Kapitel 1
Eisiger Nordwind strömte ins Innere der warmen Stube, vorbei an singende, vor Freude jauchzende Männer. Völlig im Einklang des melodischen Gesangs nahmen sie die Kälte kaum wahr. Halb vor Schaum übergelaufene Tonkrüge hoben sich zum Anstoß. Es wurde gejubelt und gefeiert, solange bis sie eintraten.
Sie, die Monsterjäger.
Bereits vor dem Öffnen der Tür konnte ich das klirrende Geräusch eines baumelnden Schädels wahrnehmen, das Säuseln des Windes, der immer und immer wieder einen schrillen Schrei des Entsetzens von sich gab. Denn wo sie auftauchten, folgte meist eine Tragödie.
Die Lieder verstummten, die Bierkrüge landeten mit einem lauten Krach auf dem Tisch, alle Blicke wanderten erstarrt in Richtung Tür.
Und dann traten sie ein. Ich sah sie zum ersten Mal, aber die Geschichten, die sich die Menschen überall von ihnen erzählten, die waren mir alle geläufig. Nicht allen Erzählungen über die Monsterjäger konnte ich Glauben schenken. Zumindest nicht jene, die vom bekanntesten Monsterjäger handelten, zu absurd schienen mir die ausgeschmückten Heldentaten. Dennoch verströmte jede einzelne Phrase einen fürchterlichen Nachklang.
Meine Hand verkrampfte sich um den Griff des Krugs, ein leichtes Frösteln lief mir über die Arme, als ich die Jäger genauer in Augenschein nahm. Der Größte unter ihnen war ein schaurig aussehender Mann. Sein schwarzes Haar strahlte tief wie die Nacht, während seine kobaltblauen Augen finster durch die Kneipe wanderten. Er wirkte unzufrieden, auf einer gewissen Weise teuflisch. In seinem Gürtel steckte eine Klinge, deren Spitze mit Blut übergossen war. Von welcher Kreatur jenes Blut stammte, wollte ich mir gar nicht erst erdenken. Hinter ihm erschienen drei weitere Männer, die ebenso mürrisch dreinblickten. Bis auf den Schwarzhaarigen trugen sie alle, für einen Wanderer gewöhnliche, Stoffumhänge. Eine beneidenswerte Tatsache, wenn man bedachte wie bitterkalt jene stürmischen Herbstnächte werden konnten. Mutter Natur verschonte kein Lebewesen, weder Monster noch Menschen.
Lediglich die breiten Schultern des Schwarzhaarigen umspannte ein schwarzer, dicker Pelz, der mit einer goldenen Spange über seine Brust zusammengehalten wurde. Zweifellos das Fell eines Werwolfs! Der Schädel, den ich zuvor von draußen gehört zu haben glaubte, hing leblos am Messerbund, der die Hüfte von einem der anderen Männer zierte. Unzählige Verbände verdeckten das Gesicht des Kopfes. Hierbei handelte es sich um keinen menschlichen Überrest. Dies bezeugten die hastigen Augenbewegungen unter dem Verband. Der Schädel lebte.
»Ares«, rief einer der Monsterjäger, an den Schwarzhaarigen gewandt. »Wie es scheint, ist sie nicht hier.«
Ares! Die Überraschung überwältigte mich dermaßen, dass ich fast vom Stuhl gefallen wäre. Ares war hier, der bekannteste Monsterjäger des Landes. Jener Berüchtigte. Wenn es schon viele Geschichten über die Monsterjäger gab, so handelten mindestens die Hälfte vom berühmten Ares. Er wurde in jedem Menschendorf als Held gefeiert. Nicht nur meine Wenigkeit überraschte sein Erscheinen. Der Wirt lief plötzlich mit vier Krügen bewaffnet auf die Männer zu und überreichte freudestrahlend jedem einzelnen einen. Er beglückwünschte sie, sprach seine größte Anerkennung für die Sache aus, wofür sie standen – das Wohl des Kaiserreichs. In diesem Augenblick schienen die Gründe, weshalb ein Trupp von Monsterjägern zu solch später Stunde eine Schenke aufsuchte, für jedermann unbedeutend zu sein. Nicht, aber für mich. So war es doch eine allgemein anerkannte Wahrheit, dass sich nachts die Monsterjäger an ihre Arbeit machten. Die Arbeit, die ihren Namen erklärte. Wenn sie also normalerweise draußen Monster jagen sollten, weshalb kehrten sie dann hier ein?
Ares nahm wortkarg das Bier an sich, mit einem verächtlichen Knurren sagte er an seinen Kumpanen gewandt, laut und deutlich: »Sie wird hier sein. Niemand traut sich uns zu hintergehen.«
Mit diesen Worten setzte er sich, gefolgt von seinen Kameraden an einem der größeren Tische, weit vom Bartresen entfernt. Da mein Platz genug Abstand zu ihnen hegte, konnte ich die Gruppe eingehend mustern. Normalerweise war ich Menschen gegenüber furchtlos, aber Ares besaß etwas, dass selbst mir einen winzigen Schauder versetzte. Wenn die Erzählungen stimmten, so machten sie keinen großen Hehl daraus, Monster ohne Wenn und Aber umzubringen. Dennoch, warum kamen sie hierher? Wie spitze Dornen bohrte sich diese Frage tief in meine Haut hinein. Waren die Jagdgebiete der Jäger nicht etwa an der anliegenden Grenze zum Reich der Monster? Soweit im Inneren des Landes bekam man sie üblicherweise nicht zu Gesicht.
Während ich meine Feinde von der Seite betrachtete, versuchte ich mir indirekt einen Fluchtplan zu überlegen. Ich musste meinen Reisegefährten warnen, der sich im Moment heimlich in der Speisekammer an aufbewahrtem Blut verging. Problemlos kam dieser durch die Hintertür in das Wirtshaus hinein, deshalb beschloss ich kurzerhand, schnellstens die Kneipe zu verlassen und mich heimlich durch die Hintertür zu schleichen. Mein Wissensstand über die genauen Vorgehensweisen der Jäger bestand aus zweifelhaften Ansammlungen, weshalb ich auf keinen Fall das Risiko eingehen konnte, entlarvt zu werden.
Mit einem Handzeichen rief ich die vollbusige Kellnerin zu mir, warf ihr eine Münze hin und sprang eiligst von meinem Platz auf. Zu meinem Glück zogen die Monsterjäger gerade so viel Aufmerksamkeit auf sich, dass ich mich unbemerkt Richtung Ausgang stehlen konnte. Wenige Meter trennten mich von der dunklen Freiheit der Nacht. Ich sah mein Glück bereits kommen, als plötzlich von draußen ein lauter Glockenschlag ertönte. Mit einem Satz brach meine ganze Welt zusammen. Ich war verloren.
Es kam, wie es kommen musste. Der Wirt war der erste Mensch, der die Haustür noch vor mir erreichte, in seinen Händen ein Eimer voll Ulde. Das Gemisch aus Salz, Tierblut und einer dritten – mir unbekannten – Zutat verteilte er gleichmäßig am Türrahmen, ebenso am Boden vor der Tür. Die Fensterrahmen übernahmen die Monsterjäger, die wie sich herausstellte, ebenfalls Ulde bei sich trugen.
Lange Zeit verbrachte ich bei den Menschen, um zu wissen, welche Bedeutung das Läuten der Glocken hatte. Monster waren hier. Hier im Dorf. Zum Schutz vor den Kreaturen schmierten die Menschen Ulde an jedes Fenster und jede Tür. Es wirkte, solange die rote Blutspur nicht um den Türrahmen hinweg unterbrochen wurde. Monster konnten nicht mehr in das Haus eindringen, hausten draußen wild umher, tobend auf der Suche nach Fressen, aber herein kamen sie nicht. Zu meinem Bedauern saß ich in einer Sackgasse, denn wie sollte ich die Kneipe verlassen können. Benommen quetschte ich mich durch die panische Menschenmenge, bis ich das Fenster erreichte. Von dort aus versuchte ich draußen die Art der Monster, die das Dorf heimsuchte, zu erschließen. Öffnen würde ich das Fenster gewiss nicht. Auch wenn die Monster nicht durch das Fenster kämen, so bestünde stets die Gefahr, dass ich dadurch die Aufmerksamkeit der Monsterjäger auf mich zöge.
»Welche Art, Nox?«, fragte Ares mit einer im Vergleich zur Lage beeindruckend ruhiger Stimme. Entgegen seines gelassenen Tonfalls glänzte sein Antlitz vor Kampfeslust.
Ein schlaksiger Junge, kaum älter als fünfzehn, trat auf Ares zu. Den Umhang hatte der Bursche abgelegt, weshalb mir erst jetzt seine zierliche Gestalt auffiel. Immer noch baumelte der mit Verbänden umhüllte Schädel am Hosenbund des Jungen. Dieser Nox schloss die Augen, unterdessen schwang der Kopf immer heftiger am Bund seiner Hose hin und her. Zweifellos kommunizierte dieser Junge mit ihm, nur wie? Zwischen Menschen und Monstern gab es keine Verbindung! Nox murmelte etwas vor sich her und sprach in Trance ähnlichem Zustand. »Vampire.«
Ares nickte, griff in seine Tasche und zog neben Holzpflöcken und Kreuzen, auch noch Knoblauch hervor. Weshalb er Knoblauch bei sich hatte, verstand ich nicht recht, denn Knoblauch galt bei den Vampiren als Delikatesse. Möglicherweise wollte er sie damit locken.
Bevor ich Zeuge einer Monsterjagd wurde, bevorzugte ich doch lieber, meinen unbekümmerten, in der Speisekammer verweilenden Freund aufzusuchen. Wenn seinesgleichen schon hier waren, sollte er es unter allen Umständen erfahren. Im Schatten des Aufruhrs wanderte ich langsam zur Tür, die zur Küche führte. Der Koch half dem Wirt mit dem Verteilen der Ulde, wodurch ich unbemerkt in die Speisekammer schlüpfen konnte.
»Issus!«, flüsterte ich verzweifelt, sobald meine Füße in der winzigen Speisekammer standen. Zeitgleich öffnete sich ein Topfdeckel und ein kleines Köpfchen schaute über den Rand hervor. Blut übergoss Issus' kupferbraunes, lockiges Haar.
»Jade! Siehst du nicht, dass ich einer Beschäftigung nachgehe!« Er schleckte sich Blut von seinen Lippen und wollte gerade wieder in den Topf zurückkehren, da packte ich ihn am Kragen. Issus war genauso groß wie meine Hand, trotzdem konnte er beträchtlich viel Blut trinken. Zum Glück war mein Reisegefährte schlau genug, frisches Blut nicht mit Ulde zu verwechseln. Ein Fehler, der schon einigen gierigen Vampiren das Leben gekostet hatte.
Empört versuchte er, mithilfe seiner spitzen Zähne, mir in den Finger zu beißen. Der Schmerz, falls man ihn so betiteln konnte, kam eher einem Juckreiz gleich.
»Hör auf! Wir sind eingesperrt, verdammt!«
»Eingesperrt?« Issus löste sich von meiner Haut. Zurück blieb ein rötlicher Schimmer, der auch von einer Mücke stammen konnte.
»Hast du nicht das Glockenläuten gehört?«
»Wie gesagt, ich war beschäftigt.« Beleidigt verschränkte er die Arme. Seufzend stimmte ich ihm zu. Wenn er einmal in Blutrausch war, nahm er nichts anderes mehr wahr.
»Vampire sind im Dorf eingedrungen. Ulde wurde bereits an den Ausgängen verteilt.« Eine kurze, prägnante Zusammenfassung der momentanen Umstände kam mir im Moment am sinnvollsten vor.
»Vampire?« Issus' Augen weiteten sich schockiert. »Weißt du aus welcher Familie?«
Ich schüttelte den Kopf. Issus biss sich in die Lippe, sein Blick fiel in die Küche.
»Der Kamin!«, kam es ihm sofort in den Sinn. In Windeseile hatte er sich in eine Fledermaus verwandelt, und flog zum Kamin. Tatsächlich befand sich keinerlei Ulde um den steinigen Sims der Feuerstelle. Dies war der einzige Weg nach draußen.
»Verschwinde, ich komme schon allein zurecht«, befahl ich. Mir war auf Anhieb klar, keinen Meter durch die drei handbreitgroße Öffnung zu kommen. Surrend umkreiste mich Issus mit seinen winzigen Flügeln. Er schien mit sich zu hadern, ob er ohne mich die Flucht ergreifen sollte. Lange überlegte er nicht, denn wenig später kehrte der Wirt mit der Ulde in der Hand in die Küche zurück. »Der Kamin!«, rief der Wirt entsetzt und stolperte an mir vorbei. Issus nutzte schleunigst die Gelegenheit, um die Flucht zu ergreifen.
»Was machst du hier, Göre! Geh in den Hauptraum zurück, wenn du überleben willst«, fauchte der pummelige Mann, während er das Blut gleichmäßig vor dem Kamin verteilte. Schweigend nickte ich und kehrte, sichtlich betrübt, in die warme Stube zurück. Das Chaos hatte sich ein wenig gelegt. Grund hierfür schienen die verschwundenen Monsterjäger zu sein.
Ich setzte mich wieder auf denselben Platz wie wenige Minuten zuvor und betrachtete etwas benommen die starren Menschengesichter, die trotz ihrer Ängste neugierig aus dem Fenster schauten. Wie gleich sie alle waren. Draußen beschützten die Jäger, mit dem Einsatz ihres Lebens ihresgleichen, während die Leute hier im Schutz der Kneipe, vor Lästereien fast überliefen.
»Seit zwei Jahren kam keine Kreatur in die Nähe unseres Dorfs und kaum besuchen uns diese Jäger, überfallen sie plötzlich unsere schöne Gemeinde.« Viele unterschiedliche Stimmen mischten sich unter, aber genau dieser eine Satz schien mir von allen anderen am deutlichsten die Affektiertheit der Menschen auszudrücken. In Gegenwart der Monsterjäger lobten die Dorfbewohner ihr Erscheinen, in den höchsten Tönen, doch hinter ihren Rücken wäre jeder gierig darauf, einen Dolch zu ziehen.
Hin und wieder trat der Wirt herein, brachte neues Bier, strich die Ulde sicherheitshalber nach, um dann wieder in der Küche zu verschwinden. Der Wirt hatte viel zu tun, denn heute Nacht würde keine Menschenseele das Gebäude verlassen, zumindest nicht vor Sonnenaufgang. Da ich möglichst wenig Aufmerksamkeit erregen wollte, fragte ich den Wirt nach einemfreien Zimmer. Bis zum Morgengrauen hoffte ich, die Stube endlich verlassen zu können ohne die Bekanntschaft der Monsterjäger machen zu müssen. Mit einemkleinen Preisaufschlag bekam ich schließlich ein schäbiges Zimmer. Den penetranten Gestank, aus einem nicht geleerten Nachttopf, ignorierend, legte ich mich auf das Bett. Nicht lange und ich schlief trotz der Härte des Betts und des widerlichen Gestanks ein.
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