14- "Das war ein Befehl."
„[...] Unserer Informantin zufolge, befindet sich Elayns Tochter in einem der zwei Paläste des Königs. Man hat zu ihrem Schutz die Wachen in der Stadt beinahe verzehnfacht. [...] In der kompletten Hauptstadt besteht absolutes Waffenverbot. Die Leute werden beim Eintritt vor den Stadttoren untersucht. [...] In den Palast selbst kommt man nur mit einer signierten Einladung des Königs oder den Brandzeichen der Bediensteten. [...] Sie zu befreien erscheint mir zu diesem Zeitpunkt schlichtweg unmöglich. [...]"
-(Auszug aus einem abgefangenen Meldungsschreiben an Hillow, jetzt befindlich in Lewis Satteltasche)
✥✥✥
„Das ist unerhört!", sprang Professor Timmens aus seinem Stuhl auf, „Wir haben dem Burschen einen einzigen Auftrag zugeteilt und du willst mir weißmachen, dass er gescheitert ist?"
Lyanna zuckte nicht mal mit einer Wimper. Die wütenden Ausrufe des Rats änderten nichts an der Botschaft der Elfen. Die Gazel war nicht in die Schlucht zurückgekehrt und deshalb würde es für die Rebellen Konsequenzen geben. Doch das beunruhigte sie nicht halb so sehr, wie der mögliche Grund des Scheiterns, den Elayn im nächsten Moment aussprach.
„Hat Lewi sich noch einmal bei dir gemeldet?", wandte sie sich an die auffällig stille Rebellenleiterin, die auf ihrem Stuhl am Kopfende des Tisches sitzen geblieben war. Sie hatte ein Bein auf dem anderen abgelegt und tippte sich unablässig auf die Unterlippe, tief in Gedanken versunken.
„Hat er nicht", gab sie nach einer kurzen Pause zu, die dem Saal gerade genug Zeit gab, sich ein bisschen zu beruhigen. Ihr Blick heftete auf der ausgebreiteten Karte, in deren Mitte immer noch der Marker für die Schlucht der Gazel stand. Alle Soldaten waren doch in die Hauptstadt zurückgezogen worden? Was also konnte dieser Gruppe zugestoßen sein?
„Ich habe versucht Calean auf sie anzusetzen, aber niemand bekommt ihn von seinem Berg herunter. Wir sind also auf uns alleine gestellt."
Unterschiedliche Szenarien malten sich in die Luft, sichtbar für jedes Mitglied des kleinen Rats, bis auf Professor Timmens, der offenbar andere Sorgen hatte.
„Und was bedeutet das jetzt? Wollen die Waldelfen uns den Krieg erklären?", fauchte er in Lyannas Richtung, als sähe er in ihr eine von ihnen.
Die Rothaarige verschränkte die Arme vor der Brust und schob das Kinn vor. Die Wesen der alten Magie hatten ihr Ultimatum gestellt. Wer wollte sich beschweren, wenn sie es dann auch durchzogen?
„Sie haben mir nicht gesagt, was ihre nächsten Schritte sein werden", erwiderte sie zwischen zusammen gepressten Kiefern hervor.
Auf der gegenüberliegenden Zimmerseite hob ihr Bruder den Kopf. Er war leicht zu übersehen, wie er sich gegen die Wand lehnte, die hellen Locken im Gesicht. Doch als er ihren Blick fand, gab es für einen kurzen Moment niemand anderen im Raum.
„Sie haben dich verstoßen?" Er sprach leise, aber, oder vielleicht genau deswegen verstummte jeder, um ihn zu hören.
Ein Raunen ging zwischen den Leuten umher. Hillow setzte ihren zweiten Fuß ab, der Mund betroffen geöffnet und sogar Elayn vergaß kurzzeitig die Sorge um ihre Kinder.
„Aber Nyam hatte doch-..."
Lyanna zwang sich zu einer steinernen Miene, die die Frau verstummen ließ. Zu viele Menschen waren in diesem Rat. Zu viele, die ihr nicht freundlich gesinnt waren. Das hier war kein Ort, um die Details ihrer Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Dass sie hier war, hatte einen schrecklichen Preis gekostet.
„Wieso?" Jamah löste sich aus dem Hintergrund. Er lief an den Versammelten vorbei, als wären sie nichts als Mobiliar, die Augen einzig und allein auf seine kleine Schwester fixiert. Auch er wusste inzwischen, wie sie zu den Elfen gekommen war. Und wie jeder andere auch, hatte er fest damit gerechnet, dass sie zu ihnen zurückkehren würde. Für immer.
Bei den unnützen Nebelflüsterern, das hatte sie ja schließlich selbst geglaubt. Ganz gleich wie nervig sie sein konnten.
„Ich habe sie zu einem Handel gezwungen." Die Worte hinterließen ein fahles Gefühl auf ihrer Zunge, als die Erkenntnis mit ihnen einsetzte. Sie würde nicht mehr heimkehren. Sie hatte sein Geschenk weggegeben.
„Sie schuldeten mir noch einen Gefallen."
Elayn sah aus, hätte der Tod höchstpersönlich die langen kalten Finger durch ihren Nacken gezogen.
„Wir hätten einen anderen Weg gefunden." Nach Bestätigung suchend griff sie die Hand ihres Mannes und drückte sich dicht an seine Seite.
Lyannas Erinnerungen mischten sich mit den Bildern der Wirklichkeit, doch sie zwang sie zurück. Nur eine einzelne Träne entwischte ihrem unbarmherzigen Klammergriff. Quälend langsam löste sie sich aus ihren Wimpern und rollte die Wange herunter.
„Dieses Lager hätte einen Angriff von ihnen niemals überlebt", antwortete sie ruhig, machte auf dem Absatz kehrt und verließ den Raum.
Ihr Abgang zog ein langes Schweigen nach sich, in dem ein jeder mit seinen eigenen Gedanken kämpfte.
