39 - krankes Spiel
Ich klammerte mich in Kais Arme, versuchte meine Tränen zu stoppen, aber der weiterhin wild um sich schimpfende Eren, entlockte mir nur schmerzhafte Schluchzer. Mein Gefährte hielt mich fest bei sich. Ich spürte sein Herz an meinem Körper rasen und ich wusste, dass er genauso unwissend war wie ich. Die Situation genauso wenig verstand.
Ich wollte die Fragen, die unaufhörlich in meinem Kopf schwirrten, unbedingt stellen, aber die Angst, dass noch jemand ausrastete, war zu groß. Stattdessen barg ich mein Gesicht fest an der Brust meines Gefährten, der mich an sich drückte, als wäre ich der letzte Mensch auf Erden und er hätte Angst mich zu verlieren.
„Kai...", flüsterte Papa plötzlich und lockte damit nicht nur meine Aufmerksamkeit, sondern auch der aller anderen auf sich. Sämtliche Personen im Raum beobachteten meinen Vater, wie er langsam auf uns zukam und mit zitternden Händen nach einer von Kais griff, die meinen Körper umklammerten.
Kai ließ es zu, sah fragend auf meinen Vater hinunter.
„Wenn... wenn du etwas w-weißt. B-bitte, ich flehe dich an. Wenn du weißt, wo Josie, wo-o meine Tochter ist, dann bitte, bitte sag es uns. Bitte.", flehte Papa und drückte Kais Hand so fest, dass seine Knöchel weiß hervortraten.
Die Blicke meines Rudels lagen angestrengt auf Kai, der sich unter der Aufmerksamkeit nicht wohl fühlte. Mit der Hand, die nicht Papa in den Händen hielt, drückte er mich nochmals näher an sich und ich spürte, wie sein Herz noch schneller zu schlagen begann. Papa und er hielten starr Blickkontakt, bis Kai antwortete, sodass kurz Ruhe aufkam.
„Spuck es endlich aus!", brüllte Eren und versuchte sich erneut aus Nathans Armen zu befreien, doch Bernard, der seinem Gefährten zur Hilfe kam, drückte Eren ungeniert gegen Nathan, sodass dieser ihn besser halten konnte.
„Ich verstehe nicht, warum ich etwas wissen sollte", kam es mit fester Stimme von meinem Gefährten.
Ich wusste jedoch, dass das alles Fassade war. Ich spürte seine Nervosität, seine Angst und sein rasendes Herz. „Ich verstehe ehrlich gesagt nicht, worum es geht", fügte er etwas leiser hinzu und drückte seinen Körper fester gegen meinen, während ich mich gegen seine Brust stemmte, um ihm noch näher zu kommen.
„DU LÜGST!", zischte Eren und stieß ein wütendes Knurren aus. Ian, der hilflos neben Bernard und Nathan stand, rückte daraufhin näher an seinen Gefährten und presste sich, ähnlich wie ich bei Kai, an seine Brust.
Eren reagierte nur kurz, schenkte Ian einen traurigen Blick, ehe er sich wieder mit seinem Mörderblick an Kai wandte. Seine Augen glühten dabei gefährlich, sodass ich mehr als froh war, dass Bernard und Nathan ihn in Zaum hielten.
„Du bist ein verdammter Jäger! Du gehörst zu ihnen, hast ihnen wahrscheinlich Tipps gegeben, wie sie uns am besten erwischen können!", knurrte Eren und zerrte erneut an dem festen Griff, in dem er sich befand.
„Nein!", knurrte Kai auf Erens Vorwurf. Sein tiefes Knurren hallte im Raum wider und ließ die anwesenden Wölfe instinktiv mit den Nasenflügeln flattern. Eren begann daraufhin wild um sich zu schnappen und an dem tiefen, animalischen Knurren, das aus seiner Kehle blubberte, war zu erkennen, dass er sich jeden Moment verwandeln würde.
„Bringt ihn raus", orderte Dad und nickte in Richtung Garten.
Bernard und Nathan ließen sich das nicht zwei Mal sagen, packten den protestierenden Eren an beiden Seiten und schleiften ihn trotz starker Gegenwehr aus dem Haus. Ian folgte ihnen stumm.
„Nein, ich lüge nicht", spezifizierte mein Gefährte, als Eren den Raum verlassen hatte, und sah wieder zu Papa hinunter, der mit tränennassen Wangen zu Kai aufsah.
„Ich weiß nicht, wo sie ist." Mitgefühl schwang in Kais Stimme mit und obwohl ich wusste, dass er die Wahrheit sagte, immerhin spürte ich seine Gefühle, vor allem die Angst, die gerade in ihm herrschte, konnten es die anderen offenbar nicht wirklich glauben. Hudson entwich ein lautes Alphaknurren, wodurch wir alle kurz zusammenzuckten, ehe er mit langen Schritten den Raum durchquerte, Papa vorsichtig beiseite schob und nur knapp vor Kai und mir stoppte.
Er lehnte sich über mich hinweg, sodass seine Nase beinahe Kais berührte, der davon nicht sehr eingeschüchtert war.
„Sie haben von Josies Handy aus hier angerufen", zischte mein Bruder mit gesenkter Stimme, „und ich soll dir liebe Grüße von Mark ausrichten. Du sollst heute nicht zu spät nach Hause kommen, damit du das Familienabendessen nicht verpasst!" Hudsons eisblauen Augen leuchteten hell und seine Stimme war einzig ein verzerrtes Knurren. Sein Wolf war so nah, dass nur eine Kleinigkeit fehlen würde, um eine Verwandlung herbeizurufen.
„ALSO ERZÄHL MIR NICHT, DASS DU VON NICHTS WEISST!", brüllte mein Bruder plötzlich, packte Kai abermals am Hals und hob ihn mit Leichtigkeit vom Boden. Kai stieß mich im selben Moment von seinem Körper, sodass ich nicht mehr zwischen den Beiden und somit außer Gefahr war und griff nach Hudsons Handgelenken, um sich selbst etwas in die Höhe zu ziehen.
„I-ich w-weiß von ni-ichts", japste Kai. „M-mark ist mein A-adoptivva-ater", keuchte er und versuchte gar nicht erst sich aus Hudsons Griff zu lösen, obwohl ich sehr wohl wusste, dass Kai dazu in der Lage wäre. Immerhin hatte er es vorhin erst in meinem Zimmer auch geschafft. „I-ich bin k-kein Jä-äger u-und M-Mark ja-agt keine W-wandler", röchelte Kai, während sein Gesicht langsam an Farbe verlor. „I-ich h-habe nie-niemandem i-irgendetwas erzählt. M-meine E-eltern wissen von C-co-osmo, a-aber s-sonst ha-abe ich n-nichts er-erzäh-hlt." Kais Gestotter wurde mit Wort zu Wort schlimmer und ich wusste, dass ihm nicht mehr viel Atem übrig blieb und an Hudsons Händen konnte ich sehen, dass er noch stärker zusammendrückte.
„Hudson, lass ihn runter!", knurrte ich verängstigt und griff ebenfalls nach seinen Handgelenken, damit er meinen Gefährten losließ. „Er hat nichts damit zu tun", versuchte ich meinen Bruder etwas zu besänftigen und Kais Worte zu stärken.
Ich wusste, dass mein Gefährte nichts mit alldem am Hut hatte. Ich konnte die Wahrheit spüren, spürte, dass er ehrlich war.
Und ich spürte seine Angst. Angst davor, dass ihm niemand hier glaubte.
„Hudson, lass ihn runter", wiederholte Papa und trat ebenfalls näher an uns heran. Dabei griff er nach meiner Schulter und erst dachte ich, dass er mir etwas sagen wollte und drehte mich deswegen zu ihm, doch er hielt sich lediglich an mir fest, da sein Körper weiterhin stark zitterte. Auch seine Tränen liefen noch haltlos über seine Wangen. Automatisch legte ich meinen Arm um seine Taille um ihn etwas zu stützen und hoffte innig, dass bald alles wieder ins Lot finden würde. Gerade ging einfach viel zu viel schief.
Mein Bruder zögerte einen Moment, ehe er Kai unsanft auf den Boden fallen ließ, der sich sofort fing und wieder aufrichtete.
„Dad, also Mark, ist ein Jäger, ja, aber keiner, der Wandler jagt. Er jagt Fasane und Hasen und Rehe, aber keine Wölfe... keine Wandlerwölfe", versicherte Kai meiner Familie, während sein Blick fest auf Hudson lag, der weiterhin nah vor ihm stand. Ein herablassendes Schnauben kam von meinem Bruder, aber er sagt nichts dazu.
„Zumindest hat er mir das immer gesagt", hing mein Gefährte leise an. „Wenn er... falls er...", stotterte Kai, ehe er plötzlich den Kopf schüttelte.
„Nein, er hat damit nichts zu tun! Warum sollten sie einen Wolf aufziehen und gleichzeitig andere Wölfe töten? Warum lebe ich dann noch? Dann hättest sie mich auch schon längst abmurksen müssen. Meine Eltern haben mich sogar noch vor den Jägern gewarnt, nachdem wir hierher gezogen sind. Sie würden mich kaum vor sich selbst warnen. Jetzt, achtzehn Jahre nachdem sie mich bei sich aufgenommen haben." Kai schüttelte vehement den Kopf und richtete sich noch weiter auf.
„Wer auch immer das war, spielt ein krankes Spiel, aber mein Vater hat damit nichts zu tun!", knurrte mein Gefährte und warf Hudson einen vielsagenden Blick zu.
Sein Verhalten war nicht verwunderlich, immerhin würde jeder für seine Familie, für die Menschen, die ihn aufgezogen haben, einstehen, aber in diesem Moment war Kais Standpunkt nicht gut. Zumindest würde ihn das momentan in kein besseres Licht rücken.
Eine bedrückende Stille fiel nach seinen Worten über den Raum. Es war auf einmal so leise, dass die Herzschläge, der anwesenden Personen laut in meinen Ohren hallten. Kais war dabei am lautesten und für mich deutlich spürbar.
Meine Hand zitterte als ich sie nach meinem Gefährten ausstreckte, der sie sofort ergriff und an mich heran trat, da ich nicht von Papas Seite weichen wollte. Ich wollte Kai besänftigen, sein aufgebrachtes Inneres etwas beruhigen und ihm zeigen, dass ich da war. Dass ich an ihn und vor allem an seine Worte glaubte.
Doch Hudson war davon weiterhin nicht überzeugt und wollte erneut auf meinen Gefährten losgehen, da schob sich Papa mit schweren Schnaufen vor mich und Kais und deutete seinem Sohn mit einer Handbewegung an, sich zu beruhigen.
Gleichzeitig griff er mit einer Hand nach Kai, der meinem Vater gleich stützte, damit Papa, der stark zu wackeln begann, nicht umfiel.
Papa wollte gerade etwas sagen, da sackte er unvorhergesehen einfach zusammen. Kai reagierte schnell, fing ihn mit Leichtigkeit ab, bevor er auf den Boden trag und hob ihn auf seine Arme, damit er nicht auf dem kalten Parket liegen musste.
Auch Hudson kam gleich zu uns, musterte Papa mit besorgten Gesichtsausdruck, ehe sich Dad vor seinen Sohn schob und seinen Gefährten ohne einem weiteren Wort aus Kais Armen nahm und den Raum verließ.
Zurückblieben lediglich Hudson, Kai und ich.
Hudson schenkte Kai einen herablassenden Blick, ehe seine eisblauen Augen, die weiterhin hell glimmten, über meinen Körper fuhren und mich deutlich musterten.
„Ich hoffe für dich, dass du ihm nicht wehgetan hast", knurrte Hudson und fixierte die Stelle an meinem Schulter, an der ich Kais Mal trug. Die langsam abheilende Wunde wurde von meinem Pullover überdeckt, dennoch brannte Hudsons Blick wie Feuer.
Ich drückte mich automatisch in Kais Arme, der mich gleich fest an seine Brust zog, ohne Hudson dabei aus den Augen zu lassen.
„Niemals", antwortete mein Gefährte kurzangebunden, was Hudson knapp nicken ließ.
Kai hatte mir nicht weh getan und ich wusste, dass er das auch niemals tun würde.
Hudson anscheinend auch, denn er warf Kai nur noch einen abschätzigen Blick zu, ehe er in den Garten hinaustrat und Kai und mich alleine ließ.
Das allein zeigte mir, dass er Kai nicht so misstraute, wie es anfänglich den Anschein machte. Andernfalls würde er jetzt nicht einfach gehen, sondern würde meinen Gefährten zumindest aus dem Haus werfen.
Ich seufzte schwer und schluchzte gleichzeitig, schmiegte mich an Kai und wünschte mir einfach nur wieder mit ihm im Bett liefen zu können. Stattdessen war meine Schwester von Jägern gefangen worden, meine Familie misstraute meinem Gefährten und Papa sah alles andere als wohl auf aus.
Gerade ging echt alles bergab.
„Komm her", flüsterte Kai und hob mich an meinen Oberschenkeln sanft auf seine Hüfte. Ich klammerte mich sofort an seinen Hals und presste mich dabei fest an ihn, während er seine Arme eng um mich gelegt hatte und mich sicher hielt. Seine Wärme sickerte langsam auf mich über und sein Duft, der angenehm in meiner Nase hing, beruhigte mich ein wenig.
„Bleibst du bitte hier?", wisperte ich erneut den Tränen nah gegen seinen Hals und drückte meine Nase fester gegen die weiche Haut, an der mein Gefährte am intensivsten roch. Ich hatte Angst, dass er vielleicht zu diesem dubiosen Abendessen gehen würde, von dem Hudson geredet hatte. Kai sollte bei mir bleiben, hier bei meiner Familie und mich nicht alleine lassen. Ich brauchte ihn gerade mehr den je.
„Natürlich", antwortete Kai sofort und küsste meinen Schopf. „Ich werde immer bei dir bleiben", hing er genauso leise an und schmiegte seine Wange gegen meinen Kopf.
„Wie alt warst du, als deine Eltern dich adoptiert haben?"
Ich zuckte überrascht zusammen, riss den Kopf hoch, als Anne, die weiterhin unbemerkt am Sofa saß, plötzlich zu sprechen begann.
Ich hatte sie völlig vergessen und in meinem inneren Gefühlschaos war sie total untergegangen.
„Noch ein Säugling", antwortete Kai nach kurzem Zögern.
Anne nickte nur verstehend. Sie richtete sich langsam auf, zog ihr Oberteil zurecht und kam mit einem vorsichtigen Lächeln auf uns zu.
Durch ihre lockere Bluse konnte man noch keinen Babybauch erkennen, aber ich war mir ziemlich sicher, dass man schon bald etwas sehen musste.
Auch bei Papa musste bald eine kleine Wölbung sichtbar werden. Ob er sie uns irgendwann mal zeigen würde?
„Kommst du aus einem Heim?", fragte Anne unbeirrt weiter, als sie direkt vor Kai zum stehen blieb, der mich weiterhin auf seinen Armen hielt, als wäre ich ein Fliegengewicht.
Kai zögerte auch diesmal, bevor er seicht den Kopf schüttelte.
„Sie haben erzählt, dass sie mich damals im Wald gefunden haben. Meine leiblichen Eltern haben mich zurückgelassen und ich wäre beinahe verhungert", murmelte Kai. Sein Herzschlag wurde dabei träge und ich spürte den Schmerz, den mein Gefährte verspürte, während er daran zurückdachte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro