10 - Familienessen
Als ich vor der Schule stand und auf meine Geschwister wartete, sah ich mich suchend auf dem Parkplatz um. Ich war mir nicht so ganz sicher, wonach ich suchte, aber unterbewusst hoffte ich den Rotschopf zufällig wieder zu finden.
Aber da er hier nicht zur Schule ging und bereits heute morgen hier war, war die Chance doch relativ gering.
Ich suchte trotzdem.
"Wonach suchst du?"
Ich zuckte erschrocken zusammen und drehte mich zu der zierlichen Mya um, die mit einem seichten Lächeln zu mir hinauf lächelte. "Deine Geschwister sind noch drinnen.", informierte sie mich und deutete mit ihrer Hand in Richtung Schulgebäude.
"Ich suche niemanden.", antwortete ich ausweichend, konnte jedoch meinen suchenden Blick nicht vom Parkplatz nehmen.
Irgendetwas sagte mir, dass Owens roter Pickup gleich vorfahren würde, obwohl das absoluter Bullshit war. Was sollte er hier auch machen?
"Seid ihr eigentlich richtige Geschwister? Oder bist du adoptiert?", fragte sie aus dem Nichts heraus und überraschte mich mit dieser Frage sehr.
"Was?" Irritiert zog ich die Augenbrauen zusammen. Man konnte die Ähnlichkeit zwischen uns deutlich erkennen. Wie kam sie bitte darauf, dass wir keine richtigen Geschwister waren?
"Hast du meine Frage nicht verstanden?" Sie lächelte mir mit einem seltsamen Lächeln entgegen und strich sich ihre brünetten Haaren zur Seite. "Habt ihr die gleichen, leiblichen Eltern?" Dass sie ihre Frage umformulierte, machte sie nicht weniger seltsam.
"Äh." Ich wusste nicht ganz, was ich darauf antworten sollte. Die Wahrheit schien mir zu banal und dass sie so direkt danach fragte, verwirrte mich.
"Cosmo!"
Hudsons große Gestallt wurde zwischen den Schülermaßen sichtbar und als er den Arm hob um mir zuzuwinken, war er nicht mehr zu übersehen.
"Ich muss. Tschüss.", murmelte ich schnell und schlängelte mich an ihr vorbei durch meine Mitschüler auf Hudson zu, der gleich meine Hand in seine nahm und schnellen Schrittes zu seinem Wagen ging. Josie dicht hinter uns.
Mya rief mir noch etwas hinterher, aber im Getümmel der Schüler und weil ich ihr nicht zuhörte, könnte ich nicht verstehen, was sie gesagt hatte. Es interessierte mich auch ehrlich gesagt nicht sonderlich.
Plötzlich griff eine fremde Hand um mein freies Handgelenk und stoppte damit nicht nur mich, sondern auch Hudson, der sich alarmiert zu mir umdrehte.
Als er Owen erblickte, der mein Handgelenk weiterhin in seiner Hand hielt, änderte sich sein Blick zu einem feindseligen, den ich das letzte Mal erst im Kino mit Austin erlebt hatte. Hudson erkannte Owen offensichtlich sofort wieder, denn ein tiefes Knurren ertönte als Warnung, dass der Katzenwandler mich loslassen sollte.
Doch der Rotschopf könnte nicht unbekümmerter sein, ignorierte Hudson völlig und wand sich stattdessen zu mir.
"Wie letztes Mal." Sein durchdringender Blick und der fehlende Schalk darin, bedeutete nichts gutes. Ich wusste sofort, dass sich seine Aussage auf 'Wenn ich sage du sollst verschwinden, dann verschwindest du.' bezieht und nickte deswegen zaghaft, wartend, was er als nächstes sagen würde.
"Gehe nicht zum Skatepark. Ja?" Seine Stimme war so viel tiefer als heute Morgen als wir das letzte Mal miteinander gesprochen hatten und erst auf den zweiten Blick fiel mir auf, dass er lediglich Shorts und ein lockeres Shirt trug. Keine Schuhe und auch sonst nichts weiteres. Seine Klamotten hatten leicht feuchte Flecken und waren verknittert und mit einem kurzen Blick auf den Parkplatz bemerkte ich ebenfalls, dass sein Wagen nicht hier war.
"Warum sollte Cosmo auch zum Skatepark gehen?", schnauzte Hudson Owen schräg von der Seite an, doch der Rotschopf ignorierte ihn gelassen.
"Verstanden, Cosmo?", fragte er eindringlich nach und drückte mein Handgelenk etwas.
Ich nickte zögerlich.
Ich musste zum Skatepark. Ich musste mit Austin reden. Ich musste doch meinen Gefährten finden.
Owen wusste, dass ich mit Austin reden wollte und hatte mir dafür extra den Tipp mit dem Skatepark gegeben. Warum wollte er mich jetzt davon fern halten? Hatte er es sich anders überlegt? Wollte er mir nicht mehr helfen? Wollte er mich von Austin fern halten?
Ich schüttelte geistig den Kopf.
Trotz seiner unfreundlichen und rüpelhaften Art, war Owen bis jetzt nur gut zu mir. Er hatte mich gerettet und mir seinen Pullover gegeben, deswegen war ich mir sicher, dass er es auch diesmal nur gut meinte. Warum sonst hätte er sich wieder die Mühe gemacht hierher zu kommen?
Mit einem letzten deutlichen Blick löste er seine Hand langsam von meiner. Dabei ließ er sie jedoch über meine Handfläche rutschten und drückte mir etwas in die Hand. In der selben Bewegung zog er den Ärmel seines Pullovers weiter über meine Finger, damit niemand sehen konnte, dass er mir etwas gegeben hatte.
Dann drehte er sich so plötzlich wie er gekommen war weg und verschwand zwischen den restlichen Schüler.
Ein wütendes Schnauben kam von Hudson als er meine Hand fester drückte und mich ohne Gnade zu seinem Auto zerrte. Ich versuchte mit seinem schnellen Schritt mitzuhalten, stolperte dabei jedoch mehr als dass ich wirklich ging.
"Hudson. Bitte nicht so schnell.", jammerte ich und versuchte meine Hand aus seinem Griff zu lösen, doch der Alpha stieß nur ein warnendes Knurren aus und zog mich unbeirrt weiter.
Ich wusste, dass er kein Fan von Austin und seinen Anhängern war und da er am Wochenende bereits so aufgegangen war, war es nicht überraschend, dass er auch diesmal so in die Luft ging. Die Wut war ihm deutlich anzusehen.
Josie stand bei unserem Wagen und grinste mir breit entgegen. Ihr war die Interaktion mit Owen sicher nicht entgangen und da sie ja der Meinung war, dass er mein Gefährte war, konnte ich mir gut vorstellen, was gerade in ihrem Kopf vorging.
"Einsteigen.", knurrte Hudson und riss mir dafür die hintere Autotür auf. Ich bedankte mich leise und rutschte an ihm vorbei auf dem Ledersitz, ehe mein Bruder bereits die Tür wieder energisch zuschlug. Josie schüttelte nur den Kopf.
"Beruhig dich, Hudson." Die Schwarzhaarige stieg kopfschüttelnd auf den Beifahrersitz und warf unserem Bruder einen eindeutigen Blick zu.
"Ich bin ruhig.", knurrte Hudson daraufhin nur und an der Art, wie seine Stimme verzerrt war, wussten wir, dass er alles andere als ruhig war.
"Hudson, bitte.", flehte ich und versuchte meinen Bruder damit zu beruhigen. Ich hasste es, wenn er aufgebracht Auto fuhr. Irgendwann würde das nicht gut ausgehen und das wollte ich unbedingt verhindern.
Außerdem hasste ich es generell, wenn Hudson auf mich nicht gut zu sprechen war.
"Lass uns zuhause darüber reden. Nachdem wir sicher angekommen sind.", sprach ich in ruhigem Tonfall weiter und erzielte damit sogar eine Wirkung, denn Hudson nickte langsam und man konnte ihm ansehen, dass sich seine angestrengte Haltung etwas löste.
Die restliche Autofahrt verging eher zäh und selbst die sonst so redefreudige Josie war heute mal still. Es herrschte eine komische Stimmung zwischen uns, die hauptsächlich von Hudson ausging, der die Straße mit einem puren Killenblick anstarrte.
Ich nutzte den Moment, während meine Geschwister offensichtlich ihren Gedanken nachhingen und begutachtete derweil, was Owen mir gegeben hatte.
Es war ein zusammengefalteter Schmierzettel, der an einigen Ecken schon etwas eingerissen und generell eher schlampig gefaltet war. Das auseinander falten stellte sich als schwieriger als gedacht heraus, denn teilweise waren die Kanten so schlecht gefaltet, dass man eher annehmen konnte, dass es halb geknüllt wurde.
Als ich den Zettel schlussendlich auseinander gefummelt hatte und auf meinem Hosenbein glatt strich um zumindest ein paar Falten herauszubekommen, stach mir eine kraklige Handschrift entgegen.
Du weißt, wo mein Haus ist. Komm heute Abend dahin und erzähle deinen komischen Wolfsgeschwistern nichts davon.
Ich strich abermals mit dem Handrücken über das Stück Papier. Ob das Owens Handschrift war? Warum sollte ih zu Owen kommen?
Vielleicht war Austin da. Oder Owen konnte mir sagen, wo ich Austin finden konnte, wenn ich schon nicht zum Skatepark konnte. Vielleicht wohnte Austin nicht weit weg von Owen.
Plötzlich musste ich spekulieren, wie man nochmal zu Owens Haus kam. Ja, ich war schon einmal dort, aber am Hinweg war ich ohnmächtig und auch am Rückweg war ich noch nicht in der besten Verfassung.
Nervös begann ich auf meiner Lippe zu kauen.
Was, wenn ich sein Haus nicht mehr fand? Wäre er sehr sauer, wenn ich nicht kommen würde?
Stopp. Wie kam ich überhaupt an Hudson vorbei? Nachdem er mich heute mit Owen gesehen hatte und diese geruchlosen Menschen aufgetaucht waren, würde er mich nicht mehr aus den Augen geschweige denn alleine aus dem Haus lassen. Außerdem entwickelte ich wohl wirklich eine Erkältung oder ähnliches, da würde er mich eher ins Bett fesseln als mich irgendwo hingehen zu lassen.
Ich spürte, wie mein geschundener Körper von Stunde zu Stunde in einer schlechteren Verfassung war. Mir war kalt und die stechenden Kopfschmerzen waren auch wieder zurückgekehrt.
Was auch immer da am Wochenende mit mir geschehen war, würde ich wohl noch einzige Zeit merken.
Es hatte mir sämtliche Kraftressourcen geraubt und damit die Bahn für eine weitere Erkältung geebnet.
Ich seufzte schwer, knüllte den Zettel vorsichtig wieder zusammen und schob ihn in die Bauchtasche des Pullovers. Wir waren fast zuhause und Hudson sollte ja nicht gleich mitbekommen, dass ich etwas vor ihm versteckt hatte.
Hudsons miese Laune hielt auch noch an, als wir das lecker duftende Haus betraten. Papa lächelte uns breit entgegen und winkte uns vom Küchentisch aus zu, den er gerade deckte, während Eren am Herd stand und umrührte.
Als er Josie erblickte begann er liebevoll zu lächeln und als meine Schwester sich an mir vorbei drückte und in Erens offene Arme flüchtete, zog sich mein Herz schmerzvoll zusammen.
Wo war mein Gefährte? Ich wollte auch das was meine Geschwister hatten.
Ian saß mit einer Decke um die Schulter bereits am Küchentisch und nippte an seinem Tee, ehe er uns mit einer flüchtigen Handbewegung begrüßte.
Die Stimmung dann am Küchentisch wurde von Hudsons schlechter Laune deutlich gedrückt und als Dad ebenfalls sichtbar mies gelaunt den Raum betrat, war jegliche gute Stimmung dahin.
Eren achtete auf jede seiner Bewegungen, während Dad ihn mit Adleraugen beobachtete. Hudson starrte sein Essen nieder, Ian hustete beinahe im Sekundentakt und Josie schien in ihren Gedanken versunken zu sein.
Nur Papa wirkte zufrieden und erzählte aufgeregt von einem Gespräch mit unserer Nachbarin und dass unsere Lieblingspuddings im Angebot waren und er deswegen gleich mehrere eingekauft hatte.
"Könnt ihr mal aufhören so eine Trauerstimmung zu haben." Papa schnaubte genervt und legte seine Gabel hörbar zu Seite. "Ich würde hier gerne ein gemütliches Essen mit meiner Familie haben.", schimpfte er und warf uns allein einen eindeutigen Blick zu.
Der Einzige, der darauf reagierte war Dad, der leise seufzte und nickte.
"Wie war euer Tag, Kinder?", fragte Dad dann und sah fragend in die Runde.
Antworten tat niemand.
"Schau Liebling. Es liegt nicht nur an mir." Dad zeigte vielsagend in die Runde, woraufhin Papa nur den Kopf schüttelte und plötzlich einfach aufstand, seinen beinahe vollen Teller stehen ließ und wortlos ins Schlafzimmer verschwand.
Diese untypische Verhaltensweise irritierte nicht nur mich, denn auch meine Geschwister sahen Papa verwirrt hinterher.
Dad seufzte leise und erhob sich dann ebenfalls vom Tisch. Er nahm Papas Teller und folgte damit unserem Vater.
"Dad, wir müssen später dringend reden.", ließ Hudson ihn noch wissen, ehe er nickend aus unserem Sichtfeld verschwand.
Zurück blieben meine Geschwister, Eren und ich.
Ian, der eher tot als lebendig wirkte, rutschte näher zu Eren, der ihn im nächsten Moment auf den Schoß zog und die Decke fester um meinen älteren Bruder legte. Ian kuschelte sich sofort an seinen Gefährten und nur einen Augenblick später, waren bereits seine entspannten Atemzüge zu hören.
"Wie war dein Test heute, Prinzessin?", fragte Eren und strich Josie eine Haarsträhne aus dem Gesicht, was meiner Schwester ein kleines Lächeln entlockte.
"Wirklich gut.", erzählte sie stolz und schon waren die beiden in ein Gespräch über Josies Tag vertieft, sodass nur Hudson und ich übrig blieben.
Ich seufzte leise.
Gott, steh mir bei.
Ich wusste, welches Gespräch im Anschluss an das Essen folgen würde und noch war ich mir nicht sicher, was ich Hudson alles anvertrauen wollte.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro