2. Eine böse Überraschung nach der anderen
Lyssa schloss die Augen, während sie auf dem kühlen Waldboden lag und sich ihre Brust schwer hob und senkte. In ihrem Kopf pochte es schmerzhaft, dabei konnte sie spüren, wie warmes Blut von ihrer Nase ihre Wange hinuntertropfte. Sie tastete nach ihrem Zauberstab und fasste in etwas Nasses. Angeekelt sah sie ihre Hand an, an der eine rote Flüssigkeit klebte. Immerhin war sie nicht die Einzige, die mit Blut bezahlt hatte.
Sie atmete einmal tief durch, bevor sie sich aufsetzt und sich umsah. Wieso war es plötzlich Tag? Der Dieb konnte doch nicht um die halbe Erde appariert sein. Es wirkte, als befand sich mitten in einem dichten Wald, aber keine Anhaltspunkte, wo sie sich befinden könnte. In solchen Momenten hasste sie es, nie Apparieren gelernt zu haben.
Schließlich kam sie stöhnend auf die Beine und kontrollierte ihren Zauberstab auf mögliche Schäden, bevor sie sich das Blut wegwischte und sich für eine zufällige Richtung entschied.
Ihr Körper schmerzte noch von der zusammengestürzten Treppe, ihr Kopf schmerzte und ihre Nase tat auch weh, außerdem hatte sie absolut keine Ahnung, wo sie hinging, während sie mit ihrem Mantel durch das Unterholz kämpfte. Zudem ärgerte sie sich über sich selbst. Sie hätte die Situation besser handhaben müssen und überlegter vorgehen. Sie hoffte nur, dass der Dieb sie nicht mitten in die kanadische Wildnis appariert hatte oder in die russische Tundra. Der Wald sagte ihr zwar, dass es eindeutig keine Tundra war, aber schränkte es auch nicht mehr ein.
Endlich schien sich der Wald zu lichten und Lyssa konnte einen See erkennen.
Sie tauchte ihre Hände in das kalte Wasser und wusch sich das Blut ab. Während das Wasser von ihrem Gesicht tropfte, sah sie die verschwommene Spieglung eines Schlosses im Wasser.
Sie erkannte es augenblicklich. Immerhin war es bis vor zwei Jahren ihr Zuhause gewesen. Hogwarts!
"Guten Morgen, Hagrid", rief sie dem Halbriesen zu, als sie über das Schlossgelände eilte.
Hagrid sah kurz von seiner Arbeit auf, sagte aber nichts.
Ab besten suchte sie Slughorn oder Flitwick auf. Flitwick war einer ihrer Lieblingslehrer gewesen und Slughorn ihr Hauslehrer, sie werden sie sicher ihren Kamin benutzen lassen, um zurück nach London zu kommen. Bei Flitwick war sie sich sicher, bei Slughorn nur, wenn er sich überhaupt noch an sie erinnern konnte. Sie war zwar in seinem Haus gewesen, aber sie war in Zaubertränke trotz größter Anstrengung immer nur mittelmäßig gewesen. Zudem hatte sie auch keinen wichtigen Familiennamen oder sonst etwas, das sie für Slughorn interessant gemacht hätte.
Mit bestimmten Schritten marschierte sie in das Schloss. Die wenigen Schüler, die sie antraf, warfen ihr verwirrte Blicke zu. Sie konnte es ihnen nicht verdenken, sie musste grauenvoll aussehen. Ihre Haare standen vermutlich auf alle Seiten ab und waren mit Blättern und Ästen verziert. Ihre Hose hatte einen großen Riss und auch ihre Bluse war von ihrem Kampf auf dem Waldboden in Mitleidenschaft gezogen worden.
Es schien irgendwann am Nachmittag zu sein und die meisten Schüler hatten wohl gerade Unterricht oder trieben sich sonst wo im Schloss herum. Hin und wieder sah Lyssa einen aufgestellten Kürbis und erinnerte sie, dass vor einer Woche Halloween gewesen war.
Sie blieb am Fuße der großen Treppe stehen und überlegte, welchen Weg schneller war. Zu Flitwick oder zu Slughorn?
Verwirrt sah sie einer kleinen Gruppe Schüler in blauen Gewändern hinterher. Sie erkannte die Schuluniform der französischen Schule Beauxbatons. Das mussten Austauschschüler sein, aber seit wann fanden die Austausche in Gruppen statt oder wieso trugen sie ihre eigenen Uniformen?
Während sie den Schülern hinterherblickte, sah sie Professor Babbling, ihre Lehrerin für Alte Runen, die sich mit Professor Sinistra von Astronomie, unterhielt, während sie in die große Halle bogen. Lyssa mochte sich erinnern, dass Professor Babbling ihr anvertraut hatte, bald in Rente zu gehen. Aber anscheinend ließ sie sich noch ein paar Jahre Zeit oder war zu Besuch hier ... ihre Kopfschmerzen machten sie wieder stärker bemerkbar.
Die junge Hexe schüttelte den Kopf, vielleicht hatte Hogwarts wieder einer seiner internationalen Events, das würde die Beauxbatons und Professor Babbling erklären. Seit sie nicht mehr zur Schule ging, war sich nicht mehr auf dem Laufenden.
Sie entschied sich für Slughorns Büro im Kerker.
Auf ihrem Weg herunterkamen ihr zwei Schülerinnen in roten Gewändern entgegen. Durmstrang! Jetzt war sich Lyssa sicher, dass es sich um einen internationalen Event handelte. Nach der Tragödie im Sommer 1995, bei der Cedric Diggory sein Leben ließ und Voldemort zurückkam, wurde kein Trimagisches Turnier mehr veranstaltet. Aber sie wunderte sich schon ein wenig, nichts über den Event im Tagespropheten gelesen zu haben. Normalerweise berichtete diese immer, wenn etwas Spezielles in Hogwarts los war.
Sie war im Kerker angekommen und lief den altbekannten Flur entlang. Manchmal vermisste sie Hogwarts, sie vermisste es, sich im warmen Gemeinschaftsraum an ihre Freundinnen zu kuscheln und durch das große Fenster die Wesen im großen See zu beobachten. Sie vermisste die langen Nächte, die sie durch plauderten und kicherten, nur um am Morgen absolut übermüdet wie Zombies im Unterricht zu sitzen. Und sie vermisste das Plätschern des Wassers gegen die Fenster in der Nacht. Es hatte ihr immer beim Einschlafen geholfen.
Sie blieb vor der schwarzen Türe stehen und klopfte laut. Sollte Slughorn gerade Unterricht geben, musste sie wohl oder übel doch den Weg zu Flitwick machen.
Die Tür öffnete sich und Lyssa hätte fast einen Schrei ausgestoßen, als sie Angesicht zu Angesicht vor Severus Snape stand.
Er zog ungeduldig die Brauen hoch, doch Lyssa bekam kein Wort heraus. Er war tot! Professor Snape starb vor sechs Jahren. Gewisse behaupteten, er starb als Held, die Mehrheit war überzeugt, dass er als Todesser oder Verräter starb. Lyssa war es egal, was nun korrekt war, für sie zählte nur, dass er tot war. Sie hatte ihm in ihrem ersten Jahr als Lehrer für Zaubertränke (und als Hauslehrer), in ihrem zweiten Jahr, als Lehrer in Verteidigung gegen die dunklen Künste und in ihrem dritten Jahr als Schulleiter und sie hatte ihn auf jedem dieser Posten gehasst, mit jeder Faser ihres Körpers. Und jetzt stand er vor ihr, von den schwarzen Gewändern, über die Hakennase bis zu den fettigen Haaren.
"Kann ich helfen?", fragte er kalt und starrte sie aus seinen schwarzen Augen an.
Lyssa drehte sich um und lief eilig den Flur zurück. Das war ein Geist, der zurückgekommen war, um weiter Schüler zu quälen, ganz sicher ... oder ein verspäteter Halloween Streich.
Sie wurde immer schneller, bis sie aus dem Kerker rannte und erst als sie bei der großen Treppe ankam, hielt sie an. Sie versuchte sich zu beruhigen und das Zittern ihrer Hände unter Kontrolle zu kriegen. Dieser 'Snape' hatte ihr einen Schrecken eingejagt, aber mehr nicht.
"Ist alles in Ordnung?" Professor Babbling kam aus der großen Halle auf sie zu. Lyssa sah die Hexe verwirrt an. Sie besuchte vier Jahre lang Alte Runen und in den zwei Jahren seit ihrem Abschluss konnte Professor Babbling sie doch nicht schon vergessen haben. Optisch hatte sie sich wohl auch kaum verändert.
"Ich ... alles gut", sagte Lyssa, der die ganze Sache etwas peinlich war. Eilig drängte sie sich an ihr vorbei in die Eingangshalle, blickte und stolperte in eine Gruppe von Schülern, die auseinander gingen und Lyssa den Platz frei machten auf den Boden zu fallen.
Ihre Wangen wurden heiß vor Scham und ihre Kopfschmerzen schienen nur noch schmerzhafter zu werden, als sie sich auf die Unterarme stützte. Erst jetzt bemerkte sie die weiße Linie unter sich und das Objekt vor sich.
Sie riss den Kopf hoch. Ein hölzerner Kelch auf einer Truhe, der bis zum Rand mit weiß-blauen Flammen gefüllt war.
Eine der Beauxbatons, die Lyssa vorhergesehen hatte, warf gerade einen Zettel in die Flammen, ihre Mitschüler warteten vor dem Kreis. Sie sahen Lyssa erstaunt an, die sich versuchte aufzurappeln und dabei fast auf ihrem langen Mantel ausrutschte, während sie die Flammen anstarrte.
Endlich kam sie wieder auf die Beine und starrte weiter auf die flackernden Flammen. Auch wenn sie um ein Jahr zu jung war, um beim Trimagischen Turnier in Hogwarts gewesen zu sein, so wusste sie genug darüber, um die deutlichen Zeichen zu sehen. Das vor ihr war der Feuerkelch.
"Vielleicht ist das ein Muggel, der sich hier hin verlaufen hat", konnte sie Professor Sinistra flüstern hören. Bevor sie etwas erwidern konnte, hörte sie eine andere Stimme aus einer Gruppe von Hogwarts Schülern, die sich vor dem Kreis versammelt haben.
"So unfair, dass man 17 sein muss", beklagte sich ein junger Hufflepuff und Lyssa erkannte seine Stimme, noch bevor sie sein Gesicht sehen konnte. Das war Anthony Reid!
Sie war zwei Jahre lang unglaublich in ihn verschossen gewesen, bekam aber nie einen Ton raus, in seiner Gegenwart. Er war immer freundlich und half während des Schreckensjahrs sich um die Schüler zu kümmern.
Sie starrte den Jungen an. Anthony starb bei der Schlacht von Hogwarts und der Junge war eindeutig zu jung, um Anthony zu sein.
Ihr drehte sich der Magen um und sie fiel auf die Knie.
Anthony drehte sich zu ihr. "Ist alles in Ordnung?", fragte er besorgt.
Sie sah ihn an, er sah so jung aus. Wieso war er so jung ... wieso war er überhaupt am Leben? Wieso war Snape am Leben und wieso fand das Trimagische Turnier statt ... ihre Kopfschmerzen erlaubten ihr keine klaren Gedanken.
Ein schrecklicher Gedanken drängte sich in ihr Bewusstsein, bevor alles um sie herum schwarz wurde.
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