Epilog
„[...] ‚Una Fil' oder ‚Kinder der toten Väter'. In den fortlaufenden Versuchen des Königs einen mächtigen Nachkommen zu zeugen, wandte er sich irgendwann an verwitwete Frauen, die aus erster Ehe einen magisch begabten Sohn vorweisen konnten. Diese Kinder folgten ihren Müttern in Palast, wo sie in die Vierte Garde aufgenommen wurden.
Die eigenen Kinder des Königs, allesamt Mädchen, blieben bis auf einen einzigen Fall magisch unbegabt. Allein seine viert Tochter aus dritter Ehe zeigte später ein schwaches Potential, das nie Gelegenheit bekam sich zu entwickeln, da sie bereits noch vor den ersten großen Revolutionen umkam. [...]Der König durchlief zehn solcher Ehen, ehe er das Experiment abbrach und sich anderen Strategien zu wandte (Siehe auch: Der Ziehsohn des Königs. [...]"
- (Lionel Frank, Historie der Völkerlehre: Das Monster als Nachbar; S. 707)
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Schnee fiel auf das Dach der Burg und puderte die Welt um Lewi herum weiß. Sie sah wunderschön und friedlich aus. Ungestört von dem Chaos, in dem sie alle zu versinken drohten. Die Türme und hohen Brücken standen ihr wie eine Krone.
„Unbeliebte Frage, aber hat von uns jemand einen Schlüssel dabei?"
Weißer Dampf kräuselte sich aus den Nüstern von Balthars Rappen. Sein dunkles Fell trug ebenfalls einen glitzernden Umhang tausender kleiner Flocken, der sich selbst über seinen Reiter ausstreckte. Sie gehörten so sehr in dieses Bild, wie er sich fremd fühlte.
„Nein", schüttelte Lewi den Kopf und stieß den angehaltenen Atem aus. Auch er hatte beobachtet, was Balthar im nächsten Moment aussprach. Aber er wollte es wirklich nicht hören. Unruhig zog er die Unterlippe zwischen die Zähne.
„Warum sehen wir die Burg dann?" Die Frage kam genauso trocken, wie die vorangegangene Unterhaltung. Die Spuren einer Katastrophe entfalteten sich vor ihnen, aber sie fühlten sich zu taub, um zu reagieren. Von wegen.
Sie waren allerhöchstens zu müde von ihrer Reise, als dass sie jetzt noch irgendwem Widerstand hätten bieten können. Ein warmes Bett und Beannas löchernde Erkundigungen wären zwar durchaus willkommen gewesen, doch so wie die Lage aussah, würde das nicht allzu bald geschehen.
Lewi seufzte noch einmal und gab seinem Pferd ein mentales Zeichen zum Abstieg.
Nichts geschah.
Natürlich nicht.
Keines der Tiere lauschte noch seinen Gedanken. Es war stumm in seinem Kopf geworden, die Außenwelt schwieg und er genauso. Lächerlich es jeden Tag zu versuchen.
Resigniert schnalzte Lewi und das gewünschte Ergebnis trat ein.
Balthar folgte ihm nur widerwillig und unter protestierenden Lauten. Tat dieser Kerl eigentlich irgendetwas gerne? Sie hatten gemeinsam seine Eltern bei Bekannten in Sicherheit gebracht und waren weiter geritten, um Beanna zu informieren. Es war die Art Entwicklung der Ereignisse, von denen man auch unbeliebtere Partner in Kenntnis setzte.
Der Sucher hatte ihm erzählt, dass sie wussten, dass Ravn für Kaelchon arbeitete und Lewi hatte gestanden keine Fähigkeiten mehr zu besitzen. Der Ziehsohn des Königs hatte sie ausgespielt wie Waldelfen.
Und genau diesen Moment hatte die Leiterin der Burg der Kinder ausgewählt, um ihre Schilde zu senken?
„Wenn du willst, kannst du auch alleine hineinreiten und mir ein Zeichen geben, wenn es sicher ist dir zu folgen?", schlug Balthar beiläufig vor.
Lewi verdrehte die Augen und musste unwillkürlich an Lya denken. Manchmal verstand er ihren Hang zur Gewalt. Wenn er nur ein klein bisschen weniger Geduld besäße, hätte er Balthar schon vor zwei Tagen in einen Sack Knochen verwandelt, als der Bursche auf ein Wetttrinken mit einem Gnom eingegangen war. All ihr gesammeltes Geld hatte es sie gekostet ihn daraus frei zu kaufen.
„Ich würde ja pfeifen, aber ...", winkte Lewi bedeutungsvoll mit dem Armstumpf. Ein sarkastisches Grinsen zupfte an seinen Mundwinkeln. Jetzt war er nicht mehr nur schlicht und menschlich, er war ein Krüppel. Und noch nie entschlossener gewesen.
Sein letzter Halt war schon seit der Schlucht der Gazel verschwunden. Er hatte nichts mehr, als sein Leben und er würde es dafür nutzen sie alle bezahlen zu lassen. Jeden Einzelnen.
„Kannst du nicht auch ohne Finger pfeifen?", versuchte Balthar es nochmal. Er klang durchaus verzweifelt, jetzt wo sie bereits durch den Schatten der hohen Burgmauern ritten. Grauhaariger Angsthase. Er konnte noch nicht einmal durch einen Wald reiten, ohne mit den Zähnen zu klappern.
Der Wachtturm war unbesetzt. Kein Feuer brannte hinter seinen Zinnen, kein Licht in den Fenstern der anderen Türme.
Unwillkürlich knirschte Lewi mit den Kiefern. So sehr er auch versuchte, das drohende Gefühl des Unheils zu verbannen, je näher sie kamen, desto toter sah die Burg aus. Ein lebloses Tier im Schnee.
„Nein kann ich nicht. Aber ich kann dir mit meinem Stumpf auf die Nase hauen, wenn du nicht gleich ruhig bist", hörte er Lya aus sich sprechen, als er von seinem Schimmel sprang und vorsichtig an das hölzerne Tor der Burg klopfte.
Das Geräusch hallte durch die Stille wie Kriegstrommeln. Beide Jungen hielten den Atem an, lauschend auf selbst das kleinste Zeichen des Lebens, das sich hinter den Steinen verbarg.
Nichts.
Lewi wurde eisig und das nicht wegen den niedrigen Temperaturen. Das alles fügte sich zu einem unschönen Bild zusammen. Ravn hatte einen Schlüssel gehabt. Er wusste, wo die Burg stand. Und genau dasselbe galt für Glorya.
„Gut, wir gehen rein."
Balthar machte neben ihm riesige Augen, doch mit einem einzigen Blick auf Lewis fehlende Hand, wandte er nichts weiter ein.
Ging doch.
Entschieden drückte Lewi ihm Cairis Zügel entgegen und tat einige Schritte zurück.
Es war ein blödsinniger Plan, doch ihm fiel in dieser Sekunde nichts anderes ein.
Ohne heroischen Aufschrei stürmte er vor und rammte seine Schulter gegen das dunkle Holz des Tors.
Zu seiner Überraschung gab es sofort nach und ließ ihn mit viel zu viel Schwung in den Innenhof stolpern. Verlassen. Vollkommen verlassen.
Ein erleichterter Atemzug entwischte Lewi, als er sich um die eigene Achse drehte. Doch das gute Gefühl verschwand genauso schnell wieder.
Es stimmte; niemand und nichts befand sich im inneren Zirkel des Gebäudes. Keine Menschen, keine Gegenstände, die man hätte wegtragen können. Jemand hatte gründlich aufgeräumt.
Ernüchtert wandte Lewi sich Balthar zu und winkte ihn zu sich.
„Hier ist niemand."
Irgendwo knirschte Schnee.
Balthar schüttelte hektisch den Kopf. In Panik fiel sein Mund auf und er wich zurück, bis er gegen die Brust seines Reittiers prallte. Empört scheute das Pferd fort, doch der Junge kümmerte sich nicht.
Das leise Geräusch sorgfältig gesetzter Schritte entging Lewi.
„Ernsthaft- alle sind fort. Wir sollten nachschauen wo sie hingegangen sein-..."
„Schneeleopard!", platzte es in diesem Moment aus Balthar heraus, ehe er sich die Hand vor den Mund schlug.
Lewi runzelte die Stirn. Schneeleopard? Das war nicht unbedingt die Art Tier, die sich hier finden ließ.
Skeptisch warf er einen Blick über die Schulter-... und wäre fast über seine eigenen Füße gestolpert, im Versuch aus dem Tor zu stürzen.
Nur eine Armlänge von ihm entfernt stand eine riesige, gefährlich fauchende Raubkatze, deren Schwanzspitze durch die kalte Luft zuckte. Gelbe Augen hatten sich auf Lewi fixiert, als das Tier sich duckte.
„Konntest du die Viecher nicht irgendwann kontrollieren?" Der Sucher verzog den Mund, als stelle er sich bereits die Sauerei vor, die Lewis Abgang hinterlassen würde. Aber zumindest rannte er nicht weg.
Lewi reagierte instinktiv, als er mit seinem Stumpf ausholte und ihm auf die Nase schlug. Er musste denken! Und das tat er am besten, wenn niemand dazwischen sprach.
Doch Balthar hatte mehr Sorge vor dem Tier, als vor Lewis verbundenem Arm.
„Lenlay, tu etwas!"
Der Schneeleopard stutzte kurz.
Lewi ebenfalls. Was interessierte das Tier, was zwei Idioten einander an den Kopf warfen, während sie in einer verlassenen Schuleinrichtung gegenüber ihrem sicheren Tod standen? Das alles war so viel einfacher gewesen, als er ihre Gedanken gehört oder ein Schwert gehabt hatte.
Ernüchtert in der Annahme, dass sie jetzt beide sterben würden, noch ehe er irgendetwas unternommen hatte, um Lya und Eve zu retten, schloss Lewi die Lider und atmete seinen letzten Atemzug.
Das alles war großartig. Man würde bestimmt Balladen über die zwei Idioten schreiben, die ihre Waffen einem Gnom als Pfand geben mussten, ehe sie zwei Tage später von einem wilden Tier zerfleischt wurden.
„Macht er die Augen auch noch auf oder versucht er, mich gerade mental nieder zu strecken?"
Schneeleoparden, die sprachen. Der Tag wurde immer besser und die Sonne war noch nicht ganz aufgegangen.
Grimmig blinzelte Lewi und fand sich Nase an Nase mit einer rothaarigen jungen Frau, die ihn unter zusammengekniffenen Brauen musterte. Die Raubkatze war verschwunden.
Oh, wie er Gestaltenwandler hasste.
Sommersprossen tanzten vor ihm auf und ab, als sie vorsichtig ... schnüffelte?
Befremdet tat Lewi einen Schritt zurück. Sie kam ihm so bekannt vor. Ungewöhnlich bekannt. Es war, als hätte er ihr Gesicht schon wo anders gesehen, bei einem anderen Menschen. Denn diese leuchtend roten Haare hätte er bestimmt nicht vergessen. Sie waren wie ein Wildfeuer in all dem Schnee.
„Du bist also der Sohn meines Bruders?", fragte sie so plötzlich, dass Lewi unwillkürlich einen Blick mit Balthar tauschte.
Dieser zuckte nur mit den Schultern, als wisse er auch nicht ganz sicher, ob Lewi der Sohn von irgendwem wäre. Rein technisch gesehen war er das ja auch gar nicht. Nachtelfen paarten sich zwar mir Menschen aber es war eher unwahrscheinlich, dass sein Erzeuger noch lebte.
„Wessen Sohn?", fand Lewi seine Stimme und seinen Mut wieder. Schneeleoparden waren schwieriger zu bekämpfen, als rothaarige Frauen. Hoffte er.
„Jamah. Jamah Lenlay?" Die Frau sah ihn an, als hätte er seinen Verstand verloren. Gerne hätte er ihr Recht gegeben. Er war definitiv kurz davor.
„Und wer will das wissen?", fragte er so ruhig wie möglich zurück. Sie hatte die Aufmachung der Schauspieler und Gaukler im Sommer. Dunkelgrüne Bluse, die von einem Gürtel in ihrer Taille gerafft wurde und über eine zerrissene braune Hose fiel. Große Ohrringe und ein breites Haarband, das die Locken zähmen sollte.
„Seine Schwester, du Idiot", nuschelte Balthar hinter ihm. Und der Kerl hatte sich über Eves Naivität aufgeregt ...
„Mein Name ist Lyanna. Hat mein Bruder noch nie von mir erzählt? Gestaltenwandlerin? Leibliche Tochter des Königs?"
Oh,das hatte er. Aber die Tante Lyanna,nach der Lewis Schwester benannt worden war, sollte eigentlich schon seitzwanzig Jahren tot sein.
Ende Buch Zwei
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Oh wow, ich muss euch echt einmal loben :D
Ich lese soooo viele Bücher mit 100 Likes pro Kapitel und mehr, die gerade mal 10 oder 20 Kommentare bekommen. Und ihr seid noch nicht einmal 20 Leute und im letzten Kapitel habt ihr so viele Drohungen etc geschickt, dass es tatsächlich mehr als 100 Kommis waren :D
Ihr seid zwar wenige, aber Himmel ihr geht ab wie Schnitzel, dass ihr auch mit den ganz Großen mithalten könnt :D
So, hiermit endet dann auch schon der zweite Band unserer kleinen Serie.
Wie immer,
macht keinen Blödsinn, bis ich wieder komme, xoxo und bis bald!
Und falls ihr doch immer noch nicht genug von mir bekommen könnt (was ich voll verstehen kann, ich bin schon ziemlich cool) [...] TJ sagt ich soll das streichen. Ihr wärt nur wegen ihm hier und einfach zu höflich, um mir das zu sagen.
In jedem Fall: Folgt mir und der Schreibkatze hier:
instagram.com/morgankingsman_author/ (Link ist auch auf meinem Profil, keine Angst)
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