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Die Strahlen der steigenden Sonne drangen bis herab auf die kleinen Pfade, denen die beiden nun nordwärts folgten. Nicht ahnend, wer ihnen verborgen im Dickicht auf den Fersen war, schlugen die Soldaten einen strammen Marsch an.
Ab und an mussten sich Laina und Erhardt weiter zurückfallen lassen, wenn die lichten Wälder in Weiden und Ackerland übergingen. Der Mann stellte sich weitaus geschickter an, als die Jägerin es erwartet hatte, zudem war er von schweigsamer Natur, was ihr nur zu recht kam.
Mehr als einige knappe Worte tauschten sie nicht, während der Tag ereignislos an ihnen vorüberzog. Allmählich veränderte die Landschaft ihr Bild, im Gegensatz zu den zuvor sanften Hügeln schien sich der Grund vielerorten aufzubäumen, felsige Grate wechselten mit tiefen Einschnitten.
Kaum hatten die Menschen hier Flächen gefunden, die zu bewirtschaften waren. Wilde Wälder herrschten über die Kuppen und in den Senken stauten sich zahlreiche Bächlein zu sumpfigen Pfuhlen.
Den Soldaten blieb an diesem Abend nichts, als Schutz im Schatten einer hoch aufragenden Steilwand zu suchen. Umsichtig hielten Laina und Erhardt Abstand und verschanzten sich weit oben auf einem Hügel zur anderen Seite des Weges.
Von hier aus hatte auch ihr Begleiter einen guten Blick auf das Lager, zudem standen die Bäume auf dem steilen Hang weniger dicht. Ab und an brachen Streifen von Mondlicht durch das Geäst hindurch und zeichnete verschwommene Muster ins Laub, was Erhardt eine spürbare Erleichterung war.
Er hatte sich zu Lainas Erstaunen gut gehalten, obwohl er die letzte Nacht durchwacht hatte. Gewiss, ab und an war er ihr ein wenig zu laut gewesen, doch alles in allem präsentierte er sich höchst fähig in seinem Tun.
Und wieder teilte der Mann bereitwillig seinen schrumpfenden Vorrat mit ihr. Nur zögerlich griff Laina zu, da sie deutlich spürte, dass sein Entgegenkommen keinesfalls auf Sympathie gegründet war.
Doch im Grunde war es einerlei, was er von ihr hielt. Solange sie nur ihre geliebte Lora wieder in die Arme schließen konnte, war ihr ein jedes Bündnis recht.
„Heute solltest du definitiv schlafen", meinte die Jägerin dann. „Lass mich die ganze Nacht übernehmen, das wird mir kaum schaden."
Erhardt musterte sie scharf. „Schön, wenn du das verantworten kannst, soll es mir Recht sein", erwiderte er. „Aber denke daran, dass wir morgen gegen Abend wohl Windrath erreichen werden und es fraglich ist, wie viel Ruhe wir dann finden werden. Wenn du zu müde wirst, kannst du mich gern wecken."
Dass er daran nicht wirklich glaubte, verrieten die erhobenen Brauen. War es Spott oder Verachtung, was da verborgen in Erhardts Augen erstrahlte? Laina indes kümmerte sich nicht weiter darum, zudem er sich bereits abgewandt hatte und in seinen Mantel gewickelt im trockenen Laub zu liegen kam.
Die Jägerin indes verfolgte die allabendliche Prozedur unten im Lager ihrer Feinde. Nach wie vor hielt sich Maro tapfer, einzig seine ungelenken Bewegungen verrieten, wie sehr ihm der winzige Kerker zusetzte.
Ob er ihr nach all dem wohl noch immer so wohlgesonnen sein würde wie zuvor? Doch er war es gewesen, der das Risiko bereitwillig auf sich genommen hatte, sein Zorn konnte einzig Fürst Adalbert gelten.
Leise seufzend, da sie vorerst ohnehin nichts ändern konnte, widmete sich Laina ihren Verletzungen. Die Blutkarde hatte deren Heilung immens beschleunigt, dennoch rieb sie den zähen, weißen Mohnsaft sorgfältig in eine jede Wunde ein und erneuerte die Verbände, indem sie weitere Streifen aus dem bereits ruinierten Hemd riss.
Dann lehnte sie sich, in Maros Mantel gehüllt, gemütlich gegen den rissigen Stamm einer alten Birke, den Blick auf das Lager tief unten gerichtet, derweil ihre scharfen Sinne hinaus in die Umgebung schweiften.
Langsam zog der Mond über den von unzähligen Sternen übersäten Himmel. Ruhe war unter den Soldaten eingekehrt, wie auch Erhardts gleichmäßige Atemzüge davon zeugten, dass er längst in den Schlaf geglitten war.
In Gedanken an Loras liebliches Gesicht versunken fuhr die Jägerin schließlich auf. Aus der Ferne drangen leise Schritte an ihr feines Gehör. Augenblicklich alarmiert erhob sie sich lautlos und strebte dem Geräusch entgegen. Konnte dies etwa Levin sein?
Schwer fühlte sich die Jägerin an ihre erste Begegnung erinnert, als sie schließlich hinter dem Stamm einer Eiche Deckung suchte. Dass sie richtig vermutet hatte, bewies ihr der leise Lufthauch, der an ihre Nase drang.
Im Vordergrund lag zwar der deutliche Geruch nach Pferden, dennoch war da diese Mischung aus Leder, altem Feuerrauch und dem Duft frisch gerösteter Bucheckern, ein wenig zu angenehm für ihren Geschmack, wie sie im Stillen zugeben musste.
Diesmal sah sie davon ab, den Mann zu überrumpeln. „Levin!", zischte die Jägerin ihm leise zu, woraufhin er zwar erschrocken herumfuhr, abseits davon jedoch keinen Laut von sich gab.
Sofort fand sein Blick die leuchtenden Augen Lainas, Erleichterung stand in seinen erschöpften Zügen. „Freundlich von dir, mich nicht mit einem Überfall zu begrüßen", murmelte er verhalten. „Gibt es Neuigkeiten?"
„Sie haben Maro", nickte die Jägerin. „Du hattest wirklich Recht. Soweit wir es wissen, verlangt Fürst Adalbert etwas von ihm, will ihn auf die Probe stellen."
„Was bedeutet, dass Maro vielleicht doch noch überzeugen kann", folgerte Levin. „Habt ihr herausgefunden, wohin die Reise geht?"
„Wir vermuten, dass Windrath das Ziel ist", erwiderte Laina. „Aber nun komm, du solltest dich ausruhen. Oh, und wo ist dein Pferd verblieben?"
„Ich habe sie beide auf Höhe des letzten Dorfes zurückgelassen, da sie am Ende ihrer Kräfte waren."
In der Tat musste Levin die Tiere beinahe zuschanden geritten haben, so rasch er die Wegstrecke hinter sich gebracht hatte. Auch er wirkte angeschlagen, dunkle Ringe lagen unter den graublauen Augen und sein kräftiger Körper hatte an Spannung verloren.
Ohne ein weiteres Wort folgte er Laina durch den düsteren Wald hinauf bis zum höchsten Punkt des Hügels, wo Levin es seinem Bruder gleichtat und sich deutlich erschöpft dem Schlaf hingab.
Kurz betrachtete Laina die Männer, von zwiespältigen Gefühlen geplagt. Einerseits waren die beiden ihr lästig und nun vereint würde es wohl nicht leichter werden. Andererseits musste sie zugeben, dass die Brüder sich bisher gut geschlagen hatten. Sollte Maro die Probe nicht bestehen und in Schwierigkeiten geraten, würde die Jägerin auf ihre tatkräftige Unterstützung angewiesen sein.
Es gelang Laina nicht, sich von ihren Sorgen zu lösen, die einzig um Loras Schicksal kreisten. Selbst die friedliche Stille des Waldes war ihr keine Erleichterung, während die Zeit zäh verrann. Schlafen, das wusste sie, würde sie so nicht können.
Und so wachte sie, bis der Gesang der Vögel ertönte und sich allmählich zu einem gewaltigen Chor vereinte, indes die Dämmerung über die Lande zog. Da unten im Lager das Feuer neu entfacht wurde, weckte Laina die Brüder, die sich rauh, aber herzlich begrüßten.
Den weniger freundlichen Worten Erhardts über die ungeteilte Wacht begegnete sie mit einem mürrischen Schulterzucken. „Ich konnte nicht schlafen. Was hätte es gebracht, auch dich noch wachzurütteln?"
Levin, dessen Augen nach der erholsamen Nacht wieder an Schärfe gewonnen hatten, musterte die Jägerin unangenehm aufdringlich. „Du sorgst dich um deine Tochter, nicht wahr?"
„Das kann dir doch einerlei sein", fauchte sie ihn an. „Hast du überhaupt ein Kind?"
Stumm schüttelte der Mann den Kopf und wandte sich brüsk ab, um dann Seite an Seite mit seinem Bruder hinab ins Tal zu spähen. Kurz lag Laina eine Entschuldigung auf der Zunge, da sie wohl gemerkt hatte, dass Levin lediglich Anteil an ihrem Kummer hatte nehmen wollen, doch ihre Kehle war wie zugeschnürt.
Noch verhaltener als am Vorabend bediente sie sich an den Vorräten, die man ihr wenig später reichte, doch glücklicherweise war der Beutel Levins gut gefüllt. Dann hieß es warten, bis die Soldaten ihren Marsch wieder aufnahmen, weiter der nördlichen Grenze Rabensteins entgegen.
