50 - Kiefer und Honig
Ein sanfter Kuss und starke Arme, die mich eng an eine kräftige Brust drückten, weckten mich aus meinem Schlaf. Im ersten Moment realisierte ich kaum, wo ich war. Erst im zweiten bemerkte ich das Sofa, auf dem ich wohl eingeschlafen war, und erst im dritten Moment stieg mir dieser süße Duft in die Nase, den ich überall erkennen würde.
Kiefer und Honig.
„Kai?", schluchzte ich, als meine verschlafenen Augen seine blonden Haare erkannten. Ich klammerte mich sofort fester an ihn, drückte mich gegen seinen Körper und presste mein Gesicht in seine Halsbeuge.
„Ich bin da", wisperte er mir zu und drückte mich noch fester an sich. Tränen der Freude und der Erleichterung bahnten sich ihren Weg über meine Wangen, während ich nicht, niemals wieder gewillt war Kai loszulassen.
„Wo warst du so lange?", platzte es vorwurfsvoll aus mir heraus, als ich mich ein wenig von ihm löste, um in sein schönes Gesicht sehen zu können. „Ich habe dich vermisst", schimpfte ich leise und presste mich gleich wieder an ihn. Ich konnte es kaum glauben. Er war endlich da. Endlich wieder bei mir und hielt mich in seinen Armen.
„Hast du Hudson mitgebracht?"
Kai seufzte leise und hob mich im nächsten Moment auf seine Hüften, um uns noch näher aneinander zu bringen. Er küsste meine Schläfe. „Ich habe dich auch vermisst, Cosmo", antwortete er und küsste meine Haut erneut.
„Was ist mit Hudson?", fragte ich gleich alarmiert nach, als er auf meine Frage nicht antwortete. Ich sah mich schwerfällig um, bemerkte, dass es draußen mittlerweile dunkel geworden war und dass wir alleine im Wohnzimmer waren.
Bernards Duft hing noch in der Luft, also hatte er Kai wahrscheinlich begrüßt.
„Bernard holt gerade die anderen. Dann sage ich euch alles, was ich weiß." Er seufzte leise und lehnte seine Stirn gegen meine. Seine Augen strahlten Trauer aus. Generell wirkte er ausgelaugt und müde.
Ob er die letzten Nächte draußen im Wald überhaupt richtig schlafen konnte? Konnte er wirklich zur Ruhe kommen?
„Ist etwas schlimmes passiert?", fragte ich panisch und klammerte mich noch fester an ihn. Wenn Hudson etwas passieren würde, dann würde ich mir das nie verzeihen. Dass ich Josie auf dem Gewissen hatte, war eine Sache, aber meinen Bruder auch noch, das würde ich nicht verkraften.
„Jein", antwortete Kai daraufhin jedoch nur wage und setzte sich mit mir zusammen aufs Sofa. Erst jetzt fiel mir auf, dass er nur lockere Jeans trug. Wahrscheinlich war er deswegen erst in der Dunkelheit hierher gekommen. Er wäre sonst sofort aufgefallen, wenn er nackt durch die Siedlung gelaufen wäre. Mein Gefährte zog eine Decke zu und und wickelte sie fest um unsere Körper, sodass wir gar keine andere Möglichkeit mehr hatten, als nah beieinander zu sitzen.
Mein Blick fiel auf die Stelle an seiner Schulter, an der eigentlich mein Biss war. Die Wunde war überraschend gut verheilt, sodass die Alphanarbe einigermaßen gleichmäßig. Der Anblick schmerzte ungemein und trieb mir neue Tränen in die Augen. Dass mein Bruder ihm so etwas angetan hatte, würde ich Hudson nie verzeihen können.
„Ich habe dich so vermisst", murmelte ich leise und drückte mich gegen seine kräftige Brust. Ich musste ihn unbedingt bald neu markieren. Ich konnte ihn ohne meinem Biss nicht sehen.
Seine Händen fanden ihren Weg auf meine Wangen und seine Daumen, die zärtlich über meine Haut strichen, ließen mich wacklig lächeln. Es war schön ihn endlich wieder zu sehen, wieder berühren und riechen zu können.
Dass er wieder hier war, war wie ein schöner Traum. Ich hoffte innig, dass er noch da war, wenn ich aufwachte.
Er lächelte mir sanft entgegen und legte seine Lippen vorsichtig auf meine. Der zaghafte Druck seinerseits löste ein kräftiges Kribbeln aus, das wild durch meinen Körper rauschte und die Schmetterlinge in meinem Bauch wieder zum Leben erweckte. Ich stützte mich auf seiner Brust ab, drückte mich an ihn und seufzte zufrieden in den sanften Kuss hinein. Kai zu küssen würde für immer mein liebstes Gefühl bleiben. Es ließ mich komplett und geliebt fühlen, versprach Sicherheit und Geborgenheit.
„Ich habe dich viel mehr vermisst", schmunzelte mein Gefährte und rieb seine Nase spielerisch gegen meine.
„Der verschwundene Gefährte ist wieder aufgetaucht", witzelte Owen, der gerade die Treppe hinunter kam, mit stark ironischem Tonfall. Phili klammerte sich fest an ihn und war deutlich verschlafen. Austin folgte ihnen mit knappen Abstand. In den letzten Tagen hatten wir uns alle an die Anwesenheit des Katzenwandlers gewöhnt und ich musste leider wirklich zugeben, dass Austin gar nicht so schlimm war, wie angenommen.
Einen Moment später kamen auch Nathan und Bernard zu uns. Nathan hatte offenbar auch geschlafen, nur Bernard wirkte einigermaßen wach.
„Hast du Neuigkeiten zu Hudson?", fragte Owen, der auch recht schnell bemerkt hatte, dass Kai alleine hier war. Er setzte sich direkt neben uns auf das Sofa und klaute uns eine Ecke der Decke, um Phili zudecken zu können. Das Kind störte sich an unserer nächtlichen Zusammenkunft nicht und schlief an Owen gekuschelt recht schnell wieder ein.
Kai seufzte leise. Ich spürte den schweren Druck, der auf seiner Brust lag, genauso wie auf meiner und wollte ihn ihm am liebsten direkt abnehmen. Aber so einfach war das leider nicht.
„Ich habe ihn bis zu einem Rudel recht weit nördlich von hier verfolgen können. Er war mir irgendwie immer einen Schritt voraus, sodass ich nie ganz zu ihm aufschließen konnte."
„Hudson ist gerissen", murmelte Bernard leise und lehnte sich mit einem kraftlosen Seufzen zurück. „Ich dachte, dass das eine gute Eigenschaft ist, aber jetzt finde ich es nicht mehr so gut", schimpfte er. Nathan legte ihm seine Hand auf den Oberschenkel und drückte vorsichtig zu. Das lockte Bernards Aufmerksamkeit auf den Blonden, der ihm ein kleines Lächeln schenkte.
„Gerade weil er so gerissen ist, wird er da draußen auch alleine gut zurecht kommen, Berni. Das ist nicht nur schlecht." Nathan lehnte sich zu seinem Gefährten hinüber und küsste seine Wange, bevor sie einen verliebten Blick austauschten.
Erst als Kai sich räusperte, schenkten sie uns wieder ihre Aufmerksamkeit.
„Ich konnte ihn dort abfangen und einkesseln. Ich hätte nicht gedacht, dass er das fremde Revier ohne zu zögern betritt. Ich habe ihn gesehen. Aber als ich ihm folgen wollte, sind die Wölfe des anderen Rudels dazwischen gegangen. Ihn haben sie einfach durch gelassen ohne groß zu beachten." Er sah verwirrt zwischen uns hin und her und konnte sich daraus offenbar keinen Reim machen.
Ich genauso wenig. Kein normales Rudel würde einfach so einen fremden Alpha ihr Revier betreten lassen.
Nathan und Bernard wechselten nur einen nichtssagenden Blick.
"Ich habe ihre Grenzen lange im Auge behalten, ob er deren Revier wieder verlässt, aber das hat er nicht und sie wollten mich auch weiterhin nicht reinlassen", setzte er fort und seufzte dann schwer. „Ich weiß ehrlich gesagt nicht, was ich davon halten soll. Warum lassen sie einen Alpha einfach so rein? Und geben ihm dann noch Obdach? Das macht keinen Sinn."
Für einen Moment kam Stille auf, bis Bernard sich mit einem leisen Ächzen erhob. „Ich rufe Jim an. Vielleicht weiß er was über dieses Rudel. Ich bin mir ehrlich gesagt sicher, dass sie ihm keine Obdach geben." Wieder wechselten er und Nathan einen Blick. Nathan nickte.
„Ihr meint es war eine Falle?", fragte Owen mit hörbarem Unmut.
„Natürlich war es eine Falle, Idiot", fauchte Austin und stieß dem Gefährten seines Bruder hart gegen die Schulter. „Sie haben ihn mit offenen Armen empfangen und dann wahrscheinlich eingesperrt. Deswegen hat er ihr Revier nicht mehr verlassen." Er warf Owen einen genervten Blick zu, ehe er sich an Nathan wendete. Bernard hatte unterdessen bereits das Wohnzimmer verlassen.
