurück.
Warum zu Girantina hob er nicht ab? Hatte er sein Handy liegen lassen?
"Komm schon...", murrte ich bereits ein wenig genervt und fing an, angespannt herumzugehen, als mein treues Pokémon plötzlich zu mir rannte, völlig außer Atem und komplett durcheinander zu sprechen begann und an meinem Hosenbein zerrte. So aufgelöst hatte ich ihn noch nie gesehen!
Mit der Vermutung, dass es sich wieder einmal um Team Rocket handelte, folgte ich dem Elektropokémon einige Meter durch die, mit zahlreichen Bäckereien, Souvenir- und Buchgeschäften vollgestopften, Gänge, nicht wissend, was er eigentlich von mir wollte. Meine Schritte klackten am gefliesten Steinboden, hinterließen ein hallendes Geräusch, das aber aufgrund der Lautstärke in dieser Gegend gedämpft wurde. Pikachu führte mich in eine kleine Nebengasse, vorbei an einem Pokémon-Center, bis hin zu einem kleinen Floristengeschäft, der nur so von bunten Blumen überschwemmt wurde. Leise Musik tönte aus den Lautsprechern - es war ein englisches Lied mit einigen französischen Phrasen - und ich fragte mich, was Pikachu wohl an diesem Ort von mir wollte. Kopfschüttelnd sah ich auf meinen kleinen Kumpel herab, der gerade dabei war, meine Beine hochzuklettern, um seinen üblichen Platz auf meiner Schulter einzunehmen. "Was soll das, Pikachu?", fragte ich, "Warum hast du-"
Plötzlich stach mir etwas ins Auge, was mich langsam verstummen ließ. Mein Herz machte einen kurzen Aussetzer und ich bildete mir ein, ein leises Klingeln in meinen Ohren zu hören. Die Welt um mich herum verschwand und verblasste wie die Farbe eines Bildes in der prallen Sonne. Die Zeit blieb für ein paar Sekunden stehen, die Bewegungen der Menschen und Pokémon um mich verliefen nur noch in Zeitlupe, als ich es sah. Diese blitzblaue Farbe...Diese Strähnen puren Goldes...Es weckte Erinnerungen und Gefühle in mir, die ich lange Zeit für tot hielt.
Es war ein Mädchen - vermutlich in meinem Alter - ihre langen honigblonden Haare waren in einem Haarkranz geflechtet, welcher von einem blauen Band gehalten wurde. Einige Locken hingen lose zur Seite und reflektierten sich im künstlichen Licht der Glühbirnen wie goldenes Lametta. Ich sah zwar lediglich ihren Hinterkopf und doch hatte ich das Gefühl, sie schon einmal gesehen zu haben. Diese Verbundenheit, ich hatte sie schon einmal gespürt. Schon vor einigen Jahren...Mein Puls wurde langsamer, aber schlug stark gegen meine Brust, dass man hätte meinen können, es springe jeden Moment heraus.
Doch warum war es so?
Wer war sie?
War sie der Grund, weshalb mich Pikachu hierher brachte?
Ich wusste es nicht. Ich wusste nichts in dem Moment. Nichts.
Denn es gab in diesen Sekunden nichts zu wissen. Man brauchte nichts wissen.
Man musste sich nur leiten lassen.
Ich machte einen vorsichtigen Schritt nach vorne, um einen besseren Blickwinkel zu erhaschen, doch ein größerer Mann stand im Weg, passierte und versperrte mir somit die Sicht. Und im nächsten Moment...erklang wieder das Klingeln in meinen Ohren, meine Umgebung erschien mir wieder lauter und aktiver; ich war wieder bei Sinnen in der Realität angelangt. Doch das mysteriöse Mädchen mit dem bekannten Band war verschwunden und wie vom Erdboden verschluckt. Ob sie doch nur Einbildung war? Ich schüttelte den Kopf, schlug mir sanft mit beiden Händen auf die Wangen, um sicher zu gehen, dass ich wieder wach war. Aber das Bild mit dem fehlenden Mädchen blieb bestehen. Verwirrt sah ich zu Pikachu rüber, der sie ebenfalls aus den Augen verloren hatte.
Am liebsten wäre ich jetzt einfach gegangen und hätte dieses eigenartige Erlebnis hinter mir gelassen, doch mein Instinkt führte mich nur noch näher an den Blumenladen. Mir war nicht klar, nach was ich suchte; nach was mein Herz hier suchte, aber ich ließ mich einfach führen. Wortlos sah ich an den vielen roten Rosen und sonnengelben Nelken vorbei, sah ein paar herausgeputzte Männer und Frauen aus dem Geschäft gehen und das ein oder andere Dartiri schlich sich herein und hüpfte neugierig auf dem Boden herum. Ich lächelte das Vogelpokémon lieb an und erinnerte mich dabei an mein Fiaro, als es noch ein kleines Dartiri war, doch als ich genauer hinsah und bemerkte, dass das Pokémon mit etwas Blauem im Schnabel auf mich zuflatterte, stockte mir der Atem. Schnell kniete ich mich nieder und nahm das kleine Etwas in Empfang, dass das Dartiri mir fröhlich zwitschernd in die Hände legte. Es war etwas Dünnes, Weiches, das allein durch seine Oberflächenbeschaffung Erinnerungen aufrief. In meinem geistigen Auge entstanden Bilder, es entstanden ganze Szenen von Ereignissen, die alle einen bestimmten Knotenpunkt besaßen. Ein blaues Band. Ein blaues Band, wie ich es einst Serena schenkte. Ein blaues Band, wie es dieses Mädchen von vorhin in ihrem Haar trug. Ein blaues Band, wie ich es gerade in meinen Händen hielt.
War diese Begegnung von vorhin also doch Realität? Gehörte dieses Band vielleicht dem Mädchen von vorhin?
"Pikapi...", murmelte mein Pokémon, beschnupperte die gefundene Kleinigkeit und riss erschrocken die Augen auf. Erneut fing es an wie ein Wasserfall zu reden, doch ich konnte mir nicht deuten, was es meinte. Das einzige Verständliche war die kurze Phrase, dass dies wohl das Haarband der Honigblonden war, die meine Aufmerksamkeit erregt hatte. "Sollen wir sie suchen und es ihr zurückgeben?", fragte ich, womöglich immer noch ein Fragezeichen im Gesicht geschrieben habend. Pikachu war so überdreht und aufgeregt heute, was wohl in ihn gefahren war? Denn wegen eines einfachen, verlorenen Schmuckstücks einer Fremden würde der Kleine nie so ein Trara veranstalten.
Und dann hörte ich auf einmal zwei Stimmen, die nach mir riefen und ich schnellte meinen Kopf in die Richtung, aus der das Geräusch kam. Es waren Citro und Heureka, die geradewegs auf mich zu liefen und freudig winkten. Sofort erhob ich mich vom Boden und kam ihnen entgegen. Die beiden hatten aber ziemlich lange gebraucht, um hierher zu kommen...
"Sorry, für die Verspätung, Ash!", keuchte der Arenaleiter und stützte sich mit den Händen an den Knien. Er war womöglich die letzten hundert Meter gerannt, da seine kleine Schwester, ohne Rücksicht auf ihn zu nehmen, angefangen hatte, von ihm wegzulaufen, als sie Pikachu und mich erblickte. "In der Innenstadt war so viel los, da musste mein dummer Bruder natürlich wieder seine doofen Erfindungen auspacken, die sowieso wieder explodierten...", fügte die Blondine hinzu und schenkte Citro einen genervten Blick, "...das nächste Mal gehen wir zu Fuß oder wir sind pünktlich bei der Straßenbahn...wenn das so weitergeht, musst du Strafe zahlen, weil man andauernd Asche und Metallteile von dir auf den Gehwegen findet!" Citro grummelte genervt. "Heureka...war das wirklich nötig?" Die Kleine hörte das anscheinend, nickte und streckte die Zunge raus. Ich konnte mir ein kleines Lachen dieses Mal wirklich nicht verkneifen. Auch, wenn ich innerlich noch ein ziemliches Wrack war, brachen hin und wieder kleine Lichtblicke durch meine dicke Schale. Besonders nach dieser schicksalhaften Begegnung, die in endloser Verwirrung mündete, abertausende Fragen aufwarf und nicht mehr aus meinem Kopf ging.
"Kein Problem, Leute, wirklich", winkte ich ab und warf einen Blick auf mein Partnerpokémon, welches mir augenblicklich zustimmte. Ich wollte gerade noch etwas in Erwägung ziehen, als Heureka plötzlich nach dem blauen Band in meiner Hand schnappte und es an sich riss. Sichtlich erstaunt begutachtete sie meinen Fund und sah mich wenige Sekunden später mit ihren großen, grau-blauen Augen verwundert an. "Ist das nicht so ein ähnliches Band, wie es Serena mal hatte?" "Heureka!", rief Citro dazwischen, ehe ich antworten konnte, "Erinnere ihn bitte nicht noch mehr daran..." Letzteres flüsterte er eher leise, doch ich konnte seine Wörter von seinen Lippen ablesen. Es war leicht, an seiner Körperhaltung und Mimik zu erkennnen, dass es ihm sichtlich unangenehm war, in meiner Gegenwart über Serena zu sprechen. Aber das war mehr als verständlich, da er im Großen und Ganzen wusste, wie sehr mir Serena ans Herz gewachsen und wie schmerzhaft ihr Verlust für mich war. Er wollte mir zusätzlichen Druck ersparen, der mir in den nächsten Tagen sowieso zu Genüge kommen würde. Ich war ihm dafür natürlich sehr dankbar, dennoch hätte mich die Vergangenheit so oder so wieder eingeholt. Egal, ob seine kleine Schwester nun einen Vergleich aufstellte oder nicht.
Nichts würde mich je vergessen lassen, wer Serena war, welche Rolle sie für mich spielte und welche vielen guten Taten sie vollbracht hatte. Sie wäre immer bei mir. In Gedanken, Worten, Werken und schlussendlich auch in meinem Herzen.
Sie war ein Teil von mir, so wie auch ich einen Teil ihres Herzens besetzen durfte...
Wir unterhielten uns noch lange miteinander, lachten ein wenig und besichtigten die mittlerweile viel größer gewordene Hauptstadt Kalos', ehe wir langsam aber sicher auf das Zuhause der beiden Blondschöpfe zusteuerten.
Und dennoch spukte mir nur diese eine Frage in meinem Kopf herum, ließ mich in Gedanken abdriften und hielt mich davon ab, mein Umfeld aktiv mitzuerleben. Diese eine Frage, die nicht mehr aus meinem Kopf gehen wollte und mich langsam in den Wahnsinn trieb. Diese Frage, die mich nicht mehr losließ und sich an mich klammerte. Diese Frage, die scheinbar mein Leben bedeuten konnte...Diese Frage, die sich um das Mysterium dieses bekannten und dennoch unbekannten Mädchens mit den goldenen Locken und dem blitzblauen Band räkelte....
,,Wer bist du?"
***
Es wurde Abend und die Sonne zog sich immer mehr hinter den riesigen Häusern der Stadt zurück. Ein sanfter Farbverlauf von rosenrot, über orange und einem kleinen Tupfer blau zierte den Himmel wie ein frisches Ölgemälde, dessen Farbe sich immer weiter ausbreiten würde. Die Straßen wurden immer mehr mit Menschen überfüllt. Einige machten sich auf den Heimweg, wieder andere gingen aus oder machten lediglich einen Spaziergang mit ihren Coiffwaff und anderen Pokémon. Illumina zu dieser Tageszeit zu sehen, hatte beinahe etwas Nostalgisches und Majestätisches an sich. Dafür, dass diese Stadt eine reine Metropole mit abertausenden Geschäften, kleinen Parks und Sehenswürdigkeiten war, strahlte sie nun eine etwas kleinstädtischere Atmosphäre aus, die mich an Ortschaften aus Kanto, Sinnoh und anderen Regionen erinnerte.
Nachdenklich nippte ich an meinem Getränk und ließ meinen Blick nicht von der, im Abendlicht warm schimmernden, Straße abweichen. Die beiden Illumina-Geschwister hatten mich auf einen Eiskaffee im Café Soleil eingeladen, doch egal wie sehr ich versuchte, ihren Erzählungen Aufmerksamkeit zu schenken, es ging nicht. Ich dachte nur an meine Begegnung von heute. Wenn es nicht unmöglich wäre, hätte ich vermutet, dass es sich bei dem Mädchen um Serena handelte. Aber das konnte nur Einbildung sein, auch wenn die Ähnlichkeit wirklich groß war. Serena war tot. Sie war weg. Für immer. Wieso sollte sie dann, mir nichts, dir nichts, in einem Blumenladen auftauchen. Das wäre doch verrückt! Absolut verrückt und unmöglich! Meine Fantasie musste musste mit mir durchgegangen sein! Ich zwang mich einfach, nicht mehr daran zu denken. Irgendwie würde das schon aus meinem Kopf gehen. Aber...was war dann dieses auffällige Band, welches mir Dartiri in die Hand drückte? Ach, verdammt!
Doch dann wurde ich aufgrund einer lauter werdenden Stimme aus meinen Gedanken gerissen.
"...Ash? Erde an Ash?", Citro fuchtelte mit der Hand vor meinem Gesicht herum, "Hast du auch einen Standby-Modus? Dein Eis schmilzt, bevor du es überhaupt gekostet hast!" Verwirrt wechselte ich den Blick zwischen meinem Eis und Citros besorgtem Gesicht. Seit wann stand der Eiskaffee denn schon da? Um nicht allzu eigenartig aufzufallen, löffelte ich mein Eis so schnell aus wie ich konnte, bis meine Zunge von der kalten Köstlichkeit begann, taub und kalt zu werden. Aber die beunruhigten Blicke meiner Freunde konnte ich auch damit nicht zufrieden stellen.
Heureka lächelte schief. "Bedrückt dich irgendetwas, Ash? Warum bist du heute so abwesend?" "Du bist schon den ganzen Tag so nachdenklich, geht's dir nicht gut? Bist du krank?" Citros grau-blaue Augen waren mit einem Schleier der Besorgnis verhangen, ebenso wie die von Heureka. Ich schüttelte den Kopf. "Nein, nein, alles bestens, wirklich!"
"Sicher?", fragten die Geschwister sicherheitshalber noch einmal nach und ich versicherte ihnen erneut, dass alles in Ordnung war und sie sich keine Gedanken darüber machen müssten. Damit war dieses unangenehme Gespräch auch beendet und ich stocherte weiterhin gedankenverloren in meinem Eiskaffee herum. Normalerweise würde ich jetzt in Selbstmitleid versinken und meiner mentalen Einsamkeit nachjammern, aber aus irgendeinem mir unbekannten Grund geschah das nicht. Ich wusste nicht, ob ich mich darüber freuen sollte, dass ich für einige Zeit wirklich abgelenkt war oder mir darüber Sorgen machen sollte, dass ich eines Tages Serena komplett vergessen könnte und ich sie somit enttäuschte. Es war ein ewiges Hin und Her; es war ein Teufelskreis, aus dem ich nicht mehr zu fliehen vermochte.
