40. Sitzung
Es gibt einen ganzen Haufen Dinge, von denen man nicht geweckt werden will; schnarchen, lachen, Musik, Feuer, eine Katze, die sich einem auf die Eier legen will. Doch das mit Abstand nervigste ist die Türklingel. Dieser komische Laut, der einen wie aus dem Nichts aggressiv macht.
„Jack", murmelt die Frauenstimme neben mir. „Ignorier es einfach", antworte ich mit geschlossenen Augen, dreh mich von ihr weg und zur Wand hin. Blöderweise hört das Geräusch nicht auf und auch wenn ich langsam wieder in die Traumwelt hinabdrifte, so geht es der Dame hinter mir anders.
„Das mit dem Ignorieren funktioniert nicht so wirklich."
Im Gegensatz zu mir klingt Vanessa hellwach – ich bin nicht so der Fan vom wach werden.
„Das ist jetzt nicht meine Schuld", murmle ich eher in das Kissen hinein. Von ihr gibt es daraufhin ein genervtes Seufzen. Ich dreh mich wieder zu ihr um und lächle sie an.
„Ich kenne da eine gute Methode um es zu überhören."
„War mir klar", flüstert Vanessa während ich mich schon über sie beuge und sie kurz darauf bereits küsse. Ich für meinen Teil hätte auch einfach weiter schlafen können, theoretisch. Praktisch wäre das nicht machbar gewesen und das würde weiß Gott nicht an der Klingel liegen, sondern an Vanessa, die mich zu Tode nerven würde – ich bin auch nicht so der Fan von morgendlichem Stress.
Ich bin also grade dabei sie und mich vor einer Meinungsverschiedenheit zu bewahren, da wird das bis vorhin noch wiederholte Klingeln zu einem durchgehenden Klingeln.
„Klingt nach Bullen. Soll ich aufmachen?" Vanessa sieht mich fragend an. Sie kennt sich mit solchem Zeug aus – als Polizistin muss man das vermutlich auch. „Danke, Babe", antworte ich fast schon erleichternd lächelnd und rolle mich von ihr runter. „Kein Ding. Ich zieh mir aber trotzdem das Shirt von dir an – kein Plan wo meins ist." Sie lacht, steht auf und verlässt das Zimmer in Unterwäsche und meinem schwarzen Sum41-Shirt.
Zum Glück sind die Wände hier extrem dünn und so kann ich ziemlich genau hören, wie sie die Haustür öffnet und sich mit jemandem unterhält. Eine Frauenstimme. Eine sehr bekannte Frauenstimme. Scheiße – ich weiß wer das ist.
„Das ist die Wohnung von Jack Carter, oder?"
„Kommt drauf an wer Sie sind."
Vanessa hat einen abfälligen Tonfall aufgesetzt.
„Dr. Elisabeth Bloomfield. Seine Psychiaterin."
Lizzy klingt aber nicht gerade nett – überrascht mich jetzt nicht wirklich. Ich hab die letzten zwei Wochen nämlich Therapie geschwänzt oder wohl eher wirklich beschlossen, dass es mir am Arsch vorbei geht was sie zu sagen hat.
„War ja klar, dass er irgendein Problem hat. Haben Sie irgendeinen Ausweis oder so etwas, was bestätigt wer Sie sind?"
Deswegen schläft man mit einer Polizistin – mal ganz abgesehen von ihren wundervollen Titten, ist die ziemlich hartnäckig wenn es um die Beweise für irgendwelche Identitäten geht.
„Ist Jack da?"
„Haben Sie einen Ausweis?"
Andererseits hat Vanessa leichte Aggressionsprobleme, was im Bett ja echt nicht schlecht ist. Aber ich will jetzt nicht wirklich, dass sie es drauf anlegt. Also werfe ich die Bettdecke beiseite, stelle fest dass es außerhalb davon wesentlich kälter ist und will wieder zurück. Soll sie es doch drauf anlegen. Oder? Moment – nein.
Dumme Idee, Carter. Also beweg deinen Arsch in den Flur.
Hast Recht. Ist zu früh für einen Bitch-Fight.
Müde und nur mit halb geöffneten Augen schleife ich mich in Boxershorts also durch das Wohnzimmer in den Flur, gähne extra nochmal. So um auszudrücken wie müde ich bin und wie ungern ich geweckt werde.
„Was los, Babe?"
