43. Sitzung
Ich ziehe die neuen Schuhsohlen meiner Vans absichtlich schnell und fest über die Fliesen der Praxis. Das gibt dieses quietschende Geräusch und ja, ich weiß wie kindisch das ist. Aber mir macht das Spaß – Jacqueline eher weniger. Genervt dreht sie in ihren Haaren und entweder ihr Push-Up leistet gute Arbeit oder aber ihre Brüste sind wirklich ein Körbchen größer geworden.
„Sind die neu?" frage ich stirnrunzelnd und kann den Blick nicht so wirklich davon abwenden. Carter, glotz da nicht so auffällig hin – andererseits hast du sie ja schon in Natur gesehen, was macht das also noch?
„Guck woandershin, Wichser."
„Dann präsentier es anders. Jetzt mal ernsthaft, Jacky; du kannst nicht einfach über Nacht deine Titten wachsen lassen und dann erwarten, dass mir das nicht auffällt. Erst recht nicht mit dem Ausschnitt."
Korrekt gesagt, Jack. Ihre Bluse hat schließlich noch ein paar Knöpfe, die sie verschließen hätte können. Sie provoziert es doch nur.
„Was stimmt nicht mit dir? Die sehen aus wie immer", gibt das Spears-Imitat genervt von sich. Sehen sie wirklich aus wie immer? Scheiße, das zeigt ja einfach mal wie hart die letzte Woche war. Ich meine, welcher normale Kerl würde sich sonst einbilden, dass die Brüste der Empfangsdame der eigenen Psychiaterin gewachsen wären? Es ist auch einfach überraschend schwer sich daran zu gewöhnen nachts zu dealen, tagsüber Superheld zu sein und dazwischen noch eine durchgeknallte Möchtegern-Bösewichtin zu schnappen.
Manhattan ist auch nicht mehr das, was es einmal war.
„Rückst du jetzt mal die Versicherungskarte raus oder willst du mir weiter auf die Titten starren?"
„Ich kann auch beides; gleichzeitig."
Ich stelle meine Aussage unter Beweis, schaffe es allerdings zusätzlich noch zu grinsen. Wer sagt denn, dass Multitasking nicht bei Kerlen funktionieren würde ist doch schon irgendwie ein Spast.
„Manchmal guck ich dich an und denk mir; der könnte noch für den Weltuntergang verantwortlich sein."
Ich grinse.
„Es ist so süß, wenn du nicht zugeben kannst, dass du in Wahrheit mit mir vögeln willst."
Sie rollt mit den Augen.
„Viel Spaß bei Elisabeth", erklärt sie bissig und gibt mir meine Karte zurück.
Als ich den Behandlungsraum betrete gähnt Lizzy gerade ausgiebig, versucht es allerdings sofort einzustellen. „Morgen, Jack", begrüßt sie mich. „Behandle ich heute Ihre zweite Persönlichkeit; Suicide?", fügt Bloomfield anschließend hinzu. Ihr Schreibtisch ist im Gegensatz zu letzter Woche mal wieder völlig leergefegt und bis auf ein Laptop, ein noch leeres Blatt Papier und meine zugeschlagene blaue Akte liegt da überhaupt nichts.
Normalerweise stand hier doch immer dieses ätzende Jenga-Spiel rum oder wenigstens ein Blümchen? Wo ist das hin? Na immerhin steht die Zimmerpflanze noch in der Ecke und das Meerjungfrauen-Bild hängt immer noch.
„Wie bereits erwähnt; auch wenn der Typ einfach mal einen scheiße coolen Namen hat und überhaupt klingt als wäre er der tollste Kerl der Welt. Ich weiß, das kann man schnell mit mir identifizieren, aber, Babe; ich bin nur Jack."
Das Ex-Supermodel schüttelt amüsiert den Kopf.
„Manchmal lügen Sie so gut, dass ich mir unsicher bin ob es nicht doch die Wahrheit ist und manchmal lügen Sie so schlecht, dass ich mir sicher bin, dass es Absicht ist. Also; versuchen Sie momentan nur mit mir zu spielen oder möchten Sie mir wirklich etwas erzählen?"
„Die Wahrheit würdest du doch gar nicht verkraften, Lizzy."