Ich stieß einen wortlosen Seufzer aus, als man mir den leeren Eisbecher abservierte und drehte mich mit dem Kopf leicht zur Kellnerin, um ihr zu danken, als meine Augen auf einmal auf zwei kristallblaue Seelenspiegel trafen, die mich sofort in ihren Bann zogen und die Welt um mich herum in einem tiefen, undurchdringlichen Meer versinken ließen. Diese Augen, ich hätte sie überall erkennen können. Denn diese Augen hatten sich mit all ihren Details und Mustern in mein Gehirn gebrannt, um sie niemals wieder zu vergessen. Mein Blick wanderte leicht nach links, nur um ein paar lose, honigblonde Strähnen zu entdecken, die im untergehenden Licht der Sonne wie flüssiges Gold glänzten. Ich stockte und vergaß völlig darauf, zu atmen, als ich das gesamte Antlitz meines Gegenübers musterte. Die weich fallenden Konturen, die Lippen, die ich vor drei Jahren wie einen zarten Schmetterlingsflügel auf den meinen spürte, bevor sie auf ewig verstummten...Dieses Mädchen, sie sah genau so aus wie...
"Serena..." Diese Worte kamen beinahe lautlos über die Lippen, doch die Kellnerin schien mich verstanden zu haben und wich mit erröteten Wangen zurück. Auch dies war eine Angewohnheit, die Serena einst hatte. Nervös strich sie sich eine Locke hinters Ohr und grinste unsicher. Sie dachte über etwas nach, aber ich konnte mir nicht deuten, was in ihrem Kopf vorging.
"Tut mir leid, ich glaube, Sie verwechseln mich mit jemanden", sie machte eine Pause, "Man nennt mich hier Yvonne."
"Oh. Entschuldigung, ich dachte, Sie wären jemand, den ich kannte", antwortete ich peinlich berührt und kratzte mich dabei nervös am Hinterkopf. Glücklicherweise nahm die Honigblonde die Entschuldigung gut an. "Kein Problem, sowas kann passieren." Sie lächelte mich noch ein letztes Mal an, ehe sie wieder ihrer Arbeit nachging und mit dem Geschirr in die Küche schlenderte. Mein Blick blieb dennoch an ihr haften, bis sie gänzlich aus meiner Sicht verschwand und ich somit auch aus meiner Trance fiel. Ich sah zu meinen Freunden die mit offenen Mündern und einer teils überraschten, teils erschrockenen Miene ihre Emotionen widerspiegelten. Heureka war die Erste, die wieder zu Wort fand. "Hast...Hast du sie auch gesehen?!", die Stimme der Blondine wurde um eine Oktave höher, "Sie sah doch zu hundert Prozent aus wie..."
Ich unterbrach sie mit einem Nicken. "Vom Aussehen und der Stimme her bestimmt, aber..", ich zögerte, "...sie kann es nicht sein. Ich habe sie doch mit eigenen Augen verschwinden sehen." Diese Tatsache ließ ein schmerzhaftes Ziehen in meiner Brust entspringen.
"Zudem hat sie doch gesagt, dass sie Yvonne heißt. Sie ist also nicht mehr als eine junge Dame, die unserer Freundin ähnelt", warf nun auch der Erfinder ein ein und ließ sich auf die Rückenlehne seines Sitzplatzes zurückfallen.
Citro hatte recht. Sie trug einen anderen Namen, sie erkannte mich nicht und sie war kein Produkt meiner Fantasie, das ich mir in den ersten Nächten nach dem Vorfall einbildete. Sie war eine reale Person; ein anderer Mensch. Und dennoch spürte ich eine gewisse Verbundenheit zu ihr, die ich ausschließlich zu Serena empfand. Diese Verbundenheit, die ich auch bei der Begegnung im Blumenladen spürte. Ob diese Yvonne dieselbe Person wie am Vormittag war? Von hinten betrachtet, sah sie jedenfalls ziemlich identisch aus. Aber...warum spukten mir diese Gedanken überhaupt in meinem Kopf herum? Warum machte ich mir so viele Sorgen darum? Sie war eine Fremde; ein Mensch, den ich nie kannte und nie kennen werde. Nur...was war dann dieses Gefühl in meiner Brust, das so verzweifelt nach etwas schrie, als würde seine Existenz davon abhängen? Was war es nur...?
Ich bemerkte gar nicht, wie sich ein älterer Herr mit buschigen Augenbrauen, der am Nebentisch saß und genüsslich seinen Kaffee trank, zu uns drehte und leicht zu lachen begann. Erst als er uns ansprach und so unsere Aufmerksamkeit auf sich zog, schenkte ich ihm Gehör.
"Ihr redet über die junge Kellnerin, nicht wahr?", er lachte leicht auf, "Sie arbeitet erst seit Monatsanfang hier, hatte jedoch keine persönlichen Daten angeben können. Sie wusste nicht mal ihren Namen, noch ihre Hausnummer, als sie Ende Juni hier aufgefunden wurde, das arme Ding!", der Mann sprach in einem leicht nordgalar'schen Dialekt, weswegen man sich voll und ganz auf seine Worte konzentrieren musste, "Man vermutet, dass sie unter Amnesie leidet, aber glücklicherweise hat Franny, die Managerin, die Kleine für eine Zeit lang bei sich aufgenommen, bis sie sich von ihrer Amnesie erholt hat und als Dank hilft sie ihr im Café." Der ältere Herr nahm einen Schluck von seinem Getränk. "Der Name Yvonne ist demnach auch ihr zuzuschreiben, wenn ihr sie also persönlich kennt, klärt die beiden bitte auf, das würde ihnen sehr weiterhelfen."
Ich war geschockt. Mir blieben die Worte einfach weg. Die Worte 'Amnesie' und 'aufgefunden' kreisten unaufhörlich in meinem Kopf herum. Es passte nicht zusammen und doch schien es die richtige Erklärung zu sein. Theorien brodelten in mir, die ich nicht zu Wort bringen konnte. Doch eines beschäftigte mich.
Was war wirklich mit Serena passiert, als man ihr ihr 'reines Herz' stahl? Wie wirkte sich Team Flares Untergang auf das Licht, auf ihre Seele aus, die sie ihr einst abknöpften? War sie frei geworden? War sie wirklich gestorben oder hatte Zygardes Krafteinsatz von damals auch ihren Körper regeneriert?
Aber wenn dem so wäre, warum wäre sie dann erst jetzt, drei Jahre später aufgetaucht?
All diese Fragen prasselten auf mich ein wie ein schwerer Sturm, dessen Regentropfen mit einem dicken Platscher auf meine Haut trafen und schlussendlich in der feuchten Erde versiegten. Was war die Wahrheit? Was war Einbildung? Ich wusste es nicht mehr, aber die plötzliche Hoffnung, die sich in mir entfachte und Funken sprühte, wollte es erfahren. Sie verlangte nach der Neugierde; sie verlangte nach einer Antwort; sie verlangte nach einem Gespräch mit dieser Yvonne. Die Yvonne, die ich für das Mädchen hielt, das ich verlor...das ich liebte.
Ich spürte einen vorsichtigen Stups an meinem Handgelenk und sah sofort in das besorgte Gesicht meines Pikachus. Es murmelte leise Silben vor sich hin, die nur ich verstehen konnte und ich stimmte meinen Kumpel mit einem Nicken zu.
Ich wusste, was ich zu tun hatte.
Abrupt erhob ich mich von der Bank und wollte bereits mit einer Angestellten reden, ob ich kurz mit 'Yvonne' sprechen dürfte, als ich die Dame an der Theke bereits mit ihrer Chefin reden hörte. Es waren Worte wie: "Yvonne hat starke Kopfschmerzen und ist früher gegangen."
Den Rest konnte ich leider nicht mehr ganz verstehen, aber wenigstens konnte ich das Wichtigste verstehen. Das Mädchen, das ich für Serena hielt, war weg, aber wenn ich mich beeilen würde, könnte ich sie noch einholen, bevor sie in der Menschenmenge der Stadt verschwand. Ein vager Blick zu meinen Freunden reichte aus, um ihnen mitzuteilen, was ich vor hatte.
Ich musste zu diesem Mädchen. Ich musste noch ein einziges Mal mit ihr sprechen. Ich musste sicher gehen, ob sie diejenige war, für die ich sie hielt und ob meine Vermutung der Wahrheit entsprach.
Und mit diesen Worten verließ ich das klimatisierte Café, setzte mich der abendlichen Sommerhitze Kalos' aus und rannte los.
Ich rannte los...und zwar dorthin, wo mein Herz mich hinführte.
Es würde wissen, wo ich hin musste.
Denn es würde mich immer wieder zu der Person führen, nach der ich so sehnsüchtig suche; nach der Person, mit der ich diese Verbundenheit teilte.
Zu der Person für die ich die Welt abertausende Male umkreisen würde.
Zu Serena.
***
Die ersten Sterne blitzten auf, die Nacht brach mit ihrer Dunkelheit herein und übermalte das wundervolle Farbenspiel des Himmels. Die Straßen wurden leerer, die Menschen verschwanden in ihren Häusern und es wurde zunehmend kühler. Doch ich lief immer noch ziellos durch die Straßen, verlief mich einige Male und kam immer wieder am gleichen Ort an. Die Chance, die Honigblonde um diese Uhrzeit noch zu finden, war also bei Null. Nichtsdestotrotz wollte ich nicht einfach wieder umkehren. Etwas sagte mir, dass ich weitersuchen sollte; dass ich nicht aufgeben sollte; dass sie auf mich wartete, irgendwo. Auch Pikachu schien fest davon überzeugt zu sein, da er nicht aufhörte, seine Augen für das Mädchen offen zu halten und mich ruhelos durch die verschiedensten Abzweigungen und Wege lotste.
