23. Die Wahrheit
"Lyssa!", konnte die Slytherin eine Person rufen hören, als sie die Treppe zum Ravenclaw Turm gerade verlassen hatte und drehte sich erschrocken um. Hannah kam mit einem Typen am Arm auf sie zu. "Was machst du denn hier? Warst du im Ravenclawturm?"
Lyssa suchte in ihrem Hirn eilig nach einer Ausrede. Der metallene Stern war sicher in das breite Band um ihre Taille gesteckt. "Ich habe auf der großen Treppe ein weinendes Mädchen angetroffen. Sie hat gesehen, wie ihr Freund mit einer anderen im Garten verschwunden ist und ich habe sie zurück in ihren Gemeinschaftsraum gebracht ... was machst du hier?", ratterte sie hinunter und wechselte immer schön das Thema.
"Noah muss noch kurz etwas holen." Sie deutete zu der Treppe, die der Junge gerade hochgesprungen war. "Du siehst wunderschön aus."
Lyssa lächelte verlegen. "Danke, du auch." Hannah hatte ein weißes Kleid mit kleinen, pinken Rosen darauf an, das ihr bis zu den Knien ging. Dazu hatte sie einen fast durchsichtigen Schal, den sie mit einer Brosche um die Schultern trug.
"Hatte das Mädchen helle Haare und trug ein silbernes Kleid? Das könnte Theodora gewesen sein, ihr Freund ist bekannt, dass er mit anderen Mädchen flirtet, aber sie trennt sich einfach nicht von ihm." Lyssa zuckte mit den Schultern, glücklicherweise schien Hannah nicht auf eine Antwort zu warten. "Er ist Hufflepuff, würde man gar nicht erwarten von so einem", erzählte sie weiter. "Aber Leute müssen nicht immer den Stereotypen ihrer Häuser entsprechen, ich hätte zum Beispiel nie gedacht, dass ich mal mit einer Slytherin befreundet sein würde, auch wenn du nur ein Jahr lang Slytherin bist." Sie grinste Lyssa an. "Wollen wir uns wieder auf den Weg zum Ball machen?", fragte sie und hackte sich bereits bei Lyssa und Noah ein, der überraschend schnell zurück war.
Die Slytherin ließ sich einen Moment lang mitziehen, bevor sie sich befreite. "Ich ... habe noch etwas anderes vor", sagte sie und zwinkerte der Gryffindor dabei vielsagend zu. Diese öffnete begeistert den Mund.
"Mit wem, ist es einer aus Hogwarts oder einer anderen Schule? Darf ich raten?"
"Nein, darfst du nicht. Ich erzähle dir morgen davon", versprach sie, bevor sie einen anderen Gang hinuntereilte. An der Ecke musste sie sich kurz orientieren, wie sie zum Astronomieturm kam. Leider musste sie dafür fast einmal quer durch Hogwarts.
Ihre Schritte hallten auf dem steinernen Boden, als sie in den Turm trat, wo sich die Treppe spiralförmig an der runden Wand in die Höhe wand. Zwei Feuerschalen am Eingang erleuchteten den Raum, und die metallenen Sterne auf der Treppe warfen das tanzende Licht zurück. Nur bei einer Stufe nicht.
Lyssa kniete sich auf die Stufe darunter und holte den Stern raus. Sanft drückte sie ihn auf seinen Platz. Eine Sekunde passierte nichts und nach einer weiteren Sekunde passierte immer noch nichts. Die Verzweiflung und Panik in ihr aufsteigend, holte sie den Zauberstab hervor und tippte den Stern sanft an. Es wirkte, als würde er in den Stein sinken, und ein Klicken war zu hören. Mit zitternden Fingern stemmte sie die Stufe hoch, und darunter konnte man einen Hohlraum sehen. Interessanterweise war er nicht leer, sondern hatte verschiedene Gegenstände darin. Dinge, die Leute über die Jahrhunderte versteckten und vergaßen oder in Hogwarts ließen. Ein Schnatz, ein Buch, das angeschrieben war als Tagebuch einer Narzissa Black, ein altes gezeichnetes Bild eines jungen Mannes, ein Zahn von einem Raubtier (Lyssa wusste nicht von welchem), ein breites Armband, in das jemand Runen und Symbole geritzt hatte und Lyssa sicherheitshalber nicht einmal anfasste und ein zerbrochener Zauberstab. Sie beigte ein paar der Sachen hinaus und der Schnatz fiel zwischen ihren Fingern hindurch und rollte eine Stufe hinunter. Zwischen allen diesen Schätzen lag ein kleines, in braunes Papier eingepacktes Päckchen, groß genug für die Rotberg-Uhr.
Schnell knotete sie das Garn auf und riss das Papier weg, bevor sie die Schachtel öffnete.
Das Feuer von den Feuerschalen wurde im zerbrochenen Glas gespiegelt. Ihr Herz setzte einen Schlag aus. Das war die Rotberg-Uhr! Sie hielt sie in der Hand! Damit konnte sie endlich alles geradebiegen!
Sie setzte sich auf die Treppenstufe, während sie die Uhr umklammerte, als könnte sie sich jeden Moment in Rauch auflösen. Sie sah immer noch gleich aus, wie Lyssa sie in Erinnerung hatte. Das silberne Gehäuse hatte ein paar Beulen und das Glas einen Sprung, der sich über die ganze Länge zog. Das Ziffernblatt zeigte wie bei einer normalen Uhr die Zahlen von 1 bis 12 in Schwarz. Dazwischen hatte es mit rot weitere Striche, die von 1 bis 31 reichten und ein kleines Fenster für die Jahreszahl.
Lyssa mustere die Uhr und ihre eingestellte Zeit. 1. 8. 1992, also ein Monat vor Schulbeginn von vor zwei Jahren. Sie atmete tief durch und griff nach ihrem Zauberstab, ohne ihren Blick von der Uhr zu nehmen. Noch fehlten ihr ein paar Teile für ihr 1000 Stück Puzzle, aber das Bild war erkennbar und die restlichen Antworten würde sie gleich kriegen, von der letzten Person, die die Uhr verwendet hatte. Ein Lächeln stahl sich auf ihr Gesicht.
"Hallo Liam." Sie hob den Kopf. Der Ravenclaw stand zwischen den beiden Feuerschalen, sein Brustkorb hob und senkte sich deutlich. Durch die Ruhe ihrer Umgebung hatte sie die eiligen Schritte hören können.
Er antwortete nicht, er musterte sie nur und schien die Situation abzuschätzen. Er trug einen mitternachtsblauen Festmantel, seine dunklen Locken hatte er säuberlich zurückgenommen, er sah festlich aus.
"Gesichert mit einem Alarm?", fragte Lyssa, als niemand etwas sagte.
"Ich habe Hannah überhört, dass du beim Ravenclaw Turm warst und dann abgehauen bist."
Die Slytherin gluckste, vielleicht lag es am Adrenalin oder der Erleichterung, aber irgendwie fand sie die Situation urkomisch. Liam zog die Brauen zusammen über ihre Reaktion.
"Ich will die Wahrheit", sagte sie wieder ernst und mit fester Stimme. "Start ganz vorne!"
Liam nickte. "Mein Name ist Liam Grayston und ich wurde geboren am 15. Februar 1988 und wurde 1999 eingeschult in Hogwarts." Lyssa rechnete in ihrem Kopf. Auch wenn er jetzt 17 war, so wäre er eigentlich vier Jahre jünger als sie, die Jahre 1999-2002 mussten sie gleichzeitig in Hogwarts gewesen sein. Hogwarts hatte viele Schüler, es war nicht verwunderlich, dass sie sich nicht kannten. Sie rechnete weiter, 1999 war das zweite Schuljahr nach der Schlacht von Hogwarts, als Voldemorts zweite Herrschaft endete, war er also erst zehn gewesen. "Alles, was ich dir über meine Familie erzählt habe, stimmte. Mein Großvater, Charles Picklings, liebte Antiquariaten und Geschichte und alles was damit zusammenhing. In den 60ern oder 70ern ersteigerte er eine Uhr, von der gemunkelt wurde, sie sei die Rotberg-Uhr." Lyssa erinnerte sich an den Zeitungsartikel und sie erinnerte sich an Liams Waage mit den Initialen C.P. "Meine Mutter und ich wohnten bei ihm, weil der Arbeitsmarkt für Werwölfe nicht besonders toll ist und habe ich sie oft gesehen. Mein Großvater starb als ich zwölf war und am Anfang der Sommerferien zwischen meinem vierten und fünften Jahr verstarb auch meine Mutter."
Lyssa glaubte, sehen zu können, wie Tränen in seinen Augen glitzerten. Ihre Mutter und Großmutter lebten noch und dann hätte sie noch ihre Tante und deren Partnerin, aber Liam schien niemanden mehr gehabt zu haben.
Er schien einen Moment zu warten, als wollte er sie die Informationen zuerst verdauen lassen. Dann sprach er zögerlicher weiter. "Ich habe zuerst versucht, die Uhr zu verkaufen und kam so in Kontakt mit Anna, die mir gezeigt hat, wie viel wertvoller als Geld sie war."
"Anna?", fragte Lyssa stirnrunzelnd. Eigentlich wollte sie ihn nicht unterbrechen, während er seinen Monolog hielt. Aber es machte sie auch etwas nervös, dass er ihr alles so frei erzählte. Hatte er einen Plan? Spielte er auf Zeit? War diese Anna auch hier? Sie warf einen Blick hinter ihn und versuchte mögliche Bewegungen zu erkennen.
Er nickte nur. "Du kennst sie vermutlich als der Drahtzieher." Lyssas Augen zuckten zu ihm zurück.
"Der Voldemort-Möchtegern?", fragte sie.
"Lass mich das erklären, Lyssa!", sagte der Ravenclaw hastig. "Wir sind keine Todesser, wir gehören zu den Guten."
"Den Guten?", wiederholte Lyssa tonlos. "Sie hat Harry Potter getötet."
Er hob beschwichtigend die Hände, bevor er sie wieder senkte, und Lyssa sah, wie eine davon in eine Tasche glitt, wo vermutlich der Zauberstab war. "Ich weiß, es sieht schlimm aus, aber es stimmt nicht ... hast du Verwandte und Freunde verloren durch Voldemort und seine Leute?"
Sie hatte! Den besten Freund ihrer Mutter, der wie ein Onkel für sie gewesen war, Christina Markale, eine Gryffindor aus ihrem Jahrgang, die trotz ihres Alters an der Schlacht teilgenommen hatte. Ebenso starb in dieser Nacht Anthony Reid, ein älterer Hufflepuff, in der sie verschossen gewesen war und der sich bis zuletzt um die Schüler gekümmert hatte, selbst als die Carrow-Geschwister Hogwarts regiert hatten. In ihrem Kopf tauchten die Bilder der Opfer auf, eingeschlossen Remus Lupin, Fred Weasley und noch andere, die gerade ausgelassen unten in der Großen Halle tanzten. Dennoch blieb sie stumm und presste die Kiefer aufeinander.
Liam realisierte, dass sie ihm nicht antwortete und sprach weiter. "Wir haben die Chance, die Geschichte zu verändern. Unsere Gesellschaft hat viele Fehler, eingeschlossen die Behandlung von jegliche Art von Halbwesen, Wesen und Geschöpfen. Sieh dir die Hauselfen an, oder die Riesen, die Zentauren, die Liste geht weiter. Das Zauberministerium ist durchsetzt mit Leuten mit Blutideologien und beugt sich voll dem Willen der alten, einflussreichen Reinblüterfamilien. Der einzige Weg es zu ändern ist, es bis zu den Grundfesten niederzubrennen und besser wieder aufzubauen! Ich stimme Voldemorts Blutideologien nicht zu, aber er lag nicht überall falsch und viele der Werwölfe und Riese kamen zu ihm, weil er sie als gleich in seine Reihen aufnahm. Er sah sie und ihre Probleme."
Er sah sie mit entschlossenem Gesichtsausdruck an. Lyssa wusste nicht, was sie antworten sollte. Sie dachte an ihr Gespräch mit Professor Black zurück über die Hintergründe von Voldemorts Anhängern, Hass, Angst, Verblendung, Macht, Verzweiflung ...
"Du glaubst, die Riesen, Werwölfe und alle anderen hätten einen Platz in der Zaubererwelt erhalten, wenn Voldemort gesiegt hätte?" Ihr wurde immer klarer, worum es ging, aber sie hatte immer noch Fragen. "Und nun wollt ihr das erreichen, indem ihr Voldemort durch jemand anderes ersetzt?"
Er schüttelte den Kopf. "Nicht ersetzen, wir holen ihn zurück."
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