Lediglich Timmens, dessen größte Stärke nicht unbedingt im Denken lag und der sich durch zweifelhafte familiäre Bände zu der Leiterin der Hand des Lichts hier mutiger fühlte als sonst noch zuvor, sprach sich sofort aus.
„Das ist allein die Schuld dieses Verfluchten Kindes!"
Jamah ließ warnend die Fingerknöchel knacken.
„Wir wissen nicht, was Lewi und seiner Gruppe zugestoßen ist. Soweit-..."
„Wir sollten den Kontakt zu ihnen suchen und eine Erklärung fordern", fiel ihm Lady Beanna ins Wort, die sich bisher ebenfalls eher bedeckt gehalten hatte, „Vielleicht gibt es eine sehr gute Begründung für dieses Desaster?"
„Und wenn nicht?", pflaumte Timmens sie an, rote Flecken überall auf der Haut, „Durch sein kopfloses Verhalten hätten wir alle draufgehen können! Stellt es euch nur einmal vor: Ein Heer aus altmagischen Wesen! Sie hätten uns pulverisiert!"
Zustimmendes Raunen erfasste die Anwesenden und Elayn verbarg ihr Gesicht in der Schulter ihres Mannes.
Geduldig faltete Beanna ihre langen Finger zusammen.
„Wenn es wirklich sein Versagen war, dann werden wir eine passende Strafe bei seiner Rückkehr für ihn finden."
✥✥✥
Lewi betrachtete die Stadt zu seinen Füßen. Die Lichter der Straßen hoben sich wie winzige Sterne gegen den dunklen Nachthimmel ab. Ein wahres Juwel des Landes. Er wünschte lediglich, er sähe sie ohne den Schmutz ihres kleinen Krieges.
Leider würde das nicht passieren, wenn er seine Schwester nicht dort heraus befreite. Wortlos beugte er sich noch einmal vor und tauchte sein Hemd in das kalte Wasser des Bachs.
Er bemerkte die leisen Schritte erst, als Kimia sich in seinem Rücken räusperte. Ertappt fuhr er zusammen und versuchte im nächsten Moment hektisch den Stoff mit einer Hand wieder zu entknüllen, um sich zumindest etwas über den Oberkörper zu ziehen. Seine Hose hing offen um seine Hüfte und sein Schwertgürtel lag einige Armlängen von ihm entfernt im Gras.
„Alles gut, alles gut!", hob die Heilerin beschwichtigend die Hände, als sie um einen Busch herum nähertrat. Sie trug einen Brief bei sich. Ihr Blick huschte unbeeindruckt über Lewi hinweg und fand dieselbe Szenerie, die ihr Gruppenführer eben noch bewundert hatte, „Du bist nicht der erste halbnackte Kerl, den ich gesehen habe."
Mit hochgezogenen Augenbrauen sah er sie von der Seite an. Tatsächlich sah sie deutlich entspannter aus, als er sich fühlte, so vollkommen ohne Oberteil. Aber etwas anderes warf einen Schatten auf ihr sonst so sonniges Gemüt. Die Arme vor der fülligen Brust verschränkt, sah sie das erste Mal so aus, als hätte sie einen wirklich miesen Tag gehabt. Und er hatte die nagende Befürchtung, dass es etwas mit dem Schreiben in ihren Fingern zu tun hatte.
Als sie seinen fragenden Blick bemerkte, entrang sich ihr ein trockenes Lachen.
„Ich bin Heilerin, Lewi", sie schüttelte leicht den Kopf, „Außerdem teilen wir uns einen Schlafsaal mit Cam und wissen, dass er lieber ohne Kleidung schläft und keine Grenzen kennt."
Allein bei der Erinnerung lief Lewi rot an. Tatsächlich war der Magier bisweilen ein wenig... speziell.
„Wenigstens hat er dich noch nicht gefragt, ob du ihn und eine seiner Liebschaften mit hinaus in den Wald begleiten möchtest", erwiderte er kleinlaut und konzentrierte sich darauf wie er sein Hemd auswringen würde.
„Ich hab ihm nach dem dritten Mal gedroht, Tyana mitzubringen", zuckte Kimia mit den Achseln, gefangen vom dem wundervollen Anblick vor ihnen, „seitdem geht's und heute würde ich mir wünschen, dass das immer noch mein größtes Problem wäre."
„Zweifel wegen morgen?" Lewi wusste, dass er riesige Bedenken hatte. Er brachte sie alle in nicht zu kalkulierende Gefahr. Sämtliche Soldaten des Landes waren in diese Stadt zurückgezogen worden. Würde auch nur einer sie erkennen, würden sie alle zusammen vom nächsten Balken hängen.
„Nicht bezüglich unseres Ziels. Ich habe über die Jahre vier Schwestern an den König verloren. Und ich würde genauso zurück nach Tenur reiten, wenn ich auch nur eine retten könnte", sie machte eine kurze Pause, ehe sie sich zu ihrem Gruppenleiter umdrehte, „Hillow hat mir geschrieben. Der Rat fordert eine Erklärung für unser Versagen und ...", sie stockte, knüllte das Papier zusammen und fand endlich seine Augen, „Cam ist alt genug, um das alles für sich selbst zu entscheiden, aber die anderen..." Sie ließ den Satz unvollendet.
„Wenn wir dort unten aufschlagen, gibt es für niemanden von uns noch ein Wiederkehren. Nicht mal mehr, wenn wir es überleben. Das ist keine Zukunft, die ich für einen der Drei wünsche."
Ihre Worte trafen etwas in Lewi, das er eigentlich gut verschlossen gewähnt hatte. Der Rat hatte also mitbekommen, dass sie auf eigene Faust handelten.
Sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Er war ein Verräter.
Kimia hatte recht. Für ihn war es was anderes. Lya war... sie war so nah, nicht einmal eine Stunde Ritt von ihm entfernt, weggesperrt hinter dicken Mauern. Es zerriss ihn beinahe, dass er nicht einfach zu ihr rannte.