An welche von beiden das jetzt gerichtet ist weiß ich nicht genau und ist mir ehrlich gesagt auch ziemlich egal. Immerhin fühlt Vanessa sich angesprochen. „Wusste gar nicht, dass du in Therapie bist", bemerkt sie und zieht die Augenbrauen fragend hoch. „War in Therapie. Jetzt bin ich kerngesund", erkläre ich ihr und werfe Elisabeth einen arroganten Blick zu. Natürlich reicht das an Provokation noch lange nicht, also ziehe ich Vanessa zur mir heran und schiebe ihr meine Zunge in den Hals. Die weiß erst nicht so recht wie sie reagieren soll, erwidert den Kuss aber und legt ihre Arme um meinen Nacken. Hach ja, Knutschen vor anderen Leuten hielt ich schon immer für eine tolle Idee – hauptsächlich weil sich diese Menschen dann prinzipiell fehlplatziert fühlen und das ist genau das Gefühl, was ich Bloomfield vermitteln möchte.
Sie hat nichts vor meiner Haustür verloren.
Nachdem sich Vanessa nach gefühlten Minuten – vielleicht sind es auch wirklich Minuten gewesen – von mir gelöst hat, räuspert sie sich verlegen und sieht kurz verunsichert zwischen mir und dem Ex-Supermodel hin und her.
Irgendwie ist es stickig – so eine unangenehme Stille und Lizzy scheint Vanessa nicht wirklich zu mögen. Sagt jetzt zumindest ihr eisiger Blick aus. Aber meine super tolle Polizistin lässt das ziemlich kalt und lächelt mich viel lieber an.
„Also ich tausch dein T-Shirt mal gegen mein eigenes und verschwinde", erklärt sie laut und flüstert mir zu. „Letzte Nach war ganz nett, aber ich bin mir ziemlich sicher dass du das noch besser kannst." Ich grinse, sehe ihrem wirklich tollem Hintern hinterher und erst als sie außer Sichtweite ist wende ich mich an Elisabeth.
„Babe, ich würde ja echt gerne mit dir schlafen, aber das wäre gegenüber Nessa unhöflich und irgendwie bist du mittlerweile nicht mehr so heiß, wie ich früher dachte."
Ich lehne mich gegen den Türrahmen. Wo befindet sich wohl die nächstgelegene Kippenschachtel? In meiner Jackentasche oder ist die im Schlafzimmer? Wenn ich die schon wieder in der Jeans gelassen habe und die wieder mal bei der Reinigung gelandet ist bin ich angepisst. Das bedeutet nämlich, dass ich diesbezüglich blank bin und wenn man sich da einmal hineinsteigert hat ist alles gelaufen. Da würde man sogar anfangen einen nassen Stummel auf dem Gehweg aufzuheben und den zu rauchen.
Beschissenes Nikotin, mit dem ich mich irgendwie immer gelassener fühle.
„Normalerweise macht eine Psychiaterin keine Hausbesuche."
„Na dann, schön dass du mich besucht hast. Wenn du irgendwen neues therapieren willst; da drüben wohnt Olivia."
Ich nicke zu dem dunkelbraun lackiertem Sperrholz gegenüber von mir und will derweil die Haustür wieder zu schlagen, allerdings klemmt Elisabeth ihren Fuß dazwischen.
„Jack, ich wäre dafür dass Sie mich reinlassen. Anderenfalls bin ich gezwungen Sie verhaften zu lassen, weil Sie gegen Ihre Bewährungsauflagen verstoßen."
Verdammte Scheiße.
Genervt öffne ich ihr wieder die Tür und sehe Ex-Supermodel-Psycho-Doc böse an.
„Ich hasse Sie, Lizzy."
In den Moment kommt Vanessa in den Flur und sucht ihre Highheels zusammen, zieht sie sich an und gibt mir einen letzten innigen Kuss, bevor sie mit einer ziemlich dürftigen Verabschiedung gegenüber Elisabeth die Treppe runter verschwindet.
„Wo ist Violett?", fragt die Frau mit Pony als sie sich in meinem Flur umsieht. Von hier gibt es links eine Tür zur Küche, gerade aus die Tür zu Wades beziehungsweise Vios Zimmer und dann noch rechts den Tür-Bogen zum Wohnzimmer. Ansonsten muss ich sagen, dass der Flur eigentlich relativ leer steht. Abgesehen von den Kisten in der Ecke zwischen Haus- und Küchentür. Und das Metallregal, das mit allem möglichen Zeug gefüllt ist – hauptsächlich Alkohol. Ansonsten gibt es dann noch ein paar Bücher, die dienen aber als Koks-Versteck. Und die Wände sind aus unerfindlichen Gründen beige. Na gut, ich und Wade waren einfach zu faul zum streichen.
„Schon mal nicht im Flur", gebe ich desinteressiert zurück. „Aber ja, kommen Sie ruhig rein und fragen Sie bloß nicht nach. Das ist überhaupt kein Hausfriedensbruch."
Elisabeth ignoriert es, öffnet ihren der Wandfarbe ähnelnden Trenchcoat und geht ohne zu zögern ins Wohnzimmer. Der mir Abstand netteste und tollste Raum in dieser Wohnung. Das liegt an der großen grauen Couch mit der gigantischen Ansammlung von Kissen, an dem Bar-ähnlichem Schrank – natürlich ebenfalls mit Unmengen an vollen bis knapp leeren Flaschen gefüllt. Ansonsten gäbe es da noch das provisorisch zusammengebaute Bücherregal, bestehend aus Kisten und Holzbrettern und nicht zu vergessen den Flatscreen. Daneben wirkt meine Xbox irgendwie echt klein.
„Ordentlicher als ich erwartet habe", bemerkt Elisabeth überrascht und ich bin wirklich bemüht ihr nicht an die Gurgel zu gehen. „Sollen wir eine Wohnungsbesichtigung draus machen oder willst du einfach sagen weswegen du hier bist, Babe?"
Sie lehnt sich gegen die Couch und sieht mich ernst an.
Wo zur Hölle sind meine Kippen?
„Nach dem Sie den ersten Termin versäumt haben sah ich das ehrlich gesagt als weitaus weniger tragisch. Hauptsächlich weil ich der Meinung war, dass Sie etwas Zeit bräuchten um sich von der Niederlage mit Kerry zu erholen. Nach dem zweiten Termin bat ich Jacqueline Sie zu erreichen, doch Sie haben die Anrufe ignoriert und so blieb mir nichts anderes übrig als Hier zu stehen."
„Ja, in den Hamptons ist der Empfang schlecht. Vor allem während einer Beerdigung, auf einem Friedhof. Tschuldige, Lizzy", merke ich mich gehörig viel unangebrachtem Sarkasmus an. Irgendwann gewöhnt man sich daran sarkastisch zu reden und dann hat man das automatisch viel schlechter unter Kontrolle – klingt halt irgendwie permanent so.
„Wer ist gestorben?", fragt Elisabeth und plötzlich klingt sie nicht mehr vorwurfsvoll sondern besorgt.
„Mein Vater – hatte an Ostern einen Autounfall."
„Waren Sie an dem Tag bei Ihrer Familie?"
„Seh ich so aus, als wäre ich da gewesen?"
Ich zieh die Augenbrauen abfällig hoch. Okay, Carter. Denk nach. Wann hast du das letzte Mal geraucht und wo warst du da? Im Schlafzimmer schon mal nicht. Im Bad ist rauchen irgendwie seltsam und im Wohnzimmer sind sie anscheinend nicht. Also entweder Küche oder Feuerleiter.
„Das muss Sie verletzt haben."
Ich zucke mit den Schultern und bewege mich aus dem Wohnzimmer in die Küche. Der Ort, an dessen einem Ende alles mit hübschen kleinen grünen Pflänzchen in Blumentöpfen überhäuft ist.
„Jack, verzieh dich vom Tisch", grummle ich ein erschrecktes und mittlerweile echt fett gewordenes 'Kätzchen' an und schubse es unsanft auf die Fliesen. Die Küche ist beige und war schon bei unserem Einzug drin. Einzig der rote Herd und der rote Kühlschrank entsprangen einer Nacht mit Online-Shopping und extrem viel Gras, als ich und Wade gerade mal eine Woche in Manhattan wohnten und beides noch nicht hatten – also Herd und Kühlschrank. Gras und Online-Shopping war hingegen schon immer unser Ding. Ansonsten ist nur noch der grün-weiß gestreifte Teppich erwähnenswert und die nach Alphabet geordneten Alkohol-Flaschen auf den Arbeitsplatten.
Wie zu erwarten folgt Lizzy mir, aber das juckt mich reichlich wenig. Denn neben Little Jack liegt die Marlboro-Schachtel samt Feuerzeug.
„Es hat mich nicht wirklich was gekümmert", erkläre ich Bloomfield nach dem ich mir meine Morgen-Zigarette angezündet habe. „Kaffee .. oder Gras?", biete ich ihr daraufhin gastfreundlich an, doch natürlich schüttelt das Ex-Supermodel den Kopf. „Nein, danke."
„Jack, Ihnen droht Gefängnis wenn Sie die Therapie weiterhin verneinen."
„Und das interessiert dich?"
„Ehrlich gesagt; nein. Aber ich weiß, dass Sie durchaus an Ihrer Freiheit interessiert sind und das funktioniert nicht, wenn Sie die Termine nicht wahrnehmen."
Ich ziehe erneut an der Kippe.
„Ich glaub nicht dran, dass es funktioniert."
