42 - Familienverhältnisse
Wir alle starrten ungläubig auf den bewusstlosen Hudson, dessen Körper sich langsam wieder in einen vollständigen Menschen zurück wandelte. Dad war der Erste, der aus seiner Starre wieder erwachte und seinen Sohn gleich auf die Arme hievte und auf dem Sofa ablegte.
Unterdessen kamen auch die anderen wieder zurück in die Realität und Bernard packte Kais Mutter gleich, obwohl diese kein Anzeichen machte flüchten zu wollen.
„Wie hast du das gemacht?!", zischte Eren, der gleich wieder auf hundertachtzig war und trat gefährlich nah an die zierliche Frau heran, deren Tränen mittlerweile gestoppt hatten. Nur ihre roten Augen und das verschmierte Make-up deuteten auf ihre Tränen hin.
„Das" Sie schluckte hörbar. „Ist ein Trick, den Jäger von Klein auf lernen, um sich gegen Wölfe zur Wehr setzen zu können." Ihr Blick ging ruhig durch die versammelte Mannschaft, ehe er auf ihren Sohn hängen blieb.
Auch mein Blick flog automatisch zu Kai, der mich weiterhin im Arm hielt.
Kai hatte vorhin erst einen ähnlichen Handgriff bei Hudson gemacht... hieß das? Hieß das, dass Kai wirklich zu den Jägern gehörte?
Eren entfloh ein tiefes Knurren, welches jedoch sofort von Dad unterbrochen wurde, der ihn einfach beiseite schob und sich stattdessen direkt vor Kais Mutter stellte, die Dad mit einem intensiven Ausdruck musterte.
„Ihr seid also wirklich Jäger?", fragte Dad mit eisigem Tonfall, der selbst eine Antwort aus einem Stummen geschüttelt hätte.
Kais Mutter nickte, hielt dabei Dads Blick eisern stand. „Unsere Familie macht dies schon seit vielen Generationen", beichtete sie und ließ mich beinahe erneut zusammenklappen.
Mein Gefährte stammte aus einer Jägerfamilie? Eine richtige Jägerfamilie? Keine normalen Hasenjäger, nein, Wandlerjäger.
Aber Kai hätte mich niemals angelogen. Oder? Nein, ich spürte seine Gefühle und ich wusste, dass er jedes Mal die Wahrheit gesagt hatte. War Kai also sein Leben lang mit einer Lüge aufgewachsen? Haben seine Eltern ihn die ganze Zeit über an der Nase herumgeführt?
Auch jetzt spürte ich Kais Verwirrung und die unterschwellige Wut, die sich in seinem Magen formte.
„Mum?!", zischte Kai hörbar wütend. „Ihr seid Jäger?!", hinterfragte mein Gefährte entsetzt und spannte sich angestrengt an. „Wann hattet ihr vor mir die Wahrheit zu sagen?! Ihr habt mich angelogen!"
Der Blick von Kais Mutter wurde trüb und aus traurigen Augen sah sie zu ihrem Adoptivsohn, der sie ungläubig anstarrte.
„Sag, dass das eine Lüge ist! Das kann doch nicht wahr sein!", zischte mein Gefährte. Seine Stimme begann zu zittern und seine schönen, braunen Augen wurden langsam glasig. Er machte einen Schritt von mir weg, versuchte damit etwas Abstand zwischen sich und seine Mutter zu bringen, die ihm weiterhin mit einem schuldigen Blick entgegen sah, jedoch nicht antwortete.
„Mum?!", schluchzte Kai im nächsten Moment und biss sich hart auf die Unterlippe.
„Und ich habe Dad noch verteidigt", flüsterte Kai, dem das Ausmaß der Situation langsam bewusst wurde. „ICH HABE IHN VERTEIDIGT, OBWOHL ALLES STIMMT!", brüllte Kai wütend und drehte sich ruckartig von seiner Mutter weg.
„Warum habt ihr das gemacht?! Warum habt ihr einen Wolf bei euch aufgenommen?! Was ist mit meinen Eltern passiert? Habt ihr sie umgebracht?!" Die Wut pumpte angestrengt durch Kais Körper, wodurch seine angespannten Muskeln stark zu zittern begannen und ich kurzzeitig Angst hatte, er könnte kollabieren.
„Das könnt ihr später noch klären!", ging Dad plötzlich forsch dazwischen. „Wo ist meine Tochter?!"
Kais Mutter zuckte vor Dads Wut etwas zurück, aber konnte keine richtige Antwort formulieren. „Ich... ich weiß es ni-nicht. Ich weiß nur, dass... dass s-sie haben." Sie schluckte angestrengt und strich sich eine wirre Strähne zurück hinter ihr Ohr. „Sie sind... sie sind nicht in unserem ü-üblichen Versteck. Sie... sie wi-wissen, dass ich damit ni-nicht einverstanden war und ver-verstecken sie jetzt vor mir genauso", stammelte sie und duckte sich unter Dads Blick ein wenig weg.
Gleichzeitig schlang ich meine Arme wieder um meinen Gefährten, der seinen Blick von seiner Mutter losriss und mit scherzverzerrten Gesichtsausdruck auf mich hinunter sah. In seinen Augen tobte ein Sturm, der das Chaos seiner Gefühle widerspiegelte. Ich wollte ihm irgendwie helfen. Irgendwie diesen Schmerz nehmen, aber ich wusste nicht wie, deswegen schloss ich ihn einfach nur fest in meine Arme und plante nicht, ihn jemals wieder loszulassen.
Kai klammerte sich ebenso fest an mich, drückte sein Gesicht in meine Halsbeuge und presste unsere Körper aneinander.
Die Wunde, die Hudson Kai zugefügt hatte, begann bereis zu heilen, wodurch es schon nicht mehr ganz so schlimm aussah. Und obwohl ich wollte, dass mein Gefährte schnell heilte, wünschte ich mir gleichzeitig, dass es nie abheilen würde, denn sobald die Wunde geschlossen und der Wundschorf weg war, würde man nur noch den Alphabiss von Hudson sehen und nicht mehr länger meine Markierung.
Das ließ mein Herz ein weiteres Mal brechen.
Ein tiefes Knurren von Eren lockte meine Aufmerksamkeit wieder auf sie.
„Ihr müsst mir glauben. I-ich weiß, dass ich nicht in der vertrauenswürdigsten P-position stehe, a-aber es geht hier genauso um meinen Sohn. N-nur, weil s-sie meinem J-jungen weh tun wollten, ha-aben sie sich erst das M-mädchen geschnappt", versuchte sie die Anwesenden schluchzend zu überzeugen. Kai in meinen Armen spannte sich bei den Worten seiner Mutter an, hob jedoch nicht den Kopf von meiner Halsbeuge weg. Er drückte sich weiterhin fest an mich. Meine Hand fuhr beinahe automatisch in seine Haare und kraulte durch die blonden Strähnen, um ihn ein wenig zu beruhigen.
„Dein Adoptivsohn", knurrte Eren und trat gefährlich nach an sie heran. Nur Dad trennte die beiden noch.
„Trotz allem mein Sohn!", erwiderte die zierliche Frau energisch und wirkte dabei für einen Moment wieder, wie die gefasste, kühle Frau, die ich kennengelernt hatte. „Ich habe seine Windeln gewechselt, ihn gefüttert und groß gezogen! Nur, weil ich ihn nicht selbst auf die Welt gebracht habe, heißt das noch lange nicht, dass ich ihn nicht wie mein leibliches Kind liebe!", zischte sie, als Eren nur ein spöttisches Schnauben von sich gegen hatte.
„Eine tolle Mutter, die nur für ihr eigenes Glück eine heile Familie kaputt macht", stichelte Eren und baute sich hinter Dad weiter auf.
Kais Mutter presste daraufhin nur die Augen zu Schlitzen.
„VERDAMM NOCHMAL!", brüllte Dad plötzlich wütend und stieß Eren den Ellenbogen hart in die Seite. „Hier geht es um meine Tochter! Darum sie zu finden und nicht Kais Familienverhältnisse zu erörtern!"
„Denkst du, das weiß ich nicht!", knurrte Eren und baute sich diesmal vor Dad auf, der ihn nur einen bösen Blick zu warf, ihn jedoch nicht weiter beachtete. Ian trat daraufhin gleich wieder an die Seite seines Gefährten und schmiegte sich verängstigt an ihn.
„Ich will alles wissen", befahl Dad Kais Mutter, die einen Moment zögerte und dann nickte.
„Ich helfe euch", antwortete Kais Mutter, was Dad ein zustimmendes Nicken entlockte. „Unter einer Bedingung."
„DU BIST NICHT IN DER POSITION BEDINGUNGEN ZU STELLEN!", brüllte Eren und wollte an Dad vorbei, doch Nathan kam ihm zu vor und schubste Eren wieder in die Arme seines Gefährten.
Kais Mutter ließ sich von Erens Ausbruch nicht beirren. Sie sah Dad mit festem Blick in die Augen.
„Ich will das Kai in euer Rudel aufgenommen wird."
Eine kurzen Moment legte sich überraschte Stille über den Raum. Selbst Kai hob auf die Bedingung seiner Mutter hin den Kopf und sah aus großen Augen zu ihr. Sie jedoch hielt ihren Blick weiterhin fest auf Dad, der mit ebenso harten Blick auf sie hinuntersah.
„Das kann ich nicht entscheiden", antwortete Dad dann nach einer langen Pause. „Aber ich werde mein Möglichstes daran setzten, dass Hudson ihn aufnimmt", versprach Dad ihr dann, was ihr offenbar Zusage genug war, denn sie nickte zufrieden.
„Er kann kaum nein sagen", murmelte ich und zog damit sämtliche Aufmerksamkeit auf mich. „Kai ist mein Gefährte. Entweder er nimmt ihn auf oder er schmeißt mich indirekt raus", flüsterte ich etwas eingeschüchtert von der geballten Aufmerksamkeit, die mir zuteil wurde. Dad nickte langsam und auch von Bernard kam ein zustimmendes „Das würde er nie wagen".
„Dann helfe ich euch", bestätigte Kais Mutter abermals.
Daraufhin zeigte Dad auf den Küchentisch, an dem sich dann er selbst, Kais Mutter, Eren, Bernard und Nathan niederließen. Ian folgte mir in die Küche, wo ich Kais Wunde noch ein weiteres Mal desinfizierte und einen schützenden Verband anlegte, damit kein Dreck in die langsam abheilende Wunde kam. Außerdem wollte ich dringend, dass Kai sich etwas anzog, anstatt weiterhin nur mit der Sofadecke um seine Hüften herumzulaufen.
Kai verabschiedete sich für einen kurzen Moment nach oben, um sich etwas anzuziehen. Unterdessen viel mein Blick auf meinen Bruder, der weiterhin regungslos auf dem Sofa lag. Nur sein stetig hebender und senkender Brustkorb und der gleichmäßige Herzschlag waren ein Indiz dafür, dass er schlief.
Mit seinen Schrammen und dem getrockneten Blut sah er fast aus als würde er auf seinem Sterbebett liegen.
Der Gedanke machte mir plötzlich so viel Angst, dass ich gleich zu ihm hinüber ging und mich an die Sofakante setzte.
Seine Worte tat auch jetzt noch ungemein weh. Dass so etwas ausgerechnet von ihm kam. Er, der immer auf mich aufgepasst hatte. Er, der nie einen Unterschied in den Rängen gesehen hatte. Er, der der wichtigste Mensch in meinem Leben war.
„Was ist passiert?"
Owen stolperte plötzlich zur Haustür herein und war sichtlich überrascht, als er die Runde am Tisch sitzen sah. Sein Blick fand recht schnell meinen, wodurch er nur einen Augenblick später und ohne die Anderen wirklich zu beachten an meine Seite kam und mich in eine feste Umarmung zog.
Owens Anwesenheit wurde zur Kenntnis genommen, ehe sie fortsetzten Kais Mutter auszuquetschen, die willig alles preisgab.
„S-sie ha-aben J-josie", schluchzte ich in die Halsbeuge meines besten Freundes und klammerte mich fest an den Katzenwandler, der mich schützend in seinen Armen hielt. Bei meinen Worten spannte er sich automatisch an und drückte mich enger an sich.
„Was ist mit Hudson passiert?", murmelte er dann und nickte auf meinen schlafenden Bruder hinunter.
„Er hat sich mit mir angelegt", antwortete Kai, der plötzlich hinter Owen erschien, mit kühler Stimme und öffnete seinen Arme für mich, damit ich zu ihm kam. Ich nahm die Einladung sofort an und flüchtete mich zu meinem Gefährten, der mich gleich mit einer Hand an seinen Körper drückte und die andere höflichlerweise Owen entgegen hielt.
Der Katzenwandler warf einen skeptischen Blick auf mich, ehe er Kais Hand ergriff und den festen Händedruck erwiderte.
„Du musst der Gefährte sein", sprach Owen Kai an, der daraufhin gleich nickte.
„Du bist die Katze nach der mein Gefährte immer stinkt", antwortete Kai, der von Owens Anwesenheit nicht sehr begeistert schien.
„Du riechst auch nicht gerade prickelnd", murrte Owen daraufhin nur, trat näher an uns heran und ließ seine Hand in meine Haare wandern.
Kai wusste von Owen. Ich hatte ihm von meinem besten Freund erzählt, wodurch er es auch zuließ, dass Owen mir beruhigend durch die Strähnen strich. Der Katzenwandler hatte keine Interesse an mir, immerhin hatte er einen Gefährten.
„Wie geht es Phili?", schniefte ich leise und linste zu Owen hinauf, der beim Namen seines Gefährten zu lächeln begann. Das entging auch Kai nicht, der sich daraufhin noch weiter entspannte.
„Gut", lächelte Owen. „Ich wollte ich eigentlich mitbringen, aber jetzt bin ich froh, dass es das doch nicht habe." Ein mitleidiges Lächeln legte sich auf Owens Lippen, ehe sein standardmäßiger, gelangweilter Blick zurück kam.
„Ich leg mich zu ihm", ließ Owen uns dann wissen und rutschte wie selbstverständlich zu Hudson unter die Sofadecke.
Kai und ich beobachteten das ulkige Bild, aber nachdem Owen einer herkömmlichen Hauskatze wirklich nah kam, wunderte es mich nicht, dass er die Chance nutzte, sich einfach zu jemandem zu legen.
Es war ein kleiner Lichtblick in dieser momentan echt katastrophalen Zeit. Zumindest Owen und mein Bruder verstanden sich wirklich gut.
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