Kapitel 4
Vier ganze Tage und Nächte durchstreifte ich überwiegend blätterleere Wälder. Einmal musste ich sogar ein Gebirge passieren, bis ich endlich vor dem Berg Tichan stand. Unterdessen nahm der Herbst an Fahrt auf. Zunehmend heftiger wehte der Wind. Im Gebirge zwischen den großen Gesteinsbrocken gab es wenigstens ein paar Schutzwälle, aber seitdem immer mehr Wälder in karge, teilweise auch gerodete Landschaften übergingen, existierte kaum ein Fleckchen, das Schutz vor der kalten Nordluft versprach. Ich fror zunehmend. Meine Tunika bekam dank zahlreicher Äste etliche Löcher ab, von meiner Hose ganz zu schweigen.
Von daher war es kein Wunder, wie erleichtert ich mich fühlte, als ich am Fuß des Bergs stand. Im Vergleich zum Toper-Gebirge, das sich im Reich der Monster befand, wirkte der Tichan wie eine Miniaturausgabe. Abgesehen davon, dass die Spitzen der Toper-Berge über den Wolkenrand hinausragten und Heimat für Drachen darboten, versprach der Tichan neben dem Tempel lediglich eine schöne Aussicht über die Landschaft. Den Ausblick vermutete ich bloß, denn selbst bestieg ich noch nie zuvor den Tichan.
Zum Erklimmen des Bergs nutzte ich die Stunde des Tages, um Vampiren, die ja bekanntlich kein Freund der Sonne waren, aus dem Weg zu gehen. Unweigerlich musste ich an Issus denken, der als Einziger, trotz des Tages nicht zu Asche zerfiel. Vielleicht war die Eifersucht auf diese Gabe einer der Gründe, weshalb man ihn verbannte. Darüber wollte ich mir aber nicht länger Gedanken machen, schließlich war es seine Angelegenheit, ob er es mir eines Tages erzählen möchte oder nicht.
Nach zwei Stunden erreichte ich eine Lichtung. Von dort aus konnte ich, über einen Felsvorsprung, den Tempel erkennen, genauer gesagt ein paar aufragende Quarzsäulen. Etwas in meinem Inneren zerrte an mir, sofort nach oben zu klettern, ans Grab meiner Schwestern zu gehen und zum ersten Mal seit den fünf Jahren, in denen ich lebte, einen Blick auf ihre Ruhestätte zu werfen. Ob es schöne Gräber waren? Gab es dort Blumen? Meine jüngere Schwester Himiko liebte Pflanzen über alles. Nicht umsonst war der Rosengarten des Kaisers dafür bekannt, immerzu von roten Rosen umgeben zu sein, die niemals verblühten. Himiko war es, die den Rosengarten in einen Zauber hüllte, der die Rosen das ganze Jahr über blühen ließ. Ebenso verzauberte sie im Monsterreich einen Wald dazu, stets grün zu sein. Damals lachte ich sie für diese, in meinen Augen unnütze Tat aus, aber heute, wo ich auf Blumen angewiesen war, dachte ich ganz anders darüber. Mit Einbruch des Winters verschwanden auch die Blumen, weshalb mir zu dieser Jahreszeit, nichts anderes übrigblieb, als den Perlenfluss zu überqueren, um im Reich der Monster zum immergrünen Wald zu reisen. Auf die Lebensenergie von Blumen zu verzichten und dafür um mehr als achtzig Jahre zu altern, stand mir nicht im Geringsten im Sinn. In diesem Jahr schien es der Winter besonders eilig zu haben. Ich verfluchte ihn dafür, denn sollte Issus wieder erfolglos bei der Suche nach dem Buch sein, so musste ich mit der Fortsetzung der Suche auf den Frühling warten, bis ich wieder ins Reich der Menschen kam.
»Heiliger Zwiebelsack!«
Alarmiert drehte ich mich um und prüfte umgehend die Gegend nach Vampiren. Zu meinem Überraschen entdeckte ich eine korpulente alte Dame, die fluchend versuchte, ihren Holzwagen aus einem Schwall von Gesteinsbrocken zu ziehen. Augenscheinlich stieß ein Rad des Wagens an dem spitzen Felsen an und verfranzte sich an dem Gestein. Die Frau war so sehr auf ihren mit Waren vollbeladenen Wagen fixiert, dass sie mich nicht einmal bemerkte. Über ihr graues, zusammengebundenes Haar trug sie einen großen Sonnenhut, wodurch das Gesicht größtenteils bedeckt wurde. Die Menschen waren schon sonderbare Wesen, trugen im stürmischen, sonnenlosen Herbst, einen Strohhut. Gewiss erwartete ich keinen Menschen auf dem Berg, erst recht keine Händlerin mit pferdelosen Wagen. Meine Neugier stieg umso mehr, deshalb ging ich auf sie zu.
»Gute Frau, brauchen Sie Hilfe?«, fragte ich in einer zuckersüßen Stimme.
Erschrocken ließ die Angesprochene einen Teil des Wagens fallen. Sobald sie mich entdeckte, legte sie erleichtert eine Hand auf ihre Brust. »Gottseidank, nur eine junge Frau. Ich dachte schon, die Vampire wären wieder hier.« Die Art und Weise, wie sie das »R« rollte, verriet mir, dass sie aus Nordwest stammen musste. Vermutlich aus Merben. Sie zog ihren Hut nach oben, sodass ich einen Blick auf ihr Mondgesicht werfen konnte. Eine Habichtnase zierte ihr Gesicht und stellte ihre großen Augen in den Schatten.
»Es waren Vampire hier?«, fragte ich schockiert.
»Oh ja. Sie haben mich vor einigen Tagen entdeckt und den Tichan hinauf verfolgt. So ist dann auch das Unglück passiert.« Verzweifelt zeigte sie auf den in einem Felsen feststeckenden Wagen. »Die Monster hetzten mich bis ich nichts anderes mehr konnte, als die Ware hierzulassen und mich dort zu verstecken.« Sie deutete auf einen mit Ulde gezeichneten Kreis am Boden. So hatte sie also die Nacht überlebt. »Zum Glück blieb mir alles, sonst hätte ich den Verlust nicht verkraften können.«
»Ziehen Sie.« Ich drückte von hinten gegen den Wagen, bis sich etwas an Widerstand legte. Ein ruckartiger Zug war von Nöten, um den Wagen aus den Gesteinsbrocken zu ziehen. »Dankeschön.« Begeistert klopfte mir die Frau auf die Schulter, dann ging sie zum Wagen zurück, stülpte die Plane hinunter und griff nach einer Schatulle. Nachdem sie den Inhalt inspiziert hatte, lächelte sie. »Alles noch da. Hier. Suche dir als Dankeschön etwas aus.«
»Oh, nein danke. Ich brauche nichts«, gab ich sofort zu bemerken. Geschenke von Menschen konnte ich nicht ausstehen. »Das ist aber schade«, meinte die Frau traurig. Sie kehrte mir den Rücken zu und sagte, mehr auf den Wagen, als zu mir gerichtet: »Jade.« Überrascht sah ich auf. Hatte sie gerade meinen Namen gesagt? Zögerlich wollte ich instinktiv ja sagen, als die Frau eine grüne Jadekette aus ihrer Schatulle holte. »Diese Perlenkette hätte Euch gutgetan, Ihr scheint mir recht verbittert.« Ich spürte einen bitterkalten Windhauch um meinen Nacken wehen, die Bäume um mich herum, schienen mich verspotten zu wollen, während die Erde zu meinen Füßen bröckelte. Alles drehte, verschwamm und verzerrte sich. Doch in Wahrheit blieb, bis auf mein inneres Zerwürfnis, alles gleich.
Im kräftigen Grünton glänzte die Perlenkette zwischen den Fingern der Frau. Himikos Perlenkette. Diese Frau hielt tatsächlich die Jadekette, meiner jüngeren Schwester in ihren Händen.
»Woher habt Ihr diese Kette?« Ich stand dicht vor der Frau, bereit ihr die Kette zu stehlen, sollte sie mir diese nicht freiwillig geben. Die dunklen Augen der Frau glänzten gierig, als sie mein Interesse bemerkte.
»Ein Händlergeheimnis wie man in meiner Heimatstadt so schön sagt. Oh, ich habe es leider vergessen, dass ich sie bereits an einen Kunden verkauft habe. Ein sehr treuer Kunde, den ich auf keinen Fall verärgern möchte.« Ehe ich mich versah, lag die Kette auch schon wieder in der Schatulle. »Natürlich habe ich noch einige andere Ketten für die Verbitterten unter uns Frauen.« Unter ihrem Kleid packte sie plötzlich viele verschiedene Ketten, Armreife und Ringe heraus. Sie wedelte mit allen Schmuckstücken gleichzeitig vor meinem Gesicht herum. »Zwei für den Preis von einem«, meinte sie stolz. »Eine wunderschöne junge Frau wie Sie braucht doch Schmuck, um die Männerwelt zu betören.«
Ich biss mir auf die Lippe. Gerade eben wollte sie mir ein Schmuckstück schenken und plötzlich feilschte sie um den Preis. Die Händler besaßen alle verachtenswerte Neigungen, um Profit zu erwirtschaften. Würde sie ansatzweise eine Ahnung haben, wen sie hier vor sich hatte, so wäre sie gewiss nicht beleidigend. Verbittert? Als wäre ich verbittert!
»Was wäre Ihr Preis für die grüne Jadekette? Ich zahle das Doppelte, als Ihr hochgeschätzter Kunde.«
»Das geht nicht. Wie bereits gesagt, ein hochgeschätzter Kunde.«
»Gut, wie sie meinen.« Ich griff nach meinem Dolch, nahm ihn federleicht in die Hände und hielt ihn leicht an ihre Kehle gedrückt. Sie zitterte vor Schreck. »Wir hätten es auf die nette Weise regeln können, werte Dame. Also, her mit der grünen Jadekette.«
Zu meiner Verwunderung knurrte die alte Frau. »Ihr seid wirklich sehr verbittert, Diebin, dass Ihr sogar über Leichen gehen würdet, um diese Perlenkette zu bekommen!«
»Ich frage nicht noch einmal.« Die Klinge des Dolchs drückte ich fest gegen ihre Kehle.
»Oh, ein Dolch aus Drachenzahn, sehr interessant«, lachte die Frau laut auf. Sie zitterte gar nicht mehr und wirkte alles andere als eingeschüchtert.
»Sie zwingen mich dazu, den Dolch einzusetzen!«, fauchte ich und wünschte insgeheim meine Stimme klänge bedrohlicher, wenigstens ein bisschen.
»Ihr kennt die Händlerin Bodawauwau ziemlich schlecht.« Erneut lachte sie auf, diesmal höhnischer und finsterer. In der nächsten Sekunde war sie plötzlich verschwunden. Weg. Verpufft. Allein stand ich da, vor dem mit Waren befüllten Wagen. Kein Mensch konnte plötzlich verschwinden.
Ich verstand die Welt nicht mehr, bis ich geleitet von Wut den Wagen umstieß und der gesamte Inhalt auf den Boden landete. Auf dem Boden verstreut lagen nun Kräuter, Zaubertränke, Kreuze, Räucherstäbchen, Messer und Schwerter aus den verschiedensten Materialien. Verdammt! Diese Frau war keine normale Händlerin. Sie war eine Lieferantin für Monsterjäger! Kein Wunder, dass sie plötzlich verschwinden konnte, sicherlich nutzte sie irgendeinen Hexenzaubertrank. Entgeistert heftete ich den Dolch zurück an meinen Gürtel.
Natürlich wusste sie, dass dieser aus Drachenzahn bestand, schließlich kannte sie sich in dem Fachgebiet aus. »Jade! Du warst so nah dran!« Ich fluchte, schimpfte, und stieß mit den Fuß gegen den Wagen. Zum ersten Mal seit fünf Jahren entdeckte ich die Perlenkette meiner Schwester, nur um sie wenig später wieder aus den Augen zu verlieren. Sie war fast in meinen Händen. Vor lauter Hass, auf die Frau mit dem lächerlichen Namen Bodawauwau, warf ich einen Trank nach dem anderen zu Boden. Eine buntgemischte Flüssigkeit breitete sich zu meinen Füßen aus und verfärbte das anliegende Gras in eine tiefe Schwärze. Vielleicht war es ein wenig kindisch, die Güter der Händlerin zu zerstören, aber zur Beruhigung meiner Nerven tat es verdammt gut. Oh, die Frau schwebte sicherlich nicht in Gefahr, als die Vampire zum Tichan flogen. Der Gedankengang überkam mich, nachdem ich ein Kreuz zerbrochen und unzählige Eisenschwerter von der Klippe geworfen hatte.
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