Auch dieser Tag brachte keinerlei Überraschungen mit sich, einzig das Wetter zeigte sich weniger gnädig. Gegen Mittag trieb der auffrischende Westwind düstere Wolken heran und so fortgeschritten der Frühling bereits war, kühlte sich die Luft empfindlich ab.
Der anstehende Regen blieb jedoch aus, als warte der nunmehr bleigraue Himmel nur auf den rechten Augenblick, seine nasse Fracht abzuwerfen. Die Soldaten beschleunigten ihre Schritte und trieben das vor den Wagen gespannte Pferd unbarmherzig an, was die ohnehin holprige Fahrt in Maros engem Gefängnis gewiss nicht angenehmer machte.
Dass es in der Tat auf Windrath zuging, bestätigte sich mit jedem kleinen Dorf, das die Truppe schnurstracks passierte. Levin und Erhardt, deren Gespräche die Jägerin selbst aus der von ihr gewählten Distanz verfolgen konnte, begannen bereits zu planen, wie sie unauffällig in die Mauern der Stadt eindringen könnten.
Dementsprechend verwunderte es Laina wenig, dass die Brüder am Rande einer kleinen Siedlung einige schlichte Gewänder stahlen, die dort im frischen Wind auf einer Leine flatterten. Denn als unauffällig konnte man ihre Erscheinung wirklich nicht bezeichnen.
Beide waren, wie auch die Jägerin, in dunkles Leinen und Leder gekleidet, zudem in ihren breiten Gürteln verschiedene Stichwaffen steckten. Die helle Bauerntracht würde dies verbergen, sie selbst hingegen, das wusste Laina wohl, durfte Windrath nicht offen betreten.
Ihre grünstrahlenden Augen verrieten sie stets, umso mehr, wenn es denn dunkelte und jenes unverkennbare Leuchten in ihnen erwachte, das es den Jägern ermöglichte, auch die finsterste Nacht wie den hellichten Tag zu erfassen.
Und vor Einbruch der Dunkelheit würden sie ihr Ziel nicht erreichen. So sehr sich die Soldaten auch mühten, war das bedauernswerte Pferd zu erschöpft, mitzuhalten. Nur schleppend ging es voran, vorbei an den letzten Dörfern, die in der rauhen Landschaft Fuß gefasst hatten und den widrigen Bedingungen trotzten.
Auch Laina und die Brüder hatten damit zu kämpfen, konnten sie der Truppe doch längst nicht mehr gut verborgen durch die umliegenden Wälder folgen. Schroffe Felsen, Schluchten und sumpfige Senken säumten den Weg gen Windrath und zwangen sie dazu, immer wieder auf den offen liegenden Pfad auszuweichen.
Levin und Erhardt hüllten sich in die gestohlenen Gewänder und boten auch Laina eines an, das sie jedoch erst überzog, nachdem ihre Stiefel vor Nässe trieften, da sie sich wiederholt im feuchten Unterholz vor passierenden Bauern, Händlern und Feldarbeitern hatte verbergen müssen.
Den Kopf tief gesenkt und unter einer Kapuze verborgen würde im Vorbeieilen niemand ihre wahre Natur erkennen, für einen Ausflug nach Windrath reichte dies hingegen nicht aus. So musste Laina schließlich zurückbleiben, kurz bevor sie inmitten der Dämmerung jenes flache Tal erreichten, das sich unterhalb der Stadt erstreckte.
„Habt ihr einen Plan?", erkundigte sie sich, kaum da sich die drei in den Schatten des letzten Waldstücks zurückgezogen hatten.
„In der Tat", erwiderte Levin. „Ich habe da einen alten Bekannten in Windrath, der mir einen Gefallen schuldig ist. Er wird uns weiterhelfen."
„Das sollte er wohl. Du hast ihm damals den Hintern gerettet", brummte Erhardt, indes die Jägerin zögerlich nickte. Es verdrießte sie zutiefst, dass sie zunächst nichts als abwarten konnte und sich voll und ganz auf das Können der Brüder verlassen musste.
„Also gut", seufzte sie. „Aber lasst mich nicht zu lange warten – wenn es denn sein muss, finde ich schon einen anderen Weg in die Stadt hinein."
„Geduld", mahnte Levin und sah sie eindringlich an. „Vergiss nicht, dass auch uns viel daran gelegen ist, Maro heil aus diesem Schlamassel herauszuholen! Und für so unfähig du uns auch hältst, darf ich dir versichern, dass dies einzig deiner ungerechtfertigten Ablehnung eines jeden, der nicht deines ach so edlen Blutes ist, entspringt."
Bevor Laina auch nur über den Vorwurf nachdenken konnte, wandten sich die Brüder ab und ließen sie alleine zurück.
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