
#20 - Der größte Fehler meines Lebens
„Ja klar, weil das so einfach ist, nicht dran zu denken", murmelte ich, doch Caro versetzte mir einen leichten Stoß mit dem Ellbogen, damit ich die Schnauze hielt, weil Leo und Pierre zu uns kamen – und das Letzte, was ich wollte, war, dass Pierre erfuhr, dass meine Gedanken um einen anderen kreisten.
„Na, ihr drei Hübschen?", sagte Leo und nahm Caro den kleinen Rafi aus den Armen, der sich wie ein Schnitzel freute, als er seinen Papa sah.
Pierre lächelte mich nur an, ansonsten blieb er neben Leo stehen.
Okay, ich brauchte jetzt eindeutig Alkohol, sonst würde ich den Abend nicht mehr überleben. Es war ja noch nicht einmal spät – leider –, das heißt, dieser Abend würde noch lange gehen.
Und ohne Alkohol war das hier nichts.
Kommentarlos machte ich mich also auf den Weg und lief über die lange Terrasse, bis ich um die Ecke bog, wo der Rest der Familien von Harry und Sam versammelt waren. Wir hatten gegrillt – besser gesagt: Sams und Leos Papa hatte gegrillt, denn er war der Master in der Familie – und jetzt saßen alle zusammen, redeten, lachten und tranken.
Überrascht stellte ich fest, dass Pierre mir nicht einmal gefolgt war, denn das hatte er sonst den Abend über getan. Als würde er die Leute hier nicht kennen. Er kannte sowohl meine (Sams) Familie als auch Harrys Familie, außerdem war er sozial kompetent und konnte sich mit jedem unterhalten.
Aber hier war er gerade echt komisch. Als würde er merken, dass die Beziehung eine Zeitbombe war, die schon eine rote, leuchtende Zeit aufgedrückt bekommen hatte und nicht mehr lange lief.
Vorhin hatte ich das erste Mal meine Ruhe vor ihm gehabt.
Sam, die zwischen ihrer Mom und Gemma, Harrys Schwester, saß, streckte den Arm aus, als sie mich sah und drückte mich fest an sich, kaum dass ich mich auch nur in ihrer Nähe befand.
„Alles okay bei dir?", fragte sie mich ein wenig besorgt und ich zuckte nur mit den Schultern.
„Hast du ein Glas Wein für mich?", war meine Antwort und Sam lachte.
„Wein?" Ich drehte mich um, als ich die Stimme meines Bruders Manu hörte. Er hatte die Augenbrauen skeptisch hochgezogen. „Also wenn, dann trinken wir Wodka-O, Schwesterchen. Nüchtern kommst du mir heute nicht davon."
„Darauf habe ich gezählt", gab ich nur trocken zurück.
„Hab ich da grad Wodka-O gehört?", rief auf einmal eine Stimme.
Wir schnellten alle herum und in der nächsten Sekunde war Sam schon schreiend aufgesprungen. Sie fiel der lachenden Ilona um den Hals, die ihre Arme genauso um ihre Dance Buddy schmiss.
„Niaaaall!", rief ich begeistert und drückte ihn fest an mich. Mensch, wie lange ich ihn nicht gesehen hatte!
„Hey Kleine! Gibt's dich auch noch", lachte er mir ins Ohr und strahlte mich an, nachdem er sich von mir gelöst hatte.
Jetzt ging die große Begrüßungsrunde los. Keiner hatte die beiden heute Abend erwartet, denn eigentlich hatten sie sich erst für morgen Vormittag angesagt. Ein wenig später erfuhr ich, dass – natürlich – Caro das Ganze eingefädelt und mit Ilona ausgemacht hatte.
„Wie geht's dir?", fragte Niall mich, als ich inzwischen den dritten Drink in mich reinkippte, während ich auf den steinernen Stufen, die von der Terrasse auf den Rasen führten, saß. Langsam fing mein Kopf an, sich zu drehen, und mein Herzschlag beruhigte sich langsam, da alles in meinem Hirn zu Brei verarbeitet wurde und somit diese vier Buchstaben – L, U, K und E – nicht mehr existent waren.