„Das denkt ihr doch auch."
Nathan nickte.
Und brach mir damit vollständig das Herz.
Mein Bruder war in Gefangenschaft? Ich schluchzte schmerzhaft auf und klammerte mich an Kai, der mir gleich beruhigend über den Rücken strich. Die Angst, Hudson auch noch zu verlieren, schoss nun völlig durch die Decke und überrumpelte mich damit selbst. Mein Schluchzen wurde immer hysterischer und selbst Kai wusste nicht mehr, wie er mich noch trösten sollte. Er flüsterte mir sanfte Beruhigungen zu, dass Hudson stark war, er konnte sich wehren, er war schnell und gerissen. Sie konnte Hudson nicht so einfach verletzten, er war immerhin ein Alpha. Aber seine Worten kamen kaum bei mir an. Ich konnte nur noch daran denken, dass ich nun schon zwei Geschwister verloren hatte.
Ich war ein schlechter Bruder. Erst war Josie wegen mir verschwunden und gestorben und Hudson war nur wegen ihrem Tod abgehauen. Also schlussendlich auch nur wegen mir. Weil Kais Eltern mich nicht fangen konnten. Deswegen war Hudson verschwunden und steckte nun in Lebensgefahr.
„Hey, hör auf", zischte Owen neben mir und rammte seinen Ellenbogen schmerzhaft in meine Seite. Ich keuchte erschrocken auf und Kai entkam gleich ein warnendes, tiefes Knurren. Doch Owen konnte sich dafür nicht weniger interessieren. „Hör auf dir selber Vorwürfe zu machen. Hudson ist aus freien Stücken abgehauen und hat sich selber in diese Lage gebracht. Du kannst nichts dafür. Also hör auf dir irgendetwas einzureden." Owens Stimme klang genervt und auch ein wenig verärgert. Er wurde dabei sogar so laut, dass Phili wieder aus dem Schlaf gerissen wurde und seinen Gefährten, dem die Wut deutlich ins Gesicht geschrieben war, überrascht musterte.
Auch ich sah dem Katzenwandler überrascht entgegen. Mit so einem Ausbruch hatte ich nicht gerechnet, aber er erfüllt das Ziel, das Owen anscheinend verfolgt hatte.
Mich abzulenken und von meinen negativen Gedanken zu reißen.
„Tuts arg weh?", fragte Kai und strich mit hauchzarten Bewegungen über meine Seite, die nur dumpf pochte. In einer halben Stunde sollte der Schmerz wieder abgeklungen sein, aber ein blauer Fleck würde wahrscheinlich trotzdem entstehen.
„Geht schon", murmelte ich und lehnte mich wieder gegen ihn. Ich schenkte Owen ein kleines Lächeln, das er zierlich erwiderte, bevor der Katzenwandler sich mit Phili auf den Hüften wieder erhob.
„Weckt mich, wenn es etwas neues gibt. Bis dahin bringe ich meinen Gefährten wieder ins Bett."
Austin sah den Beiden spekulierend hinterher. Wahrscheinlich überlegte er, ob er ihnen folgen oder einfach hier sitzen bleiben sollte. Mit einem leisen Schnurren lehnte er sich jedoch zurück und schloss dösend seine Augen, während Nathan uns auch abwartend gegenüber saß. Bernard hörte man im Nebenzimmer telefonieren.
Ich wusste nicht, was mich dazu geritten hatte, als ich eine meiner Hände unter der Decke hervorzog und sie ohne zu zögern in Austins Haare legte. Der Katzenwandler riss erschrocken die Augen auf. Als er dann bemerkte, dass ich es war, sah er mir bitterböse entgegen, hielt mich jedoch nicht davon ab, durch seine Haare zu kraulen. Irgendwann lehnte er seinen Kopf dann sogar weiter in meine Richtung und begann bald sogar wie eine Hauskatze zu schnurren.
Kai beobachtete das mit einem amüsierten Blick, während er mir weiterhin sanft über den Rücken streichelte und mich nah bei sich behielt.
Ob irgendwann mal eine Zeit kam, in der wir einfach nur unbeschwert sein konnten? Nur Kai und ich zusammen? Am besten noch im Bett, weit weg von jeglichen Verpflichtungen, von jeglichem Schmerz. Nur Kai und ich.
Irgendwann vielleicht.
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LESENACHT: Freitag, 28.01.2022 ❗️
Beginn: 18 Uhr, im Abstand von 15/ 20 Minuten werden die Kapitel online kommen. 🥰 Ich freue mich schon sehr 😋
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