4- "Calean, stopp!"
"Du siehst mich drei Mal.
Mein Gesicht nur einmal.
Bist du mein Freund,
bist du es zwei Mal."
[...]
"Wir drei treffen uns nicht.
Immer hintereinander laufen wir,
an andere Orte, mit gleichem Gesicht.
Keiner kommt von uns zurück.
Einmal fort, folgt nur der Spiegel,
den ein wahres Wort zerbricht."
(Elfensänger, Barde im westlichen und südlichen Teil des Königreichs.
In: Prophezeiungen im Nebel, S. 527 und S. 544)
✥✥✥
Der Wunsch in Amila, jemanden durch die Luft zu werfen- auch wenn sie eindeutig nicht dazu in der Lage war- wuchs zu seinem eigenen Lebewesen heran. Es war erstaunlich einfach gewesen, das Lager der ehemaligen Bewohner von Primwood Hall zu finden. Sie hatten sich in Mazes zerrissener Seele gesammelt.
Dort angekommen hatte sie sich Sir Kenrik vorgenommen. Er war lachhaft einfach gewesen. Die letzten Ereignisse hatten Schusswunden in ihm hinterlassen, die leicht gegen ihn zu verwenden waren. Amila hatte danach einen halben Tag lang geduscht, doch schließlich hatte sie mit sehr viel Mitleid die genaue Lokalität des Rebellenlagers aus ihm heraus bekommen.
Es wäre weit mehr als ärgerlich, wenn sie jetzt scheitern würde.
Mit einem Seufzen tat sie etwas, das sie seit sieben Jahren nicht mehr hatte anwenden müssen. Widerwillig schloss sie die Augen und griff nach Hillows Hand. Diese zuckte erst zurück, doch wenn Amila eines konnte, dann festhalten.
Durch die stärkere Verbindung wurde das Bild klarer. Hillow war ein Kind gewesen. Das Älteste. Ihre Eltern ließen sie draußen auf dem Hof spielen. Sie hatte auf etwas aufpassen sollen. Nein- auf jemanden. Aber stattdessen hatte sie ihrer kleinen Schwester magische Tricks gezeigt. Und dann-...
Hillow machte sich mit so viel Gewalt von Amila los, dass Amila sich die Hand hielt. Hillows blauen Augen waren riesig, wie sie langsam zur Seite von Amila fort wich. Sie hatte Angst. Aber nicht vor dem Mädchen vor ihr. Sie wusste, was Amila sich in ihrem Kopf angesehen hatte.
„Ich-... Ich versteh es nicht. Es ist zu... ich komm nicht mehr zu meiner eigenen Erinnerung durch."
Amila seufzte. Es würde nichts bringen, Hillow zu erzählen, dass sie damals nicht auf ihren Bruder aufgepasst hatte. Amila kannte den Rest der Geschichte aus Caleans Sicht. Er war zu klein gewesen, um zu begreifen, dass er seine eigenen Fähigkeiten geheim halten sollte. Jemand war zu Besuch gekommen und er hatte sie stolz präsentiert. Zwei Wochen später zündeten die Nachbarn das Haus seiner Eltern an und er überlebte nur, weil seine Eltern ihr Leben gaben. Und was als einfache Form des Gedankenlesens begann, formte sich bereits mit vier Jahren in die Kraft eines Nebelflüsterers.
Er gab sich die Schuld an dem Tod seiner Eltern. Hillow an seinem Schicksal als Nebelflüsterer.
Blöd nur, dass sie sich nicht daran erinnern konnte. Amilas ganzer netter Plan bröselte vor sich hin. Mit Hillow wieder im Gemenge, wäre Calean vielleicht motiviert, die Waffe von dem dämlichen Halbelfen zu stehlen und damit die Erinnerungen seiner Schwester zurückzuholen. Natürlich bräuchte er dafür Hilfe, weil er sie nicht selbst anwenden konnte. Amila hätte sich freiwillig gemeldet. Und nebenbei ihre eigenen Kräfte gedämmt, damit sie friedlich schlafen konnte.
Der Wunsch farbenfroh zu fluchen wurde kurzzeitig ebenfalls verlegt, von einer anderen Sorge, die von der kleinen Blondine zu ihr herüberschwappte.
Maze.