Meine Beine schmerzten vom vielen Gehen und ich wurde immer müder und müder und dennoch zwang ich mich weiterzusuchen. Mir war im Moment nichts wichtiger, als Yvonne, als Serena, zu finden. Diese Überzeugung und diese Unsicherheit, die mich seit dem Gespräch mit dem Mann im Café verfolgte, trieb mich voran. Ich wollte wissen, ob die Person, die mir ihr Herz einst schenkte, noch existierte, ob es noch einen kleinen Funken ihres alten Ichs gab...Ob ich ihr endlich auch mein Herz im Gegenzug überreichen und ihr eine Antwort auf ihre letzten Fragen geben konnte.
Der Kiesboden unter meinen Füßen knisterte, die Blätter der Bäume, die in dem kleinen, neu angelegten Park nahe des Stadtrands von Illumina City wuchsen, raschelten im Wind und rissen sogar einige Blätter mit sich. Das Licht der Straßenlaternen nahm ab und ich tapste somit immer mehr im Dunkeln herum. Aber ich spürte, dass etwas in mir nach etwas rief und dieses Etwas rief so laut es konnte zurück. Dieses Gefühl in meiner Brust wurde immer größer und impulsiver, bis ich plötzlich wieder ein leises Klingeln vernahm. Ich schnellte meinen Kopf in die Richtung aus der das Geräusch kam und erblickte dabei ein kleines Lichtlein in der Ferne. Instinktiv und mit geweckter Neugier näherte ich mich dem Licht und erkannte dabei dessen Spiegelung in einem kleinen Teich, der neben der Lichtquelle lag und sanfte Wellen schlug. Eine zart gebaute Gestalt befand sich sitzend vor dem Wasser und hatte ihren Kopf in die Hände gelegt. Sie schien über etwas nachzudenken. Ich wagte es, noch ein paar Schritte vorwärts zu gehen. Mein Herz schlug wie wild und das Rufen meines Herzens wurde bei jedem Schritt lauter, sodass man hätte meinen können, es spränge jeden Moment heraus. Meine Atmung wurde seichter, meine Schritte wurden kleiner und je mehr ich mich der Gestalt näherte, desto mehr versank ich in einer eigenen, erfundenen Welt. Eine Welt des ewigen Trancezustandes; eine Welt, die nur aus zwei Personen bestand.
Ein weiteres Mal erblickte ich einen, im Licht golden schimmernden, Haarschopf, dessen Strähnen sanfte Kurven schlugen. Aus der Entfernung konnte ich nur spärlich die einzelnen Details ihres Gesichtes erkennen, aber als ich aus Versehen auf einen Ast trat und das Mädchen sofort wegen des plötzlichen Geräuschs aufschreckte, drehte sie ihren Kopf in meine Richtung. Trotz meiner ohnehin bereits bestandenen Vermutung blieb mein Herz für einen kurzen Augenblick stehen, um die Überraschung zu verarbeiten, aber Pikachu hatte andere Pläne und schlug mir sanft auf den Hinterkopf, als Zeichen, dass ich zu ihr gehen und nicht nur hier stehen und blöd gaffen sollte.
"Wer ist da?" Die Honigblonde sprang erschrocken auf und leuchtete mich sofort mit ihrer Taschenlampe an, sodass ich mir, vom grellen Licht geblendet, die Arme vor die Augen halten musste. Doch als sie mich sah, senkte sie die Taschenlampe wieder. "Du bist doch der Junge vom Café vorhin, oder?" Immer noch teils geblendet vom hellen Licht nickte ich. "Tut mir leid, falls ich dich erschreckt habe, aber-" Sie unterbrach mich. "Sag mal, bist du mir gefolgt?!" Sie blies verärgert die Wangen auf und stemmte die Hände in die Hüften. Ich schluckte. Diese Reaktion hatte ich nicht erwartet, auch wenn sie durchaus berechtigt war. Bevor ich eine Antwort für sie parat hatte, ging sie auf mich zu. Leichte Ärgernis spiegelte sich in ihren azurblauen Augen wider und ich wurde sofort ruhig. Pikachu wagte es nicht mal einen Mucks zu machen.
"Also, warum bist du hier? Warum bist du mir gefolgt?" Sie verschränkte die Arme vor der Brust und musterte mich skeptisch. Ihr Blick wurde weicher, ganz so, als würde sie sich an etwas erinnern.
"Ich wollte kurz mit dir reden, aber du warst bereits gegangen, bevor ich überhaupt die Möglichkeit dazu hatte", ich machte eine Pause, "Vor allem, was machst du um die Uhrzeit alleine draußen?" "Dasselbe könnte ich auch dich fragen. Warst du nicht mit deinen Freunden unterwegs?" Ich nickte auf ihre Frage. "Ja schon, aber sie wissen, weshalb ich kurz gehen musste", ich biss mir auf die Lippe, "Und weswegen bist du hier?" Für einige Sekunden blinzelte das Mädchen mich perplex an, ehe sie eine Antwort fand.
"Ich...musste nachdenken, das ist alles..." Ihre Stimme war abweisender und leiser geworden. Zögernd wandte sie sich von mir ab, setzte sich wieder in das weiche, kühle Gras und zog mit ihren Fingern Kreise in den Boden. Ohne ein Wort zu sagen, setzte ich mich neben sie, gerade so, um ihr genügend Freiraum zu lassen. Trotzdem schien sie etwas bedrückt zu sein; etwas lag ihr auf der Seele. "Über was hast du denn nachgedacht?" Ich schenkte ihr einen verständnisvollen Blick und lächelte schief, was sie wiederum auch erwiderte und dabei auch ein wenig errötete.
Genau wie Serena...
Sie schwieg für kurze Zeit, womöglich um alle ihre Gedanken zu sammeln. Die Honigblonde sah zum Himmel hinauf, bewunderte die vielen Sterne, die uns in der Finsternis entgegen leuchteten und ein schmerzverzerrtes Lächeln legte sich auf ihre Lippen. Die Sterne spiegelten sich in ihren blauen Augen wider, fingen sie ein und bildeten dadurch ihren eigenen Nachthimmel; einen Nachthimmel, den einzig und allein ich bewundern konnte.
"Ich...", stotterte sie und ein leichter Rotschimmer war auf ihrem Gesicht zu erkennen, "...Ich habe darüber nachgedacht, wie du mich vorhin nanntest...Serena...Du weißt es vielleicht noch nicht, aber ich kann mich nicht an-"
"Du kannst dich nicht an deine Vergangenheit erinnern?", unterbrach ich sie und erntete dabei den einen oder anderen verwirrten Blick. "J-Ja! Aber woher weißt du das?" Das Mädchen sah mich fragend an. "Naja, ich hab so einiges zufällig mitbekommen..." Ich kratzte mich nervös am Hinterkopf, während sie bloß die Augen verdrehte. "Lass mich raten, Monsieur Rousseau, also der Mann mit den buschigen Augenbrauen?" Ich bejahte peinlich berührt. Sie hatte es ernsthaft im ersten Versuch herausgefunden. "Gott, der Mann ist so ein Plappermaul! Sobald er irgendetwas erfährt, weiß es gleich jeder unserer Kunden..." Sie brummte und stemmte den Kopf in ihre Hände. Sie war niedlich, wenn sie wütend war. "Egal...", sie sah wieder zum Himmel hinauf und wurde ruhig, "...da du ja jetzt schon über meine Amnesie Bescheid weißt, brauche ich sie dir nicht mehr erklären. Jedenfalls...", sie druckste wieder herum, "...hatte ich schon den ganzen Tag das Gefühl, dass etwas nach mir ruft. Etwas, das mich aus dieser Unwissenheit drängen kann. Etwas, das ich von früher kenne. Zuerst war es beim Blumenladen, als ich Blumen für das Café besorgen wollte und danach war es während der Arbeitszeit, als ich auf dich getroffen habe."
Also war sie wirklich auch das Mädchen von vorhin.
"Ich wusste nicht wieso, aber du kamst mir irgendwie bekannt vor. Du und deine Freunde", sie zog ihre Knie näher an ihren Körper und umarmte diese mit ihren Armen, "Und als du mich Serena nanntest...Da, naja, kam es mir so vor, als hätte mich eine Antwort erreicht. Eine Antwort von früher...verstehst du, was ich meine. Es war wie ein Déjà-Vu."
Ich nickte verständnisvoll und lächelte schief. Sie war es also wirklich.
Sie seufzte und begann weiterzuerzählen, den Blick auf den See vor uns gerichtet, der den Vollmond auf seiner reflektierenden Oberfläche einfing.
"Und dann fing ich an, mich an kleine Details zu erinnern. Aus diesen Details wurden immer größere Szenen, bis ich schlussendlich einen Grobschnitt eines Erlebnisses im Kopf hatte", sie begann zu lächeln und ich spürte mein Herz in meiner Brust freudig aufhüpfen; ich genoss dieses Gefühl, "Am besten kann ich mich aber an ein Fest erinnern. Ja, ein Fest mit einem schönen, leuchtenden Baum und vielen Pokémon! Es hatte mir jemand ein blaues Band geschenkt. Womöglich jemand, der mir nahe stand, aber leider sah ich das Gesicht nur verschwommen vor mir..."
Als sie das blaue Band erwähnte, zuckte ich kurz auf und Pikachu fummelte plötzlich an meinem Handgelenk herum. Es zeigte mir das blaue Band, welches ich mir um die Hand gewickelte, nachdem ich es von Dartiri erhalten hatte.
Stimmt, ich hatte dieses Band ja noch!
Geschwind öffnete ich mit der Hilfe von Pikachu den Knoten und händigte Serena anschließend das blaue Band aus. "Ich glaube, das gehört dir." Sie stockte und sah mich ungläubig an, ehe sie das Band wieder annahm und musterte. "Wo...wo hast du das her?" Ihre Stimme wurde immer brüchiger und ich bemerkte, wie ihre Hände anfingen zu zittern. "Ein Dartiri hat es mir gegeben, als ich am Flughafen war und auf Citro und Heureka gewartet habe."
Sie blinzelte und schaute dann wieder auf das Schmuckstück, das sie eigentlich schon vorher kannte, aber nun genauer untersuchen musste. "Citro...Heureka..."
Mein Herz fing an laut zu klopfen. Sie erinnerte sich! "Ja, das waren die zwei, die heute bei mir waren und Heureka war die Kleine mit dem Dedenne auf dem Kopf. Und das Pokémon neben mir ist mein Partner Pikachu!" "Dedenne...Pikachu", wiederholte sie und ihr Zittern wurde immer stärker, bis auch schlussendlich auch einige Tränen auf den Stoff fielen und dunkle Wasserflecken hinterließen. Besorgt legte ich ihr meine Hand auf die Schulter, um sie zu beruhigen, doch anstatt ruhiger zu werden, flossen nur noch mehr Tränen über ihr Gesicht. Zögernd suchte Serena Blickkontakt und ich konnte endlich in ihre, mit Trauer und Freude verhangenen, Seelenspiegel sehen, die mir in den drei Jahren ihrer Abwesenheit mehr als alles andere gefehlt hatten. Doch trotz der Freude, dass sie nun vor mir stand, brach es mir erneut das Herz, sie weinen zu sehen.
"A-Ash?" Ich versuchte, sie mit einem Lächeln zu beruhigen und murmelte ein leises, aber verständliches "Mhm", um ihr zu sagen, dass sie mit ihrer Vermutung recht hatte. Ein Grinsen schlich sich auf ihr, vom Weinen rot gewordenes, Gesicht und sie begann zu kichern. Ein kleines Tippen von Pikachu brachte mich schließlich dazu, sie in die Arme zu nehmen und ihr die überschüssigen Tränen aus dem Gesicht zu wischen. Auch ich war den Tränen nahe. "Ash...", murmelte sie wieder, "Ich kann mich an dich erinnern. Ich weiß wieder, wer du bist...Ich weiß wieder ein bisschen, wer ich bin."
Ich drückte sie wieder näher an mich und sie legte ihre Arme um meinen Oberkörper. Ich konnte meine Tränen von nun an auch nicht mehr zurückhalten. Ich hatte sie endlich wieder bei mir. All diese Leere, diese Dunkelheit, die sich seit jenem Tag in mir eingenistet hatte...sie war verflogen. Stattdessen zog ein neues, positives Gefühl ein, das ich niemals wieder hergeben würde. Ein Gefühl, das ich für den Rest meines Lebens bei mir haben wollte; ich wollte es nie wieder loslassen, ich wollte sie behalten. Diese...Fröhlichkeit. Dieses befreiende Gefühl, dass jeglichen Schmerz und jegliche Last von meinen Schultern nahm. Ich liebte es. Ich liebte es so sehr, wie das Mädchen, das ich endlich wieder in meine Arme nehmen konnte.
Das Mädchen, das ich für für immer verloren geglaubt hatte.
Das Mädchen, das zu mir zurückkehrte.
Das Mädchen mit dem ich hier, im beruhigenden Schein der Sterne, nahe eines leise rauschenden Sees, unseren ersten richtigen Kuss teilen konnte. Einen Kuss, der nicht mit einem Verblassen und einen damit verbundenen bittersüßen Abschied endete...sondern ein Kuss, der ein "Willkommen zurück" bedeutete.
Ein 'Willkommen zurück' in unser Leben voller Freude und Zufriedenheit.
Ein 'Willkommen zurück' zu unserer Liebe, auf deren Antwort wir jahrelang warten mussten.
Und falls mich jemand fragen würde, ob es dieses ganze Chaos wert war, würde ich mit einem selbstsicheren Grinsen antworten und sagen:
"Es war es wert. Es war es absolut wert."
Ende
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Die Schreibblockade war in diesem One-Shot ziemlich stark und ich musste mich oft mit gescheiten Formulierungen herumschlagen, aber gegen Ende ist es schließlich wieder besser geworden.
Aber ich weiß nun, dass ich mir leichter tu, wenn ich für meine Geschichten ein eigenes Universum erschaffe, da ich dort keine Grenzen habe und alles, ohne Einschränkungen, schreiben kann.
Trotzdem hoffe ich, dass euch die Fortsetzung von 'Je t'aime toujours' gefallen hat, auch wenn der Plot jetzt auch nach über einem Jahr nicht besonders einfallsreich war.
Beeinflusst wurde ich dabei vom Film "Kimi no na wa" auch bekannt als "Your name".^^
1. Habt ihr ein Feedback für mich?
2. Kritik? Verbesserungsvorschläge?
3. Ich habe übrigens das Cover neu gezeichnet! Wie findet ihr's?
Nun denn...Danke für's Lesen!
~6251 Wörter
Over and out
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