9- "Ich werde gehen."
"[...] Die Scamara- Fälle sind ein reiches Wasservorkommen im Norden des Landes. Sie speisen den Spiegel der Götter. Ein Becken mit so hohem Salzgehalt, dass sich darin der Himmel und alle Sterne spiegeln. Traditionell wird in diesem Teich der nächste Thronfolger gebadet, um die heiligen Eigenschaften des Wassers auf ihn zu übertragen. Es wird dabei erzählt, dass die Götter einem würdigen Nachfolger das Geschenk von unendlicher Macht machen würden. Die ersten MvET- Träger sollen von einem Prinzen entstammen, dem dies widerfahren ist. [...]"
- (Elfensänger, Bade im westlichen und südlichen Teil des Königreichs. In: Erzählungen der Drachensagen, S. 527)
✥✥✥
„Du glaubst also, was ich denke? Dass Lewi seine Kräfte nicht von irgendwo hat?"
„Ich glaube, dass du ihr von dir erzählen solltest, wenn dir etwas an ihr liegt."
Müde blinzelte ich ein Auge auf. Was war hier los? Hatten sich die anderen noch nicht genug gestritten? Beim Fluch der Mörder, ich würde ihn noch einmal riskieren, wenn die drei mir den Schlaf über ihre Kindereien raubten.
Absolute Dunkelheit, abgesehen von dem leichten Glimmern der letzten glühenden Holzblöcke, umgab meine Sinne. Kein direkter Grund zur Sorge ... eigentlich.
„Als Telepath bist du sicher ein wahrer Professor der Geheimnisse."
Das war Ravn. Ein vollkommen entnervter Ravn. Er stand irgendwo hinter mir und hatte einen Todeswunsch, dass er mitten in der Nacht so dringend Gespräche führte.
Suchend glitten meine Augen über das Nachtlager.
Mir gegenüber hatte Lewi sich in einer Decke eingerollt. Sein Anblick pinselte mir allem Ärger zum Trotz ein wehmütiges Lächeln ins Gesicht. Ich war so unendlich dankbar ihn an meiner Seite zu haben. Ihn in Sicherheit zu wissen. Er nahm damit eine riesige Last von den Schultern.
Gerade wollte ich meine Hand nach ihm ausstrecken, nur um mich von seiner Anwesenheit zu überzeugen, da bekam Ravn eine Antwort.
„Ich weiß, dass sie nur Probleme machen. Was glaubst du, wie sie reagieren wird?"
Ravn unterhielt sich mit Evangheline? Mein zweites Auge öffnete sich. Hatte ich was Wichtiges verpasst? Wie lange hatte ich geschlafen, dass die Zwei Zeit gefunden hatten sich zu vertragen?
Vorsichtig zog ich die Hand zurück unter die Decke. Ich wollte nicht lauschen, doch etwas sagte mir, dass es beiden lieber wäre, wenn ihr Gespräch privat bleiben würde. Und bis jetzt hatte ich nichts Verdächtiges gehört, das nicht für meine Ohren bestimmt gewesen wäre.
„Wenn du dich an unsere Vereinbarung hältst, ist das nicht dein Problem", wies Ravn Evangheline zurecht, seine Stimme kalt und spitz wie ein Eiszapfen. Der Junge hatte wirklich Probleme, wenn es um ihn selbst ging.
Im Einzelkampf einen Brabanen erledigen? Nichts leichter als das! Eine engere Bindung zulassen, als der komplette Abstand zwischen den Scamara-Fällen und den Süd-Flachlanden? Bestimmt nicht! Da würde sein Ego nicht hineinpassen.
„Und woher weiß ich, dass du weißt, wann der richtige Zeitpunkt ist?" Evangheline ließ sich nicht so einfach abschrecken. Ob das nun unendlichem Mut oder ähnlich großer Naivität geschuldet war, konnte ich nicht sicher sagen.
Es war schwierig genug gewesen sie aus Lewis und Ravns Streit über Glorya herauszuhalten, der bis in den späten Abend gedauert hatte und nur durch ein Machtwort meinerseits auf den morgigen Tag verlegt worden war.
„In dem Moment, da du auch nur ein Wort sagst, bin ich weg. Und dann frag dich, ob Lya dich noch weiter mitreisen lässt. Das heißt, du wirst mir in dieser Hinsicht vertrauen."
Ich konnte ein Zusammenzucken nicht ganz verhindern. Ravn nutzte mich, um die Gazel zu erpressen? Hatte er einen Todeswunsch? Ich setzte dem Mädchen nichts entgegen und das wusste sie.
„Fein."
Oder auch nicht.
Mir gegenüber räkelte Lewi sich, ebenfalls von den lauter werdenden Stimmen aus dem tiefsten Schlaf geholt. Er hatte länger dafür gebraucht als sonst. Er hatte durch den Verlust seiner Kräfte auch die Schärfe der Sinne eingebüßt.
Ein merkwürdiges Gefühl breitete sich in meiner Brust aus.
Wenn ich ihn jetzt ansah, konnte ich immer noch so tun, als wäre er vollkommen derselbe. Als hätte sich nichts verändert. Aber das wäre eine Lüge.
„Leg dich hin. Ich beende die letzte Wache."
Raschelnde Schritte in frostigem Gras warnten mich rechtzeitig, die Augen zu schließen, bevor Evangheline sich neben Lewi kuschelte. Beinahe katzenartig drückte sie sich an ihn, kaum mehr als kleines Kind im Körper einer jungen Frau. Vielleicht würde sie ihn schützen. Vielleicht war sie nicht nur hier, weil sie das Unrecht der Welt studieren sollte, sondern um auch ein wenig Gerechtigkeit zurückzubringen.
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„Gute Idee. Du reitest zur Burg der Kinder, bringst am besten noch deinen Bruder und eigene Handschellen mit, denn die werden sie dir sicher anlegen, wenn erst herauskommt, dass du ein Wurfmesser in Symons Brust versenkt hast."
Ich zuckte zusammen wie bei einem Peitschenschlag. Ravn hatte wieder eine dieser Launen. Ich hätte es ja gerne auf seinen mangelnden Schlaf geschoben, doch langsam glaubte ich, dass er einfach ein ungeduldiges Temperament hatte, wenn er unter Stress geriet. Und die Abwesenheit der Soldaten stresste ihn gewaltig.
„Und du kennst jemand anderen, den wir um Hilfe bitten könnten den Tross zu finden?", schnappte ich zurück, ohne den Blickkontakt zu ihm zu brechen. Das würde ihm so passen, dass ich jetzt nachgab. Beanna kannte sich in diesem Land aus und hatte die Möglichkeiten. Seine Abneigung änderte nichts daran, dass sie unsere einzige Chance war.
Er hatte die Arme abwehrend vor der Brust verschränkt und starrte auf mich nieder, als wollte er mich am liebsten schütteln.
Tja, mit ihm zu diskutieren war auch kein Gnomschubsen.
„Nein, aber ich halte es für eine dumme Idee, ausgerechnet dich zu Beanna zu schicken." Er blinzelte noch nicht mal. Spinner.
„Ich glaube nicht, dass ich ein besserer Bittsteller wäre", warf Lewi neben uns ein und erntetet sofort einen glühenden Streifschuss seines besten Freundes. Zu seinem eigenen Lob fiel mir auf, dass er nicht in sich zusammenschrumpfte, sondern lediglich trotzig das Kinn hob. Ein weiterer Streit war absehbar.
„Wir werden nicht deine kleine Schwester schicken, verstanden?", fauchte Ravn, in die Ecke gedrängt von all den fragenden Blicken. Er verhielt sich merkwürdig. Und unsere Reaktion erleichterte das nicht.
Beruhigend hob ich die Hände und trat zwischen die Jungen. Das war nicht, was Lewi gemeint hatte und eigentlich wusste Ravn das auch.
„Atmen, Ravn!", ordnete ich an, meinem Bruder den Rücken zugekehrt. Im Augenwinkel sah ich Evangheline, die ein bedeutsames Gesicht machte, als wisse sie mehr als wir alle zusammen. Ich probierte es zu ignorieren.
„Wenn sie mich festsetzen, ist das so- aber es ist unsere einzige Möglichkeit, meine Eltern zu retten", versuchte ich zu argumentieren.
Nur langsam wandte Ravn sich mir zu, ganz offensichtlich bemüht um ein wenig Selbstkontrolle. Er war viel zu bereit eine weitere Auseinandersetzung vom Zaun zu brechen und seine angespannte Haltung sprach Bände. Immer wieder ballte er seine Hände zu Fäusten und entkrampfte sie mühsam.
„Ich werde zu Lady Beanna reiten."
Verdutzt machte ich einen Schritt zurück. Und er fand meine Vorschläge hirnrissig?
„Du schaffst es noch nicht einmal, hier keinen Streit auszulösen. Und wir sind deine Freunde ...", erinnerte ich ihn an seine schlechte Beziehung zu der Schulleiterin. Ihn dort hinzuschicken war wirklich die letzte Option, die ich mir ausmalen mochte.
„Du vergisst, wie beliebt ich bei den Mädchen war. Vielleicht bringe ich es ja fertig, die ein oder andere davon zu überzeugen mit mir wegzulaufen", neckte Ravn mich, doch die Worte kamen trocken und viel zu bissig.
Sofort lief mein Gesicht puterrot an. Warum hatte ich das Gefühl, dass er auf mich anspielte?
Beschämt trat ich zurück in den Kreis, um den anderen Beiden die Möglichkeit zu geben sich ebenfalls gegen die Idee auszusprechen.
„Ravn hat recht", wurde ich von Lewi enttäuscht. Er trug eine in tiefe Falten geworfene Stirn zur Schau, die nur allzu gut seine kreisenden Gedanken dahinter verdeutlichten. „Er ist der Einzige, der keine wirkliche Gefahr läuft in der Burg festgehalten zu werden."
Neben mir bekam Evangheline einen Hustenanfall, der ihr ebenfalls einen energischen Blick von Ravn einbrachte. Hatte das mit ihrem nächtlichen Gespräch zu tun? Gerade jetzt hätte ich meine linke Hand dafür gegeben zu wissen, was sie wusste. Und so schrecklich schlecht verbarg.
Ravn gab mir allerdings keine Zeit einen solchen Handel vorzuschlagen.
„Dann ist es entschieden."
Ich schnappte verärgert nach Luft. Er konnte nicht einfach fortreiten! Es war eine viel zu große Gefahr, um zwei Menschen zu befreien, mit denen er kaum was zu tun hatte!
„Nichts ist entschieden!"
Doch wieder einmal wurde ich enttäuscht.
✥✥✥
„Es gibt keinen Fluch der Mörder", rief Evangheline energisch aus.
Mein Kopf schnelle nach oben. Wie bitte? Dem Satz fehlte ein wenig Zusammenhang, wenn man berücksichtigte, dass seit einer halben Stunde niemand von uns dreien etwas gesagt hatte. Ich saß vor der Feuerstelle und versuchte sie zu reinigen, Lewi hatte sich zu den Pferden zurückgezogen.
„Es gibt keinen Mörderfluch", wiederholte die Gazel und hopste von ihrem blätterleeren Ast herunter, um sich neben mich zu setzen, „Und ich bin unsere Diskussion langsam leid, wenn du einfach über mich hinwegredest!"
Verwirrt blinzelte ich sie an. „Ich...", mein Blick huschte hilfesuchend zu meinem Bruder, „Ich habe überhaupt nichts gesagt." Wie zur Erklärung hob ich zwei fast verkohlte Stücke Holz hoch. „Ich mach hier nur sauber."
Verdutzt legte Eve ihren Kopf schief, sodass eine lange Locke über ihre Schulter fiel. Sie hatte wirklich beeindruckend schönes Haar. Ich beneidete sie sogar ein bisschen, wenn ich darüber nachdachte, dass meine Haare gerade mal bis zum Kinn gingen. Nutzen über Schönheit.
„Du kannst überhaupt nicht...", ihr Mund fiel mit ihrer Erkenntnis auf, „Das heißt, ich unterhalte mich die ganze Zeit mit mir selbst?"
„Wenn du keinen einzigen Satz laut ausgesprochen hast: Ja", bestätigte ich ein wenig schockiert. Wie lange hatte sie bitte meinen Gedanken zugehört?
„Und ihnen geantwortet!", nickte die Gazel aufgeregt.
Heiße Röte kroch über mein Gesicht. Ich hatte über meine Zukunft nachgedacht. Und hin und wieder über Ravn. Nichts, was ich mit ihr hatte teilen wollen.
Aber wenn es wirklich keinen Fluch gab-... ich ließ die kleine Hoffnung nicht zu. Ich blieb immer noch eine Strafverfolgte in diesem Land. Keine Änderung an der Front.
„Wie kommst du überhaupt darauf, dass ich deine Gedanken hören könnte?", versuchte ich hastig, von der Erinnerung abzulenken.
„Na wegen deinem Blut und der alten Ma-..." Eve schlug sich selbst mit der Hand vor den Mund, die Augen groß wie Kristallkugeln.
Verwirrt hob ich die Augenbrauen. Was war in meinem Blut? Alte Maden? Alte Masperus-Käfer? Alte malerisch verschönerte Kunsttöpfe? Mein Vater hatte die hin und wieder hergestellt.
„Aber wenn du mich nie gehört hast, weißt du auch gar nicht, dass ich dir vor einer Ewigkeit gesagt habe, dass Soldaten näherkommen!" Die Gazel schleuderte mir die Worte in einem Tempo entgegen, dem ich kaum folgen konnte.
Lewi drehte sich zu uns um. „Soldaten?"
Erleichtert über den Themenwechsel nickte Eve ihm zu: „Ich höre ihre Gedanken. Jetzt gerade überlegen sie, wer sein Lager so nahe an der Schlucht aufschlägt."
Erschrocken sah ich mich um. Hier kampierte noch jemand und ich hatte es nicht beme-... oh.
„Und sie kommen näher", moderierte Eve den Angriff weiter, ohne sich auch nur von der Stelle zu bewegen.
Lewi und ich tauschten einen Blick und stürzten uns gemeinsam auf unsere Satteltaschen.
„Wie viele?", brüllte mein Bruder das Mädchen an.
„Ein kleiner Suchtrupp", zuckte Eve mit den Achseln, „Vier Männer. Oh, und sie haben einen Auftrag dich zu suchen, Lewi!" Sie schaffte es tatsächlich, Begeisterung über so etwas zu empfinden.
Meine Laune sank. Wenn Ravn da wäre, wäre das nicht passiert!
Wenig später hatten wir vier flüchtige Soldaten, alle mehr oder minder verletzt und keine Feuerstelle mehr, weil Lewi rückwärts durchgetrampelt war.
Eve hatte sich geweigert zu kämpfen und Lewi war so langsam gewesen, dass ich es am Ende mit drei Stück aufgenommen hatte.
„Und was machen wir jetzt?", fragte Evangheline meine Lieblingsfrage. Sie hatte gerade einen tiefen Schnitt an Lewis Oberarm geheilt und saß neben unseren Pferden im plattgedrückten Gras.
„Wir müssen hier fort", mein Bruder klang in keiner Weise überzeugt. Erschöpft pflückte er Dreck und Asche aus seiner Kleidung, als würde es hier draußen irgendwen kümmern, wie er aussah, und nagte ununterbrochen auf seiner Lippe herum.
Leider hatte er recht. Und leider war es trotzdem unmöglich.
„Wir können nicht weg, bis Ravn zurückkommt." Ich ließ mich mit einem Plumpsen auf meine Satteldecke fallen. Wie Eve konnte ich Lewis Antwort beinahe voraussagen.
„Wir haben vier Mann entkommen lassen, weil niemand von uns fähig war einen tödlichen Stoß durchzuführen. Sie wissen, wo ich bin und sie wissen, dass eine Gazel ihre Schlucht verlassen hat." Allein die Erwähnung, dass er seinen Gegnern einfach unterlegen gewesen war, krümmte Lewi in eine geduckte Haltung.
Aber ich war keinen Taler besser. Schon der Gedanke jemanden fatal zu verwunden ließ das Schwert in meiner Hand heiß wie frisch aus der Schmiede werden. Ich legte mich selbst herein, wenn ich sie verwundete, ansonsten war da nichts zu machen. Und wohin hatte es uns gebracht?
„Sie werden Verstärkung holen", bestätigte Eve und zog die Knie unter ihr Kinn.
Ich brauchte Ravn. Wir alle brauchten Ravn. Ohne ihn würden wir meine Eltern nicht finden. Ohne ihn konnten wir noch nicht einmal einen einfachen Suchtrupp abwehren.
In diesem Moment wurde mir klar, dass es egal war, ob ich mein Leben lang verfolgt werden würde. Ich würde es auch ohne ihn schaffen. Aber ich wollte nicht.
„Wir warten auf Ravn", entschied ich und bemühte mich um einen festen Blick, der den anderen Zwei Sicherheit geben sollte, „Eve wird weiterhin lauschen und wenn sie einen großen Trupp näherkommen hört, sind wir schneller fort als Rilas im Winter."
Außerdem hoffte ich insgeheim, dass der König annahm, niemand sei so dumm und bliebe exakt an der Stelle versteckt, wo er vorher entdeckt worden war.
✥✥✥
In unruhiger Erwartung schlug Ravns Pferd mit dem Kopf, während eisiger Wind an seinem Mantel zerrte.
Joell stand immer noch oben auf der Wehr und starrte geradeaus auf den dunkler werdenden Horizont, als wäre er gar nicht da. Ravn kannte den Jungen nicht gut, ein Elementbändiger, der viel zu gut mit Colin Dakes befreundet war. Allein der Gedanke an den respektlosen Bastard, der Lya angefasst hatte, ließ Ravn kleine Aschewolken atmen. Joells Wachtpartner war schon seit zehn Minuten fort, um die Herrin der Burg zu informieren. Brauchte er noch viel länger, würde Ravn jede Geduld für ein vernünftiges Gespräch fehlen.
In diesem Moment erklang das bekannte Klappern der Fallgitterketten. Scheppernd und schleppend zogen sie das schwere Gerüst nach oben, gerade weit genug, dass Ravn sich auf seinem Pferd darunter hindurch ducken konnte.
Lady Beanna fürchtete also immer noch die feuerlose Finsternis. Selbst in ihrem sicheren Büro, hinter den dicken Wänden ihrer Burg.
Ravn verübelte es ihr nicht. Bei dem was sie tat, war es nur intelligent vorsichtig zu sein. Doch früher oder später würde auch sie einen Fehler machen. Einen fatalen Fehler. Denn wenn es so weit wäre, würde sie alle mit sich in den Tod reißen, die ihn jetzt aus riesigen Augen beobachteten, wie er in den Innenhof ritt.
Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis der König die Burg finden würde. Nur noch eine Frage wer ihm einen Schlüssel brachte.
Kleine Wölkchen bildeten sich vor ihren Mündern und doch hatten sich alle eingefunden. Sie machten keinen Hehl daraus, dass sie hier waren, um ihn anzugaffen. Wie viele von ihnen wussten, wer er wirklich war? Ihre Verfolger aus Lyas Heimat hatten ihm berichtet, dass die Hausherrin selbst hinter sein Geheimnis gekommen war. Früher oder später hatte das passieren müssen, doch Ravn hätte sich gerne mehr Zeit gewünscht.
„Mr. Sinner. Welch unerwartete Ehre." Lady Beannas Stimme schnitt durch die Luft, obwohl sie auf ihrem Balkon durchaus einige Schritte entfernt war.
Ein kleiner Junge von elf Jahren sprang herbei und griff nach Ravns Zügeln, während sich dieser aus dem Sattel schwang. Es war ihm unangenehm, sein Pferd zurückzulassen, doch er würde seinen Vorschlag nicht hier draußen unterbreiten.
Die Handschuhe abstreifend, erklomm er die flache Treppe zum Bergfried. Er spürte die vielen hundert Augen im Rücken, auf dem Gesicht und in seinem Profil. Sie folgten ihm hinein in die große Halle und ließen sich erst beim Turmgemäuer abschütteln.
Wussten sie nicht, in welcher Gefahr sie schwebten? Dass ihr Versteck kein Versteck mehr war?
Erinnerungen an Lya hafteten den vorbeiziehenden Nischen an. Bilder aus Stärke und tiefen Wunden, zugefügt von ihren eigenen Leuten. Er hatte nie verstanden, wie sie immer noch aufrecht ging. Wie sie so ohne Hass den anderen Schülern entgegentrat und trotzdem noch die Kraft fand sich jeden Tag aufs Neue zu verteidigen.
Am Absatz der Treppe erwartete ihn die hochaufgewachsene Silhouette der Burgherrin. Zu seiner Überraschung empfing sie ihn gänzlich ohne persönliches Geleit. Dabei hatte er von Fenkwells Untersuchungen gehört. Sie fürchtete ihn.
„Ich gehe davon aus, dass Sie einen verdammt guten Grund haben hier aufzutauchen, Mr. Sinner. Oder wäre eine andere Anrede angebrachter?", kommentierte sie ihn in ihr Büro.
Ravns Unterkiefer verspannte sich. Ungeduldig ließ er seine einzelnen Fingergelenke knacken, eine Angewohnheit, die Lya zur Weißglut trieb.
„Ich denke Prinz Ravn der Scamara-Fälle, gekrönt durch die nördlichen Darhen-Orden und nächster Anwärter des Throns Lume Lanuits wäre doch ein wenig umständlich."
Falls Lady Beanna beeindruckt war, zeigte sie es nicht. Stattdessen bedeutete sie Ravn, gegenüber ihrem Schreibtisch Platz zu nehmen, als wäre er nichts weiter als ein Schüler, dem Mrs. Kent Nachsitzen aufgebrummt hatte.
Doch Ravn war kein Schüler mehr. Er war noch nie einfach nur einer ihrer Schüler gewesen und es wurde Zeit, dass sie das ebenfalls sah. Ganz selbstverständlich schlenderte er zu dem Fenstersims hinüber und lehnte sich gegen den Rahmen.
Jemand hatte einen Kerzenleuchter hineingestellt, von außen bestimmt schön auszusehen. So warm und heimlich. Mit einem Fingerschnippen ließ Ravn die Flammen erlöschen.
„Ein interessanter Zeitpunkt, um endlich Ihre Fähigkeiten zu demonstrieren, Mr. Sinner", ungerührt setzte Lady Beanna sich auf ihren eigenen Stuhl.
Ein feines Lächeln stahl sich Ravns Kontrolle zum Trotz auf seine Lippen.
„Ich bin mir sicher, Ihr könnt mit diesem bisschen Information weitaus mehr anfangen, als ihr durchblicken lasst."
„Ich hätte mir nur nicht erträumt, dass ein einfacher Feuerbändiger zu so einer Stärke fähig wäre", erwiderte die Schulleiterin kühl.
„Natürlich nicht. Aber dann wiederum habt ihr die Angewohnheit die Möglichkeiten des Königs zu unterschätzen, nicht wahr?"
„Ihr steht als Beweis in meiner Burg. Seid Ihr gekommen, um Eure Macht zu demonstrieren? Mir zu drohen? Ich muss Euch enttäuschen."
Am liebsten hätte Ravn darüber die Augen verdreht. Er war niemand, der andere Menschen leichtfertig bedrohte. Und er war vor allem nicht so dumm, dass er dies im Heim seines Feindes tun würde. Ein Ort voll von magisch begabten Jugendlichen.
„Lya braucht Eure Hilfe."
Überrascht zog die Dame die Augenbrauen hoch. Ihr Interesse war unmissverständlich geweckt und Ravn fragte sich ein ums andere Mal, wie viel sie wirklich wusste und was sich noch immer ihren Sinnen verbarg.
Um ihre lästigen Fragen zu umgehen schilderte er in knappen Worten, was bisher geschehen war. Wie er und Lya ihr Heim leer vorgefunden hatten. Wie sie einen Soldatentross, der Glorya festhielt, fanden und wieder verloren.
„Und welches Interesse habt ihr an Elayn und Jamah Lenlays Befreiung?", Beanna hatte ruhig zugehört, die Hände vor sich gefaltet, als erzähle er von einer kleinen Kabbelei auf ihrem Schulhof.
Ravn wandte den Blick ab. Sie stellte immer die falschen Fragen. Die unangenehmen Fragen, die zu nichts führten.
„Es sind Lyas Eltern. Was glaubt Ihr, was meine Motive sind?"
Wieder keine Regung von der Frau. Sie studierte ihn aus ihren dunklen Augen, als schätze sie die Vor- und Nachteile seines Talents ab. Oder vielmehr: Ob dieses Geständnis der Wahrheit entsprach und sich gegen ihn instrumentalisieren lassen würde. Alles war immer nur Politik. Wenn er sein Herz verlor, war das nur ein weiteres Druckmittel in den Händen anderer.
„Wisst ihr, nach wem Lya benannt worden ist?", wechselte sie abrupt das Thema.
Ravn runzelte die Stirn. Das war ein Test. Sie wollte wissen, wie offen sie miteinander gewesen waren. Wie stark ihr Druckmittel gegen ihn war. Und ob er ehrlich antwortete.
„Nach einer verstorbenen Tante."
Lady Beanna warf ihren weißen geflochtenen Zopf über ihre Schulter und schenkte ihm ein zynisches Lächeln. Es war weder eine Bestätigung noch irgendein Hinweis auf ihre Erkenntnis.
„Bittet Euren Vater um Hilfe. Sicher kann er Euren Wünschen schneller gerecht werden, als ich."
Ravn entwischte ein halbunterdrücktes Stöhnen. Wenn alles doch nur so einfach wäre. Stattdessen saß er weiter zwischen den Stühlen, als jemals zuvor.
„Mein Vater macht keine Ausnahmen. Erst recht nicht für mich." Die Worte schmeckten wie Galle auf seiner Zunge.
„In dem Fall solltet Ihr von Eurer Zuneigung absehen. Es ist ohnehin nur eine Frage der Zeit, bis Lya von Eurer familiären Situation erfährt," erwiderte sie leichthin. Es war ein Fakt.
Ravn wusste das. Doch die letzten Tage mit Lya hatten ihn das vergessen lassen. Sie würde ihm nicht verzeihen und er machte sich selbst und ihr etwas vor, wenn er mit ihr flirtete.
Er hatte seine Gründe an ihrer Seite zu bleiben und die waren allein seinem Auftrag geschuldet.
Das redete er sich zumindest ein.
„Ihr würdet wirklich einem Bittsteller den Rücken zukehren?", leitete er das Thema zu seinem eigentlichen Anliegen zurück. Er hatte keine Wahl. Er hatte nie eine Wahl.
Lady Beanna nickte, als verstünde sie.
Sie begriff rein gar nichts. Evangheline mochte all seine Gedanken lesen, doch auch sie würde ihn nie vollkommen verstehen.
„Und warum sollte ich dem Ziehsohn des Königs helfen?", fragte die Burgherrin nach.
Ravn drückte die Schultern durch.
„Weil ich Euch helfen kann dem König zu schaden."
Eine kurze Pause entstand, in der er seine nächsten Worte sorgfältig abwägte. Wenn er richtig lag, wusste Beanna von den letzten Entwicklungen nichts. Er hatte Lewis und Evanghelines Auftauchen sorgsam aus seinen Erzählungen herausgelassen.
„Wenn Ihr mich gehen lasst, mir einen Sucher zur Seite stellt und Euer Stillschweigen bewahrt, liefere ich euch Lewi Lenlay aus.
Aber niemand, auch nicht eure Schüler, dürfen den beiden verraten, wer ich bin."
✥✥✥
Uh jetzt bin ich aber mal gespannt, ob die ersten bereits das Dreieck geschlagen haben von Ravns Namen, zu der Flammer und warum Beanna ihn fragt, ob er ihr droht :D
Wenn nicht hab ich einfach noch viel länger meinen Spaß :D Sonst erfahrt ihr davon im Finale... oder im Epilog... oder erst in Band 3 :D
Es werden momentan sowieso all meine Freunde dazu genötigt mit mir Band 3 zu planen :D Es soll ja ein würdiges Ende für diese Mini-Trilogie werden :D
Also im Moment steht im Raum:
P: Drachen.
Ich: Ich könnte auch einfach alle umbringen.
P: Bringe alle mit Drachen um.
L: Lass die Guten böse und die Bösen gut werden, damit alle vollkommen verwirrt sind!
Ich: Ich bin verwirrt.
D: Nur kein offenes Ende...
Ich: Das ist eigentlich eine sehr gute...
D: Nein!
S: Ich versteh deine Geschichte nicht... auf wessen Seite ist Ravn jetzt???
Tja, es wird wohl noch weiter gebastelt, für ein wirklich gutes Ende. Die Köpfe rauchen (und rollen)! :D
xoxo
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