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6- "Denkst du etwa etwas Schmutziges?"

„[...] Es sind durchaus einzelne Fälle der Aufnahme und Umkehrung von begabten Kindern zu anständigen Bürgern bekannt, die Meisten vom König selbst durchgeführt. Es ist dabei notwendig, dass die Kinder in einem noch formbaren Alter sind und eine besondere charakterliche Disposition aufweisen, die sie für diesen komplizierten Prozess eignungsfähig macht. Wenige dieser Experimente sind erfolgreich. 
Es wird jedoch berichtet, dass neben der Vierten Garde, auch der Ziehsohn des Königs eines dieser Kinder war, ihn jedoch mit seinem Talent und seinem Wesen so überzeugt hat, dass er heute eben jene Garde zum Schutz des Volkes leitet."

- (Lional Frank, Historie der Völkerlehre: Das Monster als Nachbar; S. 424)

✥✥✥

          Drei Tote. Alles Schüler, die außerhalb der Mauer gewesen waren.
Ihre Beerdigung wurde auf den nächsten Morgen gelegt, ältere Lehrlinge ausgeschickt, um die verbliebenen Eltern in Kenntnis zu setzen, und der Unterricht fiel für den Rest der Woche aus.

In Fünfergruppen wurden wir ausgesandt, um die naheliegenden Dörfer abzuklappern, auf der Suche nach Leuten, die unsere Hilfe gebrauchen könnten.
Ich hatte Glück und Pech gleichzeitig. Glück, weil man Lewi in eine andere Kolonne geschickt hatte und ich einen ganzen Tag ohne seinen Schwarm an Verehrerinnen verbringen durfte. Pech, weil ich mit Glorya und Ravn in einer Gruppe landete. Beanna hatte Ravn und mir angeboten, die Strafe ausfallen zu lassen, sollten wir uns auf dem Ausflug anständig benehmen. Keine Klagen, keine Beschwerden und keine Verletzten. Und ich vermutete, dass deshalb Glorya ebenfalls dabei war.
Dazu kamen Kimia, eine Heilerin, die ich zuvor nie gesehen hatte und Landol, dessen Intelligenzquotient in einen Streichholzkopf passte.

Zu meiner Überraschung hielt Ravn sich über den ganzen Ritt dicht bei Glorya, einige Pferdelängen vor uns. Sie redete ununterbrochen in gedämpftem Tonfall auf ihn ein und ich malte mir zwar aus, wie sehr es ihn nervte, doch zu meinem eigenen Verdruss ritt er nicht fort.
Wenn Ravn Gefallen an Glorya fand, hatte ich mich mehr in seiner Persönlichkeit geirrt, als ich bereit war zuzugeben.

„Das Land sieht schrecklich aus", murmelte Kimia neben mir, den Blick auf einen zerstörten Aussiedlerhof zu unserer Linken gerichtet. Das Dach lag verteilt zwischen den Steinen und Balken der Wände. Ein kalter Wind fegte durch den Schutt und das stetige Surren der Aasfliegen machte mich dankbar, dass wir nicht näher hin ritten.

Obwohl die Heilerin mehr zu sich selbst gesprochen hatte, antwortete Landol. „Ich versteh nicht, warum Beanna uns in so eine Gefahr schickt! Es könnte jeden Moment wieder Nacht werden!" Er schnaubte abfällig, die Lippen zu einem angewiderten Ausdruck geschürzt.

Kimia riss erschrocken die Augen auf. „Genauso für die Bewohner! Und sie haben keine Mauern mehr, hinter denen sie Sicherheit suchen können!" Nach Unterstützung suchend wandte sie sich an mich, doch unser grobschlächtiger Begleiter war schneller.
„Meine Familie hat auch niemand geholfen, als die Reiter des Königs kamen! Und jetzt hat er noch drei meiner Freunde auf dem Gewissen! Wo ist das Volk, wenn wir sie benötigen?"

Beide sahen sie mir herüber. Ich blieb schweigsam. Schluckte alle Worte trocken herunter bis mir die Kehle brannte. Landols Schicksal war kein Einzelfall. Die Burg war voll von verwaisten Kindern, deren Eltern von Nachbarn oder Vertrauten verraten worden waren. Beannas Sucher waren oft ihre letzte Rettung gewesen, doch sie konnten die Angehörigen nicht schützen.

„Was wäre der Nutzen einer Gabe, wenn wir sie nicht für Schwächere verwenden?", erklärte Kimia in diesem Moment inbrünstig, als hätte meine mangelnde Unterstützung sie noch mehr angespornt. Der stumme Heiler kam mir in den Sinn. Auch er hatte Hilfe geleistet, ohne Dank zu erwarten. Er hatte geholfen, ganz gleich was ihm die Leute angetan hatten.
Es war beeindruckend, aber ich könnte es nicht. Wenn mir jemand die Zunge herausgeschnitten hätte, ich würde zusehen wie sie an ihren Krankheiten litten.

Landol machte sich keine Mühe den Blick zu verbergen, der ein paar Augenblicke zu lange auf Kimias üppigen Kurven und der entblößten olivfarbenen Haut ihrer Handgelenke hängen blieb. Mit einem Grunzen drehte er sich wieder um, der Diskussion überdrüssig. Leider galt das nicht für alle.

„Du brauchst nicht so rumschreien, Kimia." Glorya hatte sich mit ihrem Pferd zurückfallen lassen, bis sie direkt zwischen mir und der Heilerin ritt. „Das einfache Volk", sie neigte den Kopf in meine Richtung, „liebt dich auch so." Die Verachtung in ihrer Stimme ließ mich mit den Zähnen knirschen.
Was bildete sie sich ein? Ich mochte kein Talent haben, aber ich brauchte Kimias Wohltätigkeit genauso wenig.

Kimia bekam einen hochroten Kopf. „Ich habe das nicht wegen ... Lya ist nicht..." Sie brachte den Satz niemals fertig. Hektisch schossen ihre Augen zwischen mir und der grinsenden Glorya hin und her. Teils zornig, teils um Vergebung bittend.

Ich wandte mich ab. Vielleicht war es nicht schlecht gewesen, dass Ravn dieses blonde Miststück von mir ferngehalten hatte. Mit ihr an meiner Seite würde es deutlich schwieriger werden ein tadelloses Benehmen an den Tag zu legen. Sie brannte darauf, Lady Beanna Bericht zu erstatten.

Als hätte man ihn gerufen, machte Ravn in dem Moment vor uns kehrt und ritt zu unserer kleinen Gruppe zurück.
„Da unten ist das Dorf", informierte er uns, „Glorya, Lya ihr kommt mit mir. Landol, such für Kimia Patienten im Dorf. Und denkt daran: Keiner sieht eure Kräfte!"

Alle nickten zustimmend. Sogar ich, obwohl ich mir nicht ernsthaft Gedanken über einen Ausrutscher in diesem Bereich machen musste. Nur Landol hatte die Arme vor seinem Oberkörper verschränkt und starrte Ravn feindselig an. „Wer hat dich zum Anführer der Gruppe gemacht?"

Weil mir nichts Besseres einfiel, rollte ich mit den Augen. Wirklich, der Junge wollte Probleme haben. Wenn er nicht streiten konnte, war er nicht glücklich.

Ravn blieb ungerührt von den Worten, doch sein Kiefermuskel zuckte. Kurz glaubte ich, wir würden ihn alle kollektive ignorieren, da rangierte Glorya ihr Pferd direkt neben Ravns und legte ihm galant eine Hand auf den Arm.
„Lady Beanna hat mir das Kommando zugesprochen und ich habe es an Ravn abgetreten. Du zweifelst meine Entscheidung doch nicht an?"

Ich wollte Landols Reaktion sehen, doch mein Blick klebte kurzzeitig an Gloryas Hand fest. Wieso schüttelte Ravn sie nicht ab? Er konnte bessere als sie haben!
Zu spät bemerkte ich, wie Glorya mich mit einem kalten Lächeln beobachtete. Aufreizend langsam ließ sie ihre Hand über seinen Unterarm streichen, ehe sie ihr Pferd wandte und weiter ritt.

Meine Wangen brannten und mir wurde übel. Ertappt verlagerte ich meine Konzentration auf Cairis Mähne und dort blieb sie, bis wir vor den Eingängen des Dorfes anhielten.

Der Palisadenzaun war direkt neben dem Tor umgeknickt und offenbarte einen Eindruck von der Größe des Biests, das hier durchgekommen war. Es war definitiv breiter gewesen, als die sandigen Straßen zwischen den Häusern und hatte die Fronten eingerissen und Dächer einstürzen lassen. Irgendwo weiter hinten musste es auf die rechte Hausreihe drauf gesprungen sein. Bewohner kauerten in ihren Eingängen, ihre Habseligkeiten in den Armen.
Ihre gepeinigten Stimmen verwoben sich zu einer Melodie, die mir die Luft abschnürten.

Die Gebäude sahen anders aus, als in meiner Heimat. Sie wuchsen höher, als versuchten sie, mit den Bergen im Norden zu konkurrieren. Ihre Dächer liefen spitzer zu und die Türen waren hölzern und einfarbig. Stattdessen hatte man die Eingangsbereiche mit bunten Laternen verziert, die nachts erleuchtet wurden. Zu meiner Linken schmiegte sich in einem Eingang ein kleiner Junge an die blutige Hälfte eines grauen struppigen Hundes. Mit beruhigenden Worten wog er den Kadaver hin und her, als wolle er ihn in den Schlaf sprechen, doch ich hörte die Tränen in seiner Stimme.

Zwei Häuser weiter kniete eine Mutter vor einer Holzstatue der Göttin Erib und betete. Ihre ausgestreckten Hände zitterten mit jedem Wort, Namen ihrer Familie, denen sie den rechten Weg in die Schattenwelt weisen wollte.

Wir folgten den Spuren der Verwüstung in schrecklicher Stille. In der Mitte des Dorfs hatten die Bewohner ein Feuer errichtet, um die vielen Leichen zu verbrennen. Sein süßlicher Gestank ließ mich die Hand vor Mund und Nase schlagen. Sie hatten das Holz zwei Mann hoch stapeln müssen.

Keiner hatte eine Chance gehabt. Wenn das die Taten des Königs waren, hatte er sich die ärmsten Opfer im ganzen Land ausgesucht. Jene, die nur zum Überleben lebten. Die sich aus seinem politischen Streit heraushielten. Sie hatten es nicht verdient ihre Angehörigen in Massengräbern zu verlieren.

„Glorya. Lya." Ravn sprach leise, während er uns bedeutet abzusteigen. Seine Aufmerksamkeit blieb an mir hängen und riss mich von dem Anblick vor uns los. Er hatte die Maske um seine Gefühle noch einmal verstärkt. Eine weitere Mauer, noch größer und noch härter. Beinahe furchteinflößend, wenn sie nicht doch zu schwach gewesen wäre, um den gequälten Glanz zu verbergen. Er litt. Und er setzte alles daran, dass es niemand sah. Das hier war falsch, egal was er von der Bevölkerung hielt. Und ich stimmte ihm nur aus vollem Herzen zu.
Gloryas ungeduldiges Fußtappen riss mich aus dem kurzen Moment. Abschätzend beobachtete sie unser wortloses Gespräch.

Eine halbe Stunde später hatte Ravn mit zwei Bauern gesprochen, die uns baten, Wertgegenstände aus den zusammengestürzten Häusern zu schaffen. Landol stieß irgendwann dazu, was zur Abwechslung eine richtige Hilfe war, denn er ließ sich von uns beschreiben, was die Hausbesitzer vermissten und er erspürte zielsicher, wo es lag.

Bevor ich mich jedoch ihnen anschloss, kehrte ich zu dem kleinen Jungen und seinem Hund zurück. Er saß noch immer exakt an derselben Stelle, einen gejagten Ausdruck in den riesigen Augen. Sie waren dunkel, wie die Höhlen in Totenköpfen und die Haut spannte sich über die herausstehenden Knochen.
Als er mich näherkommen sah, presste er den Hund noch ein wenig stärker gegen seinen schmächtigen Oberkörper.

Ich schluckte. Er musste seit drei Tagen hier sitzen, was bedeutete, dass es niemanden gab, der ihn vermisste. Seine Eltern würden auf einem der Scheiterhaufen ihre letzte Ruhe gefunden haben.
Ich versuchte es mit einem Lächeln, um ihn nicht noch mehr zu verschrecken. „Darf ich mich zu dir setzen?"

Er antwortete nicht, sondern begann nur noch hektischer den Hund hin und her zu wiegen. Seine Kleidung war von dem getrockneten Blut seines Freundes vollkommen starr. Nichts davon bemerkte er, als ich mich vorsichtig neben ihn auf die Schwelle des Eingangs niederließ.

Der Knoten in meinem Magen wurde nur noch schlimmer. Ich hatte keine Ahnung, wie man mit einem verstörten Kind umging. Ich wusste nicht, was ich sagen konnte, um ihn von diesem Hund zu lösen. Doch ich konnte ihn nicht einfach kauern lassen, bis er vor Hunger oder Vernachlässigung einging.
„Mein Name ist Lya", stellte ich mich in Ermangelung besserer Ideen vor.

Wie zu erwarten bekam ich keine Antwort. Stattdessen rückte er ein Stück von mir ab, den Hund beschützend gegen seine Brust gedrückt. Er musste alles sein, was ihn geblieben war. Und ich verstand, warum er nicht losließ. Ich würde niemals loslassen.