Was schlicht und ergreifend daran liegt, dass sie von Tag zu Tag blutiger wird – wie Kill Bill. Es fängt irgendwie harmlos an und plötzlich ist es ein Blutbad. Wobei 'plötzlich' falsch gewählt ist. Jeder der sich Filme von Tarantino ansieht weiß doch, dass mindestens einer richtig hart draufgeht. So ist das mit dem Superheld sein auch. Jeder der das beginnt müsste eigentlich nochmal über die Nutzungsbedingungen aufgeklärt werden. Und wäre vor zwei Wochen jemand zu mir gekommen und hätte gemeint 'Jack, bevor du anfängst Selbstjustiz auszuüben, musst du dir im Klaren darüber sein, dass dabei Leute draufgehen können und Menschen, die du gerne hast, könnten eventuell verletzt werden. Es könnte irgendein völlig abgedrehtes Weib mit Superkräften auftauchen und deine kleine Schwester verletzen – weil Superhelden anscheinend immer einen Bösewicht haben müssen'. Vielleicht hätte ich dann nochmal über die Sache nachgedacht. Vielleicht würde ich dann momentan nicht so in der Scheiße stecken.
Was macht ein Jack Carter um vier Uhr morgens? Nicht schlafen. Stattdessen kalten Kaffee trinken und die Katze anstarren – oder beobachten. Nichts ungewöhnliches, mach ich schon des öfteren, wenn ich von der Straße zurück komme. Und was erwartet man um diese Uhrzeit überhaupt nicht? Richtig. Die kleine Schwester – verletzt – und ihren neuen Freund – der sich vor Angst fast in die Hose scheißt.
Es hämmerte also an der Tür, gelassen hab ich diese geöffnet und starrte zwei pitschnassen Teenager gegenüber. Rick – der Snowboarder, der irgendwie aussieht wie eine bessere Shaun White – hatte Vio mehr oder weniger in den Armen liegen. Die war wiederum bewusstlos, aber das viel mir erst auf den zweiten Blick auf. Denn da war eine goldene Schramme, die sich über ihren Bauch zog und um die herum war das schwarze und viel zu kurze Kleid extrem gerissen.
'Ich sollte echt mal schlafen', murmelte ich eher zu mir selbst, als zu den beiden – oder wohl besser gesagt; zu Rick. Dem kamen fast die Tränen und das was er dann herausbrachte war nur Gestottere. Einer hübschen Frau, die grade vergewaltigt wurde kann ich das vergeben. Aber einem Siebzehnjährigen, der offenbar was mit meiner kleinen Schwester hat und sich aufführt wie ein Weichei? Nein, ganz sicher nicht.
'Ich wusste nicht wohin', erklärte er mir. Ja klar, wohin denn sonst mit der skurril verletzten Vio? Bloß nicht zu den Ärzten, am besten zu Jack – dessen anatomisches Wissen sich entweder auf die eigene Unsterblichkeit bezieht oder aber auf weibliche Geschlechtsmerkmale. 'Gehts ihr gut?', hab ich daraufhin gefragt und war irgendwie zu verwirrt um besorgt zu sein. Hab Rick dann angewiesen, sie auf die Couch zu legen und bei ihr zu bleiben. Ich selbst bin zur gegenüberliegenden Haustür gegangen und hab Wade – und Olivia – aus dem Schlaf gerissen.
Ein paar Minuten später starrten wir vier dann den goldenen Kratzer an. 'Ihr Atmung sieht normal aus', bemerkte Olivia und runzelte die Stirn. 'Ich bin mir nicht sicher, ob die im Krankenhaus was ausrichten können. Ich meine; das sieht aus als wäre Wolverine an ihr dran gewesen', gab Wade hinzu. Ich hingegen raufte mir nur durch die Haare und starrte durch Rick hindurch.
'Was ist denn überhaupt passiert?', fragte die blonde Freundin meines besten Freundes schließlich an das Weichei gewandt. Und der legte – natürlich immer noch stotternd – los.
Er war mit Vio auf irgendeiner Art Verbindungsparty der NYU in East Village gewesen, die beiden hätten sich aber verdrückt und wären in einer Gasse gelandet. Natürlich nicht mehr nüchtern – was das Ganze gleich mal an einen echt schlechten Teenager-Horror-Film erinnern lässt. Rick erzählte, dass sie dort dann auf Jill getroffen wären – das Weib, über das ich letzte Woche noch zufällig was neben meinem eigenen riesigen Titelblatt-Artikel gelesen hatte.
Sie hätte so eigenartige Gold-Plasma-Kugeln abgefeuert, aber beim ersten Mal absichtlich verfehlt. Laut Ricks Aussage trug sie einen Hosenanzug und irgendwie war ihre Haut mit Goldstreifen getigert – ihre Haare ganz gold und ihr Gesicht hat er nicht erkennen können. Die beiden hatten laut seiner Aussage weglaufen wollen, dabei wäre Vio gestolpert und dann hätte diese Jill ihr das da verpasst. Meine Schwester hatte vor Schmerz aufgeschrien und hätte anschließend das Bewusstsein verloren.
Dann ist die Dame aus Gold verschwunden.
'Ich hab letzte Woche was über die in der Times gelesen', erklärte ich daraufhin und zog mir eine Kippe raus. Irgendwie tat es gut angesichts Vios Zustands mal nicht die Nerven zu verlieren und das stattdessen Rick zu überlassen. Vielleicht lag das auch daran, dass die erste Lektion die man als Superheld lernt die ist, dass man keine Panik schieben darf.
'Rick; du bringst Vio in Jacks Bett und bleibst so lange bei ihr bis sie aufwacht. Achte auf ihre Atmung. Irgendwie wirkt es nicht so als wäre sie bewusstlos; eher als würde sie schlafen. Und Jack; du bist derjenige von uns der unsterblich ist. Fass den Kratzer mal an und guck was passiert', befahl Olivia. Ich hasse sie und diesen Tonfall. Als wären wir bei der Army.
'Mach du doch', grummelte ich demnach zur Antwort. 'Gott, Carter. Sei einmal in deinem Leben erwachsen. Außerdem ist das Hier deine Schwester', argumentierte Jones.
'Und es ist deine Idee das anzufassen. Was ist wenn es ansteckend ist und ich meine Hand wie Anakin Skywalker verliere?'
'Mir wäre es ja lieber, wenn du deine Klappe verlieren würdest.'
'Mir wäre es lieber, wenn du überhaupt nicht existieren würdest.'
'Pubertärer Soziopath.'
'Eingebildetes Miststück.'
Olivia wollte etwas erwidern, wurde aber schon von Wade unterbrochen bevor sie es überhaupt aussprechen konnte. 'Und während ihr beide euch killen wollt hab ich herausgefunden, dass der Kratzer ungefährlich ist und sich anfühlt wie eine Goldplatte. Ist spiegelglatt', erklärte Kinsella uns beiden.
„Und wie lautet die Wahrheit?", hakt Elisabeth nun nach. „In New York wimmelt es nur so von Freaks." Sie seufzt. „Kommen Sie schon, Jack", quengelt das Ex-Supermodel. Irgendwas ist da in ihrem Blick – sieh nach Vorfreude auf ein Weihnachtsgeschenk aus.
„Vor ein paar Wochen hast du mir damit gedroht mich in den Knast zu stecken, wenn ich hier nicht erscheine. Nehmen wir also mal an ich wäre Suicide – ganz hypothetisch – dann würde ich es dir aus diesem Grund nicht erzählen. Du könntest es als Druckmittel gegen mich verwenden und wenn ich – ganz hypothetisch – Suicide wäre, dann würde die Geschichte definitiv im Knast enden. Selbstjustiz ist nämlich strafbar."
Dann mein Lächeln und darauf folgt Stille.
'Hier steckst du', begrüßte mich Olivia abfällig, als sie mich auf der Feuerleiter fand. Gelassen ließ sie sich neben mir auf der Treppe nieder und nahm ohne zu fragen eine der Kippen.
'Was willst du hier, Jones?'
'Ich will schon was länger mal mit dir reden. Irgendein Spast hat in letzter Zeit meine Fälle an sich gerissen und ohne Rücksicht auf den ganzen Juristen-Scheiß, die Typen die ungerechtfertigt auf Kaution draußen waren hinter Gitter gesteckt. Dabei ist das mein Job.'
Sie zog an ihrer Zigarette und fuhr dann fort.
'Ich wollte es vor Wade nicht sagen, weil ich mir nicht sicher bin wie viel du ihm erzählst hast; aber Suicide ist bisschen zu offensichtlich als Name.'
'Was meinst du?'
'Die Ironie dahinter. Der Unsterbliche nennt sich selbst Selbstmord. Hat was. Und auch wenn du als Mensch eine echte Katastrophe bist. Du hast in den letzten beiden Wochen echt was geleistet.' Sie nahm noch einen Zug, presste die Lippen aufeinander und sagte den nächsten Satz wesentlich leiser und undeutlicher.
'Respekt dafür.'
'Was hast du gesagt?', grinste ich und spürte kurz darauf bereits ihre Faust gegen meine Schulter schlagen. 'Wenn du das Miststück, dass Vio so zugerichtet hast schnappen willst; ich kann dir helfen.'
'Willst du mein Morgan Freeman werden?'
Ich runzelte die Stirn und Olivia zuckte mit den Schultern.
'Du darfst mir nicht sagen das du es bist – sonst bin ich dazu verpflichtet dich verhaften zu lassen. Aber diese Frau hat nicht nur Vio verletzt und sondern schon mehre Morde begannen. Also; ich besorge die Unterlagen und Suicide erledigt die Drecksarbeit?'
'Ich glaube, Suicide hat nichts dagegen die Drecksarbeit zu erledigen.'
Elisabeth schnalzt mit der Zunge und scheint mit der Antwort mehr als nur unzufrieden. „Also werden Sie weiter so tun, als wäre das nichts?", fragt Bloomfield nach. „Es ist ja auch nichts", gebe ich zurück. Ich sollte das Thema wechseln. Blöd, dass mir auf Anhieb nichts einfällt. Mein komplettes Hirn ist momentan auf diese Superhelden-Sache ausgelegt. Komm schon, Carter. Streng dich an; irgendwas muss dir einfallen.
„Kerry heiratet in etwa fünf Wochen", platzt es schließlich aus mir heraus. Perfekt, nichts lenkt die mehr ab als mein Liebesleben – war doch schon immer so.
„Wie gehen Sie damit um?"
„Ich würde sagen, dass ich momentan genug Ablenkung habe, um es zu ignorieren."
Scheiße, du bist einfach mal abnormal schlecht darin das Thema zu wechseln.
„Hat sie sich seit Ihrer Aktion nochmal gemeldet?"
„Nein."
Ist auch besser so. Das letzte was ich jetzt gebrauchen kann ist ein Hin und Her mit Kerry. Und ich bin froh, dass sie es wie üblich einfach durchhält mit dem 'auf nimmer Wiedersehen'. Das erleichtert mir einiges.
„Meine Selbstmord-Rate ist übrigens auch gesunken."
Noch mehr 'positive' Nachrichten für dich, Babe.
„Das glaube ich. Wenn man wenig Zeit hat, verschwendet man nicht so viele Gedanken an eine innere Leere. Hilft Ihr neues Hobby auch gegen den Drogenkonsum?"
Ich muss lachen. „Ich probier' es in fünfzig Jahren mal ohne." Darauf ein breites Grinsen. Bloomfield hat sich genauso wie letzte Woche keine Notizen gemacht. Vielleicht aus den selben Gründen, wieso Kerry in ihrem Artikel mit keinem Wort das blaue Blut erwähnt hat? Ob alle Superhelden so auf ihre 'Kontakte' angewiesen sind? Batman auf jeden Fall und sämtliche Avengers haben S.H.I.E.L.D. Sogar die Ninja Turtles wären ohne Splinter oder April aufgeschmissen. Da fällt mir ein, dass ich mit meinen Turtles heute Nachmittag auf dem Stützpunkt zum 'Training' verabredet bin. Aber eigentlich gammeln wir nur in dieser riesigen für die Tests bereitgestellten Halle auf dem Hindernisparcours herum und machen den selben Scheiß, den wir sonst per Whatsapp machen. Diese Suicide-Geschichte behalte ich vorerst aber für mich. Hab da nicht so den Drang, den X-Men beizutreten.
„Sie sind wieder so schweigsam, Jack."
„Es gibt einfach zu wenig zu erzählen."
Echt guter Witz, Carter.
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