28 - Buchladen
Nachdem gestern so ein schöner Tag war, Eren Ian markiert hatte, Bernard und Nathan zueinander gefunden hatten, Papa und Dad sich wieder nahe gekommen waren und es Cupcakes für alle gab, dachte ich, dass endlich wieder Harmonie einkehren würde.
Aber das war weit gefehlt.
Als ich früh morgens, meine Kopfschmerzen hatten mich viel zu früh geweckt, die Treppe hinunter kam, streiteten sich Dad und Papa laut stark, Bernard saß wie eine Hülle seiner Selbst auf dem Sofa und starrte teilnahmslos vor sich hin, während Anne peinlich berührt am Küchentisch saß und eindeutig am liebsten im Erdboden verschwunden wäre.
"Was ist denn hier los?", murrte ich und fasst mir an die pochende Stirn. Das Geschrei tat meinen Kopfschmerzen nicht gut.
Augenblicklich kehrte Ruhe ein, bis Papa empört schnaubte.
"Da!", knurrte er und deutete mit einer flapsigen Handbewegung auf mich. "Kümmere dich lieber um deinen Sohn, anstatt dich in anderer Leute Angelegenheiten einzumischen!"
Damit drehte er sich abrupt weg und verschwand ins Schlafzimmer.
Irritiert sah ich ihm hinterher und auch Anne wirkte überrascht. Nur Dad schüttelte verständnislos den Kopf und winkte mich dann zu sich, öffnete seine Arme für mich. Das Angebot nahm ich gleich an.
"Hast du wieder Kopfschmerzen?", fragte er fürsorglich, als hätte er sich nicht gerade unglaublich mit Papa gefetzt.
Ich nickte nur und presste mein Gesicht in seine Halsbeuge, während seine Hände beruhigend über meinen Rücken fuhren.
"Was ist mit Papa?", nuschelte ich und sträubte mich dagegen mich bereits von ihm zu lösen, als er Anstalten machte mich aus seinen Armen zu entlassen. Er verstand und hielt mich enger bei sich. Dennoch spannten sich seine Muskeln bei der Frage automatisch an und ich wusste, dass ihm die Frage unangenehm war.
Es brauchte einen Moment, ehe er mit einem gehauchten "Ich weiß es nicht" antwortete.
Ich löste mich zögerlich von meinem Vater und schluckte nervös, als ich die Trauer in seinen eisblauen Augen sah. Was auch immer mit Papa war, er musste unbedingt mit Dad reden. So konnte es nicht weitergehen.
"Und was ist mit Bernard?" Ich nickte in Richtung des Kämpfers, der wirklich wie ein Häufchen Elend auf dem Sofa saß und nur in Boxershorts vor sich hin starrte.
Dad seufzte und auch von Anne kam ein niedergeschlagener Ton.
"Nathan kann mit einem männlichen Gefährten nicht viel anfangen und braucht Zeit zum nachdenken", flüsterte Dad mir zu und setzte das nachdenken dabei mit seinen Fingern in Gänsefüßen. "Bernard hat Angst, dass er ihn als Gefährten abweist", fügte Dad noch leiser hinzu.
Mitgefühl schwappte durch meinen Körper, als ich zu Bernard sah. Das hat er nicht verdient. Bernard war so ein lieber Kerl.
Nathan sollte sich erst einmal die Mühe machen ihn richtig kennenzulernen, bevor er die Bindung zwischen ihnen ablehnt.
Aus großen Augen sah ich zu meinem Vater auf, der ebenfalls Bernard beobachtete. "Deswegen ist Nathan gestern auf ihn losgegangen", flüsterte ich über die Erkenntnis schockiert und als Dad nickte, sog ich scharf die Luft ein.
Der arme Bernard.
"Aber gute Neuigkeiten", seufzte Dad und wand sich dem Wasserkocher zu um einen Tee zuzubereiten, "Josie ist nicht allzu traurig darüber, dass Eren zu erst Ian markiert hat."
"Immerhin", lächelte ich und ließ mich neben Anne am Küchentisch nieder, die mir lieb zulächelte.
"Ich möchte heute in die Stadt fahren und ein paar Babysachen einkaufen. Möchtest du mich begleiten? Ich habe eigentlich Finn gefragt, aber der ist überraschenderweise plötzlich durch die Decke gegangen." Anne warf Dad einen entschuldigenden Blick zu, den er gar nicht sah, weil er mit meinem Tee beschäftigt war.
"Darüber ging der Streit also?", fragte ich vielleicht etwas zu neugierig.
Anne nickte zögerlich. "Naja, ich habe ihn gefragt, woraufhin er fast wütend geworden ist. Daraufhin ist Eliah dann dazwischen gegangen, wodurch dann ein Streit zwischen den beiden entflammt ist", erzählte sie und biss sich nervös auf die Unterlippe. "Das wollte ich nicht."
"Mach dir keinen Kopf, Anne." Dad seufzte und stellte mir einen dampfenden Tee hin. "Er fährt in letzter Zeit wegen lauter Kleinigkeiten aus der Haut. Das ist nicht normal für ihn, aber er redet auch nicht mit mir, deswegen kann ich ihm nicht helfen, außer etwas Schadensbegrenzung zu probieren, aber man sieht ja, wie gut das funktioniert." Er seufzte erneut und strich sich angestrengt durchs Gesicht.
"Habt ihr ein Problem damit, wenn ich euch begleite? Ich weiß nicht, ob ich es den ganzen Tag mit den Beiden" Er nickte erst Richtung Schlafzimmer, wo sich Papa aufhielt, und dann zu Bernard auf dem Sofa. "aushalte."
Anne schenkte ihm ein aufmunterndes Lächeln und nickte dann begeistert.
"Wir brauchen immerhin jemanden, der die Tüten trägt", grinste ich, was auch Dad grinsen ließ.
Nach einem knappen Frühstück, bei dem nur Bernard, Anne, Dad und ich anwesend waren, weil anscheinend alle anderen Hausbewohner anderweitig beschäftig waren, wobei Bernard auch nur körperlich da war, machten wir uns zu dritt auf den Weg in die Stadt. Zur Sicherheit trug ich wieder einen Pullover von Owen, den grauen, den ich sowieso so mochte, und frisch gewaschene Jeans, die kaum nach Wolf rochen.
Dad und Anne unterhielten sich angeregt über Strampler, während ich meinen Spaß dabei hatte kleine Babysocken über meine Daumen zu ziehen und die süßen Kuscheltiere zu begutachten.
Es dauerte nicht lange, da hatten wir ein paar essentielle und ein paar eher unwichtige, aber zuckersüße Sachen eingekauft und ließen uns bei einer Cafebar nieder und bestellten uns einen kleinen Snack für zwischendurch.
"Ist Finn, wenn ihr alleine seid, auch so... hat er da auch solche Stimmungsschwankungen?", fragte Dad plötzlich vorsichtig und wirkte beinahe so als wollte er die Antwort gar nicht hören.
Anne nippte an ihrer Eischokolade und nickte. "Nicht ganz so schlimm, wie das heute morgen, aber manchmal ändert sich seine Laune wirklich von jetzt auf hier. Ich habe mir nicht viel dabei gedacht, dachte eher, dass das einfach seine Art ist, aber jetzt wo ich weiß, dass das nicht normal ist..." Sie zuckte mit den Schultern.
Mit einem kleinen Lächeln konnte ich beobachten, wie ihre Hand auf ihren Bauch wanderte und liebevoll darüber strich, obwohl man noch nichts sehen konnte. Das Gefühl musste für sie einzigartig sein. Auch, wenn die Umstände nicht so angenehm waren.
Dad brummte zustimmend und lehnte sich etwas zurück. "Ich weiß nicht mehr, was ich noch machen soll", begann er plötzlich und fieselte niedergeschlagen an der Tischkante. "Ich habe alles versucht, aber er lässt mich ja nicht mal mehr in unser Schlafzimmer, geschweige denn, dass ich ihm nahe kommen darf." Er zuckte schwerfällig mit den Schultern.
"Hast du schon mal versucht mit ihm zu sprechen?", fragte Anne und kassierte dafür ein deutliches Augenrollen von Dad.
"Mehr als nur einmal, aber er blockt immer ab oder fährt gleich aus der Haut." Er seufzte und führte seine Kaffeetasse an seine Lippen. "Ich wünschte mir, ich könnte seine Gefühle noch spüren."
Anne zuckte überrascht und hob die Augenbrauen. "Du spürst sie nicht mehr?"
Dad schüttelte den Kopf. "Nein, nachdem mein Wolf gestorben ist, ist auch die Bindung zu ihm abgebrochen. Für ihn hat sich nichts geändert. Für ihn fühlt sich alles noch so an wie es sich gehört, aber ich kann seine Gefühlsregungen und Schmerzen und alles nicht mehr spüren."
Anne nickte verstehend und schenkte Dad einen mitleidigen Blick. "Das muss schwer sein."
Er nickte. "Das könnt ihr euch nicht vorstellen." Er seufzte schwer und strich sich durch die Haare.
"Aber genug davon." Er versuchte tapfer zu lächeln, was jedoch scheiterte. "Cosmo, möchtest du noch irgendwo hin?", fragte Dad.
"Zum Buchlanden. Vielleicht finde ich ein gutes Buch für Ian." Dad begann sanft zu lächeln und nickte.
"Ihr habt wirklich eine enge Geschwisterbindung", lächelte Anne. "Nathan und ich haben uns nie etwas zu Weihnachten oder Geburtstag geschenkt. Ehrlich gesagt, haben wir uns auch nie sonderlich gut verstanden. Ich wäre nie auf die Idee gekommen, einfach mal so beim Shoppen nach etwas für meinen Bruder zu schauen." Anne strahlte breit, während sie das erzählte, obwohl ich das eher traurig als grinsenswert hielt.
"Ihr wirkt schon sehr vertraut", schmunzelte Dad, was Anne auch lächeln ließ.
"Ja, jetzt. Ich hätte nie gedacht, dass Nathan alles aufs Spiel setzen und aufgeben würde, nur um mich da weg zu holen. Aber anscheinend habe ich mich da in meinem Bruder getäuscht." Ein trauriger Schatten legte sich über ihre zarten Gesichtszüge, aber ihr Lächeln blieb standhaft.
Dad zog überrascht eine Augenbraue hoch. "Was hat er denn aufgegeben?", fragte er nett nach, aber ein gewisser Unterton zeigte mir, dass ihn Annes Aussage nicht gefallen hatte.
"Er war der Beta unseres Alphas. Er hat seinen Titel einfach zurückgelassen, nur um mich zu retten."
Dad verzog deutlich das Gesicht und setzte schon an etwas zu antworten, als ich schnell dazwischen ging. Ich wollte dem Gespräch nicht länger beiwohnen und deutete auf den Buchladen, dessen Eingang nur gute vier Meter entfernt lag. "Wenn ihr mich sucht, ich bin da drinnen."
Dad warf einen skeptischen Blick in Richtung des Buchladens, nickte jedoch als er ihn für sicher erachtete. Er lag immerhin direkt in seinem Blickfeld, sodass er jeden, der den Laden betrat und verließ, sehen konnte.
Etwas ahnungslos streunte ich zwischen den hohen Bücherregalen hindurch und zog wahllos Bücher heraus um mir den Klappentext durchlesen zu können. Es war zwar nicht schwer ein Buch für Ian zu finden, weil er einfach eine Leseratte war, die alles verputzte, was lesenswert war, trotzdem war es nicht ganz einfach ein Buch zu finden, das wirklich sein Interesse weckte.
"Kann ich dir helfen?"
Völlig in den Klappentext vertieft, hatte ich den jungen Mann, der am Ende des Regals stand und Bücher einsortierte, nicht bemerkt.
"Ich suchte nach einem Buch für meinen Bruder", antwortete ich und stellte das Buch in meiner Hand zurück an seinen Platz.
"Was liest dein Bruder denn gerne?", fragte der Mann und kam lächelnd auf mich zu. Vor sich schob er einen Wagen, der randvoll mit Büchern war, die wohl wegsortiert gehörten, her. Ich ließ meinen Blick kurz über die Bücher auf dem Wagen wandern, aber keines der bunten Cover stach wirklich heraus, sodass ich schnell die Interesse daran verlor und mich wieder an den Buchmann wand.
"So ziemlich alles", antwortete ich wage und schenkte dem Buchjungen ein entschuldigendes Lächeln, immerhin konnte ich Ians Geschmack nicht näher eingrenzen.
Der junge Mann vor mir überwand den letzten Abstand zwischen uns und streckte sich an mir vorbei um ein Buch aus einem der höheren Regale zu holen und hielt es mir dann mit einem sanften Lächeln hin.
Ich konnte mich jedoch kaum auf seine Worte konzentrieren, denn der Duft von Kiefer und Honig stieg mir unverkennbar in die Nase, sodass der plötzlich auftretende Schwindel mich beinahe ausknockte.
"Das ist eines meiner Lieblingsbücher", ließ er mich wissen, als ich mit zitternden Händen danach griff und versuchte auf meinen Beinen stehen zu bleiben.
Ich hob nervös wieder den Blick und sah zum ersten Mal den Bücherjungen genauer an.
Er hatte etwas Hudsons Körpergröße, war jedoch recht schmal und drahtig gebaut. Das lockere Polohemd, das das Logo des Buchladens trug, und die helle Chinohose ließen nur erahnen, was sich darunter befand, aber umschmeichelten seinen Körper ansehnlich. Seine blonden Haare waren ordentlich zurückgekämmt und seine rehbraunen Augen funkelten im matten Licht der indirekten Deckenbeleuchtung. Ein zartes Lächeln umspielte seine geschwungenen Lippen und ein leichter Bartschatten war erkennbar, jedoch sicherlich kaum spürbar, so ordentlich, wie er gestutzt wurde.
Er war atemberaubend schön.
Ich spürte regelrecht, wie mir der Mund offen stehen blieb und ich sprachlos die wenigen Zentimeter zu ihm hoch starrte.
"Wenn du möchtest, kannst du es dir auch einfach mal ausleihen und ihm zeigen. Wenn es ihm dann gefällt, gibst du mir Bescheid und ich kümmere mich um den Rest. Wenn nicht, bringst du es einfach wieder her."
Sein zartes Lächeln wurde breiter, als er bemerkte, dass von mir keine direkte Reaktion kam und erst da wurde mir mein peinliches Verhalten bewusst.
Angestrengt räusperte ich mich, schüttelte gedanklich über mein dummes Verhalten den Kopf und konnte dann das breite Lächeln, das dann auf meine Lippen kam, nicht mehr verkneifen.
Vor mir stand mein Gefährte.
Ich hatte ihn endlich gefunden. Ich konnte es kaum glauben.
"Das hört sich gut an. Danke", flüsterte ich beinahe, weil ich meiner Stimme nicht traute.
Mein Blick fiel andächtig auf das Buch, dessen samtiger, roter Einband weich unter meinen Fingerkuppen war. Ich hielt es automatisch fester in meinen Händen.
Das war eines seiner Lieblingsbücher.
Dieses Buch war eines der Lieblingsbücher meines Gefährten.
Ian würde dieses Buch nie in die Hände bekommen.
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