„Wir sind hier, um deinem Dorf zu helfen", ich musterte die glasigen Augen des toten Tiers und unterdrückte ein Schauern, „Gibt es irgendetwas, das wir für dich finden sollen?"

Das Kind zögerte. Nur für einen Herzschlag, doch es war lange genug, dass es meiner Aufmerksamkeit nicht entging. Sein Blick war ähnlich starr, wie der des Hundes. Die kleinen Finger klammerten sich in das struppige Fell, wie Krallen einer Krähe.

Mit verkrampften Herzen traf ich eine Entscheidung. Zögerlich streckte ich meine Hand nach dem Kopf des Vierbeiners aus. „Darf ich?"

Der Junge blinzelte nicht einmal als Reaktion. Er war gefangen. Und ich würde ihn nicht befreien können. Nicht hier, nicht jetzt und schon gar nicht alleine.

Behutsam schloss ich dem Hund die Augen. Meine Hand ergriff die des Kindes. Aus seiner Starre gerissen, schaute er mich an.
„Wie heißt dein Hund?"

Es fühlte sich wie eine Ewigkeit an, ehe sich die Lippen des Jungen endlich öffneten. Beinahe glaubte ich, auch dieses Mal keine Antwort zu bekommen, als-...
„S-Sumo." Es war kaum mehr als ein abgehackter Atemzug, der in dem Erker widerhallte.

Ich brauchte alle Kraft, um nicht direkt vor ihm zu zerbrechen. Wie alt mochte er sein? Fünf oder sechs Jahre? Er ging mir kaum bis zum Ellenbogen und das war erstaunlich bei meiner geringen Größe.
„Sieh dir an, wie müde dein Hund ist. Er schläft bei den langen Schatten der Nacht. Es wird Zeit sich zu verabschieden." Ich schluckte gegen den Stein in meiner Kehle an.

„LYA!" Gloryas harsche Stimme ließ uns beide zusammenzucken. Mit einem Ruck fuhr mein Kopf dahin herum, wo ich die blonde Kriegerin vermutete und der Junge kehrte zu seinen wiegenden Bewegungen zurück.

„Lya, du kannst dich nicht um deine Arbeit drücken", schnarrte mich meine Kameradin ein, einen abfälligen Blick auf das Kind neben mir werfend. Als sie den Hund bemerkte, verzog sie ihren Mund noch angewiderter und tat einen Schritt weg. „Was tust du bitte?"

Mühsam kämpfte ich mich auf meine tauben Beine. „Wir müssen ihn mitnehmen, Glorya", versuchte ich zu erklären, „Er ist traumatisiert und alleine." Er würde sterben, wenn wir nichts unternahmen. Niemand in dem Dorf hatte die Zeit, sich um ein fremdes Kind zu sorgen. Aber die Burg war ein Ort für Waisen. Vielleicht konnte er dort-...

„Die Burg ist für magische Begabungen", erriet Glorya meine Gedanken, unfähig ihren Blick von dem toten Tier zu lösen. Der Horror war in ihren Augen und der steilen Falte zwischen ihren Brauen zu sehen.

„Ich werde mich um ihn kümmern", schnitt in diesem Moment Kimia meine Antwort ab. Ich hatte sie nicht gesehen, wie sie hinter mich getreten war, doch der Junge hatte sie sofort ins Auge gefasst.
Als wisse er instinktiv, dass sie ihn heilen konnte, entspannte er seine Haltung und beobachtete stattdessen wie sie vor ihm in die Knie ging.

„Er hat niemanden mehr, der nach ihm sieht. Wenn wir nicht eingreifen, wird er in wenigen Tagen-..."

„Es reicht", unterbrach Glorya mich mit einer endgültigen Handbewegung, „Bauern sterben. So ist das Leben, Lya. Wir können nicht jeden retten, den wir draußen finden, also bitte setz deinen Kopf ein und mach dich nützlich."

Ich wollte sie ohrfeigen. Nur so lange, bis sie mit ihrem Kopf aus den Wolken kam und das Kind vor ihren Füßen sah. Wie konnte sie so etwas denken? Wir sollten nicht in der Position sein über das Leben oder den Tod eines Kindes zu entscheiden. Wieso fiel es ihr also so leicht?

Kimia bemerkte den Launenumschwung. Mit einer Hand auf meiner Schulter drehte sie mich behutsam von Glorya fort, ehe ich irgendwas sagte, was ich bereuen würde.
„Ich werde ihn in einen besseren Zustand versetzen und dann im Dorf herumfragen. Das sind auch Menschen. Sie werden ihn nicht eingehen lassen."

Ähnlich wie ich kurz zuvor bei dem kleinen Kind, ließ sie mich nicht aus den Augen, bis ich zustimmend den Kopf senkte. Ich hatte keine Chance. So ungern ich es zugeben mochte, Lady Beanna konnte nicht jedes Kind auf der Straße aufnehmen. Ihnen wäre mehr geholfen, wenn wir den König und die plötzlichen Nächte stoppen würden.
Mit einem letzten gebrochenen Blick auf den Jungen, drängte ich mich an Glorya vorbei und marschierte zu dem versammelten Rest meiner Gruppe.

Die Sonne rückte langsam über den Zenit des Himmels und mir ihr begann auch die Stimmung meiner Mitarbeiter zu sinken. Glorya langweilte sich, Landol starrte die Dorfbewohner an und Ravn sagte zwar nichts, doch das lag daran, dass er wie ich Beannas Angebot im Hinterkopf hatte. Er machte nicht eine einzige Pause, doch wenn jemand seinen Dank äußern wollte, zeigte er ihnen die kalte Schulter.

„Verschlissene Hosen, Töpfe aus Zinn und hölzerne Puppen... die Leute lassen uns nach ihrem Schrott suchen", murrte Glorya, die auf einer Kommode saß und ihre Beine baumeln ließ. Sie hatte seit der Mittagszeit keinen Finger mehr gerührt und überwachte stattdessen den Fortschritt.

„Wenn es etwas wert wäre, würde ich es mitnehmen", erwiderte Landol, ohne sich die Mühe zu machen seine Stimme zu senken, „Als Entlohnung für unsere Mühe." Er warf einer geschockt davon stolpernden Frau ein gelbzahniges Grinsen hinterher.

Ich verdrehte die Augen. Die Dorfbewohner hatten ihr Dach über dem Kopf verloren und er glaubte ernsthaft, Entschädigung zu brauchen. Zu seinem Glück war er zu blöd, um zu bemerken wie tief er gesunken war.

„Bist du anderer Meinung, Lya?" Gloryas Stimme tropfte von Honig. Ein widerliches Lächeln spielte um ihre Lippen, während sie freundlich mit den Wimpern klimperte. Sie wusste, was sie hier tat.

Es kostet mich einiges an Selbstbeherrschung an Beannas Worte zu denken. Verkrampft zuckte ich mit den Schultern. „Wie Landol gesagt hat: Es ist nichts wert. Warum von jemandem stehlen, der noch weniger hat als wir?"

„Pächter müssen auch ihren Anteil zahlen, wenn die Ernte schlecht war", Glorya wickelte eine blonde Locke um ihren Ringfinger, „Es erinnert sie daran, wessen Gnade sie ausgeliefert sind."

Ich unterdrückte ein Seufzen. Bestimmt war sie so erzogen worden. Aber was hatte es ihr gebracht? All ihre herablassenden Blicke waren wertlos, wenn sie genauso tief im Schutt eines zerstörten Hauses stand. „Ich wusste nicht, dass diese Bauern dein Land bestellen", antwortete ich schneller, als ich auf meine Zunge beißen konnte.

„Sie sollten Schutzgelder zahlen", rief Landol aus und schlug mit der Faust in seine offene Hand, „Wir könnten sie alle zerstören!"

Ravn hielt inne und hob den Kopf. Doch es war zu spät. Der Tunnelblick hatte mich eingeholt und beschränkte sich auf den Sucher und die Prinzessin. Was dachte er sich nur dabei? Diese Menschen waren ihm nichts schuldig. Was er vorschlug, war kriminell und falsch!
„Du klingst genauso, wie der König euch beschreibt."

Landols Miene verfinsterte sich und er ließ die Knöchel knacken. Doch Glorya kam ihm mit einer Antwort zuvor. Behände sprang sie von ihrer Kommode und schlenderte zu ihm hinüber.
„Reg dich nicht auf. Sie ist eben eine von ihnen."

Ganz ruhig steckte ich meine Schaufel in den Grund und stützte mich darauf ab.
„Ich habe keine Talente, aber zumindest funktioniert mein Verstand. Das ist mehr, als ich von euch zwei sagen kann."

„Lya", warnte Ravn und ließ ebenfalls das Tuch in seinen Händen zurück in den Schutt fallen. Er hatte Lady Beanna im Sinn, doch lieber würde ich doppelte Zeit nachsitzen, anstatt mir das hier noch länger anhören.

„Du verteidigst Menschen, die uns bei jeder Gelegenheit ein Messer in den Rücken rammen", erinnerte Glorya mich, ein abfälliges Schnalzen auf den Lippen.

„Weil sie es nicht besser wissen", hielt ich dagegen, „Alles was sie hören, sind die Worte des Königs. Und Landol hier, ist fleißig diese zu unterstützen. Du kannst ihnen schlecht vorwerfen sich gegen Diebe zu schützen."

„Nenn mich noch einmal einen Dieb", fuhr der Sucher auf, doch Glorya bremste. Fasziniert beobachtete sie Ravn, der langsam auf mich zu kam.

Seine Stimme bestand aus spitzen Eissplittern.
„Willst du damit sagen, dass jeden, den sie an die Reiter des Königs verraten haben, jeden den sie im Fluss ertränkt und zwischen den Häusern gehängt haben- dass sie es alle verdient hatten?"

Widerwillig drehte ich mich zu ihm um. Er thronte über mir, die Augen verdunkelt vor unterdrücktem Ärger über meine Worte. Wieder erinnerte ich mich an den stummen Magier und was er über die Leute gesagt hatte, die ihm so etwas angetan hatten. Er hatte recht. Die Menschen waren grausam.
Mein Blick fiel hinter ihn auf ein kleines Mädchen, das mit der geretteten Holzpuppe spielte. Sie hatte Glorya einen Kuss auf die Wange gedrückt, als Dank. Sogar unsere blonde Eisprinzessin hatte darüber gelächelt. Würde sie irgendwann ebenfalls grausam werden? Unter der Leitung des Königs bestimmt. Sie hatte keine Wahl.
„Wir sind kaum besser als sie, wenn wir nicht zwischen Tätern und Unschuldigen unterscheiden. Was willst du tun, wenn der König gefallen ist? Jeden einzelnen normalen Menschen abschlachten?"

Ein merkwürdiges Zucken ging durch Ravns Maske. Ich hatte einen Nerv getroffen. Nur welchen?
Unbeirrt fuhr ich fort: „Der König macht sie zu dem, was sie sind. Niemand sonst."
Ich glaubte nicht daran, dass ich Landol oder Glorya ändern würde. Aber für Ravn gab es Hoffnung. Er war versessen darauf, dass die Leute unrecht taten, aber ich hatte das Mitgefühl in seinen Augen gesehen, als er vor dem Dorf stand.
Erschöpft hob ich meine Schaufel an, drehte mich um und drückte sie wortlos Glorya in die Hand. Sie würde so oder so Meldung über mich machen, da konnte sie genauso gut auch mithelfen.

Ich fand Kimia bei einem alten Mann, der fröhlich Pfeife paffte. Er sah erstaunlich vital aus, für die vielen fehlenden Zähne in seinem Mund.
„Er hatte einen riesigen Splitter in seiner Lunge stecken. Ich musste den Mann erneuern", raunte Kimia mir zu, als ich mich neben sie in das Abendlicht setzte.

„Wie hast du ihn getauft? Den Splitter?", lächelte ich über die Gerüchte, die über Kimias Eigenheiten an der Burg herum gingen.

„Hecel. Wie diesen Kerl, der durch einen Splitter sein linkes Auge verloren hat", erstaunte mich die Heilerin mit ihrer Nüchternheit. Sie hatte ein Holzstück nach einem mythologischen Helden benannt? Na gut.

„Und großartig hast du mich geheilt, mein Kind", krähte der Großvater laut zurück, dass wir ertappt zusammenzuckten.

Ein verschmitztes Lächeln zog meine Lippen schief. „Ich glaube, sein Gehör ist sogar besser als zuvor."

Die Heilerin lachte schallend auf und für einen kurzen Moment vergaß ich die Anstrengungen des Tages.

Glorya berichtete keine halbe Stunde nach unserer Rückkehr Mrs. Kent davon, wie ich mich geweigert hatte zum Schluss mitzuhelfen. Landol bestätigte ihr die Geschichte gerne.

Der Beginn der neuen Woche kam schneller als erwartet und mit ihr eine Notiz von Lady Beanna, dass Ravn und ich uns nach Ende des Verwandlungsunterrichts bei ihr im Turmzimmer einfinden sollten.

Das Nachsitzen hatte ich versucht zu vergessen, doch nicht Mrs. Kent, die Lady Beanna noch einmal drängend daran erinnert hatte.

So kam es, dass ich nach meiner letzten Trainingseinheit mit Fenkwells Ersatz, mit weichen Knien und schmerzenden Rippen die Turmtreppe hinauf hastete. Oder humpelte. Das war anscheinend Ansichtssache, denn die Scharen der Metamorphen, die mit entgegenkamen, warfen mir eher mitleidige, anstatt anerkennenden Blicken zu. Und einige von ihnen trugen selbst Pflaster und Bandagen.

Als ich das Klassenzimmer erreichte, stand die Tür leicht offen und Stimmen drangen hinaus auf den Gang.
„Ich sage lediglich, dass es langsam Zeit wird."
Das war Lady Beanna und sie hatte Recht. Ich war fünf Minuten zu spät, was nicht zuletzt an meinen Pausen nach jeder zweiten Stufe lag.

„Und warum? Glaubt Ihr ernsthaft, dass ich die Nacht heraufbeschwöre?" Ravn ließ meine Füße am Boden festfrieren. Unwillkürlich spitzte ich die Ohren.

„Sie scheint dich zu verfolgen", hielt die Schulleiterin dagegen, „Wenn wir dich besser trainieren ..."

„Die Nacht ist nie ausgebrochen, als ich alleine unterwegs war. Sie könnte genauso gut Lewi nachjagen."

„Lewi? Und nicht seine Schwester?" Da war etwas Lauerndes. Eine unausgesprochene zweite Frage, die ich nicht verstand.

„Sie ist nur ein Mensch. An ihr ist nichts Besonderes", Ravns Stimme wurde eine Spur lauter. Doch der Stich hatte gesessen, „Welcher Magus würde sich für ein vorlautes Mädchen interessieren, das sich nicht einmal an die einfachsten Absprachen hält? Sie hält sich selbst für wichtig, mehr nicht."

Ich biss mir auf die Unterlippe. Anscheinend hatte ich mich im Dorf geirrt. Es gab nur zwei Seiten. Jene, die über Magie verfügten und der ganze Rest. Ich konnte nicht zaubern, also war ich vernachlässigbar. Wertlos. Vorlaut.

Vorsichtig trat ich einen Schritt zurück und überhörte Beannas Antwort. Im nächsten Moment und ohne Vorwarnung ging die Tür auf und Ravn platzte heraus. Für ein paar Sekunden starrten wir einander stumm an, während mein Gesicht von Rot zu Weiß die Farbe wechselte.
Wertlos. Ich wollte Schuldbewusstsein erkennen, doch davon gab es keines in Ravns Ausdruck. Er hatte gemeint, was er gesagt hatte.
Ich drehte mich um und floh.

Dass Ravn meinen Namen rief, machte kaum Unterschied. Innerhalb von wenigen Herzschlägen hatte ich die Treppe erreicht und stellte mit Erleichterung fest, dass es bergab einfacher ging, als hoch. Niemand sollte sehen wie sehr sich mich damit trafen! Sie hatten es nicht verdient, dieses Gefühl der Überlegenheit.

Ich schaffte ganze drei Wendungen, bevor mich jemand am Arm packte und in den abzweigenden Fenstervorsprung zog.

„Ravn, lass mich los", knurrte ich, ohne ihn wirklich anzusehen. Ich würde ihm den Arm brechen, wenn ich das musste. Magische Talente hin oder her.

„Sei froh, dass ich dich nicht zurück schleife", erwiderte er unbeeindruckt und ohne seine Hand von mir zu nehmen.

Glühende Wut färbe meine Sicht. Wie kam er darauf, dass er mich überhaupt anfassen durfte?

„Ganz ruhig, Katze, ich bin auf deiner Seite", versicherte er, als sich unsere Blicke trafen, doch ich gab das schiefe Lächeln nicht zurück. Stattdessen stachelte es mich nur noch mehr an.

„Ach? Bist du zu all deinen Kameraden so herablassend? Oder ist es, weil ich ein vorlautes Mädchen bin, das sich nicht an Absprachen hält? Nichts Besonderes."
Hatte ich zuletzt gedacht er wäre attraktiv? Ich wollte sein Gesicht auskratzen.

Das Grinsen verhärtete sich zu einer ähnlichen zornigen Maske.
„Du vergisst, dass ich dich habe kämpfen sehen. Ich wäre niemals so dumm und würde behaupten-..."

„Offenbar schon, oder leidest du an Kurzzeit-Amnesie?", unterbrach ich ihn unwirsch und erntete ein Augenrollen. Und kurz darauf ein geschlagenes Seufzen.

„Sei doch nicht immer so schwierig!", platzte es aus ihm heraus und machte mich für einen Augenblick vor Überraschung sprachlos. „Willst du etwa, dass dich die Nacht verfolgt?"

„Wer weiß, vielleicht tut sie das! Vielleicht muss ich nur den Zauberer, der dahintersteckt, erledigen und dann glaubt mir endlich jemand, dass man keine Begabung benötigt, um in dieser Welt weiter zu kommen als ein Boka-Kaninchen! Oder bin das wieder ich, die mich für zu wichtig hält."

„Hörst du mir mal zu?", unsere Stimmen wurden lauter, „Du bist wichtig. Für mich zumindest mehr, als jeder andere in dieser Burg der Dachschindeln fliegen lassen kann."

Ich glaubte ihm kein Wort. Vermutlich war er konfliktscheu oder er brauchte in naher Zukunft etwas von mir, aber keines seiner Worte passte zu der Szene vor Beannas Büro.
„Und warum kannst du das nicht zur Direktorin sagen?"

„Weil ich dich ...", er brach ab. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, er würde gleich mich, die Wand oder beides schlagen. Es herrschte eine derartige Spannung in der Luft, dass ich glaubte, Funken von seinen Fingerspitzen sprühen zu sehen. Das würde zumindest das verborgene Talent erklären.
Doch schlussendlich hatte er sich wieder im Griff. Nur seine folgenden Worte wurden von seiner angespannten Miene betrogen.

„Du hattest recht dort draußen. Die Welt ist nicht schwarz und weiß. Charakter macht mehr aus, als ein zufälliger Gendefekt. Beanna mag zwar dem König gegenüberstehen und seine Taten verurteilen, doch keiner von beiden sieht die zwei Arten Menschen als gleichberechtigt an. Jeder versucht, die Seinen zu schützen, und ich möchte in einem Krieg weder auf der einen, noch auf der anderen Seite stehen."
Hinter seinen Augen loderten grüne Flammen. Ihre Intensität jagte mit Schauer durch den Körper, von denen ich nicht sagen konnte, ob sie angenehm oder beängstigend waren.
„Aber sich zwischen die Fronten zu begeben ist gefährlich und du hast so wenig Selbstkontrolle, es wäre leicht dich als Spielball zu verwenden. Also wenn ich zu jemandem sage, dass du nur ein Mensch bist, dann um dich vor ihnen zu schützen. Denn so lange sie dich unterschätzen, kannst du sie alle schlagen", fuhr Ravn fort.

Mein Mund wurde trocken. Ich konnte den Blickkontakt nicht brechen, doch er verhinderte, dass ich meine Gedanken sortierte.

Erst zwei vorbeilaufende, kichernde Mädchen gaben mir genug Zeit meine Antwort zu überlegen. Sie beäugten mich und Ravn so interessiert, dass Letzterer mit einem Ruck meinen Arm losließ und einen Schritt zurücktat.

Ich fühlte mich in das Gasthaus zurückversetzt, als Lewi bewusstlos gewesen war. Er sagte etwas, doch ich war mir sicher, dass ich nicht alles verstand, was er mir mitteilen wollte.
„Ist das der Grund, warum die Nacht dich verfolgt? Weil irgendein Magus versucht dich auf eine der beiden Seiten zu zwingen?", fragte ich schließlich, unschlüssig über meine Gefühle.

Ein freudloses Lachen ließ Ravn den Kopf wegdrehen, als fürchte er, zuviel preiszugeben.
„Dasselbe könnte auch für deinen Fall stimmen. So viel wir wissen, könnte der Zauberer genauso gut dich verfolgen."

Er hielt etwas zurück und ich brannte darauf, herauszufinden was es war. Kurz zögerte ich.
„Ravn, was ist dein Talent?" Ihm würde die Frage nicht gefallen, deshalb fügte ich hinzu: „Ich will nur sicher gehen, dass du nicht in meinen Kopf schauen kannst ..."

„Wieso? Denkst du an was Schmutziges?", sein Grinsen kehrte genauso plötzlich wieder, wie es verschwunden war. Er wackelte mit den Augenbrauen und es kostete mich alle Selbstbeherrschung, einen ernsten Ausdruck zu bewahren.

„Jup, du hast Dreck auf der Nase und ich wollte, dass der Gedanke rübergekommen ist." Ich tippte mir an die Nase.

„Laut und deutlich, vielen Dank. Aber meine Superkräfte liegen glücklicherweise darin, dass ich ganz genau sagen kann, wenn mir etwas im Gesicht klebt, oder nicht."

Und dann musste ich doch lachen. 

  ✥✥✥  

Halbzeit! Nur noch 6 Kapitel über...
Was meint ihr, wen verfolgt die Nacht? Lya oder Ravn? Oder doch vielleicht Lewi, der hier aus ganz hinterlistigen Autorengründen ausgelassen wurde? :D (Einige von euch wissen ja bereits, dass ich ganz bösartige Spiele treibe :D)

Wie stellt ihr euch eigentlich Lya, Ravn oder Lewi vor? Habt ihr einen besonderen Schauspieler im Sinn?

xoxo

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