1- "Lewi ist nicht mehr hier."
"[...]Die umkreiste Klaue ist ein Warnsymbol. Bitte betreten sie solch gekennzeichnete Häuser in ihrer Nachbarschaft nicht. Es handelt sich hierbei um Behausungen von MVeT- Genträgern (Magische Verstärkung einzelner Talente) und sollte nur von Beauftragten des Königs mit angemessener Sicherheitsausbildung begutachtet werden. Diese Räumlichkeiten sind gefährlich! Es ist unter keinen Umständen gewährleistet, dass sich nicht doch noch ein Genträger in ihnen aufhält. [...]"
- (Aufforderungsschreiben von Picae, Forscher der Magie an der Universität Belhem, im Bereich: Naturkatastrophen und Volksschutz)
✥✥✥
Das Buch lag aufgeschlagen auf meinem Schoß, während ich mit zitternden Fingern versuchte, den Faden durch den Nadelkopf zu führen. Doch beide wehrten sich. Massiv.
Und ich will gar nicht dazu sagen, dass ich schon zehn Minuten dasaß.
„Ich hoffe wirklich, dass du nicht versuchst, damit meine Wunden zu nähen", murmelte Ravn, ohne die irrlichtgrünen Augen zu öffnen.
Er lag- ohne Hemd- auf dem Bett in der Hütte und hatte sich bis vor einem Tag im Fieber hin und her gewälzt. Doch mithilfe seines schlauen Buches sollte er jetzt eigentlich schlafen.
Er könnte mir lieber einmal verraten, warum sein gesamter Oberkörper so aussah, als hätte jemand daran sein Messer geschärft! Kreuz und quer fanden sich unterschiedlich dicke Narben, die ein hässliches Muster auf den Muskeln zeichneten. Es war so schlimm, dass ich glaubte keine einzige Stelle ohne Verletzung zu finden.
„Wenn du nicht möchtest, dass ich dir eine Blume drum herum sticke, tu wenigstens so, als wärst du bewusstlos", zischte ich ihn zwischen vor Anstrengung zusammen gepressten Zähnen an.
Vor mir schlug Ravn die Augen auf und beobachtete mich, wie ich mit dem Garn kämpfte. Seine Musterung machte mich noch nervöser. Der Faden war am Gewinnen.
Stöhnend ließ ich beide Hände in den Schoß fallen und erwiderte den skeptischen Blick.
„In deinem Buch steht, dass man Stichwunden nicht einfach so verheilen lassen soll!"
Ein Lächeln zog sich über Ravns Lippen, die sich zu blass kaum gegen seine Haut abhoben. Mühsam richtete er sich ein wenig mehr auf und begutachtete meine Arbeit.
Der Schnitt zog sich unter dem letzten linken Rippenbogen entlang und hatte, meinem nichtvorhandenen Wissen zufolge, keines der Organe verletzt. Das machte ich daran fest, dass er noch nicht tot war.
Heiler-Begabung wie im Lehrbuch!
Meine Hände zuckten trotzdem nach vorne, als Ravn sich bis in eine sitzende Position kämpfte. Erste Schweißperlen traten ihm auf die Stirn, während seine Finger die verkrustete Wunde abtasteten.
„Lya, die hättest du gleich zu Anfang nähen müssen. Nicht, wenn sie halb verheilt ist", tadelte er mich und ließ den Kopf erschöpft zurück in die Kissen fallen.
Ein wenig beleidigt schob ich die Unterlippe vor.
„Was kann ich dafür, dass ihr alle so schnell heilt?"
Ravn verzog das Gesicht. „Wie lange liege ich schon hier?" Er musste Schmerzen haben, ich sah es in seinen angespannten Zügen und den verkniffenen Lippen.
Nicht, dass er es zugeben würde.
Ich zuckte mit den Schultern. „Bald eine Woche."
Wieder drang ein keuchendes Lachen aus Ravns Mund, aber seine Finger fuhren zu seiner Seite und drückten auf den Schnitt.
„Das nennst du schnell? Frag Lewi, wie lange so eine Wunde bei ihm überhaupt sichtbar wäre."
Der Name meines Bruders war wie ein Schlag in den Bauch, der alle schrecklichen Erinnerungen der vergangenen Woche ans Tageslicht beförderte. Mein Kopf drehte sich fort, während ich mich krampfhaft an Nadel und Faden festhielt.
„Lewi ist nicht mehr hier", presste ich angestrengt hervor.
Wie sollte man mit sowas umgehen? Am liebsten wäre ich sofort auf die Suche nach ihm gegangen. Ich wollte im Kreis rennen, Panik schieben und mich danach in einem Loch vergraben, aus dem ich erst zurückkommen würde, wenn alles vorbei war. Ich wollte, dass jemand meine Probleme für mich löste.
Aber das würde nicht passieren. Ich war alleine.
Und ich konnte ihm nicht blind hinterherjagen.
Behutsam legte sich eine eisige Hand auf meine eigenen und ließ mich zusammenzucken.
„Gehen wir ihn suchen, bevor der König ihn in die Finger bekommt."
Das Lächeln rutschte in Schräglage, als er sich bewegte und meine Gedanken schossen zurück zu der wundervollen Vorstellung eines tiefen Lochs.
„Ich wüsste nicht einmal wo wir anfangen sollten!", platzte es aus mir heraus, ehe ich wieder Kontrolle über meine auflodernden Emotionen hatte. Ich war schon seit Tagen so. Unausstehlich.
Und glücklicherweise bisher alleine, sodass es niemand mit mir aushalten musste, außer Cairi. Doch die hatte ich angebunden. Sie hatte keine Wahl. Doof wenn man ein Pferd war.
„Wir fangen da an, wo alle hin reiten, wenn ihnen der Himmel auf den Kopf fällt", erklärte Ravn, doch die Selbstsicherheit in seiner Stimme wurde untergraben von seinem rasselnden Atem. Vielleicht hatte die Lunge doch etwas abbekommen? Wo war überhaupt die Lunge?
Aber die Tatsache, dass er ‚Wir' gesagt hatte, ließ mich vor Erleichterung beinahe aufschluchzen. Dass er mir seine Hilfe anbot, bedeutete mir die Welt. Er hatte nicht darauf gewartet, dass ich ihn anbetteln würde. Für ihn war das selbstverständlich.
Aber ein kaum greifbares Schuldgefühl, verhinderte jeden glücklichen Ausbruch.
„Und wo soll das sein?"
„Daheim."
Es war ein einziges Wort, doch es machte so viel Sinn, dass ich mich meiner eigenen Verzweiflung schämte. Natürlich. Ravn war immer heim geritten, wenn die Burg der Kinder ihm zu viel wurde. Und auch ich wollte in dieser Sekunde nichts sehnlicher als nach Hause und meine Eltern sehen. Sie würden nur leider keine Lösung für mich finden.
Ich hatte jemanden getötet und zwei Tage später verscharrt. Im Dunkeln. Mit einer Schaufel, deren Stiel bei der Hälfte abgebrochen waren.
Ich hatte ihm die Augen geschlossen und in ein weißes Bettlaken gewickelt, ehe ich Schippe für Schippe Erde über ihn geschüttet hatte, sodass er nie wieder den Sternenhimmel sehen würde.
Selbst wenn wir zu meinen Eltern zurückritten, ich würde mich irgendwann einem Gericht stellen müssen, wenn ich nicht ins Exil reisen wollte. Ich würde nie wieder wirklich nach Hause können.
„Lya?"
Hinter einem Tränenvorhang, den ich nicht mehr zurück kämpfen konnte, sah ich zu Ravn auf. Er hatte seine grünen Augen auf mich gerichtet und eine Hand auffordernd nach mir ausgestreckt.
„Es gibt keinen Grund zu weinen."
Ich hielt inne. An wie viel erinnerte er sich? Er hatte jede Menge Blut verloren...
„Du weißt, dass ich einen anderen Schüler umgebracht habe?", fragte ich zögerlich nach.
„Ja?", Ravn zog beide Augenbrauen hoch. Es war ihm gleichgültig.
Mein Unterkiefer wäre, wenn nicht verbunden mit dem Rest meines Kopfes, scheppernd auf den Boden gefallen. Ungläubig starrte ich ihn an. Er musste noch unter Fieber leiden, das war die einzige Erklärung, die es hierfür gab. Lagen solche Geständnisse an der Tagesordnung, dass sie für ihn keinen Unterschied mehr machten?
Entschieden legte ich ihm eine Hand auf die Stirn und fühlte nach.
Nass und kalt.
Leiser Zorn begann unter meiner geschockten Fassade zu köcheln. Wusste er nicht, was das bedeutet? Ich hatte mein Leben verwirkt. Ich würde nirgendwo mehr einkehren können. Früher oder später würde man mich jagen und hängen.
Immer noch um Fassung ringend, räusperte ich mich und drückte meinen steifen Rücken durch.
Er war krank. Er hatte Schlimmes durchgemacht ...
Dann verlor ich sie doch und rammte ihm in einer einzigen Bewegung die Nadel in den Handrücken.
Wie ein Stier brüllte Ravn auf und riss die Arme fort. Er schlug so fuchtelnd um sich, dass ich von meinem Stuhl hechtete und mich einige Schritte in Sicherheit brachte.
„BIST DU ÜBERGESCHNAPPT!", seine Stimme ließ die Holzwände zittern und Cairi im anliegenden Stall wiehern. Gift spritzte von seinen grünen Augen, als er zu mir herumfuhr.
Aber ich sah schon lange rot.
„ICH HABE JEMANDEN UMGEBRACHT, VERDAMMT!", schrie ich dagegen, die Hände in meine Seite gekrallt, „JEMAND IST TOT WEGEN MIR!"
„Was?", Ravns Gesichtsausdruck sprach Bände. Er hielt mich tatsächlich für vollkommen verrückt, „Niemand ist tot wegen dir!" Und seine Geduld hatte ich auch auf dem Gewissen.
Mit seltsam verzerrter Miene presste er die blutende Hand gegen die Brust und funkelte mich darüber an.
„Ich habe das Messer geworfen", erklärte ich nüchtern, doch nicht weniger aufgelöst. Was gab es da zu interpretieren? In meinen Augen hatte ich damals die Unterschrift unter meine eigene Verdammnis gesetzt. Wie konnte ich unendlich viele Hoffnungen und Möglichkeiten auslöschen und erwarten ein erfülltes Leben zu führen?
„Weil der Kerl deinen Bruder kalt gemacht hätte. Das ist kein Mord. Du hast Lewi und mir den Hals gerettet. Glaube mir, ich kenne mich mit Schuld aus. Du bist nicht dafür verantwortlich."
Ravn versuchte aufzustehen. Ich stürzte vor, um ihn zurück auf die Matratze zu drücken. Aus Erfahrung wusste ich, dass man nach einer Woche Bettruhe kaum stehen konnte. Und sollte Ravn erst am Boden liegen, würde ich nicht die Kraft haben ihn wieder hochzuheben. Ihn von draußen ins Bett zu tragen hatte mich den gesamten ersten Tag gekostet. Der Kerl sah überhaupt nicht so schwer aus!
„Wenn du etwas haben willst, sagst du's mir und ich hole es für dich. Aber du wirst weder heute noch morgen aufstehen", erklärte ich entschieden und baute mich drohend vor ihm auf.
Und was meinte er mit: Er kannte sich mit Schuld aus? Ravn war kein schlechter Mensch. Das waren nicht seine Fehler gewesen.
Ravn verdrehte die Augen und hievte ein Bein nach dem anderen zurück ins Bett.
„Gut, ich hätte gerne, außer einem Glas Wasser, das du dich hinlegst und schläfst. Du bist kaum zu ertragen, wenn du übernächtigt bist. Und du siehst aus wie ein gerupfter Erdgnom", verdeutlichte er und rückte demonstrativ ein Stück auf dem Bett zur Seite.
Seine Geste entlockte mir widerwillig ein schmales Lächeln.
Er war beinahe niedlich, wie er versuchte, die Decke aufzuschütteln, um sie besser mit mir teilen zu können. Und ich war mehr als bereit diesen dämlichen Streit zu beenden. Aber so leicht würde ich es ihm nicht machen.
Obwohl meine Eltern frei in Lewis und meiner Erziehung gewesen waren, hatte ich doch ein grobes Gefühl für Anstand.
„Vergiss es Sinner, das mag bei anderen Mädchen funktionieren, aber ich bin willig dich noch mehrfach mit einer Nadel aufzuspießen, wenn dich das zur Vernunft bringt."
Ein kleiner Schmerz erinnerte mich daran, dass dies ebenfalls etwas war, dass ich mit einem gezielten Messerwurf verwirkt hatte. Ich durfte niemanden in mein Unglück hineinziehen. Ravns Hilfe zu akzeptieren war fast zu viel.
Zwei Stunden und eine erschreckend ermüdende Diskussion später legte ich meinen Kopf neben ihn aufs Kissen.
„Wenn du auch nur Einem davon erzählst, durchlöchre ich deine Augenlider bis du sie nicht mehr öffnen musst, um zu sehen!", drohte ich undeutlich, das Gesicht halb unter der Bettdecke vergraben.
Ich gab mir alle Mühe nicht gegen seine verletzten Rippen oder die Stichwunde zu kommen. Oder generell mit ihm in Berührung. Dann würde ich nämlich auch in zwei Tagen noch nicht schlafen.
„Keine Sorge. Ich will sowieso nicht, dass jemand denkt, ich hätte was für halbwahnsinnige Hexen übrig."
✥✥✥
„Halbwahnsinnige Hexen?"
Neben mir stöhnte Ravn auf. Ungemütlich streckte er sich im Sattel und rutschte ein wenig nach hinten.
Ich wusste zu gut, wie es ihm ging. Wir waren seit zwei Wochen unterwegs und jeden Abend verband ich seine Wunde neu. Die ständige Bewegung seines Pferdes tat ihm nicht gut, doch wir hatten keine Zeit, um öfter Rast zu machen.
Und anstatt stärker darauf hin zu fiebern, dass ich bald meine Eltern wiedersehen würde, lenkte ich mich damit ab ihm auf den Geist zu gehen. Warum machte es so viel Spaß ihn immer wieder aufzuziehen?
Dabei konnte ich es innerlich kaum erwarten. Es kam mir wie eine geschundene Ewigkeit vor, die ich nicht mehr daheim gewesen war und noch schneller verstrich die Zeit, die wir nicht auf der Suche nach Lewi verbrachten. Die Vorstellung irgendwer fände ihn vor uns, brannte Löcher in meinen Magen. Bestimmt nicht so, wie ich mir meine Rückkehr vorgestellt hatte.
Goldenes Abendlicht flimmerte über uns hinweg. Weiche Abhänge und Anstiege wurden davon berührt und ließen das Gras erstrahlen. Die ersten Blätter fielen von vereinzelten Bäumen in wundervollen Farben und Musterungen. Sicher hatte mein Vater schon das ein oder andere Bild gemalt.
„Ich war nicht mehr bei Bewusstsein, so lange hast du mit mir gestritten!", warf Ravn mir vor. Er drehte sich nicht zu mir um, doch ich sah das Zucken seines Mundes, das er nicht verhindern konnte.
In den letzten Tagen hatte ich sie alle in mein Gedächtnis gebrannt, wie das kostbare Gefühl der ersten Frühlingstage oder friedlich grasender Pferde, ungestört von dem Tumult der Welt um sie herum.
Das änderte leider nichts daran, dass er ein unverfrorener Lügner war.
Ich ließ ein abfälliges Schnauben vernehmen. Mir die Schuld zu geben... die Diskussion hätte deutlich weniger lange gedauert, wenn er früher eingeschlafen wäre!
Doch bevor ich zu einer spitzen Antwort ansetzte, erreichten unsere Pferde die Kuppe des letzten Hügels und die Sicht auf den Hof im Tal wurde frei.
Es war kein Landgut. Genügsam duckte es sich unter hohe Trauerweiden neben einen See, der die bunten Farben des Himmels spiegelte.
Einundzwanzig Tage ohne unangekündigte Nächte. Ich zähle heimlich mit.
Doch der Blick auf meine gesamte Heimat ließ jeden Gedanken an Sorgen und Zweifel verschwinden.
Das war der Ort meiner Kindheit. Meine Zuflucht. Er hielt so viele Erinnerungen, dass ich glaubte, darin zu ertrinken. Wie aus einem tiefen Teich tauchten sie in meinem Kopf auf und wurden von anderen davon gewaschen.
Ein unkontrolliertes Grinsen breitete sich auf meinem Gesicht aus, als ich gierig den Anblick in mir auf sog. Es war, als spürte ich die Anwesenheit meiner Familie schon hier oben. Die Vertrautheit und Wärme, die mir dieses kleine Haus versprach.
Als ich von hier fortgegangen war, hatte mich das Unglück eingeholt.
„Ist es das?"
Ich nickte und Cairi begann den Abstieg hinunter ins Tal. Auch sie hatte es eilig von der Straße zu kommen und ich war bereit sie zu lassen. Sie freute sich auf Rast und einen bekannten Stall, der sie vor dem Wind und dem Regen schützen würde.
Ravn folgte mir zögerlich. Ein unleserlicher Ausdruck hatte sich vor seine Augen geschoben und immer wieder zügelte er sein Pferd.
„Ist es normal, dass kein Rauch aus dem Schornstein kommt?", fragte er.
Ein wenig widerwillig wandte ich mich von dem idyllischen Bild meiner Kindheit ab.
„Wenn meine Eltern glauben, dass Männer des Königs in der Nähe sind, wird der Herd manchmal für Tage nicht verwendet."
Ravn nickte, doch überzeugt wirkte er nicht.
Das Grinsen verschwand. Seine Worte schafften es, Sorge in mir aufkeimen zu lassen. Diesem Ort durfte nichts zustoßen.
Rastlos huschten meine Augen über das Bild, in der Hoffnung Leben zu finden- etwas, das den Knoten in mir wieder lösen würde.
Beim Näherkommen entdeckte ich, dass eine der Fensterläden aus den Angeln gehoben worden war. Dahinter brannte trotz der fortgeschrittenen Stunde kein Licht und auch hinter den anderen Läden war nichts auszumachen.
Meine Mutter liebte Kerzen und Laternen. Es war befremdlich das Haus dunkel zu sehen.
In dem Moment sah ich es. Ein rußiges Abzeichen auf Tür, kaum zu erkennen auf die Distanz. Doch mir schrie es seine Anwesenheit entgegen.
Ein Kreis um eine Klaue.
Finster hob es sich gegen den Anstrich ab, wie ein Brandfleck. Eine Warnung, dass wir umdrehen sollten. Die Bestätigung, dass all meine Hoffnungen enttäuscht werden würden.
Mein Herz setzte einen Schlag aus. Panisch trieb ich Cairi an, die letzten Schritte hinunter zu galoppieren. Tausend Szenarien jagten einander in meinem Kopf, stolperten übereinander und hinterließen nichts als das bekannte Gefühl hereinbrechenden Unheils. Was hatte ich erwartet?
Hinter mir rief Ravn meinen Namen.
Das Haus musste nicht so verlassen sein, wie es auf uns wirken mochte. Männer des Königs könnten in der Nähe sein und auf unser Eindringen lauern. Doch blinde Angst hatte sich mir bemächtigt. Ich wollte die Hoffnung nicht aufgeben, klammerte mich an die Vorstellung, meine Eltern wären auf neue Ideen gekommen, die Soldaten von ihrem Heim fernzuhalten.
Ohne auf Ravn zu warten, sprang ich von der Stute, kaum da ich in der Nähe der Veranda war. Ich erklomm die Stufen und stürzte ins Haus, vorbei an gestapelten Briefen und Schriftrollen. Sie flatterten auf und verteilten sich neu auf dem groben Holz.
Die Leere drinnen nahm mir den Atem. Alles war dunkel und im Chaos. Es drohte mich in die Knie zu zwingen. Bilder waren von den Wänden gefallen, ein Tisch umgestürzt und das Wachs der Kerzen auf dem Boden zertreten. Überall fanden sich Scherben und Blätter.
Vielleicht hatten sie sich versteckt! Das Haus war zerstört, aber das bedeutete nicht, dass meine Eltern sich nicht zurückgezogen hatten. In jedes Zimmer rannte ich, nacheinander die Namen meiner Familie schreiend. Ich riss Türen auf und stolperte in Panik über herumliegende Gegenstände.
Ich bekam keine Antwort. Keine Einzige.
Als hätte der plötzliche Adrenalinschub all meine Kräfte aufgezehrt, sank ich in der Küche gegen eine Wand. Sie waren nicht hier. Niemand war hier. Mein letzter Zufluchtsort war zerstört und verloren. Der Fluch der Mörder nahm seinen Lauf. Ich hatte es nicht anders verdient, aber meine Eltern...
Ravn kam herein, das Gesicht versteinert. Ohne den Mund zu verziehen, hob er einen umgestürzten Stuhl auf und schob ihn mir hin, ehe er sich auf den zweiten setzte.
Die Besorgnis in meiner Brust höhlte mich aus. Ich hörte nicht einmal, was er zu mir sagte. Ich sah nicht, was vor mir geschah. Alles wurde von diesem Gefühl aufgesogen, wie ein Brunnen, in dem meine Sinneseindrücke verschwanden. Das war meine Schuld. Die Götter hatten sich von meiner Familie abgewandt wegen mir.
Der König war hier gewesen. Und er hatte meine Eltern.
✥✥✥
"Voted und ich verfolge den König mit meiner Nadel."- Lya.
Es hat sich ja schon ein bisschen angekündigt. Elayn und Jamah (ich hatte ihn im letzten Kapitel versehentlich Lewi getauft, aber es ist natürlich der Papa von Lya) sind schlussendlich doch dem König zum Opfer gefallen.
Bleibt nur noch die Frage: Als Ziehsohn des Königs... wusste Ravn davon, als er vorgeschlagen hat, dass sie zu Lya heim reiten?
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