Battle Angel
Samstagabend. Eigentlich hockt Jay um diese Zeit immer am PC und schneidet ihr nächstes Video für Montag, doch das kann warten. Gerade befindet er sich nämlich zusammen mit seinem Bro Arya Lee auf einer exklusiven Film - Premiere in ihrer Heimatstadt Berlin. Alita: Battle Angel heißt der Streifen, den die beiden sich anschauen und das Glück haben, einige ihrer Fans zu treffen. Es ist gut zu wissen, dass so viele einfach hinter ihnen stehen, sie unterstützen, wo es nur geht. Man akzeptiert die beiden, wie es noch kein anderer jemals zuvor getan und auf ihre Leidenschaft herab gesehen hat. Es ist einfach richtig schön.
Jay schmunzelt in sich hinein und lässt seinen Blick hin und wieder durch den riesigen Kino - Saal schweifen, wo die restlichen Besucher allesamt mit 3D - Brillen sitzen und angespannt auf die Leinwand starren. Der Film ist gerade an der wohl ewig herbei gesehnten Stelle angelangt, der Kuss zwischen Alita und Hugo. Nach den ziemlich actionreichen Kampf - Szenen muss natürlich auch ein bisschen Romantik dabei sein, oder nicht? Aber nur ein bisschen.
Neben dem Lockenkopf döst Arya in seinem gemütlichen Sessel und mümmelt sein Popcorn, lächelt ihn verschwörerisch an. Jay grinst zurück, errötet leicht und dreht sich wieder zur Leinwand. Die nun gesprochenen Worte des weiblichen Cyborgs hallen in seinen Ohren wie tausend Echos.
Stört es dich, dass ich nicht vollkommen menschlich bin?
Woraufhin Hugo mit einem winzigen, jedoch lieblichen Lächeln entgegnet:
Du bist das menschlichste Wesen, dass mir je begegnet ist.
Er küsst sie erneut, ihre Arme dabei eng umschlungen. Die nächtliche Stadt im Hintergrund leuchtet in all ihrer trostlosen Pracht, als würde ihr schwacher Kern diese beiden so verschiedenen Geschöpfe geradewegs für die Liebe auserkoren haben.
Ich würde alles für dich tun.
Der Junge streicht Alita über die filigran geformten Konturen ihres Gesichts, wobei er den Satz mit einer zuvor noch nie dagewesenen Sanftheit betont. Jay schließt verträumt die Augen und stellt sich vor, wie er wohl seinen Bro liebkosen soll. Vielleicht wird er ihm auch über das Gesicht streichen, vielleicht wird er sich sogar auf die Zehenspitzen stellen müssen. Obwohl Arya nicht wirklich gewachsen ist... Gut, vielleicht wird er auch erstmal nichts machen. Aber ihn küssen - das wird er ganz sicher.
Nach dem Film - der übrigens richtig mega gewesen ist - strömen die Zuschauer alle nacheinander aus dem Saal und verteilen sich in alle Richtungen. Während einige noch Cola kaufen oder mit ihren Kumpels plaudern, läuft Jay schnurstracks zu der Foto - Wand, die neben dem Eingang aufgestellt ist. Dort posiert noch ihre Freundin Edda Vendetta mit einem sehr aufgeregten weiblichen Fan und streckt ihm dann ein Autogramm entgegen, was das Mädchen in lauten Jubel ausbrechen lässt. Sofort stürmt es zu ihren Freunden und berichtet den dreien von dem Erlebnis, bei Jays Anblick kreischen sie. Der fährt sich kurz durch die Locken und schießt ein Selfie mit den Mädels, dann endlich düsen sie ab. Fans sind wirklich etwas Tolles, doch wenn sie zu aufdringlich werden, kann sogar er die Beherrschung verlieren.
Im nächsten Moment schlendert Arya auf ihn zu, in der Hand noch seine Popcorn - Tüte. Die beiden geben sich eine Bro - Fist, wie sie es immer tun, wenn sie sich länger nicht mehr gesehen haben. Fragt sich nur, wer von ihnen beiden gerade übertreibt.
„Na und wie hat dir der Film gefallen?“, neckt ihn der Perser und boxt ihn leicht in die Seite, fummelt kurz an seiner Kette herum. Aus dieser Frage kann Jay entnehmen, dass er wohl gerade mit einem weiteren Fan über den Streifen erzählt hat. Er ist richtig in seiner Annahme, denn hinter seinem Rücken huscht jemand an ihnen vorbei, der Arya kurz zu winkt. Jay erwidert verlegen: „War cool. Vor allem die Szene, wo...“ Der Rest des Satzes bleibt ihm im Hals stecken, er bringt es nicht übers Herz. Noch nicht...
Sein innerer Bruder beäugt ihn misstrauisch, hakt jedoch nicht weiter nach. Stattdessen geht er kurzerhand zu Edda und gibt ihr ein High Five, die beiden verstehen sich blendend untereinander. Jay selbst verzieht sich in eine ruhige Ecke und zieht sich die Kapuze seiner Jacke über die Locken, er ist wenigstens etwas ungestört.
Wenn es bloß mit ihnen beiden so einfach wäre...
Klar, Edda ist wirklich ne gute Freundin, aber...irgendwie wird der Rapper in ihrer Nähe eifersüchtig. Arya und er kennen sich nun schon so lange, haben schon so viel gemeinsam erlebt, schon so viel Zeit miteinander verbracht. Nur sie beide, allein.
Und da kommt sie und versaut es. Bei diesem Gedanken ballt er die Hand langsam zur Faust, hört ihr herzliches Lachen wie aus weiter Ferne. Alles, was er will, ist Arya. Nur er und sonst niemand.
Schon seit No Lie hat es angefangen und bis jetzt nicht aufgehört, Jay hat keine Ahnung warum.
Er ist verliebt. In Arya Lee, seinen besten Freund.
Doch er hat es bisher nicht umhin gebracht, es ihm zu sagen. Nicht einmal durch diese Kuss - Szene hat er seine Gefühle für ihn beschreiben können. Aber er weiß:
Wenn Edda ihn mir weg nehmen sollte, werde ich für ihn kämpfen. Ich werde der nächste Battle Angel.
Nachdem sich Jay nur widerstrebend von der Kollegin verabschiedet hat, geht er, mit Arya im Schlepptau, nach draußen. Es ist frisch geworden und er fröstelt ein wenig, trotz der warmen Jacke. Darunter trägt er seinen gelben Pulli, der ihn in dem Moment auch nicht gerade vor der schneidenden Kälte bewahrt. Die deutsche Hauptstadt kann sich ab und zu wirklich in ein leibhaftiges Sibirien verwandeln.
Auf dem Weg zu Aryas neuem Auto schielt er immer wieder zu ihm herüber, Zweifel plagen ihn. Was ist, wenn er ihn abweist? Oder was, wenn ihre Freundschaft beendet ist? Und was, wenn...dies das Ende für Film Geek bedeutet?
Sie haben das kleine Gefährt beinahe erreicht, als es Jay nicht mehr aushalten kann. Ohne zu wissen, was er tut, zerrt er den Perser hinter eine Mauer und presst ihm einen Kuss auf die weichen Lippen, einfach so. Er hat es getan, ohne Vorwarnung.
Nichts zählt mehr in diesem wundervollen Moment, den Jay seit Tagen herbei gewünscht hat. Und jetzt passiert es, egal ob Arya es will oder nicht.
Ihre beiden Körper sind ganz heiß, vor allem der Lockenkopf strahlt nun pure Wärme aus. Seine Finger fahren sanft über die Braids seines Bros und verkrallen sich darin wie kleine Spinnen, tasten sich zu Aryas Hemmschwelle durch. Diese feine Barriere, die ihm Einlass gewährt, ihm sagt, dass er mehr als nur ein bester Freund ist. Ihm sagt, dass er Edda nicht verdient hat.
Soweit wird es nicht kommen, Jay weiß es nur noch nicht. Erst, als Arya sich mit einem entsetzten Blick von ihm löst und ihn unsanft auf den harten Asphalt schubst, versteht er.
„Du Idiot!“, faucht der Perser und deutet auf etwas hinter dem Amerikaner, dort steht sie. Und sie hat gerade alles mit angesehen.
Jay möchte aufstehen, doch Arya hält ihn davon ab und zischt: „Beweg dich keinen Milimeter!“ Er steigt über den am Boden liegenden Amerikaner hinweg und ringt sich ein Lächeln in Eddas Richtung ab. „Hey...beruhig dich, es ist nicht, wonach es aussieht...“ Die junge Frau rümpft empört die Nase und wendet sich von Arya ab, der versucht es erneut: „Och, Edda! Jetzt sei nicht so, okay? Wir...haben nur geredet, weißt du? Über den Film, nichts weiter...“ Für diese gewaltige Lüge gibt sie ihm kurzerhand eine Schelle, der Perser schreit vor Schmerz auf. Seine Wange wird schnell puterrot und er beißt die Zähne zusammen, Tränen schießen ihm in die dunklen Augen. Er will sie noch aufhalten, doch Edda hat sich schon aus dem Staub gemacht. Dabei ist es sie doch gewesen, die Arya gewollt hat.
Wutentbrannt packt er Jay am Kragen seiner Jacke und hebt ihn, mit der sarkastischen Leichtigkeit eines Boxers, hoch. Der Amerikaner schluckt, natürlich ist er sich der immensen Stärke seines Freundes bewusst. Arya kann ihn, wenn er denn will, in der Luft zerfetzen oder richtig ausrasten, wenn man ihm seine Kette klaut. Nur, dass nichts dergleichen gerade der Fall ist.
„Bist du komplett irre?“, keift er und schüttelt Jay hin und her, sodass ihm ganz schwindelig wird. „Du bist widerlich, weißt du das? Genau, WIDERLICH! Ich hätte Edda haben können, verstehst du? Und da kommst du und...versaust es, du...“ Arya ringt nach Worten, die Tränen rinnen sein zorniges Gesicht herab. Er ist todunglücklich, nur wegen Jay selbst. Alles nur wegen seinen heimlichen Gefühlen für ihn.
Der Amerikaner wird bleich, jegliche Farbe weicht ihm aus dem sonst so fröhlichen Gesicht. Arya Lee liebt Edda, diese Zicke. Er ist nur Ersatz für sie. Weil ihn ja sonst niemand lieben könnte.
Er kann nichts mehr erwidern, sein Mund ist wie ausgetrocknet. Selbst dann, als er wieder unsanft zurück auf den - buchstäblichen - Boden der Tatsachen geholt wird, formt sich diese Erkenntnis in seinem Gehirn zu purem Gift. Und die ganze Zeit hat er gedacht, dass Arya sein Bro ist...da hat er sich gewaltig getäuscht.
Er rappelt sich mühsam hoch, seine vier Buchstaben schmerzen richtig. Jay will einfach nur weg von diesem Blender, diesem...Bastard. All die Jahre hat er geglaubt, Arya würde ihn lieben. Mit ihm durch dick und dünn gehen, mit ihm lachen und weinen. Mit ihm ihre gemeinsame Leidenschaft ausleben, ihr Hobby zum Beruf machen. All die Jahre...hat er einem Hochstapler vertraut. Der ihn noch nicht einmal mehr liebt.
Blind vor Hass reißt er sich von Arya los und stürmt in dieselbe Richtung, wohin Edda verschwunden ist. Wenn es sein muss, wird er sie gewaltsam auseinander bringen.
Er wird für ihn kämpfen und siegreich zurück kehren.
Zur selben Zeit stiefelt die hübsche Youtuberin durch die sternenklare Nacht, die Hände in ihrer Jacke vergraben. Schwache Wut brodelt immer noch in ihr, dennoch ist sie sehr schwach. Soll Arya doch diesen Jay Samuelz lieben, es ist ihr völlig gleichgültig.
Plötzlich hört sie hinter sich ein Knacken wie von einem Ast und sie bleibt abrupt stehen. Die dunkle Straße hinab ist niemand zu sehen, vielleicht nur ein Eichhörnchen oder so...
„Ich werde nicht kampflos zu sehen. Im Angesicht des Bösen - stell dich zum Duell!“, keift jemand hinter ihr und etwas zischt durch die Luft. Es ist Jay, weiß wie eine Wand, und ein fiebriges Grinsen im Gesicht. Er hält ein gezacktes Messer in der Hand, dessen scharfe Klinge leicht vibriert und Knochen wie Butter spalten kann. Edda bricht in schallendes Gelächter aus: „Yo Jay! Übertreib mal nicht, okay? Mag sein, dass ich euch beim Knutschen erwischt habe und es vielleicht meinen Fans erzählen werde...aber du solltest hier nicht gleich einen auf Hunter Warrior machen!“ Sie beugt sich vor und streicht mit ihren langen Nägeln - die wirklich viel zu lang sind - über sein brennendes Gesicht, ihre Augen funkeln im fahlen Licht der Straßenbeleuchtung unnatürlich rot. „Weißt du...Ich kann Menschen wie dich überhaupt nicht leiden!“ Sie grinst hämisch und wirft ihre Jacke zu Boden, zum Vorschein kommt ein glänzender Körper aus Chrom. Noch nicht einmal ihre Hände sind echt, statt der normalen Finger besitzt sie an jedem Glied scharfe Zahnräder. Jay weicht vor ihr zurück, kann das, was er sieht, kaum fassen. Edda ist ein waschechter Cyborg! Und ein böser noch dazu! Wie hat er sich bloß nur so dreist täuschen lassen?
Er hat keine Zeit, noch weiter darüber nach zu grübeln, just im selben Moment versetzt ihm der Roboter einen Hieb mit dem rotierenden Zahnrad. Jay entfährt ein kleiner Aufschrei und seine Wange fängt zu bluten an, Shit! Doch so leicht gibt er nicht auf und greift Edda, rasend vor Zorn, an. Die packt ihn jedoch und schleudert ihn wieder zurück zu Boden, als wäre er ein lästiges Insekt. Sein Dolch entgleitet ihm und rutscht ihr genau vor die metallenen Füße, sie hebt ihn lächelnd auf. „Oh, du kleine Zecke! Wir könnten uns gegen Arya verbünden, ihn gemeinsam zu Fall bringen...doch stattdessen kommst du mir zuvor, wie tragisch...“ Edda hält Jay die Klinge unter das Kinn, ergötzt sich an ihrem Triumph. Ihm selbst bricht der Schweiß aus, wenn er doch nur eine Möglichkeit hätte...
Schon bohrt sich das Messer in seine Haut, Blut quillt hervor. Der Cyborg redet munter weiter, kostet jede Minute aus: „Ich liebe es, zu manipulieren. Zu schaden, zu nehmen. Dein ach so lieber Arya war leichtes Spiel für mich, er hat sich geradezu verloren. Weißt du, einer persischen Legende zufolge sind die Frauen dort noch verführerischer als hier und tun alles, um den Männern den Kopf zu verdrehen! Verstehst du es jetzt, Jay Samuelz? Aber ihr Amerikaner könnt es ja gar nicht wissen, für euch sind Frauen nur Objekte...billige Spielzeuge, die ihr nach Belieben austauschen könnt, wie es euch passt...“ Das ist eindeutig zu viel.
Der Rapper spürt den Zorn wachsen und noch mehr wachsen, bis die Wurzel zum Greifen nah scheint. Er zieht sie mit voller Wucht aus der Erde, stößt Edda das Messer in den künstlichen Körper. Sofort erlischt das Funkeln in ihren Augen und sie kippt vornüber, blaues Sekret schießt aus der Wunde in ihrer Brust. Ihr Chrom - Skelett zuckt noch für einige Sekunden, dann ist sie tot. Jay keucht erleichtert und wischt sich über die Stirn, streift das blutige Schwert an seiner Jeans ab. Wie auf ein Signal kommt der Perser angelaufen und stoppt mitten in der Bewegung, als er seinen Bro mit dem Messer in der Hand erblickt. Und erblickt Eddas reglose Gestalt, die nicht mehr länger menschlich wirkt...
Was zur Hölle geht hier vor?
Der Amerikaner ist froh, Arya zu sehen und umarmt ihn stürmisch, das Blut an seinen Händen beachtet er gar nicht.
„Dank mir später!“
Ohne auf eine Erklärung zu hoffen, zieht der Perser Jay zu sich heran und küsst ihn. Endlich. Und dabei hat er geglaubt, er würde es nie erwidern.
Ihre heimliche Liebe zueinander.
Er genießt den Moment, der ihre pochenden Herzen vereint und ewig eins werden lässt, so wie er es sich immer gewünscht hat.
Sein Soll als Battle Angel ist erfüllt.
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