48 - Oma und Opa
Papa war zu einer kurzen Verabschiedung nach Hause gekommen und hatte sich damit zum ersten Mal wirklich von Dad entfernt. Dessen Zustand hatte sich weiterhin nicht gebessert, aber auch nicht weiter verschlechtert. Die Ärzte waren guter Dinge und redeten Papa immer gut zu, der davon aber irgendwie nicht überzeugt zu sein schien.
Er hatte mehrmals versucht mich zu überreden, gleich mit ihm zu kommen, aber er hatte schlussendlich verstanden, dass ich weder ohne Kai noch ohne Hudson gehen konnte. Ich wusste, dass es ihm schwer fiel, mich und Hudson einfach zurück zu lassen, aber wir wussten alle, dass es wichtig war, dass er in Sicherheit und bei Dad war. Papa musste selber erst wieder auf die Beine kommen, bevor er anderen eine Stütze sein konnte. Er musste jetzt auf sich und das Baby achten. Dem war er sich zum Glück aber auch selber bewusst.
Die Verabschiedung an hatten wir kurz gehalten. Wir umarmten uns lange, bevor Papa Bernard, Nathan und Owen noch einmal eindringlich bat auf mich zu achten, bevor er mit Anne ins Auto gestiegen und davon gefahren war. Wir wussten, dass wir uns bald wieder sehen würden.
Dennoch brannten frische Tränen in meinen Augen, als ich Papa weg fahren sah und klammerte mich dabei nur noch fester an Owen, der mittlerweile mein einziger Halt geworden war. Ich war so froh, dass er sich ohne zu zögern dazu entschieden hatte, weiterhin bei mir zu bleiben.
Als ich ihn gefragt hatte, ob er mit Phili gleich zu unserem Rudel fahren wollte, hatte der Katzenwandler sofort den Kopf geschüttelt. „Hudson und Kai sind noch nicht da und ohne die zwei wirst du nicht gehen. Also gehe ich auch nicht" waren seine Worte. Ich wollte protestieren, aber er hatte mich nicht mehr weiter zu Wort kommen lassen, sondern angefangen mit Phili und dessen Spielzeugautos zu spielen. Damit war das Thema gegessen und Papa und Anne reisten zu zweit ab.
Zur Sicherheit waren wir aus unserem Haus in Nathans und Annes gezogen. Durch seine Lage gegenüber von unserem Haus konnten wir jederzeit sehen, wenn Hudson oder Kai zurückkommen würden oder wenn Jäger sich dort rumtrieben. Wir wechselten uns dabei ab, das Haus Tag und Nacht im Auge zu behalten.
„Hey, das vibriert schon den ganzen Vormittag."
Ich zuckte überrascht zusammen, als Nathan hinter mir in den Raum trat und mir mein Handy entgegen hielt. In dem Moment verstummte das Vibrieren. Offenbar hatte der Anruf aufgegeben.
„Danke", murmelte ich matt und nahm es entgegen, ehe ich meinen Blick wieder aus dem Fenster auf mein Elternhaus richtete.
Das Haus barg so viele Erinnerungen, gute und schlechte, aber überwiegend gute. Vor allem die vielen geschwisterlichen Auseinandersetzungen darin. Wie viel wir uns wegen Nichts und Wiedernichts gestritten hatten, nur damit wir uns zwanzig Minuten wieder wie die besten Freunde verstanden und miteinander gespielt hatten. Wie wir uns im Garten zum ersten Mal in unsere Wölfe verwandelt hatte und wie wir gemeinsam den Sandkasten so umgebuddelt hatten, dass Dad aus Frust die komplette Grube zuschütten hat lassen und einen kleinen Pavillon für Papa darauf bauen hat lassen. Die Filmabende mit Pizza, die wir als Familie verbracht hatten und uns alle auf die Sofas gequetscht und mehr geredet als wirklich die Filme geschaut hatten.