Amilas Mundwinkel hoben sich zu einem unheilvollen Grinsen.
„Mazes zweites Gesicht wurde entblößt."
Es war beeindruckend, wie fünf Wörter so eine Veränderung in einer Person auslösen konnten. Sie musste wirklich Meisterin der Worte sein.
Hillow richtete sich auf, als hätte ihr jemand einen Stock in den Rücken geschlagen.
„Wer war das?" Mit einer unkonzentrierten Geste winkte sie die zwei Kerle von der Brüstung und machte einen bedrohlichen Schritt auf Amila zu.
„Nafat. Mahat. Na-..." Sie hatte Gwinn nicht zugehört.
„Nacat? Dieser Zylinderzirkus Typ?" Hillows Locken sträubten sich sichtlich bei der Vorstellung.
Oh, sie hatte recht gehabt. Hillow hatte etwas für den Sucher übrig. Jeder hatte das, dachte Amila unleidig, wo er hinging, brachen Herzen. Es war Zeit, Hillows ein bisschen mehr zu brechen.
„Und sie schaffen es nicht, ihn zurückzuverwandeln. Also ist er auf dem Weg der absoluten Selbstzerstörung und Gwinn und Calean wollen ihn nutzen, um es mit Mr. Narat aufzunehmen."
„Wer ist...?", Hillow wischte ihre eigene Frage aus der Luft, als sich hinter ihr das Tor ein stückweit öffnete.
„Naja, genau genommen will Gwinn ihn zurückverwandeln, obwohl das Mädel nicht einmal weiß, wie sie dem anderen Typen sagen soll, dass sie ihn doch mag", fuhr Amila fort, froh, dass sie doch mehr als einen Satz sagen durfte.
Hillow schob durch das Tor ins Innere des Zauns, bevor sich dieses unter lautem Knarren und Knirschen wieder schloss. Zu Amilas Erstaunen fand sie den Bereich dahinter leer vor. Frei von Schnee, der sonst jede andere Oberfläche bedeckte. Wenn sie an Rebellenlager gedacht hatte, hatte sie sich Zelte und- oh. Nicht nur die Zellen waren unterhalb. Sie stand buchstäblich über einem Meer aus leidenden Seelen.
Niemand würde sie dort runter bekommen.
Aber das war auch nicht nötig, denn aus einer erstaunlich großen Bodenluke kletterten die zwei Kerle von vorhin, beide beladen mit warmer Kleidung und Proviant.
Hillow drehte sich zu Amila um. „Sie dürfen Maze nicht zurückverwandeln."
Die Empathin blinzelte. Sie dürfen... nicht?
„Ich weiß nicht, ob du weißt, was sein anderes Gesicht bedeutet, aber... nicht oberflächlich betrachtet, ist er nicht gerade hübsch. Er hasst uns neuerdings."
Es war nicht schön. Maze hatte immer eine der unbeschwerteren Seelen gehabt. Jemand, dessen Nähe Amila eher ertrug-...
„Ich weiß wie sein anderes Gesicht funktioniert", schnappte Hillow aufgebracht nach ihr und riss einem der Kerle den Mantel aus der Hand. Sie machte sich wieder Sorgen. Super. „Anscheinend weiß keiner von euch, wie die Verwandlung des Zweigesichts abläuft. Das Ganze ist einmalig!"
Amila wollte es nicht zugeben, aber sie konnte nicht folgen. Theorieunterricht war nicht, wofür sie gekommen war. Etwas abgelenkt nahm sie die Tasche mit neuem Proviant von dem fremden Kerl entgegen. Beide sahen sie aus, als wollte sie sie am liebsten auf einem der Holzpfähle des Zauns aufspießen.
Hillow machte ihren Abschied von ihnen kurz und schob Amila vor ihrer Erklärung wieder raus aus dem Lager.
„Das Zweigesicht ist zuerst der Sucher, dann der Nehmer und am Ende der Verlassene."
„Das sind drei Gesichter."
„Nein sind es nicht."
„Doch, ich kann zäh-..."
„Lass mich zu Ende erklären!", rote Flecken sammelten sich auf Hillows Wangen, „Der Sucher und der Nehmer sind die zwei Gesichter des Nebelflüsterers. Der Verlassene hat keine Magie mehr. Er ist ein Mensch. Weißt du, wie gefährlich das für jemanden ist, der sein Leben lang Magie hatte?"
Oh das war schlecht. Schlechter, als Hillow wusste. Es war ein weiterer unschöner Fleck auf Caleans Seele gewesen.
Amila hatte Probleme hinter ihr her zu kommen, so energisch stapfte die Magierin zwischen den Bäumen hindurch.
„Es wäre zumindest nicht lange gefährlich. Calean glaubt, dass Nacat alle normalen Menschen mit Magie versorgen will, damit es keinen Grund mehr für sie gibt, uns zu fürchten und zu unterdrücken."
Hillow gab darauf keine Antwort. Sie wurde so schnell, dass Amila fürchtete, sie würde den ganzen Weg zurück traben müssen.
✥✥✥
Wir brauchten verdammt lange, aber als der erste Schnee zurück taute, standen wir vor den Ruinen, die einst Primwood Hall gewesen waren.
Ein trister Anblick. Der graue Himmel verschluckte die Spitzen der Baumwipfel um uns herum und sandte sein weiches Licht über die verstreuten Steinbrocken vor uns. Die schiefe Treppe zum Haupthaus stand noch, führte jedoch zu einer unüberbrückbaren Kluft, die sie von den Überresten des Erdgeschosses trennten.
Die Wände erinnerten an Puppenhäuser. Hinter ihren eingestürzten Fassaden lagen die Räume schutzlos dem Wetter ausgeliefert. Ruinen aus Erinnerungen.
„Ihr habt das Haus wirklich zerstört", bemerkte Calean, einen zufriedenen Zug um den Mund, „Ich wünschte, ich hätte das gesehen." Er hatte diesen Ort so sehr gehasst, wie Maze ihn geliebt hatte. Unser Maze. Nicht dieser.
„Ich wünschte, ich würde mich daran erinnern."
Was hatte er gesagt? ‚Das andere Gesicht ist sinnbildlich das Gegenteil von dem eigentlichen Maze.' Ein Maze, der seine Freunde erschoss und sein Heim verwüstete. Alle Freundlichkeit verwandelt in blinden Zorn. Würde er wirklich den Tod seiner Freundin rächen?
In diesem Augenblick wollte ich ihm nicht entgegentreten. Ich wollte nicht sehen, was Nacat aus ihm gemacht hatte. Die Überreste meines Freundes. Aber Caleans Idee, ihn gegen den Zirkusdirektor einzusetzen... Konnten seine Kräfte Nacat überhaupt die Magie entziehen?
„Ich habe einen Plan."
Entschlossen drehte ich mich zu Calean um, doch der hatte die flache Hand erhoben.
„Nein."
Mein Unterkiefer klappte auf.
„Du hast ihn noch gar nicht gehört."
Unbewegt starrte er weiter zu den Ruinen. Es war sein ‚Wir-diskutieren-das-nicht'-Gesicht.
„Du willst da rein gehen und mit ihm reden. Nett und freundlich. Wie immer."
Meine Augen wurden größer.
„Woher-?"
Mit einem genervten Seufzen drehte er sich zu mir um.
„Ich bin der Wissende, Gwinn. Und du bist immer nett und freundlich."
Der Wissende. Pah. Beleidigt, hauptsächlich weil er recht hatte, dass ich das andauernd wieder vergaß, schob ich die Unterlippe vor.
„Als Wissender ist es erstaunlich, wie schwer du manchmal von Begriff bist."
Ich hatte vor mich hin genuschelt, doch wie mit allen Dingen, die er nicht zwangsläufig hören musste, hörte Calean es trotzdem.
„Was soll das heißen?"
Wenn ich dir das sage, gehst du spontan in Flammen auf oder stürzt dich von der Treppe.
Über die vergangenen Tage hatte ich festgestellt, dass meine anfängliche Trauer über unsere Kommunikationsblockade, langsam Trotz und Ärger wich. Nicht zuletzt, weil die tiefen Ringe unter meinen Augen drohten permanent zu werden.
Statt einer Antwort, versuchte ich es mit meiner eigenen ‚Wir-diskutieren-das-nicht'-Stimme.
„Ich geh rein, du wartest hier. Falls ich scheitere, kannst du es ja versuchen."
„Fein." Er trat einen Schritt zurück und machte eine spöttische Geste zum Haupthaus.
„Fein", äffte ich ihn nach, weil mir nichts Besseres einfiel, und stapfte los. Todessängerinnen waren größere Sonnenscheine als er. Erdgnome hatten mehr Charme. Zwischen ihm und meinem bevorstehenden Treffen mit Maze, wusste ich nicht, auf wen ich weniger Lust hatte. Wenn nicht das Leben meiner Schwester hiervon abhängen würde...
Ich umrundete das Haupthaus, bis ich den früheren Hintereingang fand, der zwar keine Tür mehr hatte, dafür aber die Hälfte einer Treppe und eine solide Wand links. Schnee war bis ins Innere vorgedrungen und hielt sich in den Schatten des Hauses.
Ein Schauder wanderte über meinen Rücken. Maze in seinem jetzigen Zustand entnahm Magie aus dem Netzwerk, richtig? Wollte ich mir vorstellen, was er mit mir machen konnte?
Die Antwort war nein, aber wie immer, wenn man durch verlassene Gänge schlich und um Ecken linste, hielt ich mich nicht an meinen eigenen Ratschlag.
Wäre ich nicht davor hundert Male durch diese Gänge gelaufen, ich hätte mit Sicherheit nicht den Weg gefunden. Halbeingestürzte Mauern verzerrten meinen Lageplan des Gebäudes. Sie öffneten Durchgänge, wo keine sein sollten, und schlossen Passagen, die deutlich schneller gewesen wären.
Ich schlich an verschütteten Klassenzimmern vorbei, in denen aufgeweichtes Papier und zersplitterte Stühle zwischen Betten und Steinen aus dem Obergeschoss lagen. Wind quetschte sich durch zerbrochene Fenster und Rissen in den Außenwänden.
Ich war mir ziemlich sicher, einen Bartani-Halbling aus der Küche huschen zu sehen, doch mit meinem einen Auge war ich beinahe nachtblind.
Es war schwer vorstellbar, dass Maze und ich hierfür verantwortlich waren. Dann wiederum war die Zerstörung so gründlich, so fürchterlich, dass mir keine natürlichen Kräfte einfielen, die Gemälde zerschnitten und Statuen pulverisierten.
Am schlimmsten war es (und ich vermutete, dass hier unser eigentlicher Kampf stattgefunden hatte) je näher ich dem Speisesaal kam. Hier fehlte das Dach komplett und erlaubte mir zumindest das bleiche Licht der Wolken. Wie in einem Kolosseum erhoben sich die halbzerstörten Wände und öffneten den Blick auf Räumlichkeiten aus dem zweiten Stock. Blinde Zuschauer. Es erinnerte mich an die Arena, in der uns die Vogelfänger verkau-...
„Hallo, Gwinn."
Ich stoppte in der Mitte der Halle. Maze saß auf einem Steinhaufen, ein Bein angewinkelt, eines lässig ausgestreckt, als erwarte er mich. Seine dunklen Haare waren länger geworden, wilder. Er sah aus wie ein verwahrlostes Haustier.
Neben ihm, einige Steine tiefer, saß ein kleines Mädchen mit komplett weißen Augen. Sie rührte sich nicht, als mein Herz brach. Hörte nicht, wie ich erst ein paar Schritte auf sie zu stolperte und dann doch stehen blieb. Ihre sonst wilden, weißen Haare hingen kraftlos an ihr herunter, als wäre sie aus einem eisigen See auferstiegen.
Sie war genauso wenig Garcy, wie Maze Maze war. Bewegungslos, wie eine Statue. Wächserne Haut.
Was machte sie hier? Bedeutete das, dass Nacat in der Nähe war?
Mir wurde schlecht und meine Knie drohten nachzugeben.
„Was hast du mit meiner Schwester gemacht?"
Maze streckte sich wie eine Katze und erhob sich von seinem Steinthron. Im Vorbeigehen tätschelte er Garcy den Kopf, doch auch darauf zeigte sie keine Reaktion.
„Das war ich nicht. Aber der Wunschdompteur richtet dir Grüße aus."
Ich wusste, ich sollte ihn nicht aus den Augen lassen, aber es war unmöglich, nicht meine Schwester anzusehen. Ich war zu spät. Wackelig kam ich noch einen Schritt auf sie zu.
„Garcy?" Ich atmete ihren Namen mehr, als das ich ihn aussprach. Alle Hoffnung verließ mit ihm meinen Körper.
Maze schlenderte neben mich und sah ebenfalls zu ihr zurück.
„Ich glaube nicht, dass sie weiß, wer du bist. Und falls doch, kann sie es zumindest nicht sagen." Er nickte zufrieden zu, als wäre sie nicht mehr als ein bildhauerisches Meisterwerk.
„Mr. Nacat hat ihren Geist... neu strukturiert. Noch ist es temporär, aber wenn du ihm nicht die Waffe bringst..."
Ich bekam keine Luft mehr. Seine Worte wurden durch das Hämmern des Herzschlags in meinen Ohren ersetzt.
„Ich habe die Waffe nicht!"
Wo Maze ein Herz hatte, trug sein Doppelgänger das schwarze Loch der gestohlenen Magie. Es verdreckte die schönen blauen Augen und warf Schatten auf seine gleichmäßigen Züge.
Mit einem Schulterzucken lief er um mich herum.
„Du hast 10 Tage. Oh, und falls du die Pläne deines Liebhabers in die Tat umsetzen willst, solltest du wissen, dass Garcy an Mr. Nacats Leben gebunden ist. Stirbt er, stirbt sie."
Ich konnte nicht anders, als zu meiner Schwester hinüber starren. Meine Finger zitterten so stark, dass ich sie zu Fäusten ballte, doch selbst das wollte sie nicht kontrollieren.
„Zehn Tage ist unmöglich. Nyam hat die Waffe und-..."
„Tick tack, Gwinn. Oder sie bleibt dieses sabbernde Häufchen Elend."
Garcy war so gut wie tot. Ich war so gut wie tot. Die Aufgabe, die er mir stellte, war unmöglich. Und selbst wenn ich sie schaffen sollte-... Wenn Calean Recht hatte, würden wir Nacats Pläne nicht überleben. Maze wusste das.
„Warum nehme ich dir die Arbeit nicht ab." Ich hatte nicht mehr die Kraft, meiner Stimme Stärke zu verleihen. Stattdessen lockerte ich den Griff um meine eigene Magie. Erst hob sich der Schnee und Staub vom Boden, dann die kleineren Steine. Einer nach dem anderen löste sich aus der Schwerkraft.
Maze und ich hatten diesen Ort gemeinsam zerstört. Mit Gewalt löste ich mich vom Anblick meiner Schwester und sah zu ihm hoch.
„Ich könnte uns alle gleich hier beerdigen."
Bei dem Vorschlag wurden Mazes Augen weich. Mit einer liebevollen Geste beugte er sich zu mir herunter und wischte eine dunkle Locke aus meinem Gesicht, die ich nicht bemerkt hatte dank blindem Auge. „Das glaube ich eher nicht. Nicht, solange Calean da hinten sitzt", flüsterte er mir zu, mit einem Finger in die offenen Zimmer im zweiten Stock zeigend.
Die Steine fielen prompt zu Boden zurück. Mit wachsendem Horror drehte ich mich dahin, wo Maze hingezeigt hatte.
Calean saß auf der Kante eines der Schlafzimmer und ließ die Beine baumeln. Er sah zwar nicht halb so entspannt aus wie Maze einige Augenblicke zuvor, aber ich erkannte eine gewisse überhebliche Ähnlichkeit. Nebelflüsterer. Es musste in ihren Genen liegen.
„Ich hab dir gesagt, du sollst draußen warten."
Mein scharfer Tonfall ging über seinen Kopf hinweg, als wäre er nicht gemeint.
„Das würde keinen Unterschied machen. Maze hätte mich erspürt, selbst wenn ich noch immer in dieser Kutsche sitzen würde", rief er zurück, keine Anstalten machend, zu uns herunter zu kommen.
Er hatte vermutlich recht, aber das dämmte meinen Ärger nicht. Ich hätte Maze knacken können.
„Warum hast du mich dann überhaupt alleine reingehen gelassen?"
„Hättest du Ruhe gegeben, bevor du gescheitert wärst?"
Jap. Ich wollte etwas nach ihm werfen. Meine Zähne schmerzten, vor zurückgehaltener Antworten und mit diesem Ausdruck drehte ich mich zu Maze um.
„Weißt du was, Maze? Ich glaube, ich beerdige euch alle."
Der lachte auf.
„Beeindruckend. Du musst es wirklich verbockt haben", rief er zu Calean hoch. Mit den Händen hinter dem Rücken schlenderte er zu dem anderen Nebelflüsterer hinüber, bis er direkt unter ihm stand. Beide Gestalten aus Schatten. Als hätte der Nebel ihre Farben ausgewaschen.
„Das Mädchen hat vor nicht mal einem Monat noch einen Halbelfen attackiert, um deine Haut zu retten und jetzt... Was hast du getan? Ud glaubst du, ich habe eine Chance-..."
Für den Bruchteil eines Herzschlages hatte ich zurück zu meiner Schwester geschaut und beinahe den dramatischsten Angriff verpasst, den diese Schule jemals erlebt hatte. Maze und seine dummen, kreativlosen Provokationen wurden kurzerhand gestoppt, indem sie Erfolg zeigten. Nur die Göttinnen und der Bartani-Halbling, der aus der Sicherheit seines Versteckes zusah, wussten, wie Calean von seinem Platz herunter sprang und Maze zu Boden zu riss, ohne, dass einer von beiden sich das Genick brach.
Oder vielleicht war es ein Missgeschick seinerseits, denn er sah direkt danach aus, als versuche er diesen Fehler mit Faustschlägen zu korrigieren. Er hatte Maze zwischen seinen Knien zu Boden gepinnt und hämmerte auf ihn ein, als wolle er die Steine durch ihn hindurch treffen.
Ich schreckte aus meiner Starre. Das war Maze, den er da verprügelte. Maze. Vielleicht nicht der Maze, mit dem ich befreundet war... aber diese zwei teilten sich einen Körper.
Mit einem letzten Blick zu meiner bewegungslosen Schwester hinüber, startete ich durch.
„Calean! Stopp!"
Bis ich bei ihnen war, hatte Maze sich von dem Überraschungsangriff erholt und Calean von sich gestoßen. Was folgte, war eine Demonstration, wie unterlegen schierer Hass einer jahrelangen Ausbildung im Kampf war. Er kam auf die Beine und landete gleich mehrere Treffer in Caleans Gesicht, die ihn einer nach dem anderen zurückstolpern ließen.
Mit ausgestreckten Armen versuchte ich, zwischen sie zu kommen, ohne einen eigenen Treffer zu kassieren.
„Auseinander!"
Calean nutzte seinen Ellenbogen, um Maze die Nase zu brechen. Das Knacken war über das raschelnde Geräusch ihrer Füße zu hören. Blut schoss heraus, doch Maze wurde nicht langsamer. Mit durchgestrecktem Knie trat er Calean ein Bein weg und brachte ihn zu Boden.
An dieser Stelle wurde mir bewusst, dass ich zu halbherzig an die Sache herangegangen war. Zu nett, um es in den Worten der Allgemeinheit zu sagen.
„Hört sofort auf!" Ich ließ ihnen keine Zeit, mich weiterhin zu ignorieren. Mit einem kleinen Kraftaufwand hob ich sie beide in die Luft und ließ sie genauso schnell wieder fallen.
Calean landete dabei zu seinem ausgesprochenen Glück auf den Füßen. Maze nicht. Der vollführte in seiner kurzen Flugphase eine ungeschickte Drehung, sodass er mit dem Kopf zuerst in einen weiteren Steinhaufen tauchte und dort bewegungslos liegen blieb.
Sehr langsam wanderte meine Konzentration zu Calean zurück. Blut lief von seiner Stirn in sein Auge. Seine Knöchel waren aufgeschrammt und schwollen an. Und er konnte niemanden darüber hinwegtäuschen, dass er sein linkes Bein nicht belastete.
Großartig. Und so durften wir in zehn Tagen Nyam auftreiben und dem Wunschdomteur entgegentreten. Und das nur, weil er Maze unter seine Haut gelassen hatte.
„Ich hoffe, du bist glücklich mit deinem Plan."
Aber Calean starrt mich nur schwer atmend an.
✥✥✥
"Ich bin in keiner Weise verpflichtet, hilfreich zu sein." - Calean, ist auch nicht hilfreich.
Guess what! Morgan kann nicht reimen xD
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro