33 - Hudson
Ich war viel zu früh wach und saß wie bereits gestern Abend nervös am Küchentisch. Diesmal war es jedoch keine nervöse Vorfreude, wie vor dem Abendessen mit Kai, sondern Angst davor Hudson von eben diesem erzählen.
Ich konnte seine Reaktion nicht einschätzen. Einerseits würde er sich sicherlich für mich freuen, immerhin war es immer etwas besonderes, wenn man seinen Gefährten fand, andererseits hatte ich echt Bange, dass sich zwischen uns etwas ändern würde. Ich wollte nicht, dass das Geschwisterband unter meinem Gefährtenband litt und hatte dabei Angst, Hudson eine schwere Zeit zu bereiten.
Dank Kai waren sämtliche Symptome meines Mate-Fiebers verschwunden, nur der starke Drang danach bei ihm zu sein erhöhte sich von Minute zu Minute. Es fühlte sich an, als wären wir durch ein Gummiband verbunden, das je weiter wir uns entfernt und es dementsprechend dehnten, uns stärker zusammenzog. Es war auf eine ganz andere Art unangenehm. Da war ich wirklich froh, ihn heute wieder zu sehen und Zeit mit ihm verbringen zu können.
Wobei mir allein der Gedanke seine Familie kennenzulernen übel wurde.
Was wenn sie mich nicht mochten? Sich jemand anderen für ihren Sohn wünschten? Hatten sie vielleicht sogar ein Problem mit meinem Geschlecht?
Aufgebracht schüttelte ich den Kopf und versuchte diese Gedanken loszubekommen. Kai hatte gesagt, dass sich seine Mutter freute mich kennenzulernen und mein Gefährte hatte ihr sicherlich von meinem Geschlecht erzählt, also brauchte ich mir da gar keine Gedanken und selbst Panik machen.
Es würde alles gut werden.
Mit Kais Eltern und mit Hudson.
Der Kakao, den ich mir gemacht hatte, wärmte meine Handflächen angenehm und der Sonnenaufgang, den ich durchs Küchenfenster beobachten konnte, beruhigte mich ein wenig.
Das rot-gelbe Farbenspiel erinnerte mich jedoch leider daran, dass es noch dauern würde, bis Hudson heimkommen würde, da mein Bruder alles andere als ein Frühaufsteher war.
"Nanu, Liebling." Papa kam vollständig angezogen in die Küche und hauchte mir einen Kuss auf den Schopf, ehe er kurz irritiert meinen Kakao musterte. "Dass du schon wach bist", schmunzelte er und strich mir nochmal über die Haare, bevor er sich sich an die Küchenzeile stellte und den Wasserkocher füllte.
"Ich konnte nicht mehr schlafen. Ich warte auf Hudson", ließ ich ihn wissen, setzte meine Tasse an meine Lippen und schlürfte meinen Kakao hörbar. Papa warf mir daraufhin einen warnenden Blick zu, den ich nur mit einem Grinsen kommentierte. Er hatte das Geräusch schon immer gehasst, aber was sollte ich schon tun, wenn der Kakao noch so heiß war?
"Hudson wird gut reagieren, Cosmo. Er ist dein Bruder, er liebt dich und wird sich für dich freuen, so wie du dich für ihn freuen wirst, wenn er seine Gefährtin oder seinen Gefährten findet." Papa lächelte mir aufrichtig zu. "Also mach dir deswegen nicht zu viele Gedanken." Sein zuversichtlicher Blick ließ mich ergeben nicken.
Er hatte Recht. Das musste ich auch endlich in meinen Kopf bekommen.
Hudson wird gut reagieren.
"Wann holt Kai dich heute ab?", fragte er und setzte sich mit seiner dampfenden Teetasse mit an den Küchentisch. Der lockere Pullover, den er trug, hüllte seinen Körper vollends ein, sodass nur seine schmalen Finger aus den Ärmeln sahen, die die Tasse fest umschlungen hielten. Daran wie sehr seine Fingerknochen unter seiner Haut sichtbar waren, konnte man deutlich sehen, dass Papa noch immer nicht ganz auf der Höhe war. Er war einfach nicht ganz fit, das konnte er nicht leugnen.
"Fünfzehn Uhr", antwortete ich und konnte das Lächeln, das bei dem Gedanken an heute Nachmittag ausbrachen, nicht aufhalten.
Papa grinste mich wissend an. Auch in seinem Gesicht konnte man sehen, dass er abgenommen hatte. Seine Wangenknochen stachen stärker als sonst hervor und auch seine Haut wirkte fahl.
"Warum bist du schon wach?", fragte ich eher beiläufig, um von mir etwas abzulenken. Ich spürte, wie meine Wangen heiß wurden, obwohl mir nichts unangenehm sein musste.
Die Frage war jedoch wohl falsch, denn Papa verzog schlagartig das Gesicht und schüttelte kaum merklich den Kopf.
"Ich habe einen Termin", antwortete er dann trotzdem.
Die frühe Uhrzeit ließ mich hellhörig werden, denn wer hatte schon so früh einen Termin, dass man um kurz nach sechs Uhr bereits vollständig abgezogen sein musste?
"So früh?", fragte ich ehrlich überrascht, was Papa zögerlich nicken ließ. "Kommt Dad mit?" Immerhin durfte Papa genauso wenig wie alle anderen alleine das Haus verlassen. Die Jäger waren weiterhin eine große Bedrohung, auch wenn Dad, Eren, Bernard und neuerdings auch Nathan kräftig an einer Lösung arbeiteten. Allein unterwegs zu sein war einfach zu gefährlich.
"Nein." Papa nippte vorsichtig an seinem Tee und verzog kurz das Gesicht, da das Wasser noch sehr heiß sein musste.
"Eren?"
"Nein", seufzte er.
"Bernard?", fragte ich die letzte Person, die in Frage kommen würde.
"Nein."
"Nathan?", fragte ich perplex und richtete mich etwas auf. Dass Dad Papa mit einem neuen Rudelmitglied gehen lassen würde, überraschte mich doch ein wenig.
"Nein, Cosmo", Papa seufzte erneut, "Ich gehe alleine."
"Das geht nicht", platzte es augenblicklich aus mir heraus. Es war viel zu gefährlich.
"Mach dir keinen Sorgen, Knirps." Papa lächelte mir zuversichtlich zu. "Ich kann auf mich aufpassen", versuchte er mich erfolglos zu beschwichtigen. Das beruhigte mich jedoch nicht wirklich.
Ja, Papa war vielleicht mal ein Beta, aber das war mittlerweile bald zwanzig Jahre her, und man konnte ihm deutlich ansehen, dass er in letzter Zeit nicht in der besten Verfassung war. Er konnte mir erzählen, was er wollte, aber er würde sich niemals gegen einen Angriff wehren können.
Ich wollte gerade meine Bedenken aussprechen, da hörte man einen Schlüssel im Schloss und sofort war Papa in den Hintergrund gerutscht.
Ich hatte meinen älteren Bruder zwei Tage nicht gesehen und freute mich ungemein, ihn wieder in die Arme schließen zu können.
"Hudson!", rief ich begeistert und fiel meinem Bruder stürmisch um den Hals, kaum war er ganz zur Tür herein getreten. Hudson hielt meinem Schwung mit Leichtigkeit Stand und drückte mich gleich eng an sich.
"Da hat mich ja jemand vermisst", schmunzelte er und knuddelte mich fest, was mir ein begeistertes Schnurren entlockte.
"Sehr sogar", gab ich lächelnd zu und drückte mich noch einmal an ihn, ehe ich mich von ihn löste und seine Hand aufgeregt in meine nahm.
"Ich muss dir unbedingt was erzählen", strahlte ich und rüttelte an seiner Hand. Hudson lachte nur, nickte und rutschte dann umständlich aus seinen Schuhen, damit er ins Haus treten konnte.
"Was ist passiert?", grinste er und drückte meine Hand, bevor er mich plötzlich wieder in seine Arme zog und mich dabei fast zerquetschte.
"Ich hab dich so vermisst. Lass uns heute den ganzen Tag einfach am Sofa kuscheln. Wie geht es dir überhaupt? Du hast kein merkbares Fieber mehr."
"Ich muss dir erst was erzählen." Diesmal klang ich nicht mehr so begeistert, denn die Angst vor seiner Reaktion kam schlagartig stärker den je zurück. Mir hätte klar sein müssen, dass Hudson gleich bemerken würde, dass es mir gesundheitlich schon deutlich besser ging.
Jetzt war es so weit. Jetzt musste ich dem wichtigsten Menschen in meinem Leben erzählen, dass er sich diesen Titel nun teilen musste.
"Ja?", fragte Hudson mit hochgezogener Augenbraue, denn auch er hatte meinen leichten Stimmungswechsel bemerkt.
"Ich... also... ich... ich", stammelte ich nervös und mied Hudsons Blick. Ich konnte seinem erwartenden Blick nicht Stand halten.
Gott, wie sollte ich ihm das sagen, ohne ihm das Gefühl zu geben, mir jetzt nicht mehr wichtig zu sein.
"Beruhige dich, Cosmo", Hudson schmunzelte leicht, "Ich reiße dir schon nicht den Kopf ab." Seine Augen funkelten amüsiert. Wahrscheinlich dachte er, ich hatte seine CD seiner Sammlung zerkratzt oder so etwas in die Richtung.
"Ich... habe meinen Gefährten... gefunden", flüsterte ich beinahe beschämt und senkte den Kopf ein wenig, um seinen Blick nicht mehr sehen zu müssen.
Im ersten Moment folgte auf mein Geständnis nur Stille. Im zweiten Moment rief Hudson "Das... ist doch toll!" plötzlich begeistert aus und hob mich mit Leichtigkeit vom Boden, um sich mit mir um die eigene Achse zu drehen. Dabei hielt er mich fest bei sich, damit die Flugkräfte mich nicht von ihm rissen und strahlte übers ganze Gesicht.
"Das ist super!", grinste er und setzte mich nach ein paar Runden wieder ab. "Wie geht es dir? Du musst dich gut fühlen, oder? Spürst du das Mate-Fieber noch?", sprudelten die Fragen aus ihm heraus. Doch ich kam nicht dazu ihm zu antworten, denn urplötzlich traten meinem älteren Bruder sichtbar die Tränen in die Augen. Mit einem herzzerreißenden Schluchzen drückte er sich an mich, barg sein Gesicht in meiner Halsbeuge, während sein Körper von jetzt auf hier von seinen unkontrollierten Schluchzern geschüttelt wurde.
"Warum weinst du?", fragte ich von seinem plötzlich Gefühlsausbruch überfordert und versuchte ihm beruhigend über den Rücken zu streichen.
Hatte er die selben Bedenken wie ich? Hatte er das Gefühl, er wäre mir nicht mehr wichtig?
"I-ich hatte so-olche A-angst, dass du st-stirbst", schluchzte Hudson und zog mich enger an seinen Körper. "I-ich bin so er-erleichtert." Er wimmerte herzzerreißend, sodass selbst mein Wolf langsam Angst um das Wohlbefinden meines Bruders bekam. "I-ich bin so-o froh!"
"Mir geht es gut. Mir fehlt nichts mehr." Ich kraulte ihn sanft durch die Haare und löste mich dann etwas von ihm um ihn ins Gesicht schauen zu können. Seine eisblauen Augen waren durch seine Tränen von einem ungesunden Rot umgeben, dass ihn beinahe krank aussehen ließ.
"Mir geht es wirklich gut. Sehr gut sogar", bestätigte ich ihm nochmal, woraufhin er ergeben nickte.
"Du strahlst richtig", hauchte Hudson und musterte dabei mein Gesicht eindringlich.
"Ich bin auch richtig glücklich", bestätigte ich ihm und spürte, wie mein Lächeln automatisch wieder breiter wurde. "Er ist toll."
"Wie heißt er? Kennt man ihn?", fragte mein älterer Bruder und beruhigte sich offenbar wieder ein wenig. Seine Tränen stoppten langsam und sein Schluchzen ebbte ab.
"Kai. Er heißt Kai. Er arbeitet in einem Buchladen im Einkaufszentrum. Er holt mich heute um 15 Uhr ab, damit ich seine Familie kennenlernen kann."
Hudson zog skeptisch die Augenbrauen nach oben und sah mir einen Moment mit einem undefinierbaren Blick entgegen.
"Und die Jäger?", fragte er schlussendlich und festigte spürbar seinen Griff.
"Bei ihm passiert mir nichts. Er ist ein Wolf. Ein Beta um genau zu sein."
Hudsons Nasenflügen bebten leicht, aber er sagte nichts weiter dazu, obwohl ihm deutlich die Fragen auf der Seele brannten. Ich wusste, dass er Fragen haben musste und es wunderte mich, warum er sie nicht einfach stellte.
"Er war gestern zum Abendessen hier. Dad und Papa mögen ihn sehr", erzählte ich begeistert und legte meine Hände dabei an Hudsons Brust. Sein Herz pulsierte energiegeladen unter meiner Hand, während seine Atmung sehr flach ging.
"Wenn Dad ihn mag, dann kann er nicht so schlimm sein", murmelte Hudson, ließ von mir ab und schmiss sich auf die Couch. Ich folgte ihm mit vorsichtigen Schritten und atmete erst erleichtert auf, als er die Sofadecke über uns zog.
"Er ist echt lieb", beteuerte ich, was Hudson laut zum lachen brachte. Verwirrt beobachtete ich meinen Bruder, der sich nach kurzer Zeit bereits vor Lachen den Bauch halten musste.
Was war daran so lustig?
"Er ist dein Gefährte, du musst ihn lieb finden", schmunzelte er und brachte mich mit seinem zufriedenen Lächeln dazu mich zu entspannen.
Er hatte es gut aufgenommen. Er wirkte nicht erschüttert oder traurig.
Er lächelte, das war ein gutes Zeichen.
Kai hatte es im ersten Moment gleich geschafft, dass Dad ihn mochte, das selbe würde er auch bei Hudson schaffen, auch wenn Hudson wenn es um mich ging, strengere Ansichten hatte, als selbst Dad. Da er jedoch nur mein Bruder war und nicht mein Elternteil, konnte er oft nicht viel ausrichten, wenn unsere Eltern gegen seine Meinung entschieden hatten.
Dennoch war ich jetzt guter Dinge, dass Hudson und Kai sich verstehen würden.
"Ich möchte ihn kennenlernen, wenn er heute herkommt", orderte Hudson und ich nickte sofort. Ich wollte unbedingt, dass Hudson und Kai sich verstanden und vielleicht sogar Freunde werden würden.
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