„Ging mir ehrlich gesagt schon besser", meinte ich schulterzuckend. „Und hilfreich ist es auch nicht, dass diese fucking australische Band eingeladen ist."
„Echt? 5SOS kommt morgen?"
„Keine Ahnung. Das weiß ich ja nicht."
„Wieso fragst du Sam nicht einfach?", schlug Niall verwirrt vor.
Ich wiegte den Kopf hin und her und seufzte, bevor ich antwortete. „Weil ich mir nicht sicher bin, ob ich es überhaupt wissen will. Ich kann's doch eh nicht ändern, egal ob sie kommen oder nicht."
„Hm. Was wäre dir denn lieber?"
„Keine Ahnung."
„Jana?"
„Ja?" Mein träger Blick wanderte zu Nialls hellblauen Augen. Er sah mich besorgt und ein wenig vorsichtig an.
„Was ist eigentlich zwischen Luke und dir passiert, dass ihr euch gegenseitig so meidet?"
„Wir meiden uns nicht", meinte ich entrüstet, doch Niall fuhr dazwischen: „Du hast seit fünf Jahren keinen einzigen 5SOS-Song mehr gehört, hat Harry mir erzählt. Das weiß er von Sam. Man darf die Band eigentlich nicht einmal erwähnen in deiner Nähe. Also erzähl mir nicht, dass du ihn nicht meidest."
„Okay, okay. Hast ja Recht."
Für einen Moment schwieg ich. Ich versuchte, meine angetrunkenen Gedanken zu ordnen.
Im nüchternen Zustand hätte ich niemals darüber geredet. Niemals. Aber Niall hatte den perfekten Zeitpunkt erwischt und ich sprach das erste Mal seit Jahren drüber. Das erste Mal seit Jahren dachte ich an diese Situation zurück.
Scheiße, ich war so jung damals. So verwirrt und einfach nicht ich selbst.
„Ich hab's komplett verkackt", brachte ich es auf den Punkt. Meine Stimme war resigniert. „Ich hab's komplett verkackt mit ihm. Ich war so verliebt in ihn, Niall, aber nicht so bisschen verliebt und fertig, nein, ich habe mich gesehen, wie ich mit ihm mein Leben verbringe."
Und endlich sprach ich es aus.
„Ich hatte Gefühle für ihn, eine Liebe, die ich nicht kannte. Ich war zu jung, um zu verstehen, was ich für ihn fühlte. Und deswegen bin ich davon gelaufen."
Wie gesagt – ich sprach das erste Mal seit Jahren drüber. Das erste Mal seit Jahren dachte ich an diese Situation zurück.
[2013]
Mit gerunzelter Stirn sah ich meine Cousine an.
„Ich kann das nicht."
Ich saß mit angezogenen Beinen auf einem der Küchenstühle in unserem Haus in München. Sam war vor zwei Stunden aus New York zurückgekommen, nachdem sie dort eine Audition für einen Tanzfilm gehabt hatte.
„Wieso nicht", kam von ihr, und sie ließ es nicht wie eine Frage klingen. Es war zu ernst.
„Ich ... ich ... ich kann damit nicht umgehen, Sam", flüsterte ich.
„Womit."
„Dass ich den ganzen Tag nur an ihn denke", sagte ich, und auf einmal wurde meine Stimme ganz laut. Zu laut. Ich sprang vom Stuhl auf. „Ich kann nicht den ganzen Tag an ihn denken und dieses schreckliche Gefühl von Sehnsucht in mir haben! Scheiße, ich bin 15, man, ich fühle mich, als wäre ich 25 und würde an meinen Verlobten denken und nicht an einen Sänger einer Band vom anderen Ende der Welt, den ich einmal geküsst habe und jetzt nur noch mit ihm schreibe!"
Das One Direction-Konzert, auf dem Luke und ich uns das erste und letzte Mal geküsst hatten, war exakt 3 Wochen, 2 Tage und 19 Stunden her. Seitdem hatte ich nur per Nachricht Kontakt mit ihm. Wie sollte es auch anders sein, er war überall auf der Welt unterwegs, während ich hier in Deutschland normal zur Schule ging.
Und trotzdem konnte ich nicht anders und sehnte mich so nach ihm. Es war ein Gefühl, das mich komplett zerriss, meine Welt auf den Kopf stellte, mich alles hinterfragen ließ und mir das Gefühl gab, nicht Herr der Lage zu sein.
„Du hast Angst", sagte Sam und griff nach meinem Unterarm, um mich wieder auf den Stuhl zu verfrachten. Widerwillig ließ ich das geschehen. „Du fühlst Gefühle für ihn, von denen du nicht gedacht hättest, dass du fähig für sie bist in so einem jungen Alter."
Damit hatte sie es auf den Punkt gebracht.
Mit Tränen in den Augen sah ich sie an und schüttelte leicht den Kopf.
„Ja. Und was mache ich jetzt?"
„Das musst du ganz alleine entscheiden."
„Und dann, Ladies and Gentlemen, habe ich den größten Fehler meines Lebens begangen", verkündigte ich Niall mit monotoner Stimme, ohne den Blick vom Boden vor mir zu heben, während die Erinnerungen an den Abend damals vor fünfeinhalb Jahren auf mich einprasselten.
Denn dann hatte ich Luke gesagt, dass ich das mit uns nicht konnte und ich nicht wollte, dass er mich jemals wieder kontaktierte und dass ich ihn nie wieder sehen wollte und er nie wieder in meinem Leben auftauchen sollte.
Bis vor ein paar Tagen hatte das auch perfekt geklappt, bis dieser dämliche Radiomoderator auf einmal angefangen hatte, von ihnen zu quatschen.
Gedankenverloren sah ich Niall an und kippte dann den Rest des Getränks in mich hinein.
„Ich habe fünf Jahre lang einen riesigen Bogen um die Band gemacht – kannst du dir das vorstellen, dass so etwas klappt? Ich ehrlich gesagt nicht. Aber es hat geklappt. Ich habe kein einziges Bild von ihnen gesehen, ich habe keinen einzigen Song jemals wieder gehört, kein Video gesehen oder sonst was." Ich hickste. „Und wenn ich ehrlich bin, wünsche ich mir, dass er morgen nicht kommt." Ich kniff die Augen zusammen. „Naja, oder ich wünsche mir, dass er kommt. Aber irgendwie soll er nicht kommen. Aber irgendwie schon."
„Du bist betrunken, Jana", grinste Niall.
„Uh-huh, angetrunken, aber leider noch nicht betrunken genug", erklärte ich ihm und rief dann: „Ey, Bro! Wo bleibt mein nächster Wodka-O?"
„Bist du die Queen oder was?", schoss Manu zurück, mixte mir aber trotzdem meinen nächsten Drink und kippte ihn aus dem metallenen Mixbecher in mein Glas.
„Danke. You're the best", sagte ich trocken und Manu und Niall lachten.
Ich lehnte mich seufzend gegen Nialls Schulter. „Manchmal weiß ich einfach nicht, was ich will. So bin ich einfach. Jetzt weiß ich wenigstens endlich, dass ich Pierre nicht mehr will."
„Na, immerhin schon mal etwas. Und was ist mit Luke?"
Ich hielt den Zeigefinger in die Höhe, dass er ein wenig auf die Antwort warten musste, und kippte das gesamte Getränk in mich hinein, ohne es einmal abzusetzen.
Wow, jetzt drehte es mich so richtig. Ich war jetzt über das Limit gegangen, das mir eigentlich ‚Stopp, das war genug Wodka, Jana' sagte. Na endlich.
„Wenn du mir sagen würdest, dass nicht Sam und Harry morgen Ringe austauschen, sondern Luke und ich, würde ich, ohne mit der Wimper zu zucken, zustimmen."
„Du würdest ihn heiraten, ohne zu zögern?"
„Keine Millisekunde würde ich zögern."
Niall brach in schallendes Gelächter aus. „Du bist so betrunken, Jana!"
„Jap, endlich", grinste ich und drückte ihm einen Kuss auf die Wange. „Endlich."
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