7- "Ich glaube er hat genug."
"Desmelda hat erfahren, dass L. einen der Alchimisten bestochen hat, für sie einen Liebestrank zu brauen. Und Winnie und Lania haben gesehen, wie sie etwas in Ravns Getränk gegossen hat. Wir sollten ihn vor ihr warnen, bevor er noch etwas tut, was er später bestimmt bereuen wird."
(-G., abgefangener Zettel im MeKra- Unterricht)
✥✥✥
Ravn und ich hatten doch zu nahe beieinander gestanden. Für die nächsten zwei Wochen wurde ich von der weiblichen Hälfte der Schule geächtet, wie eine Gelb-Tesp-Kranke.
So oft hatte ich meinen Namen noch nie in den Burgfluren gehört, ohne ein einziges Mal angesprochen zu werden.
Das Klassenzimmer in dem Professor Timmens seinen Wesenslehre-Unterricht hielt, war eines der größten Säle in der Burg. Halbrund und einem stufenhaften Aufbau, wirkte es dem robusten Äußeren des Gebäudes vollkommen entrückt.
Ein weicher roter Teppich verschluckte meine Schritte, als ich die Stufen zur vierten Reihe nach oben huschte und mich neben zwei andere Schüler an einen Tisch quetschte.
Unser Lehrer hatte bereits seinen Platz am Pult eingenommen, wo er gedankenverloren durch einen Stapel Briefe blätterte. Hinter ihm starrte uns die Fratze eines gehörnten Untiers an, dessen Augen selbst in Kreide festgehalten an tote Fische erinnerten. Zweifelsohne eines der wundervollen Wesen, die mit den wiederkehrenden Nächten unser Land sein neues Heim nannte.
Allein bei dem Gedanken wurde mir schlecht.
Durch die bodentiefen Fenster fielen wärmende Sonnenstrahlen ein und fingen sich in dem blankpolierten Holz der Tische. Ich sah die grünen Hügel außerhalb der Mauern, ihre Weite und die Freiheit, die mich lockte. Dort gehörte ich hin. Nicht zwischen zwanzig andere Jugendliche, die simultan verstummten, als Professor Timmens sich erhob.
„Das letzte Mal haben wir über Brabanen und ihr empfindliches Gehör gesprochen", murmelte er zerstreut, ebenfalls abgelenkt von dem freundlichen Wetter, oder seinen eigenen Gedanken, „Heute lernt ihr seinen Vetter kennen." Mit dem Daumen deutete er über die Schultern an die Tafel.
„Ein Grauhäuter", flüsterte das Mädchen neben mir in ihr Buch hinein. Uzilia Brink. Ich unterdrückte ein Augenrollen. Sie saß so weit nach vorne gebeugt, dass ich nicht einmal ihr Gesicht hinter dem Vorhang aus schmutzig blonden Haaren sah. Warum war sie überhaupt hier, wenn das alles nichts Neues war?
Doch bevor ich eine Antwort fand, holte Professor Timmens meine Aufmerksamkeit zurück. „Wenn Leop Kamrell noch hier wäre, könnte er uns erzählen, wie sein Großvater einmal einen Grauhäuter getötet hat. Aber leider-..." Sein Blick flatterte für den Bruchteil eines Moments zu mir hinüber, lange genug, dass er genauso gut ein Schild hätte malen können.
Und ‚vorwurfsvoll' waren zurzeit die nettesten Gesichtsausdrücke.
Großartig. Wusste der Kerl nicht, dass ich bereits populär genug war, ohne für den Tod eines beliebten alten Mannes verantwortlich gemacht zu werden. Lewi und Ravn hatten doch auch nicht solche Probleme!
Mit dem Kopf auf meinen verschränkten Armen abgelegt, ertrug ich den Rest der Stunde.
Wir gingen die äußerlichen Merkmale von Grauhäutern durch, sowie ihre Stärken und Schwächen. Danach war zumindest jedem klar, warum es eine Seltenheit gewesen war, dass Leop Kamrells Opa einen erledigt hatte. Sollte der König jemals so ein Vieh zähmen, wären wir alle geliefert. Selbst meine Eltern hätten keine Chance und der Gedanke begleitete mich am Ende der Stunde aus der Klasse.
Rückblickend lässt sich sagen, dass ich diese Einsamkeit den folgenden Geschehnissen vorgezogen hätte.