„Sie trennen nur noch neun Sitzungen von erfüllten Bewährungsauflagen. Danach sind Sie frei. Wollen Sie sich das jetzt ernsthaft kaputt machen, weil Sie Ihren Selbsthass auf mich projizieren? Und das nebenbei gesagt völlig grundlos. Kerry hat Ihnen gesagt, dass sie Sie liebt und Sie sind jetzt wütend weil Sie ihr nicht sagen konnten was Sie für sie fühlen? Jack, das können Sie immer noch nachholen", versichert sie mir.
Ich schüttle den Kopf.
„Nein. Es ist schließlich nicht das erste Mal, dass ich ihr das Herz breche. Ich mache das ständig. Also ist es wohl besser wenn ich diese ganze Beziehungs-'Ich liebe dich'-Scheiße lasse. Ich kanns halt nicht. Dann also Single für die Ewigkeit – steht mir eh viel besser."
Elisabeth seufzt, setzt sich auf einen der Stühle und mustert mich. Dass ich immer noch nur Boxershorts trage lässt sie irgendwie vollkommen kalt. „Wenn Sie meinen", entgegnet sie dann auch noch ungewohnt desinteressiert. „Weswegen sind Sie hier, Lizzy?", frage ich erneut nach und meine Psychiaterin zuckt mit den Schultern.
„Als ich vorhin vor Ihrer Tür stand hab ich ernsthaft überlegt ob das Hier nicht der pure Eingriff in Ihre Privatsphäre wäre und wieso es mich interessiert, ob Sie nach Ihrer Aktion jetzt ins Gefängnis kommen oder nicht. Wissen Sie wieso ich hier bin?"
„Babe, ich kann innerhalb von zwei Monaten nicht noch von einer dritten Frau hören, dass sie mich liebt."
„Keine Sorge, Jack. Das hatte ich nicht vor zu sagen. Erinnern Sie sich an unser Gespräch auf dem Dach und daran, dass ich Sie daraufhin einweisen ließ?"
Ich nicke langsam, nehme mittlerweile den letzten Zug und drücke die Zigarette dann auch schon im Aschenbecher aus.
„Damals ging es darum, dass Sie erfahren was Ihr Verhalten für Konsequenzen mit sich bringt. Es funktioniert nun mal nicht immer wieder zu rebellieren. Nach unserer letzten Unterhaltung hat es etwas gebraucht bis ich begriffen habe wieso Sie wirklich sauer auf mich waren"
Sie lächelt.
„Sie vertrauen mir, Jack."
Als ob.
„Das was ich über Ihren Fortschritt gesagt habe, das haben Sie mir geglaubt. Und jetzt haben Sie das Gefühl ich hätte Sie angelogen – wie ein Kind um Süßigkeiten betrogen. Ich bin hier um mich dafür zu entschuldigen."
Okay, das war doch jetzt irgendwie überraschend oder es ist ein Psycho-Trick? Ich drücke mich von der Küchenzeile weg und geh auf Elisabeth zu, stütze mich auf dem Tisch ab und bin dann 'plötzlich' ganz nah vor ihrem Gesicht. „Du willst dich wirklich entschuldigen, Babe?", flüstere ich ihr zu und kann mir mein altbekanntes arrogantes Lächeln nicht verkneifen. „Wade hat gesagt, dass Sie zu den Guten gehören würden, Jack. Und ob Sie wollen oder nicht; ich gebe ihm da vollkommen Recht. Wir wissen beide, dass das Hier alles nur Show ist", gibt sie leicht verunsichert zurück.
„Irgendwie macht es Spaß sich jede Woche auf's neue anzusehen, wie Sie glauben mich zu verstehen."
„Es macht auch Spaß Sie jede Woche auf's neue zu durchschauen."
Sie lächelt.
„Wirklich? Und was denk ich gerade?"
„Zum Einen fragen Sie sich ob ich jetzt mit Ihnen schlafen würde und zum Anderen .."
Elisabeth räuspert sich, zieht ihr Gesicht zurück und grinst mich an.
„Und zum Anderen wissen Sie ganz genau, dass Sie nächste Woche wohl oder übel wieder vor meinem Schreibtisch sitzen werden. Ob wir über den Tod Ihres Vater und die offensichtliche Abwesenheit von Violett reden werden ist Ihnen überlassen."
Sie steht auf, knöpft ihren Trenchcoat wieder zu und mustert mich erneut.
„Es gibt einen meilenweiten Unterschied zwischen einem Gefängnisaufenthalt oder fünfundvierzig Minuten vor mir zu sitzen. Vergessen Sie das nicht, Jack."
Dann lässt sie mich einfach in der Küche stehen und verschwindet mit einem genauso arroganten Lächeln, wie ich es nur von mir kenne.
Das Miststück ist mal wieder verdammt gut gewesen – ich glaub, ich will sie doch noch vögeln.
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro