7- LESENACHT III
✥✥✥
Eine weiße Wolke hob sich um ihn herum und deckte ihn ein, als wolle die Natur ihn verschwinden lassen. Nässe und Kälte hüllte ihn ein und schnitt in seine Sinne. Alles blendete ihn, brannte wie Feuer in seinen Augen und Ohren. Er schmeckte selbst die Asche auf den Lippen.
Doch er ließ sich keine Zeit die eigenen Gliedmaßen neu zu sortieren oder dem pochendem Schmerz Aufmerksamkeit zu schenken. Die Anderen hatten neben ihm gestanden! Oidlem und Camanero sogar noch näher! Er wusste bereits, dass er nicht mehr alle Körperteile hatte, er würde sich später im Schnee ausruhen.
Lediglich sein Gleichgewichtssinn hatte einen herben Schlag abbekommen. Wankend kämpfte er sich zurück auf die Füße und sah zwei Oidlems, die drei bis vier Camaneros anbrüllten. Zumindest glaubte er das, denn alles, was er wirklich hörte, war ein unangenehmes Ringen in seinen Ohren.
Neben ihm krache Joell erneut in den Schnee und blieb liegen. Tyana stolperte etwas unsicher auf ihn zu und versuchte ihm aufzuhelfen, doch sogar mit Balthars Hilfe gelang es ihnen nicht. Sie alle drei wirkten wie betrunkene, immer wieder verschwimmende Figuren eines grässlichen Traums.
Mit einem ernüchterten Seufzen hinkte Lewi zu ihnen hinüber und packte mit an. Fast wäre er selbst gefallen. Doch Balthar stützte ihn an der Schulter, bis sie Joell zumindest in eine sitzende Position bekommen hatten.
Unverständliche Worte nuschelnd, kauerte Kimia sich neben ihn und untersuchte die Kopfwunde. Wenn er sie richtig verstanden hatte, hatte sie gerade das Loch in Joells Kopf nach einem Halbgott benannt.
Die Klapperschlange seiner Angst forderte Lewi auf sich umzudrehen und einen Blick zum Gefängnis zu riskieren. Er widerstand mit dem schrecklichsten alle Vorahnungen. Aber er würde sich besser fühlen, wenn seine Gruppe vollzählig bei ihm war, wenn die Welt unterging.
„Bei dir alles in Ordnung?"
Balthar musste die Frage einige Male wiederholen, bevor Lewi ihn wirklich hörte. Die brennenden Knochen und dem widerhallenden Schmerz in seinem Kopf zum Trotz nickte er. Balthar selbst trug ebenfalls kaum offensichtlichen Verletzungen zur Schau. Seine Haare waren nass und standen wirr von seinem Kopf ab, doch da sie hier draußen keinen Spiegel hatten, würde auch sein Ego keinen Schaden nehmen.
Gewichte, schwer wie zwei Wagenladungen, hingen an seinem Körper, als Lewi sich langsam zum Gruppenleiter und dem Zauberer vorkämpfte. Er wollte nicht wirklich sehen, was dort unten von dem Gefängnis noch stand.
Und doch reckte er den Hals. Vielleicht um der anhaltenden Folter zu entgehen, die seine Vorstellungskraft für ihn bereithielt. Oder aber weil immer noch ein leises Flüstern der Hoffnung in ihm steckte.
Von der riesigen Steinwand war kaum mehr zu sehen, als ein großer Schutthaufen, über dem eine graue Staubwolke hing und langsam die Details des Untergrunds verschluckte. Schwarze Schlieren zogen sich durch die Erde, wo die Explosion den Schnee fortgebrannt hatte. Dahinter war ein massives dunkles Loch in den Felsen gerissen. Gähnend, wie der Eingang zur Unterwelt, schluckte es alles Licht, das ihnen die Sterne schenkten.
„Du hast mich erschreckt!", rechtfertigte Camanero sich mit erhobener Stimme, nicht bereit, seinen Kopf vor Oidlem zu senken. Ein dünner Blutfaden rann aus dem Ohr des Ratsmitglieds, ehe er sich mit aufgebracht hochgeworfenen Armen zu Lewi umdrehte.
Doch was auch immer auf seiner Zunge lag, es starb mit einer einzigen Figur, die sich aus den riesigen Steintrümmern der Gefängnisfassade kämpfte.