Es waren immer Dad, Papa, Eren und wir vier. Wir waren immer unter uns und wir waren glücklich. Wir waren in diesem Haus so glücklich.
Und jetzt? Jetzt war nur noch ich hier.
Das Haus jetzt einfach so zurück zu lassen und an einem fremden Ort neu anzufangen, fühlte sich so unwirklich an und machte mir auch noch furchtbar Angst.
„Leg dich etwas hin, Cosmo. Ich übernehme." Nathan legte seine schwere Hand kurz auf meine Schulter, drückte sie und forderte mich damit auch noch einmal stumm auf zu gehen. „Owen und Phili machen gerade einen Mittagsschlaf. Leg dich doch zu ihnen." Er schenkte mir ein kleines Lächeln und als ich nickte und mich vorsichtig vom Sofa erhob, drückte er meine Schulter erneut. Ich war wirklich müde. Die ganze Situation laugte mich aus und dass Kai nicht da war, stresste meinen Wolf und damit meine gesamte Verfassung.
Auf dem Weg in die Küche, um noch etwas zu trinken, fiel mein Blick auf mein Handy. Ich hatte mehrere verpasste Anrufe und als erkannte von wem, stockte mir abrupt der Atem und mein Herz rutschte schmerzhaft in meine Hose.
Opa und Oma.
Sie wusste noch immer von nichts.
Sie wussten nicht, dass Dad verletzt war und im Krankenhaus lag.
Sie wussten nicht, dass Papa, Ian und Eren bereits wieder bei Dads altem Rudel waren.
Und vor allem wussten sie nicht, dass Josie gestorben war.
Verdammt, sie wussten ja nicht einmal, dass Josie verschwunden war.
Das Letzte, das sie mitbekommen hatten, war das Papa wieder schwanger war und Dad wegen seinem Verschweigen verletzt zu ihnen gefahren war.
Dass sie nun versuchten mich zu erreichen, bedeutete nur, dass sie sonst niemanden erreicht hatten.
Wie auch? Dad war noch immer nicht aufgewacht und Papa war sicherlich nicht in der Verfassung seinen Schwiegereltern diese Vielzahl an schrecklichen Neuigkeiten zu überbringen. Von Eren brauchte ich gar nicht anfangen. Und Hudson? Ja, der blieb weiterhin verschwunden und war damit ebenso außer Reichweite meiner Großeltern.
Mein Blick haftete sich angestrengt auf die fünf verpassten Anrufe.
Zitternd tippte ich auf die Anzeige und orderte meinem Smartphone damit, dass es zurückrufen sollte. Es klingelte nur wenige Male, bevor Oma schnaufend ans Telefon ging.
„Ein Glück. Cosmo. Ich bin so froh, dass du zurückrufst. Warum ist niemand erreichbar? Bei Eliah geht nur die Mailbox dran und bei euch ist anscheinend niemand zuhause." Sie klang besorgt, aber auch aufgebracht und ich konnte mir gut vorstellen, wie sie gerade abwartend mit dem Fuß auf den Boden tippte, bis ich endlich mit der Sprache rausrückte.
„Es ist niemand zuhause", stimmte ich ihr leise zu und setzte mich an den Küchentisch. Meine Beine zitterten und für dieses Gespräche brauchte ich deutlich einen Sitzplatz. Stehend würde ich das nicht überstehen.
„Was? Warum nicht? Wie geht es Finn? Haben er und Eliah sich wieder vertragen? Ich kann verstehen, dass mein Sohn verletzt war, aber sie bekommen ein Baby. Da kann Eliah nicht lange sauer sein. Freust du dich schon auf dein Geschwisterchen, Cosmo?" Oma klang weiterhin irgendwie besorgt, aber gleichzeitig auch wieder fröhlich. Sie hatte sich mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit extrem über diese Neuigkeiten gefreut. Sie liebte alle ihre Enkel und sammelte sie beinahe schon wie Sammelkarten.
„Ja, sehr", beantwortete ich lediglich ihre letzte Frage.
„Ist alles in Ordnung? Du bist so kurz angebunden? Haben sich Finn und Eliah wieder vertragen?"
Ich musste sofort an den Abend zurückdenken, bevor sie aufgebrochen waren, um Josie zu finden. Als Dad mit Papa im Arm am Sofa gesessen war und wir uns unterhalten hatten. Wie sie zusammen gelacht hatten und Dad Papa versichert hatte, dass er sich so sehr auf ihre Tochter freute. Sie hatten sich eindeutig wieder vertragen.
„Ja, sie haben sich wieder vertragen", beantwortete ich auch diese Frage und seufzte dann leise.
„Oma... es ist etwas passiert", fing ich zögerlich an und fieselte nervös an meinem Nagelbett herum.
„Oh!", kam es gleich verunsichert aus dem Hörer. „Doch nichts schlimmes oder? Geht es dem Baby gut?"
Ich biss mir hart auf die Wange, versuchte nicht laut aufzuschluchzen, als sich frische Tränen ihren Weg suchten und auf mein Oberteil tropften. Warum musste ich ich es ihnen sagen? Ich war nicht stark genug für so etwas. Ich war nicht bereit dazu, es laut auszusprechen. Nichts davon. Weder Josies Tod, noch Dads Verletzung oder dass Hudson verschwunden war.
Ein verängstigtes Wimmern kam über meine Lippen, welches meiner Großmutter natürlich nicht entging. Sie überhäufte mich gleich wieder mit Fragen und ließ mich keine Zeit sie zu beantworten, bis ihre Stimme plötzlich leiser wurde. Opa sagte etwas zu ihr und begrüßte mich dann.
„H-hallo-o O-opa", winselte ich und biss mir erneut auf die Wange.
„Was ist passiert, Cosmo?", fragte er mit seiner bekannten ruhigen Art nach und beruhigte mich damit ein wenig. Es half deutlich mehr als Omas Fragengewirr.
„J-j-j-jo-o" Ich brachte ihren Nachen nicht über meine Lippen. Mein Schluchzen wurde zu stark, meine Tränen glichen bereits Sturzbächen und ich sehnte mich gerade mehr den je nach Kai. Dass er mich in den Arm nahm, meine Tränen wegwischte, mir Wärme spendete. Ich wollte ihn küssen, ihn riechen und schmecken. Ich wollte ihn endlich wieder bei mir haben.
„Josie?", vervollständigte Opa mein gestammelten Anfangsbuchstaben. Ich bestätigte es ihm.
„S-s-s-i-e i-i-is", fing ich wieder an, aber unterbrach mich selbst. Rolf würde ohnehin nichts verstehen.
„Tief durchatmen, Cosmo. Ganz ruhig. Was ist mit Josie?" Ich hörte im Hintergrund eine Tür und war mir sicher, dass er in einen anderen Raum gegangen war, um Omas Fragen zu entkommen.
„G-g-ge-s-s-t-o-o-o-r", brachte ich schluchzend heraus und verfluchte mich selber dafür, es meinen Großeltern nicht richtig sagen zu können. Anstatt ihnen schonend beizubringen, was geschehen war, machte ich ein Ratespiel daraus.
Ich ärgerte mich sehr, aber ich konnte auch nichts daran ändern. Meine freie Hand klammerte sich fest an die Tischkante, die mir gerade als einziges wirklich Halt gab.
Am anderen Ende der Leitung wurde es still. Es brauchte einen Moment, bis ich Opa leise schluchzen hörte.
„Josie ist... gestorben?", fragte er mit gefasster Stimme nach und als ich leise zustimmte, schluchzte er erneut.
„Was ist passiert?"
„J-j-jä-äge-er."
Es wurde erneut still. Lediglich unser beiden Schluchzen war zu hören.
Genau in den Moment trat ein verschlafener Owen in den Raum. Er gähnte ausgiebig und bemerkte mich erst auf den zweiten Blick. Dann kam er gleich zu mir, hinterfragte zum Glück nichts, sondern zog mich in eine enge Umarmung, die ich gerade dringend brauchte. Seine Nähe beruhigte mich ein wenig und das sanfte Reiben seiner Hand auf meinem Rücken fühlte sich ebenfalls wirklich gut an.
„D-dad wurde verletzt. E-er liegt im Krankenhaus, a-aber die Ä-ärzte sind g-guter Dinge. H-hudson ist verschwu-unden. K-kai verfo-olgt ihn, a-aber sie sind no-och nicht zu-zurückgeko-ommen."
„Was ist mit Finn? Dem Baby?", fragte Opa nachdem er einen Moment gebraucht hatte, um die Informationen aufzunehmen. Für ihn war das sicherlich auch nicht einfach und es tat mir furchtbar leid, dass ich ihn mit diesen ganzen schlechten Nachrichten auf einmal überhäufen musste.
„I-ihm geht es schl-schlecht, a-aber das B-baby ist laut den Ä-ärzten kernge-gesund." Das war zumindest mein letzter Stand. Hoffentlich war das auch jetzt immer noch so. Unsere Familie würde es nicht verkraften, wenn Papa jetzt sich noch das Baby verlieren würde.
Rolf atmete leise auf. Das zwar zumindest ein kleiner Lichtblick.
„Wie geht es Eren?" Oma und Opa wussten mittlerweile wie besonders ein Gefährtenband war und wie sehr Eren ihre Enkelin und ihren Enkel liebte. Daher war die Frage nur naheliegend.
„Schlecht", antwortete ich leise. Ich wusste es zwar nicht genau, aber wie sollte er sich sonst fühlen?
„Eren, I-ian und Papa sind zurück zu Dads a-altem Rudel gegangen", ließ ich Opa wissen. „Dad wurde a-auch dorthin verlegt." Ich schluchzte angestrengt, drückte mich enger an Owen, der mittlerweile sanft durch meine Haare kraulte. „Wir g-gehen auch, w-wenn Hudson zu-zurück ist."
Diesmal war die Stille, die folgte, schmerzhaft lang und ich wusste, dass das wohl mitunter die schmerzhaftesten Neuigkeiten waren. Nicht nur, dass seine Enkeltochter gestorben war, nein, die gesamte Familie zog von einem Tag auf den nächsten mehrere hundert Kilometer weg. Kein Wunder also, dass Rolf nicht gleich passende Worte parat hatte.
„D-das kann ich... verstehen", kam es nach ewigen Minuten aus der Leitung. „D-danke, dass d-du es uns gesagt hast, Cosmo. W-wenn etwas ist, wenn ihr Hilfe braucht, meldet euch bitte gleich bei u-uns. Und gib bitte Bescheid, wenn Hudson auftaucht oder Eliah... wach wird."
„M-mach ich", versicherte ich ihm ohne zu zögern.
„Gut." Er schniefte leise. „Ich habe dich lieb, Cosmo, und ich bin stolz auf dich."
Opas Worte ließen mich abermals schluchzen. Meine Tränen brannten schmerzhaft in meinen Augen, ehe sie von Owens Oberteil aufgesogen wurden, der mich weiterhin bei sich hielt. Er fragte nicht nach, sagte nichts. Er war einfach für mich da und spendete mir Nähe. Das war alles, was ich gerade brauchte.
„D-d-danke O-opa. Ich habe d-dich a-auch lieb", wimmerte ich und schluchzte schmerzhaft auf, als er auflegte und ich das Telefon von meinem Ohr nahm.
Worauf konnte er schon stolz sein? Darauf, dass meine Schwester wegen mir gestorben war?
Ich schnaubte aufgebracht und schluchzte im gleichen Moment auf.
Owen strich mir weiterhin beruhigend über den Rücken und kraulte meine Haare. Er war einfach still und dafür war ich ihm gerade unglaublich dankbar.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro