34 - Finns Geheimnis
Hudson beobachtete mich lächelnd, aber mit einem skeptischen Ausdruck in den Augen, während ich mich fertig machte. Kai würde in gut vierzig Minuten vor der Tür stehen und bis dahin wollte ich gut aussehen, deswegen machte ich mir wirklich Mühe. Etwas, was mein Bruder seinen Blicken nach offenbar nicht ganz verstehen konnte. Zumindest sagte er nichts dazu und kommentierte mein Outfit schlussendlich mit "Sehr schön". Mehr Zuspruch brauchte ich nicht.
In meiner Wiedersehensfreude mit Hudson hatte ich total übersehen, wie Papa doch allein das Haus verlassen hatte.
Ich hatte mir darüber so einen Kopf gemacht, dass ich es gleich Hudson sagen musste, der zwar nicht positiv reagiert hatte, aber trotzdem der Meinung war, dass Papa wusste was er tat.
Während Hudson und ich also den gesamten Tag bis Nachmittags auf dem Sofa verbracht hatten, war Dad mit Bernard und Eren zu unseren Großeltern gefahren um weiter nach einer funktionalen Lösung zu suchen, in diesem Stress hatte Dad nicht einmal bemerkt, dass Papa nicht da war, Ian hatte sich in sein Zimmer zurückgezogen und war höchstwahrscheinlich am lesen und wo Josie war wussten zumindest Hudson und ich nicht.
Als Papa wenige Stunden nach verlassen des Hauses wieder zurückgekommen war, konnte ich nur erleichtert aufatmen, da er offenbar wohl auf war. Er hatte uns sogar etwas zu essen mitgebracht.
"Süß, wie nervös du bist", schmunzelte Hudson und folgte mir gelassen die Treppe hinunter, wo wir überraschenderweise auf Papa trafen, der schlafend am Sofa lag.
Mein Blick fiel kurz prüfend auf die Uhr, Papa war eigentlich kein Mensch für Mittagsschläfchen, deswegen verwunderte der Anblick um diese Uhrzeit nicht nur mich. Auch Hudson wirkte überrascht. Zusammengekugelt wirkte er auf dem großen Sofa so klein und zerbrechlich, dass ich mich am liebsten zu ihm gelegt hätte um ihn zu wärmen.
"Oh man", murmelte mein älterer Bruder leise und zog die Kuscheldecke über unseren Vater, der sich darunter sichtbar entspannte und die Decke nur näher zu sich zog. Wir musterten ihn noch einen Moment, sahen uns dann an und als Hudson gerade etwas sagen wollte und bereits den Mund geöffnet hatte, sprang Papa plötzlich wie von der Tarantel gestochen auf und stürmte an uns vorbei. Die Badtür fiel mit einem unschönen Geräusch laut ins Schloss, sprang von ihrem Schwung jedoch gleich wieder auf. Die Würgegeräusche, die daraufhin ertönten, waren ein deutlicher Beweis dafür, warum er es gerade so eilig hatte.
"Papa?", rief Hudson gleich besorgt und während er zu ihm ins Bad ging, holte ich noch ein Glas Wasser.
Als ich dann ebenfalls ins Bad trat, hing Papa weiterhin mit dem Kopf über der Schüssel und Hudson strich ihm beruhigend über den Rücken.
"Sollen wir Dad anrufen?", fragte Hudson und half Papa etwas, der versuchte sich aufzurichten. Erschöpft lehnte er sich gegen die Wand direkt neben der Toilette und nahm das Wasserglas dankbar an. Er trank erst den gesamten Inhalt aus, ehe er außer Atem antwortete.
"Nein", hauchte er und schüttelte leicht den Kopf. Seinen Kopf hatte er auf seine Hände gestützt, die Beine fest an seine Brust gezogen. Er sah aus wie ein kleiner Schuljunge und es tat mir in der Seele weh meinen Vater so zu sehen.
Hudson warf mir einen auffordernden Blick zu, den ich sofort verstand, während Papa mittlerweile qualvoll die Augen geschlossen hatte und flach atmete. Papa hörte jedoch, dass ich das Badezimmer verließ und rief mir noch ein schwaches, aber warnendes "Cosmo" hinterher, dass ich geflissentlich ignorierte.
Mit Dads Handynummer auf der Kurzwahl klingelte ich schnell bei ihm durch und zum Glück ging er auch nach dem dritten Klingeln bereits ans Telefon.
"Cosmo? Alles in Ordnung?", fragte er, während man Eren und Bernard im Hintergrund lautstark diskutieren hören konnte. Die beiden hatten sich immer noch nicht wirklich angenähert und den Grund wusste auch noch niemand, aber während sie anfangs nicht miteinander geredet hatten, stritten sie nun umso häufiger.
"Papa hat sich gerade übergeben. Kannst du herkommen?", fragte ich sofort und seufzte unwohl als ich hörte wie Dad alarmiert Luft einsog.
"Ich fahre sofort los!" Dann legte er auf.
Ich befüllte das Wasserglas erneut und ging damit zurück zu Papa, der sich abermals über die Toilettenschüssel beugte, aber keine Anzeichen machte, dass er sich gleich noch einmal übergeben musste. Hudson kniete weiterhin neben ihm, strich ihm über den Rücken und stützte ihn, da Papa am ganzen Körper zitterte.
So saßen wir die nächsten fünfzehn Minuten still auf dem Badezimmerboden, bis Papa Hudson bestätigte, dass er sich nicht mehr übergeben musste. Daraufhin hob mein älterer Bruder unseren Vater mit Leichtigkeit auf die Arme, trug ihn im Brautstil zurück ins Wohnzimmer und setzte ihn vorsichtig auf dem Sofa ab. Sofort zog ich die Decke um seine Schultern und legte ein Kissen hinter seinen Rücken, damit er es wirklich bequem hatte.
Er atmete zitternd auf, krallte seine Hände in die Decke und hatte sichtbar Probleme damit aufrecht sitzen zu bleiben.
"Tut mir leid, Jungs", lächelte Papa und senkte traurig den Blick.
"Dafür brauchst du dich nicht entschuldigen, Papa." Hudson lächelte ihm zu, setzte sich neben ihn und legte seinen Arm fest um seine Schultern, sodass Papa sich an seinem Sohn anlehnen konnte.
"Finn?!", rief Dad panisch aus, kaum hatte er die Tür aufgesperrt und kam mit seinen Straßenschuhen zu uns ins Wohnzimmer, wo er sich vor seinen Gefährten kniete und seine Hände auf Papas Knien platzierte.
"Was ist los?", fragte Dad besorgt und lehnte sich weiter zu seinem Gefährten, der sein Gesicht jedoch an Hudsons Schulter presste und Dad dabei nicht ansah.
"Er hat geschlafen und als Hudson ihn zugedeckt hat, ist er plötzlich aufgesprungen und musste sich übergeben", erklärte ich Dad, der kurz mich ansah, bevor er seinen besorgten Blick wieder auf Papa richtete.
"Er hat sich mehrmals übergeben", fügte Hudson noch bei, was Dad langsam nicken ließ.
"Finn, rede bitte mit mir", flehte Dad plötzlich und schob seine Hand unter die Decke um nach Papas Hand zu greifen.
"Es ist alles in Ordnung", log Papa eindeutig und mied weiterhin unsere Blicke. Seine Stimme war von seiner Magensäure rau und klang hörbar ausgelaugt.
"Finn!", knurrte Dad daraufhin aufgebracht und richtete sich ein wenig auf. "Nichts ist in Ordnung! Dir geht es nicht gut."
"Doch! Es ist alles ok", wiederholte Papa, doch Dad schüttelte nur aufgebracht den Kopf.
"Glaubst du, ich merke nicht, dass du kaum mehr isst, dass du nachts wach liegst und nicht schläfst, dass du dich andauernd aus dem Haus schleichst?!", blaffte Dad und stand im nächsten Moment auf, brachte damit Abstand zwischen sich und seinen Gefährten. "Warum redest du denn nicht mit mir? Warum hältst du mich so auf Abstand? Ich bin dein Gefährte, Finn. Dein Ehemann. Und trotzdem schottest du dich vor mir ab und verbannst mich auf die Couch. Du lässt mich nicht mehr an dich ran. Ich habe das Gefühl als wäre plötzlich ein Mauer zwischen uns!"
"Eliah...", hauchte Papa erschöpft und sah seinen Gefährten seit er das Haus betreten hatte zum ersten Mal an. "Ich liebe dich, das weißt du." Papa begann noch stärker zu zittern und klammerte sich Halt suchend an Hudson, der unseren Vater fest an seiner Seite hielt.
"Nein, mittlerweile bin ich mir nicht mehr sicher!", platzte es laut aus Dad heraus, ehe er sich verzweifelt wegdrehte und die Hände in seinen Haaren vergrub. "Ich kann deine Gefühle nicht mehr spüren, Finn. Ich... ich weiß nicht, was in dir vorgeht. Du redest nicht mehr mit mir, gehst mir aus dem Weg, wenn du mir etwas zu sagen hattest, dann hast du nur geschimpft. Ich..." Dad unterbrach sich selbst und schüttelte kaum merklich den Kopf.
"Sag das nicht", wimmerte Papa daraufhin und strich sich angestrengt über die Augen.
Dad schnaubte schwer, drehte sich jedoch wieder zu Papa um, der ihm einen herzzerreißend, hoffnungsvollen Blick zu warf, den Dad jedoch ignorierte.
"Ich bringe dich ins Bett", ließ er Papa wissen, "Danach fahre ich wieder zu meinen Eltern. Dort werde ich erst einmal eine Zeit bleiben."
Hudson und ich suchten augenblicklich den Blickkontakt zueinander und mit großen Augen konnten wir beide kaum glauben, was Dad gerade gesagt hatte.
"Nein, Eliah...", wimmerte Papa und schüttelte vehement den Kopf. "Bitte geh nicht." Die Tränen liefen ihm mittlerweile ungehalten über die Wangen und mit einem nervösen Blinzeln versuchte er wohl wieder klar zu sehen.
Dad sagte daraufhin nichts, hob Papa nur mit Leichtigkeit vom Sofa. Papa drückte sich sofort an seinen Gefährten, klammerte sich regelrecht an ihn und schluchzte an seine Schulter.
"Eliah, bitte bleib hier. I-ich brauche dich", keuchte Papa und zitterte dabei so sehr, dass meine Angst um ihn noch stärker wurde.
"Dann rede mit mir. Was ist los?", forderte Dad und setzte Papas Füße am Boden ab, hielt ihn jedoch noch so fest, dass Papa ohne Probleme stehen konnte.
Er schwieg. Papa senkte lediglich den Blick und krallte sich an Dads Oberarmen fest.
Dad sah seinen Gefährten geduldig an und auch Hudson und ich wartete gespannt auf eine Antwort, die jedoch nicht kam.
Dad seufzte niedergeschlagen und wollte Papa gerade wieder auf die Arme nehmen, um ihn ins Bett zu bringen, da brach die Angst, dass Dad wirklich gehen könnte, Papas Hemmungen anscheinend.
"Ich bin schwanger", ließ er die unvorhergesehene Bombe platzen.
Dad hielt sofort in seiner Bewegung inne, richtete sich langsam aus seiner gebückten Haltung, weil er Papa gerade hoch heben wollte, wieder auf und sah mit offenen Mund auf seinen Gefährten hinunter.
Auch mir drohten beinahe die Augen aus dem Kopf zu fallen.
Papa war schwanger? Wir würden noch ein Geschwisterchen bekommen?
Ungläubig sah ich zu Hudson, der Papa mit großen Augen beobachtete, ehe er den Blick auf mich richtete und mir ein kleines Lächeln schenkte.
Ich fand diese Neuigkeit super und auch Hudson schien sich darüber zu freuen.
Nur bei Dad kamen Papas Worte offenbar nur langsam an. Sein Mund stand weiterhin offen, während er auf seinen Gefährten hinunter starrte.
"Du..? Du bist schwanger?", fragte Dad nach einigen Augenblicken leise nach und straffte die Schultern ein wenig. Er wirkte nach außen hin gefasst, aber jeder, der ihn ein wenig kannte, wusste, dass er im Inneren tobte.
Papa nickte nur, mied weiterhin Dads Blick und schniefte dabei leise.
"Warum hast du nichts gesagt?", flüsterte Dad mit neutraler Stimme. "Seit wann weißt du es?"
"Seit... seit fünf Wochen", wimmerte Papa und krallte sich fester an Dad, der plötzlich den Anschein machte von Papa wegtreten zu wollen.
"Wie weit bist du schon?"
"Es... es ist ein Mädchen", flüsterte Papa, ließ mit einer Hand Dads Oberarm los und legte sie stattdessen auf seinen Bauch. "Man sieht noch keinen Bauch, aber Herb ist sich sicher, dass es eine sie ist." Ein zierliches Lächeln legte sich auf Papas Gesichtszüge und mit schimmernden Augen sah er zu Dad auf, der jedoch alles andere als glücklich wirkte.
"Du weiß das Geschlecht schon?", fragte er gepresst und spannte sich sichtbar an. "Wann hattest du vor mir davon zu erzählen?!"
"Ich-", fing Papa an, doch Dad ging dazwischen. "Also warst du jedes Mal bei Herb, wenn du dich aus dem Haus geschlichen hast?! Hast dich mit ihm schön über unser Kind unterhalten, es dir am Ultraschall zeigen lassen, ohne überhaupt daran zu denken, mich vielleicht einzuweihen?! Vielleicht hätte ich ja mitgehen wollen! Vielleicht hätte ich mein Kind auch gerne gesehen und wäre gerne dabei gewesen, wenn wir das Geschlecht erfahren! Aber nein! Stattdessen hält Finn mich auf Abstand, lässt mich nicht einmal mehr in unser Bett. Verdammt! Warum hast du nichts gesagt?!", brüllte Dad und wurde von Wort zu Wort lauter. Sein Wutausbruch ließ auch mich zusammenzucken, obwohl es mich nicht einmal betraf.
Papa hielt den Kopf weiterhin gesenkt, ließ Dads Worte auf sich einprasseln und ging nicht dazwischen, sagte nichts zu seiner Verteidigung.
Papa schluchzte leise, drückte die Hand auf seinem Bauch fester gegen seinen Körper und versuchte sich mit aller Kraft auf den Beinen zu halten, als Dad plötzlich von ihm abließ.
"Ich hatte Angst vor deiner Reaktion", schluchzte Papa und streckte seine freie Hand nach Dad aus.
"Vor meiner Reaktion?", fragte Dad überrascht und gleichzeitig wütend, schnaubte herablassend. "Wovor hattest du denn bitte Angst?! Dass ich zu meinem Gefährten, meinem Ehemann, sage, dass ich mich nicht über unser Kind freue?! Dass ich eine Abtreibung verlangt hätte?! Hast du das wirklich erwartet, Finn?!"
Papa schwieg auf diese Frage hin und Dad fuhr sich gestresst durchs Gesicht und versuchte offenbar sich ein wenig zu beruhigen. Mit bebendem Körper drehte er sich von seinem Gefährten weg und begann haltlos durch den Raum zu tigern, während Papa kaum noch stehen konnte.
Papas zerstörter Ausdruck ließ mich zitternd einatmen, der Streit meiner Eltern direkt vor meinen Augen hatte auch mich mitgenommen, und zu ihm gehen, damit er sich an jemanden stützen konnte.
"Bin ich so ein schlechter Vater? Ein schlechter Ehemann? Liebe ich meine Kinder nicht genug? Liebe ich dich nicht genug? Wieso hast du immer Angst vor meiner Reaktion?", fragte Dad mit zitternder Stimme und sackte am Sofa zusammen. Den Kopf in den Händen verborgen, konnte man an seinem bebenden Brustkorb erkennen, dass er weinte.
Dad weinte.
In meinen siebzehn Jahren auf dieser Welt hatte ich Dad noch nie weinen sehen.
Dass riss auch Hudson aus dem Konzept, der planlos neben seinem Vater stand, und hilflos versuchte irgendetwas zu unternehmen. Man konnte regelrecht die Zahnräder in seinem Kopf rattern sehen, ehe er sich leise räusperte.
"Dad hat sich noch ein Kind gewünscht", sprach mein älterer Bruder unsicher und zog damit sofort Papas Aufmerksamkeit auf sich. Mit großen, ungläubigen Augen starrte er seinen ältesten Sohn an und schluckte schwer. Die Tränen liefen ihm weiterhin rasend über die Wangen.
"Wieso hast du nie etwas gesagt?", wimmerte Papa, als er nach einigen Augenblicken wieder seine Stimme gefunden hatte. Er sah Dad direkt an, der weiterhin sein Gesicht in seinen Händen barg, und nach einem Moment lediglich mit den Schultern zuckte.
"Das Thema Kinder war für dich mit den Vierlingen abgeschlossen. Ich wusste, dass du keine Kinder mehr möchtest und eigentlich dachte ich, dass ich ohnehin keine Kinder mehr zeugen kann, deswegen habe ich nie etwas gesagt." Dad seufzte schwer und erhob sich langsam vom Sofa. Er strich sich übers Gesicht, versuchte damit die Tränen etwas wegzuwischen und seufzte erneut, ehe er sich an Hudson wand.
"Bringst du ihn ins Bett? Er braucht Ruhe."
Mein älterer Bruder zögerte einen Moment, ehe er langsam nickte, was Dad als Ok nahm, um ohne einem weiteren Wort das Haus zu verlassen.
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