„Ich sehe wirklich nicht, warum er ausgerechnet an ihr Interesse zeigen sollte", erklärte Glorya Vendance gerade einem Schwarm unterbelichtet nickender Metamorphen, als ich von meinem Klassenzimmer aus hinüber zu Lewi stapfte. Dieser war wenigstens unfreiwillig Teil der Gruppe, denn wenngleich Glorya wie ein Kaoba an seinem Arm hing, hatte er den selbstzufriedenen Ausdruck verloren.
„Wenn du Charakter im Aussehen einer Person suchst, wundert es mich nicht, dass er an DIR kein Interesse zeigt", mischte ich mich in einem zuckersüßen Ton ein, der mindestens den halben Kreis zusammenzucken ließ und die anderen in die Flucht schlug.
Glorya schob bissig das Kinn vor, aber Lewi kam ihr zuvor.
„Lya, benimm dich!", schalte er mich in seiner besten Erwachsenen-Stimme, die wenig Lust auf mein unmögliches Gehabe hatte. Seine goldenen Haare fielen ihm in perfekten Locken in die Stirn, doch heute gab er sich nicht einmal die Mühe, sie zu bändigen.
Ungeduldig wischte ich seine Bemerkung fort. Entgegen allen Erwartungen war ich nicht hier, um mit seiner Freundin zu streiten.
„Kann ich dich kurz alleine spre-..."
„Er hat keine Geheimnisse vor mir!", fiel mir Glorya energisch ins Wort und packte den Arm meines Bruders ein wenig fester, was gleichzeitig eine steile Falte auf seine Stirn zauberte.
Überrascht von so viel Dreistigkeit tat ich einen Schritt zurück. Kannte sie ihn so schlecht, dass sie nicht wusste, wie er Bevormundung hasste? Oder hatte er sich tatsächlich so stark verändert, seitdem wir hier waren?
Lewi kniff sich in den Nasenrücken.
Als er schließlich den inneren Kampf gewann (oder verlor, wer weiß, auf wessen Seite er kämpft), machte er sich mit einem Seufzer von Glorya los und versicherte ihr, dass es nicht lange dauern würde.
Dankbar zog ich ihn in eine ruhigere Nische des Gangs, leider nicht weit genug entfernt, um Gloryas giftigen Blicken zu entgehen.
„Was willst du?", herrschte Lewi mich an, kaum da ich mich prüfend umgesehen hatte. Er hatte es wirklich eilig zu seiner goldblonden Waldelfe zurückzukehren. Und wir erinnern uns aus Professor Timmens Unterricht der Wesenslehre: DAS war kein Kompliment.
„Hast du zuletzt an unsere Eltern geschrieben?" Die Worte hinterließen trockene Lippen und die Spuren gekauter Unruhe.
Offenbar hatte seine Freundin noch nicht all seinen Verstand durch den Mund aufgesogen, denn er begriff sofort, worauf ich hinauswollte.
„Sie antworten dir auch nicht?" Sorge mischte sich in den grüblerischen Ausdruck und ließ ihn auf der Stelle ernster und reifer aussehen.
„Seit zwei Wochen nicht mehr", gab ich zu. Womöglich sogar noch länger, wenn man einrechnete, was für ein fauler Briefschreiber ich war.
„Vielleicht sind die Briefe fehlgeleitet oder abgefangen worden", versuchte Lewi, mich ein wenig zu beschwichtigen. Aber seine zuckenden Finger und der abwesende Blick verrieten ihn. Zeigte er mir wochenlang die kalte Schulter, war mein Bruder am Ende doch ein Familienmensch.
„Ma schreibt auch, wenn ich vergesse, ihr zu antworten."
Eine kurze Pause entstand, die Lewi nutzte, um alte Gewohnheiten, die er sich zuletzt an der Burg abgewöhnt hatte, wieder aufleben zu lassen. Er fluchte.
„Wir sollten Lady Beanna informieren und bitten, jemand zu unserem Hof zu schicken."
„Können wir nicht selbst nachsehen?", fragte ich nach, doch mein Bruder schüttelte energisch den Kopf. Eine kleine Hoffnung regte sich in mir. Wenn wir zurückreiten würden, hätten sich unsere Eltern unter Umständen so weit beruhigt, dass wir gleich zuhause bleiben durften.
„Keiner von uns ist auch nur annähernd genug ausgebildet-..."
Der Rest seines Satzes wurde von Colin Dakes grölender Stimme verschluckt, als er sein pickelnarbiges Gesicht hinter dem Rücken meines Bruders sehen ließ.
„Hey Lenlay, wenn du gerade dabei bist Kerle auszuprobieren, würde ich für uns beide schon einmal einen ruhigen Gang ausfindig machen!" Er leckte anzüglich über die Lippen und ich konnte nicht anders als geschockt zurück starren.
Er hatte Lewi offensichtlich nicht erkannt. Die umstehenden Mädchen fanden seine Bemerkung trotzdem witzig. Gekicher brandete auf, als Colin mir mit einem Augenzwinkern eine Kusshand zuwarf, allen voran Glorya, die andere Mädchen antippte und meinen verdutzten Ausdruck nachahmte.
„Natürlich Dakes. Soll ich mich vorher rasieren, oder findest du Bartstoppeln attraktiv ...", fuhr mein Bruder zu ihm herum, als hätte ihm jemand einen Ziegel an den Hinterkopf geworfen.
In all dem Durcheinander hatte ich nicht bemerkt, wie Lewis Wangen die Farbe gewechselt hatte. Offenbar hatte ihn unser kurzes gemeinsames Problem vergessen lassen, dass er mich seit drei Jahren nicht mehr leiden mochte. Mit geballter Faust drehte er sich zu Colin um, als Glorya seinen Arm abfing.
„Lewi, lass die Zwei miteinander turteln. Lya darf sich ruhig bei den Jungs ein wenig beliebt machen", säuselte sie in sein Ohr und zog ihn von mir fort. Lewi versuchte kurzzeitig, sich loszumachen und Colin die Meinung zu sagen, aber seine Freundin war genauso kampferprobt und unerbittlich in ihrer Entscheidung.
„Na, was sagst du zu uns Hübschen", postierte Colin sich direkt vor mir, die Arme in seine massige Seite gestemmt. Er war zwei Jahre älter als ich, ein Elementbändiger mit silbernem Knopf im Ohr und langen, zotteligen Haaren, die ihn wie einen Rumtreiber aussehen ließen.
Mir kamen unmittelbar Ravns Worte in den Sinn, dass Begabung allein uns nicht zu guten oder schlechten Menschen machte. Wie Recht er hatte.
Eine helle Glocke erinnerte mich und meine Mitschüler daran, dass es Zeit für den nächsten Unterricht war und augenblicklich leerte sich der Gang.
„Ich sage: An dir ist nichts hübsch, selbst wenn jemand das Licht ausmachen würde", erklärte ich Colin kühl und wandte mich zum Gehen. Für ihn würde ich nicht zu spät zu Kräuter und Medizin kommen, vor allem nicht, wenn dort ein gewisser Jemand saß, der in jedem Licht attraktiv wirkte.
Doch eine fleischige Hand packte meinen Oberarm und zog mich zurück.
Super. Er wollte es also wirklich wissen.
Sofort sprangen meine Reflexe an. Mit dem Ellenbogen schlug ich ihm mitten ins Gesicht, während meine linke Ferse auf seinen rechten Fuß niedersauste.
Fluchend, doch leider ohne mich loszulassen, taumelte Colin nach hinten und griff mit der freien Hand an seine blutende Nase.
„Wenn die gebrochen ist, schlag ich dich zu Brei!", drohte er, den Kopf in den Nacken gelegt, als könne er so das Rinnsal stoppen. Seine Hand fasste zu und schüttelte mich durch, sodass meine Zähne aufeinanderschlugen.
„W-Wie-s-so?", brachte ich kaum hervor, „G-Glaubst d-du s-ie k-k-könnte et-twa schli-immer we-werden?"
Zugegeben, den darauffolgenden Tritt mit dem Knie in die Magengrube hatte ich damit provoziert. Keuchend klappte ich zusammen, während meine verschwommene Sicht Lewis blonden Schopf fand, der in meine Richtung stürzte. Er musste aus dem Unterricht zurückgekommen sein.
Doch den ersten Schlag landete jemand anderes. Mit einem jaulenden Laut ließ Colin mich los und stolperte aus dem Weg.
„Was bei den drei Nebelflüsterern ist dein Problem, Sinner?", zischte er, ehe Ravn seinen nächsten Hieb platzierte und ihn damit durch den halben Gang schleuderte.
Wackelig kämpfte ich mich zurück auf die Beine und erhielt unverhofft Hilfe von Lewi. Unverständliche Worte äußernd, nahm er mein Kinn in die Hand, um mein Gesicht zu untersuchten.
Ich hatte Probleme, die Augen auf ihn zu fokussieren. Seine Züge verschwammen immerzu, als blicke ich durch eine dicke Scheibe, die alles um ihn herum verschluckte. Zappelig befreite ich meinen Unterkiefer aus seinem Griff und drehte mich suchend nach Ravn um.
Ich fand ihn einige Schritte entfernt hinter Lewi. Er hatte sich inzwischen über den am Boden liegenden Colin gebeugt und schlug auf ihn ein. Immer wieder. Ohne Pause.
„Ravn!", ein flaues Gefühl machte sich in mir breit, als Colin nicht mehr zuckte, sondern sich mit jedem Treffer zunehmend in ein blutendes Bündel Fleisch verwandelte. Er hatte die Augen aufgerissen, während die Fäuste auf ihn niederprasselten.
„RAVN!", wiederholte ich lauter und lief los. Lewi wollte mich zurückhalten, ich spürte seinen Arm an meinem, aber er war zu langsam. Ich entglitt ihm und stand im nächsten Moment über dem rußhaarigen Jungen, dessen blinder Zorn einen Tornado aus Schatten um ihn zog.
„HEY!", mit dem Unterarm fing ich den folgenden Hieb ab, bevor Ravn mich bemerkte. Für einen Herzschlag starrten seine Augen durch mich hindurch, ehe sie auf meinen Arm fielen und den roten Abdruck, der sich von seinem Treffer dort bildete.
„Ich glaube, er hat genug", nickte ich in Colins Richtung und versuchte all meine hektischen Gedanken nicht nach außen dringen zu lassen. Behutsam griff ich seine Faust, doch Ravn zog sie sofort weg.
Enttäuscht ließ ich die Hand sinken. Sein Blick brannte auf meiner Haut, aber ich traute mich nicht ihm ins Gesicht zu sehen. Er würde wissen, was in meinem Kopf vor sich ging und in keinem Moment waren mir meine Gedanken heiliger oder eigener, als jetzt.
Er sagte die ganze Zeit über nichts. Sah mich nur an, die aufgeplatzte Lippe, die erhitzte Haut. Mein Puls galoppierte wie ein reißender Fluss in meinen Ohren, als ertrüge ich die plötzliche Stille nicht.
Aber als ich neben ihm in die Knie gehen wollte, fällte er eine Entscheidung. Wortlos rappelte er sich auf und lief an mir vorbei den Gang hinunter. Er drehte sich nicht um, sondern ließ mich und Lewi stehen.
Hinter uns ging die Klassenzimmertür auf und Mr. Creek streckte seinen Kopf hinaus, dicht gefolgt von Gloryas Locken.
„Bei allen Herren, Mr. Lenlay, Miss Lenlay!", rief er erschrocken aus und eilte zu Colin hinüber, neben dem inzwischen Lewi kniete.
Ich starrte in die Richtung, in die Ravn verschwunden war.
Unser Gespräch mit Lady Beanna, in dem sowohl Lewi und ich, als auch merkwürdigerweise Glorya den Hergang des Streits schilderten, nahm den ganzen Abend in Anspruch.
Niemand konnte Ravn finden, um ihn zu befragen. Und als ich ins Speisezimmer entlassen wurde, hatte bereits jeder von Glorya gehört, wie ich mich erst an Colins Hals geworfen und danach Ravn auf ihn gehetzt hätte. Irgendwelche Folgen von einem Liebestrank oder so ...
Der Wunsch nach Hause zu kommen, wuchs mit jedem Flüstern meines Namens.
Colin konnte keine Darstellung abgeben. Er war sofort ins Krankenzimmer gebracht und dort über Nacht zur Behandlung behalten worden. Und hätte man mich gefragt, hätte er keine Schmerzmittel verdient.
Ohne gegessen zu haben, verkroch ich mich in mein Zimmer, wissend, dass ich dort alleine sein würde. Das zweite Bett darin war noch nicht vergeben und ich freute mich sonst immer, dass ich zumindest für dieses Schuljahr meine Ruhe haben würde.
Doch heute hätte eine neugierige Mitbewohnerin geholfen.
Eine einzelne Notiz lag auf dem Kopfkissen, sauber zusammengefaltet und mit Wachs verschlossen.
Sie war von Ravn. Er hatte die Burg verlassen.
✥✥✥
"Voted, sonst muss ich auch an euch meinen Liebeszaubertrank ausprobieren!"- Lya
xoxo
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