Aber für Eve, Balthar und Tyana war es nicht das Gleiche.
„Tyana wollte eine Wächterin der alten Schriften werden, wusstest du das?", bei dem Gedanken zuckten Kimias Mundwinkel, „Ich weiß nicht, wer eine Feuerbändigerin als Bibliothekarin einstellen würde, doch bis vor einem Monat hat sie wie Brabane für ihren Traum gekämpft. Und jetzt spricht sie nicht mehr darüber, weil sie weiß, dass sie hiernach Hillows und Beannas Unterstützung verliert."
Jedes Wort war wie ein stumpfer Stich in sein Herz. Sie gab auf. Für ihn. Und er hatte das nicht verdient. Das hier war etwas persönliches und er opferte ihre Zukunft für seine eigenen Ziele. Was für ein Gruppenführer war er, wenn er das wirklich durchzog? Es musste überhaupt nicht nach Balthars oder Eves Opfern fragen.
„Was soll ich ihnen sagen?" Die Müdigkeit schlich sich in seine Stimme und erntete ihm einen mitleidigen Blick der Heilerin.
„Gib ihnen einen Grund zu gehen. Eine Aufgabe", Kimia machte eine undeutliche Handbewegung, als versuchte sie Ordnung in die unsichtbaren Möglichkeiten zubringen, „Ich bin mir sicher, Hillow wird sie trotz allem wieder aufnehmen und ihre Namen reinwaschen. Aber sie werden dich nicht verlassen, wenn du sie nicht zwingst. Gerade bei Balthar wirst du... hart sein müssen. Ich kenn ihn schon eine Weile und ich habe ihn noch nie so viel auf den Beinen gesehen, wie zuletzt."
„Ich kann es auch vollkommen alleine durchziehen. Du und Cam, ihr riskiert-..."
„Sollte es uns gelingen, deine Schwester zu befreien, dann haben wir nichts zu befürchten", schnitt ihm die Heilerin ins Wort, „Wir dürfen nur nicht scheitern."
Lewi dachte noch immer über ihre Worte nach, als sie gemeinsam zu ihrem kleinen Lager zurückkehrten.
Kein Feuerschein, der ihnen Wärme spendete, dafür aber vier zusammengekauerte Gestalten, die sich gedämpft stritten.
„Woher soll ich bitte wissen, was du meinst?", versuchte Balthar, sich gerade zu rechtfertigen. Er lag auf dem Rücken, die Nase gen Himmel gereckt, einen Arm wie ein Kissen unter seinen Nacken gesteckt.
Ihm gegenüber lag Tyana auf dem Bauch, ihre dunklen Haare wie ein seidiger Vorhang, der sich leicht mit ihren wilden Gesten bewegte. Sie war nicht größer als ein Kind, doch hinter den Wimpern schlummerte ein Drache.
„Du hast mich quasi fett genannt!"
Links und rechts von den beiden saßen Eve und Cam sich entgegengesetzt. Die Augen der Gazel waren kreisrund und sprangen mit jedem Schlagabtausch hin und her. Ihr Rücken war bis zu den Schultern durchgedrückt und in allerhöchster Alarmbereitschaft, doch sie hatte sich noch nicht zu einem eigenen Kommentar durchgerungen. Cam saß ihr gegenüber, die Beine ausgestreckt und ein breites Grinsen im Gesicht. Lässig stützte er seine Arme hinter sich ab und war so auch der Erste, der die zwei Gestalten vom Bach näherkommen sah.
„Ihr kommt gerade rechtzeitig, um zu bezeugen wie Tyana Balthar grillt!"
„Kimia!", sofort richtete sich die Feuerbändigerin auf ihrem Schlafplatz auf, „Was meine ich wohl, wenn ich sage, dass ich ein oder zwei Trainingseinheiten mehr gebrauchen könnte?"
Während die Heilerin sich neben dem Zauberer im Kreis nieder ließ, hielt Lewi sich zurück, um den Moment mit ein bisschen Abstand zu genießen. Für einen Herzschlag wünschte er sich, er könnte malen wie sein Vater, nur um die Szene festzuhalten. Doch sie hätte eher ein unspektakuläres Bild abgegeben. Zu dunkel. Unbedeutsam für jeden, außer ihm selbst.
„Dass du einen Partner suchst?", versuchte Kimia zu beschwichtigen und ließ sich von Cam den Wasserschlauch reichen. Lewi verinnerlichte die Vertrautheit zwischen ihnen. Die selbstverständliche Entspanntheit der Zwei zusammen. Sie waren Familie für einander. Und sie riskierten zu viel.
Tyana schnaubte bestätigt und eine kleine Rauchwolke löste sich aus ihrer Nase. Sie war ein golden leuchtender Kontrast zu Balthars silbrigen Haaren. Hitziges Temperament gegen absolute Gleichgültigkeit.
Der Sucher drehte nur einmal den Kopf, um Lewi zu orten und machte es sich dann wieder bequem.
„Es tut mir leid, dass ich keine Gedanken lesen kann. Männer sind nicht so gestrickt", gab er schlicht zurück.
„Sprich für dich selbst", fiel ihm Cam beinahe ins Wort, „Ich werde diese faule Lüge für schlechte emotionale Kommunikationsfähigkeit nicht unterstützen!" Er hob die Hände und wandte sich an Eve, als gewähre er ihr Einblick in seinen Kopf, um dort die Wahrheit zu sehen.
Doch die Gazel starrte ihn nur an, als hätte er gerade sie gefragt, ob sie ihn in den Wald begleiten wollte. Lewi hatte das Bild nicht einmal einen Lidschlag im Kopf, da schoss ihr Kopf bereits zu ihm herum, blanker Horror in den Augen.
Lewi lachte seiner eigenen Sorgen zum Trotz. „Tut mir leid, Eve", er kratzte sich am Hinterkopf, als er zu ihnen in den Kreis kam, „Aber Kimia und ich haben uns eben noch über Cams nackten Hintern unterhalten."
Die Diskussion, die danach explodierte, gab ihm keine Zeit mehr, einfach nur Beobachter seiner Gruppe zu sein. Nur das Gefühl blieb noch ein Weilchen länger zurück, dass er sie schützen musste. Komme, was wolle. Es würde Lya alleine retten. Er brauchte nur noch einen Plan.
✥✥✥
Lewi duckte sich in die nächste Seitengasse hinein und presste den Rücken flach gegen das aufgewärmte Gemäuer. Mit beiden Armen hielt er ein in Leder geschlagenes Bündel an seine Brust gedrückt. Es hob und senkte sich mit jedem seiner Atemzüge, von denen er in diesem Moment nicht genug bekam.
Ein kleiner Trupp Soldaten marschierte im Gleichschritt an seinem provisorischen Versteck vorbei, ohne dass auch nur ein einziger Mann den Kopf nach ihm drehte. Sie alle starrten finster geradeaus, als wären sie mit einer unglaublich wichtigen Aufgabe betreut worden.
„Das klappt ein wenig zu einfach", flüsterte Balthar in Lewis Ohr und ließ den jungen Mann gehörig zusammenfahren. Fast wäre seine Beute zu Boden gegangen.
Fluchend fuhr er herum und schüttelte den Krampf aus dem handlosen Arm.
Wo war der denn bitte hergekommen?
Er hatte ihn wirklich nicht im Schatten stehen sehen. Noch erwartete er den Sucher zu dieser Zeit mitten auf den Straßen. Es war viel zu gefährlich! Die Chance, dass man sie entdeckte, war zu groß.
„Es wäre einfacher, wenn du mir nicht auflauern würdest!"
Balthar zuckte nur mit den Schultern. Er trug seine Haare inzwischen genauso lang wie Camanero, ein fürchterlicher Trend, der mit viele Zöpfen und gedankenlosem Strähnchenspielen einherging. Was war er? Eine Dirne?
„Ich habe lediglich deine leisen Sohlen bewundert. Was glaubst du, wie lange brauchen die Stadtwachen, bis sie die konfiszierten Waffen vermissen?"
Lewis Gesicht verfinsterte sich. „Und du hast mir nicht geholfen? Die Teile sind verdammt schwer, mit nur einer Hand bis zum Wirtshaus zurückzutragen!"
Der Sucher hätte schuldbewusster sein können.
„Das war aber keiner meiner Befehle. Einmal davon abgesehen, dass es sowieso viel zu einfach aussah."
Lewi verdrehte lediglich die Augen und händigte ihm die verpackten Schwerter aus. Er stellte sich nur allzu gut vor, wie Balthar jede einzelne Sekunde in seinem Versteck genossen hatte, während Lewi von einer Patrouille in die Nächste stolperte.
„Hast du wenigstens herausbekommen, weswegen ich dich losgeschickt habe?"
Balthar nickte und schlug mit spitzen Fingern das Ledertuch zurück. Einen silbrigen Schwertgriff kam zum Vorschein, der matt im Schatten leuchtete. Er verzog keine Miene, ehe er jeden Beweis des Diebesgutes verschwinden ließ.
„Sicher doch. Ich würde wohl kaum durch die Straßen streunen, wenn ich noch nicht fertig wäre", erwiderte er ein wenig eingeschnappt. Er machte ein zufriedenes Pop-Geräusch mit den Lippen.
Lewis Brauen hoben sich spöttisch. „Ist das so? Und warum sehe ich dich hier das erste Mal seit zwei Wochen wieder?" Dass Kimia und Camanero sofort einen Suchtrupp losschickten, war allein durch Eves Versicherung verhindert worden, dass sie davon hören würden, wenn jemand Balthar gefunden hätte.
„Weil gute Arbeit eben Zeit braucht." Dieses Mal klang er wirklich beleidigt. Er fummelte in seiner Jackentasche herum, bis er endlich drei übergroße Knöpfe zum Vorschein brachte. Auffordernd hielt er sie Lewi hin.
„Ich habe einen Schmied aufgetrieben, der mir die Brandzeichen nachgearbeitet hat. Eines für Bedienstete, eines für Soldaten und das Letzte ist für gefasste Kriminelle."
Vorsichtig nahm Lewi die Eisenringe an sich, deren unterschiedliche Symbole abschreckenden Broschen ähnlich kamen.
Die Vorstellung, dass der König jedes einzelne Mitglied der Dienerschaft bei Hofe damit markiert hatte, jagte ihm einen Schauder über den Rücken. Er war wirklich gründlich gewesen, in seinen Bemühungen jegliche Eindringlinge fernzuhalten.
„Erst das Waffenverbot an der Stadtgrenze und jetzt kennzeichnen wir uns auch noch wie Rindvieh", griff Balthar seine Gedankengänge auf und schnitt eine Grimasse, „das ist die widerlichste Befreiungsaktion, zu der du mich jemals überreden wirst."
Mit einem schwachen Lächeln verstaute Lewi die Ringe in seiner Jacke. Nicht, wenn er das vorher verhinderte.
„Du wirst kein Brandzeichen bekommen, Balthar. Wir haben doch schon darüber gesprochen."
Die Luft auf der Hauptstraße war wieder rein und sie wandten sich zum Gehen. Grelles Sonnenlicht blendete sie, als sie ihre kleine Gasse verließen und sich unter die Passanten mischten.
„Nein, du hast gesprochen! Ich wurde dazu verdammt zuzuhören und dir mein falsches Einverständnis zu geben!", schimpfte der Sucher hinter ihm, vollkommen ignorant gegenüber den Blicken, die seine laute Stimme auf sich zog. Wild ruderte er mit den Armen und verfing sich in einer durchhängenden Wäscheleine, die von einer Seite der Straße zur gegenüberliegenden Hauswand gespannt worden war.
„Weil das keine Entscheidung ist, die ich dir überlassen werde. Irgendjemand muss auf Eve aufpassen, während ich fort bin. Du bist mein bester Freund und damit auch die beste Wahl dafür", führte Lewi aus, als Balthar sich endlich aus dem Wäschegewirr befreit hatte.
Es war wirklich ein halbes Wunder, dass sie überhaupt so weit gekommen waren. Alles klappte deutlich besser, als er zu hoffen gewagt hatte. So gründlich der König mit seinen Plänen gewesen war, die Ausführung war beinahe schlampig und untypisch für den Mann mit der Krone.
„Ich, als dein bester Freund, sollte an deiner Seite stehen, wenn du dem Kaelchon vors Schienbein trittst", schnaufte Balthar und arrangierte die Schutzhülle für die Schwerter neu, die bei all seinen Abwehrversuchen gegen die Schnur verrutscht war. Ein Trupp Soldaten vor einem kleinen Blumenladen sahen in ihre Richtung, doch kurz bevor Lewi ein ungutes Gefühl bekam, glitten ihre Blicke weiter über die Köpfe der Menge.
„Du darfst mir das Brandzeichen aufdrücken", schlug der blonde Junge vor, bog ab und öffnete kurz darauf die Haustür zum Tanzenden Hirsch. Er würde das Wohlergehen seiner Gruppe nicht riskieren. Außer ihm und Kimia wusste inzwischen nur Cam was auf dem Spiel stand.
Stickige Luft schwappte ihnen entgegen und Staub wurde aufgewirbelt, als sich auch Balthar über die Schwelle hineinschob. Alles hier war das Musterbeispiel einer heruntergekommenen Spelunke, doch der Inhaber und Betreiber stellte keine Fragen und war die meiste Zeit selbst in anderen Tavernen unterwegs. Hier wollte ja auch kaum einer bleiben.
„Geht nicht, Tyana hat bereits Ansprüche erhoben."
„Dann sag ihr nicht, dass du die Brandzeichen gefunden hast und ich verschwinde noch heute Nacht hoch zum Palast." Lewi wurde der Diskussion müde. Konnte Balthar nicht einmal tun, was er von ihm verlangte?
„Das würdest du tun, nicht wahr Lenlay? Du bist noch hinterhältiger, als jede Meerjungfrau, die ich kenne."
Ein weiteres Mal verfluchte Lewi seine schlechter gewordenen Sinne, als sich die Feuerbändigerin hinter der Bar aufrichtete. Was auch immer sie da gesucht hatte. Die Brauen abschätzig gehoben, suchte sie seine Gestalt nach dem Verbleib der Brandeisen ab.
Die Beleidigung ließ Lewi durchgehen, weil er wusste, dass Tyana keine Meerjungfrauen kannte. Aber etwas anderes machte ihn stutzig.
Woher wusste sie, dass Balthar die Eisen gleich besorgt hatte, anstatt sich nur ihre Abbilder einzuprägen?
Anklagend drehte er sich zu dem Sucher um, der sich mit verschränkten Armen auf eine der klebrigen Bänke niedergelassen hatte. Dieser bemühte sich zwar um einen neutralen Ausdruck, doch der verrutschte leicht, als Lewi auf dem Absatz kehrtmachte und mit großen Schritten die Distanz zu Tyana überwand. Noch ehe sie reagieren konnte, hatte er ihre Hand gepackt und ihren Ärmel hochgeschoben.
„Was bist du? Eine Magd? Eine Küchenhilfe?", kommentierte er mit frostigem Unterton das Diener-Brandzeichen auf ihrer geröteten Haut.
Ohne ihre Antwort abzuwarten, marschierte er zum Treppenabsatz.
„Kimia, Camanero, Evangheline! Runterkommen! Sofort!"
Nacheinander und mit offensichtlich schlechtem Gewissen, kam der Rest seiner Truppe die Stufen herunter gestiefelt. Lediglich die Heilerin traute sich, ihm ins Gesicht zu sehen. Sie hatte versucht, es zu verhindern. Und war gescheitert.
Sie wurden im Wirtsraum von einem finster starrenden Lewi empfangen, der an der Kante eines Tisches lehnte und aussah, als würde er gleich Kleinholz aus der Inneneinrichtung machen.
Tyana und Balthar blickten ansatzweise trotzig drein, während Eve erstaunlich gelassen wirkte.
„Handgelenke vorzeigen", kommandierte Lewi in einem Tonfall, der keinen Widerspruch duldete. Er war so wütend, wie schon lange nicht mehr. Nicht nur, dass sie ihn hintergangen hatten. Sie taten es aus den richtigen Gründen. Aber sie riskierten hier etwas, das er nicht bereit war herzugeben.
Bis auf Eves, war jedes einzelne Handgelenk gebrandmarkt. Dennoch war es die Gazel, die vortrat und zu aller Überraschung das Wort ergriff.
„Du solltest dich geehrt fühlen, bis auf Tyana würden sie alle ihr Leben für dich geben", erklärte sie ernst, die Lippen zu einer schmalen Linie zusammengepresst. Sie war schweigsam geblieben, seit dem Tag vor der Schlucht. Meist suchte sie die Einsamkeit, sogar in der Gruppe, und saß oft bewegungslos an irgendeinem Ort, dass Lewi mehr als einmal Angst hatte, sie wäre zurück in ihre Starre verfallen.
„Ich habe es nur gemacht, um dich zu ärgern", stimmte die Feuerbändigerin zu, ohne von ihrer ablehnenden Haltung aufzusehen. Zweifelsohne war sie sich keiner Schuld bewusst.
Sie verstanden nicht! Zwei wussten, was auf dem Spiel stand, eine las Gedanken und dennoch begriff niemand, dass es das hier alleine durchziehen musste.
Zeit für Plan B.
„Wir können nicht alle einfach in den Palast traben!" Er schüttelte den Kopf und löste damit seine tadelnde Haltung auf.
„Deshalb habe ich andere Aufgaben für euch, die erledigt sein müssen, bis ich wiederkomme."
Der Sucher schob die Unterlippe vor und machte eines seiner merkwürdigen Geräusche. Er erkannte eine Ablenkung durch jedes Versteckspiel hindurch. Doch Lewi würde ihm in diesem Fall keine Wahl geben.
„Du reitest mit Tyana zurück, um Hillow zu informieren, sonst endet das hier genauso wie mit Beanna."
Und er würde beten, dass sie immer noch aufgenommen wurden.
„Und warum zu zweit?", schnappte die Flammenbändigerin nach ihm und machte einen aufwieglerischen Schritt auf ihn zu, das Kinn trotzig gereckt. Sie war wirklich die Schlimmste von ihnen allen.
Lewi verkniff sich einen herablassenden Kommentar darüber, dass ihr Trotz ihre geistigen Fähigkeiten einschränkte. Er konnte diese Auseinandersetzungen nicht ins uferlose gehen lassen.
„Weil du ohne Balthar nicht den Weg findest und sogar Boka-Kaninchen sich besser verteidigen, als Balthar auf sich selbst gestellt."
„Hey!" Schon war der Sucher auf den Beinen.
Tyana nickte überzeugt. Der grauhaarige Junge protestierte, doch er hatte ihre Rückendeckung verloren. Zustimmend ging sie an ihren Platz neben ihn zurück und diskutierte mit ihm leise, inwiefern er gut mit dem Schwert umgehen könne oder nicht.
Sie würde ihn auch vor dem Umkehren abhalten, allein schon aus Trotz, weil es seine Idee sein würde.
Lewi rollte ein kleiner Stein vom Herzen, ehe er sich den restlichen Drei zuwandte. Sein Blick fiel auf Eve, die mit verschränkten Händen ruhig seine Befehle abwartete. Das aufgeregte und enthusiastische Mädchen war fort. An ihrer statt, hatte er eine entschlossene Frau bekommen, die ihren Artgenossen schmerzlich ähnelte.
„Euch brauche ich hier. Bereitet alles für unsere Flucht vor, aber haltet euch bedeckt. Sollte mir etwas passieren, dürfen sie euch unter keinen Umständen finden. Ganz besonders nicht Eve!"
„Wenn dir etwas passiert, kommen wir und holen dich raus", warf Kimia mit ungewohnter Entschlossenheit, doch Lewi brachte sie mit einem einzigen Blick zum Schweigen. Ihre sonst so gebräunte Haut wurde blass. Sie wusste um das Risiko.
Sollte er wirklich überwältigt werden, würden sie alle nur in ihren eigenen Tod rennen.
„Das war ein Befehl. Wenn ich gefasst werde, lauft ihr."
Der Satz hallte noch einige Stunden später gepaart mit dem pochenden Schmerz seines Handgelenks durch seinen Körper, als er vor dem geschlossenen Bediensteten-Tor des Palasts stand.
Der Blick auf das Schloss war gigantisch. Zu einer anderen Zeit, in einem anderen Leben, hätte Lewi sich nicht sattsehen können an der schieren Größe der Gebäude.
Doch heute war dazu keine Zeit. Heute würde er dort einbrechen.
Der Wachmann vor der Holztür beäugte ihn schon seit einiger Zeit und Lewi gab sich alle Mühe nicht zu beeindruckt auszusehen. Aber selbst die Burg der Kinder wirkte klein und zerfallen im Gegensatz zu den hohen schneeweißen Türmen und den ebenfalls weißen Dächern, die im Licht der letzten Sonnenstrahlen fremdartig leuchteten. Wie eine Eisskulptur mitten im Sommer.
Einzelne Schlingpflanzen hatten sich in das Gemäuer gefressen und rankten sich hoch bis zu den halbrunden Fenstern. Sie waren die einzigen Farbtupfer auf dem hellen Grund.
„Wirste da stehn, bis dich jemand holn kommt?", blaffte der Soldat ihn von der Seite an und riss ihn aus der andächtigen Beobachtung. Er war ein kleiner, breiter Kerl mit einem dichten Bart, der unter dem Helm hervorquoll.
Als hätte er Lewis Herz ebenfalls in die Realität zurückgeholt, nahm es mit plötzlichem Übereifer seine Arbeit auf und trommelte so laut, dass sogar seine Ohren klingelten.
Sein Verstand sah endlich in das Angesicht dessen, was er jeden Moment tun würde und jede Nervenzelle bereitete sich auf den kommenden Kampf vor. Er würde Lya befreien. Er würde seine Schwester wiedersehen und schließlich seine Familie vereinen. Oder er würde dabei drauf gehen und das Leben seiner Freunde ruinieren.
„Wie siehste überhaupt aus? Bist durch'n Dreck gerollt, oder wa?" Mit langen Fingern, die kaum sauberer als Lewis Tarnung waren, schob er den Schmutz von dem Brandmal.
„Geholfen eine Grube auszuheben", log Lewi heiser, darauf bedacht ihm nicht direkt ins Gesicht zu blicken. Er glaubte, sein Puls müsse bis zum König selbst hörbar sein und es bedurfte aller Selbstkontrolle, dass seine Hand nicht zitterte. Aber allein der Gedanke an seine Schwester spendete ihm Mut. Vermutlich würde sie Schimpftirade für die kopflose Rettungsaktion loslassen. Als ob sie nicht dasselbe täte.
Der Mann drehte seinen Arm, als könne er nicht ganz erkennen, ob er gerade einen Verbrecher oder einen Diener vor sich habe, dabei fiel sein Blick für den Bruchteil eines Wimpernschlags auf Lewis fehlende andere Hand.
Der Junge versuchte, sich weiterhin nichts anmerken zu lassen. Fehlende Hände waren durchaus verbreitet bei Dieben und Männern, die Frauen belästigten. Und obwohl er nichts dergleichen zu seinem Ruf hinzufügen wollte, war beides im Moment doch besser als die Wahrheit.
Letztendlich nickte der Soldat und klopfte mit der Faust gegen das dunkle Holz der Tür. Der Wachmann im Inneren reagierte sofort und öffnete gerade so weit, dass Lewi hastig hindurch schlüpfte.
Dahinter empfing ihn der Schatten des äußersten Ringes.
Von hier aus sah er bereits das Weiß des zweiten Mauerrings. Er war knapp hundert Schritte fort, mit einem Torbogen direkt ihm gegenüber. Zwei Lanzenträger standen davor und unterhielten sich gedämpft, ohne ihm wirklich Aufmerksamkeit zu schenken. Ihre Waffen waren links und rechts an die Steine gelehnt worden, definitiv in Gefahr von den befestigten Fackeln in Brand gesetzt zu werden.
Hastig huschte Lewi unter der äußersten Wehr hindurch und stieß mit der Spitze seines versteckten Schwertes gegen die Wand. Ein helles Klirren ertönte, das die Soldaten aufblicken ließen. Das Geräusch breitete sich zwischen ihnen aus, nahm wie eine Drohung jeden Raum ein. Keine Holztüre und kein Fallgitter trennten ihn noch von Lya. Und er hatte es verpatzt.
Lewis Herz setzte aus, als ihre Augen sich auf ihn fixierten und sie instinktiv zu ihren eigenen Waffen griffen. Der nächste Durchgang lag hinter der Biegung der Mauer, doch ob er es wirklich soweit schaffte, war mehr als nur fraglich. Er konnte schlecht wie ein Verrückte hier von den Soldaten weglaufen und erwarten, dass niemand Verdacht schöpfte.
In seinen Schal fluchend, lief er möglichst ruhig auf die alarmierten Wachen zu. Was würde Lya in so einer Situation tun?
Der Gedanke ließ ihn das Gesicht verziehen. Trotzdem warf er einen Blick über die Schulter auf die äußerste Wehr.
Alle Soldaten starren auf die Straßen. Auf dem zweiten Ring gab es keine Wehr und damit auch niemanden, der zu ihnen heruntersah.
„Was hast du da unter deinem Mantel, Junge?", herrschte ihn der erste Mann an, kaum da Lewi in Hörreichweite gekommen war. Beide trugen sie keine Helme, dafür aber die roten Wämser der Palastgarde- Lewis einzige Chance. Was hatte Oidlem gesagt? Er solle seine Stärken neu fokussieren? Eine freundliche Formulierung, dass er im Kampf unbrauchbar geworden war.
Schneller als ihm lieb war, hatte er zu ihnen aufgeschlossen. Wenigstens hatten sie ihre Schwerter noch nicht gezogen. Sie wirkten genauso unschlüssig wie er selbst.
„Er hat mit dir gesprochen, Bursche!", meldete sich auch der zweite Kerl und machte einen drohenden Schritt auf Lewi zu.
Die Trainingseinheiten kamen ganz von alleine zu ihm zurück. Sie waren viel zu lange Bestandteil seines Lebens gewesen, als dass er sie jetzt hätte fortschieben können. Blöd nur, dass sie alle auf die andere Hand ausgelegt waren.
Eher hektisch, als elegant schob er schnell sein rechtes Bein vor, beugte es leicht und drehte aus der Hüfte heraus. Kurz bevor seine Faust den Mann traf, spannte er den Körper an und entließ einen letzten Atemzug.
Die Zielgenauigkeit hatte leider ein wenig gelitten und so traf er den Kiefer nicht ganz mittig.
Doch sein überraschender Angriff reichte, um den Soldaten kurz aus dem Gleichgewicht zu bringen. Er stolperte vorwärts und gegen Lewi, der sofort den Kragen packte und ihn mit aller Kraft auf den anderen Mann schleuderte.
Mit einem dumpfen Laut trafen sich ihre Köpfe und beide gingen zu Boden. Einer von ihnen stöhnte noch auf, doch keiner regte sich mehr. Stille legte sich über die angespannte Szene.
Lewis Herz schlug ihm bis zum Hals, doch er ließ sich selbst keine Zeit. Hastig schnappte er erst den einen und dann den anderen Soldaten und schliff ihn in den Schatten des tiefen Torbogens. Behutsam lehnte er sie gegen die Wand und nahm ihnen die Schwerter ab, um sie in einen Fackelkorb zu stecken. Sollten sie doch versuchen die glühenden Griffe anzufassen!
Jetzt blieb ihm allerdings nur noch weniger Zeit, um Lya zu finden. Sobald sie aufwachten, war das Spiel vorbei.
Er sah das Licht im Innenhof, doch etwas hielt ihn zurück sofort vorwärts zu stürmen. Jemand bewegte sich neben ihm. Nicht die Soldaten. Sie schliefen noch selig. Es war jemand, der auf ihn gewartet hatte.
„Ich würde ja fragen, ob du immer so blöd bist, aber in deinem Fall nehme ich einmal an, dass dies ein besonderer Anlass ist", flüsterte eine bekannte Stimme von der Seite.
Lewi wurde eiskalt. Die Sonne verschwand hinter den Dächern des Palasts und ließen ihn in der Dunkelheit zurück. Die Wände um ihn herum verdichteten sich und sperrten ihn mit seinem Plan ein.
Doch am aller Liebsten hätte er mit den Augen gerollt. Das hier war so typisch, es war beinahe lachhaft, dass ihm nicht selbst diese Idee gekommen war.
Die langen blonden Locken offen über ihre Schultern fallend, umkreiste Glorya ihn wie eine Katze, die ihre Beute in eine Ecke gedrängt hatte.
Ein unwirklicher Schmerz durchzuckte Lewi dort, wo früher seine Hand gewesen war. Erinnerungen von vergangenem Leid. Sie ließen ihn an Ort und Stelle gefrieren, ganz gleich, dass niemand sonst hier war und seine Flucht durchaus noch möglich erschien.
Warum ausgerechnet Glorya? Hatte der König keinen anderen, den er die Tore bewachen lassen konnte?
Eigenwillig suchten seine Augen nach der Klinge, die ihm alles genommen hatte.
Erfolglos.
Sie trug zwar eine graue Rüstung und fingerlose Handschuhe, jedoch keine Waffe. Ihr Grinsen entblößte all ihre Zähne, doch es lenkte nicht von den vielen sich überkreuzenden Narben ab, die sich wie ein Muster über ihr Gesicht spannten.
Selbst so sah sie immer noch schön aus. Nur eben deutlich gefährlicher. Und ein bisschen wahnsinnig.
Das Starren ihres ehemaligen Freundes ließ ihr Lächeln noch eine Spur breiter werden.
„Der Dank des Königs", schnurrte sie und fuhr sich mit beiden Händen die Wangen entlang, „Ich bin gespannt, wie deine Schwester bei unserer Rückkehr aussieht."
Ungewollt ballte sich Lewis Hand zur Faust. Wenn auch nur ein Kratzer an Lya war, würde er zusehen, dass dieser Palast den Morgen niemals erlebte.
Glorya spielte ihre Spiele, doch dieses Mal hatte er keine Lust eine ihrer Handpuppen zu sein. Es war tatsächlich niemand in der Nähe, der ihr helfen konnte. Es war merkwürdig ausgestorben, aber für den Augenblick war ihm das recht.
Entschieden zog er sein Schwert unter dem dreckverkrusteten Mantel hervor. Es war nicht seine kampffähige Hand, doch er war mehr als nur bereit Glorya bezahlen zu lassen. Für alles was sie ihm genommen und alles, was sie Lya angetan hatte.
„Willst du mich gleich zu Lya bringen, oder muss ich dir erst ebenfalls etwas abtrennen, bevor wir fortfahren?"
Irgendwo außerhalb seines Sichtfelds hörte er das vertraute Spiegelgeräusch seiner Handlung. Sie waren also doch nicht vollkommen unbeobachtet.
Sei es drum. Er würde nicht aufgeben.
Wieder dieses beinahe schon hysterische Lachen, als sie kapitulierend die Hände hob und begeistert mit den Fingern wackelte.
„Aber Lya ist überhaupt nicht hier", kicherte sie und ließ die Arme abrupt fallen, „Sieh dich um, Elfenkind! Niemand ist hier!"
Bis auf die versteckten Soldaten. Doch Lewi war sich noch nicht einmal sicher, ob Glorya das wusste. Sie wirkte so entrückt und aufgeregt, dass er sich ungewollt fragte, ob sie noch vollkommen bei Verstand war. Und was hatte der König ihr angetan, dass sie diesen seit ihrem letzten Treffen verloren hatte?
Sie packte ihn bei der Hand und zog ihn in das Halbdunkel des sandigen Innenhofs. Es war lediglich ein schmaler Kiesweg zur Küche und den Quartieren der Angestellten. Hier und da hatte man Zierbäume aufgestellt, deren Schatten immer länger wurden und deren Äste mit sattem Grün aus der Form wuchsen. Nahe der Palastmauer hatte außerdem jemand einen kleinen Kräutergarten angelegt. Vollkommen überwuchert.
Die einzige Bewegung ging von einer Handvoll Vögeln aus, die gierig auf den Steinen herum pickten.
Sein Magen zog sich unangenehm zusammen. Warum war niemand hier? Der König würde wohl kaum ohne seine Bediensteten leben?
Er ließ das Schwert sinken und drehte sich um die eigene Achse, um sicher zu gehen.
„All die Soldaten! All dieser Aufwand und die schrecklichen Brandwunden! Sie bewachen eine Falle! Einen Trick, auf den du hereingefallen bist!", wisperte Glorya in die entstandene Stille, ihr Gesicht so nahe neben Lewis, dass er ihren heißen Atem an seinem Ohr spürte. Es roch widerwärtig süß. Sie war unter Droge! „Sag mir, Lewi, wo ist deine Gruppe?"
Lewi wurde schlecht. Aber hier war wirklich niemand. Keine Bewegungen hinter den erleuchteten Fenstern, keine herbeieilenden Diener. Alles war verlassen und verschwendet.
„Wo sind sie, Lewi? Die Kinder, die dir die Rebellen anvertraut haben?"
Und endlich kam die Erkenntnis auch über ihn. Doch, anstatt ihn wie sonst zu befreien, zwang sie ihn dieses Mal in die Knie.
Kies knirschte unter ihm, als auch sein Schwert aus seiner Hand fiel.
War Beanna so falsch informiert gewesen, dass Lya in einem Palast des Königs gehalten wurde? Es hatte doch explizit im Brief gestanden, dass-...
„Die Zwillingsstädte", war alles, was er herausbrachte. Lya war in einem Palast. Nur nicht in diesem.
Sie war weiter entfernt als jemals zuvor. Und das, was er so gefürchtet hatte, wurde wahr.
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" Voted, weil jemand erst einmal googlen musste, wie man rein theoretisch jemanden ausknockt, damit ich mit den Wachen fertig werden."- Lewi
Kapitel mit Überlänge! Yey!
Die Leute, die meine Suchanfragen überwachen, machen sich ab heute wirklich Sorgen! Yey!
Ich weiß jetzt wie ich meine Probleme mit Gewalt lösen kann! Doppel Yey!
Wie geht's euch eigentlich gerade? Irgendetwas Neues bei euch? Neue Lieblingsgeschichten? Irgendwer nicht alleine am Valentinstag gewesen?
Love and hugs for all of you!
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