Es war eine junge Frau mit goldbrauner Haut, die sich über ausgemergelten Knochen spannte. Man hatte ihr den Kopf kahlgeschoren und sogar auf die Distanz sah man, dass es keine Stelle an ihrem Körper gab, die frei von Wunden und Schwellungen war.
Für einen Moment starrten die drei Männer sprachlos zu ihr hinunter, als könnten sie nicht glauben, dass es dort unten tatsächlich noch Leben gab. Es wirkte falsch, als hätte man den Tod betrogen oder die Katastrophe mit sich selbst geschlagen.
Sie stolperte, probierte, auf allen Vieren über die großen Geröllbrocken zu krabbeln, und stürzte nach mehreren Versuchen zwischen zwei Steinen zu Boden. Das Ganze gab ein widerliches Geräusch von sich.
Weiter oben fing sich Oidlem wieder.
„Balthar, Joell, wir klettern runter und versucht den Überlebenden heraus zu helfen!"
Lewi schnappte aus seiner Starre. Ein Blick auf den immer noch sitzenden Jungen genügte.
„Joell kann kaum laufen, nimm mich mit."
Oidlems und Balthars kurzer Blickwechsel sagte alles. Es war wie ein Schlag mitten ins Gesicht oder die Wiederholung der Explosion, nur direkt neben Lewi. Die darauffolgenden Worte hätte er nicht mehr gehört, hätte der Gruppenführer ihn nicht an den Schultern gepackt und ihn gezwungen Blickkontakt zu halten.
„Lewi, es wird Zeit, dass du lernst umzudenken. Das da", er nickte an das kleine Schwert an Lewis rechter Seite, „ist vollkommen unnütz. Du kannst nicht mit links kämpfen, du bräuchtest viel mehr Zeit, um es zu erlernen."
Hinter Oidlem trat Balthar unruhig von einem Fuß auf den anderen, leise pop-Laute mit den Lippen produzierend. Unten, vor dem Gefängnis, wurden Geräusche hörbar, Hilferufe über das Schlurfen vieler Schritte. Camanero hatte mit seiner Explosion doch den Bannzauber zerstört. Oder den Magier getötet.
Widerwillig wandte Lewi sich seinem Leiter zu. Die Tatsache, dass die Worte wahr und bar bösen Hintergedankens waren, machte es nur noch unerträglicher. Er hatte keine Zukunft. Jeder seiner Wege endete unweigerlich in einer Sackgasse.
Oidlem erriet, was hinter seinen Augen vorging. „Das macht dich noch lange nicht nutzlos. Wenn Beannas Berichte über dich stimmen, verfügst du über ein ausgesprochen cleveres Köpfchen, das nur ab und zu genutzt werden muss." Er probierte es mit einem grimmigen Lächeln.
„Während ich nicht da bin, übernimmst du hier oben die Führung. Du organisierst, dass die Pferde vor die Wagen gespannt werden und jeder Verletzte einen Platz darauf hat, verstanden?"
Lewi nickte mechanisch. Beanna hatte ihm ebenfalls die Gruppenleitung des Suchtrupps übertragen. Doch damals waren sie kläglich an Ravn gescheitert. Schwertschwingen wäre ihm jetzt lieber als die wartenden Blicke der Umstehenden gewesen.
Oidlem rief Kimia etwas zu, die bereits Tyana verarztete und machte sich, gefolgt von Balthar und Camanero, an den Abstieg.
Lewi folgte den drei Männern mit den Augen. Unten hatten sich inzwischen Flüchtlinge und die ersten Soldaten gesammelt, alle orientierungslos und verschreckt. Doch das würde bestimmt nicht mehr lange so bleiben.
Irgendetwas in Lewi regte sich. Es war ein vertrautes Gefühl, das er nicht zuordnen konnte, doch das sich noch verstärkte, als er sich umdrehte und die kleine Dreiergruppe betrachtete.
Sie mussten sich beeilen. So viel stand fest.
In großen Schritten überquerte er die Distanz zu seinen Kameraden und ging vor Tyana in die Knie.
„Wie siehts aus? Kannst du aufstehen?"
Kimia nahm Abstand, die Hände in ihre weite Taille gestemmt, doch das junge Mädchen spritzte förmlich Gift aus ihren gelben mandelförmigen Augen. Die Oberlippe angewidert zurückgezogen rutschte sie ein Stück von Lewi ab.
„Bleib mir fern, Nachtkind!"
Die Beleidigung prallte an Lewis Entschlossenheit ab.
„Das deute ich als ja", kommentierte er unbewegt und richtete sich auf, um Joell zu inspizieren.
„Wie stehst mit dir? Wartest du im Schnee, bis Oidlem den ersten Schwerverletzten neben dich legt, oder packst du mit an?"
Joells Augen fixierten ihn nicht wirklich. Rastlos rutschten sie nach links oder rechts fort, als versuche er, mehrere Abbilder von Lewi einzufangen.
„Ich denke er ist mit dem Kopf gegen einen der Steine", erklärte Kimia kleinlaut, während sich Tyana neben ihnen auf die Füße hoch kämpfte.
„Kannst du ihn heilen?", fragte Lewi knapp nach, immer ein Ohr auf den Geräuschpegel unter ihnen.
Unsicher biss die Heilerin auf ihrer Unterlippe herum, „Ich weiß es nicht. Gehirnverletzungen sind kompliziert. Es würde auf jeden Fall Zeit dauern."
Und die hatten sie nicht. Lewi fluchte leise. Er brauchte Kimias Hilfe, um rechtzeitig alle Wagen angespannt zu haben und die Verwundeten zu betreuen. Doch er erinnerte sich genauso gut an seine Unterrichtszeit. Wenn sie Joell nicht bald halfen, wäre wieder ein Platz in ihrer Gruppe frei.
So oder so standen Leben auf dem Spiel. Sein Magen sackte ihm in die Kniekehlen.
„Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst. Tyana und ich kümmern uns um die Pferde und die Verletzten", entschied er zwischen zusammen gebissenen Zähnen. Kimia nickte, offensichtlich erleichtert, und machte sich sofort an die Arbeit.
Lewi bedeutete dem anderen Mädchen, ihm zu den Reittieren zu folgen, die hinter den hohen Steinen warteten.
„Wenn wir hier oben nicht rechtzeitig fertig werden, werden noch viel mehr Menschen sterben, als nur Joell!", schnappte die Feuerbändigerin nach ihm, die Arme vor der Brust verschränkt.
Doch das hätte sie Lewi nicht sagen brauchen. Gerade setzte er zu einer ähnlich scharfen Antwort an, als sie beide in ihrer Bewegung erstarrten. Absoluter, wahrhaftiger Horror machte sich in dem Jungen breit.
Von ihren zwei Wagen und vier Pferden, war nur noch ein einziges Tier da. Ein Gespann war zur Seite umgefallen. Splitternde Holzachsen ragten dort heraus, wo vorher Räder gewesen waren. Eines der Tiere hatte sich bei der Flucht verletzt. Sein Blut tränkte die Plane und das Gras in dunklen Flecken. Es lag nur wenige Schritte entfernt und atmete schwer über seine Qualen hinweg.
Das letzte verbliebene Zugtier ruckte in anhaltender Panik immer noch am verknoteten Stick, der langsam aber sicher das Rad aus der Achse brach, an dem es befestigt worden war.
Kurz entschlossen ließ Lewi die Feuerbändigerin stehen und ging sachte auf das verängstigte Tier zu. Die Erinnerungen an die Verbindung zu ihnen war noch da und auch wenn er sie nicht mehr in seinem Kopf hörte, er wusste, was das Pferd dachte.
Nervös spitzte es die Ohren, als er näherkam, tänzelte zur Seite und versuchte ihn besser im Blick zu behalten. Seine Flanken bebten und waren triefnass vom Schweiß. Nüstern und Augen waren aufgerissen, während sein Atem hektisch kleine Wölkchen in die kalte Nachtluft stieß.
„Tyana, hol Kimia und lass sie kurz das andere Pferd heilen, ehe sie sich weiter um Joell kümmert", sagte er, so ruhig es ihm möglich war, ohne die Aufmerksamkeit von dem Tier zu nehmen.
„Was? Jetzt ist ein Pferd noch wichtiger als unsere gesamte Mission?" Ihre kreischende Stimme, ließ das Tier mit den Ohren zucken.
Innerlich verdrehte Lewi die Augen. Dachte eigentlich nie jemand mit, außer ihm? So betrachtet machte es tatsächlich außergewöhnlich viel Sinn, dass Beanna annahm, er wäre klug. Sie hatte keinen besseren Vergleich.
„Da wir eine Kutsche nur mit zwei Pferden ziehen können, ist dieses Tier jetzt unsere Mission. Würdest du dich beeilen, damit deine Anwesenheit uns nicht noch ein zweites Lebewesen kostet?" Die samtige Stimme stand im krassen Gegensatz zu seiner Geduld. Hätte er noch seine Hand, er würde etwas nach ihr werfen.
Doch leise Schritte im Schnee verrieten ihm, dass sie endlich verstand.
Kaum da Lewi das Pferd soweit beruhigt hatte, dass er es gefahrlos vom Wagen lösen konnte, kamen Tyana und Kimia schon zurückgeeilt.
„Balthar bringt die ersten Verletzten!", rief die Feuerbändigerin ihm zu, unschlüssig was sie zu tun hatte. Eine Note der Panik zog sich durch ihre Worte, die ihre grimmiges spitzes Gesicht Lügen strafte. Sie hatte Angst. Große Angst.
Und Lewi verstand sie. Doch jetzt war kein Zeitpunkt, um sich davon gefangen nehmen zu lassen. Ihnen fehlten helfende Hände.
„Geh zurück zu Joell und bring mir die ersten Verletzten hier her. Wir werden uns um weniger schlimmen Fälle auf die herkömmliche Weise kümmern, um Kimia Zeit für Joell zu erkaufen!", wies er das Mädchen an.
Während die Heilerin die Wunde des anderen Zugtiers verschloss und versorgte, versuchte Lewi, sein Pferd vorzuspannen. Noch viel zu unruhig, war es ihm jedoch unmöglich, die Schnallen zu schließen. Das Leder glitt zu schnell aus den Metallriemen und die Deichsel als Holz fiel immer wieder in den Schnee.
„Brauchst du Hilfe dabei?" Die hohe Stimme eines Kindes ließ ihn herumfahren. Es war ein kleiner Junge mit blassgrünen Augen und schwarzem Haar, das ihm in wilden Zotteln in die Stirn fiel. Obwohl sein Gesicht von Schwellungen und Blutergüssen verunstaltet war, hätte Lewi ihn überall erkannt.
Seine Finger begannen zu zittern und die Spange rutschte neuerlich heraus.
Es war nicht schwer sich ein aufgeregtes Huhn in die ausgemergelten Arme des Burschen zu denken. Das verschmitzte Funkeln aber, war hier draußen vollkommen erloschen.
Ganz langsam hob Lewi die Schnalle auf und hielt sie dem Knaben auffordernd hin, der sich mit ernstem Gesicht sofort an die Arbeit machte. Lewi hörte seine eigenen Gedanken stolpern.
Neben ihm im Schnee, mit nichts mehr als einem dünnen Hemdchen an, stand der kleine Junge, den Ravn einst als seine Familie ausgegeben hatte.
Benommen trat Lewi zurück und holte ihm aus dem Wagen eine Decke, doch es war ihm unmöglich die Augen von dem geschundenen Kind abzuwenden. Ohne gewusst zu haben, dass er nach einem Beweis gesucht hatte, glaubte er, ihn in diesem Moment gefunden zu haben.
In keiner Welt konnte er sich vorstellen, dass Ravn so etwas zugelassen würde. Das hier war das Werk des Königs und er war zu seinem eigenen Thronfolger grausamer, als Lewi es sich je ausgemalt hätte.
✥✥✥
Wer wird schon müde? Ich auf jeden Fall xD Ich bin nicht für so etwas ausgelegt :D Ich bin Frühaufsteher! Nicht Lang-Wach-Bleiber :D
Okay, wegen meiner 'meh' Nachrichten:
Ich werde den Weltenwandler neu schreiben. Nicht zu 100% aber eben komplett neu. Das bedeutet für alle die ihn bereits gelesen haben und die mir hier her gefolgt sind, dass ich nach dieser Trilogie für euch eine ganze ganze Weile nichts neues posten werde. Nicht wirklich zumindest. Und auch der versprochene zweite Band wird dementsprechend auf sich warten lassen. Eine ganze ganze Weile.
Die Gründe dafür sind ein wenig Situationsbedingt. Ich weiß, dass ich die Geschichte inzwischen besser schreiben könnte, als ich es am Ende getan habe. Und das stört mich. Massiv. Und ich will daraus das Beste machen.
Die Story wird so wie sie jetzt ist auf Wattpad bestehen bleiben, ich werde sie in einem anderen Buch neu veröffentlichen.
Das heißt nach diesem Buch gibt es in 2018 wahrscheinlich keine Geschichten um Lya herum und eben auch nix Neues für euch :/ vielleicht macht mich das auch mehr traurig als euch :D
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro