36. Sitzung
Wieso passieren die ganzen komischen Sachen eigentlich immer Typen wie mir? Den gutaussehenden Arschlöchern, die in Liebes-Komödien immer am Ende ihre Liebe des Lebens im Regen von dem Idioten zurückerobern und anschließend glücklich bis an ihr Lebensende auf Hawaii Kinder machen.
Wieso passieren die ganzen komischen Sachen nicht mal diesen vierzehnjährigen Möchtegern-Boygroups? Wieso bekommen ihre Freundinnen keinen Nervenzusammenbruch? Wieso erfahren die nie, dass ihr Vater definitiv ein genauso großes Arschloch war, wie sie selbst und es allerdings auf die Reihe bekommen hat, seine Gene an noch drei weitere Kinder zu verteilen – von denen man bis dato nichts wusste?
Wieso läuft ihr Leben gut und meins Amok?
„Sie sehen gar nicht gut aus", betont das Ex-Supermodel genauso besorgt wie letzte Woche.
„Erstens; selbst wenn ich beschissen aussehe, sehe ich verdammt gut aus. Zweitens; was ist aus dem 'guten Morgen' geworden? Und drittens; ich hab beschlossen schwul zu werden. Diese Arschfick-Nummer ist eh nur so ein Gewohnheitsding."
„Hm."
Ist das jetzt ihr Ernst?
„Klingt nach einer schlechten Woche."
„Ach na ja. Aus den X-Men wurden die Ninja Turtles und ich hab eine Psychopathin geknallt."
„War sicher nicht das erste Mal", murmelt Elisabeth überraschend unprofessionell, möchte den Kommentar aber vertuschen, in dem sie sich durch die Haare rauft
„Sie sind heute ja die Freundlichkeit in Person", gebe ich zurück und kann mir ein Grinsen nicht verkneifen.
„Tut mir leid, Jack. Ich sollte mich um mehr Professionalität bemühen."
„Ist es wegen John?"
Kopfschütteln.
„Nein, und es ist auch unwichtig. Also, was war bei Ihnen so los?"
„Ich hab die letzten zwei Tage alte Alben von Britney Spears gehört, hab meiner kleinen Schwester Drogen verabreicht, bin wieder bei mir selbst eingezogen und war eigentlich durchgehend so dicht, dass ich kein Plan hab, was alles so abgegangen ist."
Ein paar Erinnerungsfetzen hab ich dann doch noch. Zum Beispiel haben wir im Central Park Golf gespielt – oder versucht in unserem Zustand überhaupt diesen verkackten Ball zu treffen.
„Jack, ich bin verwirrt."
Ich seufze genervt auf.
„Ich und Renee haben Schluss gemacht, die Freaks sind meine Halbbrüder und ich fühl' mich einfach nur extrem verarscht."
Jetzt zückt sie plötzlich ihren Kugelschreiber und beginnt sich Notizen zu machen – stutzt nach zwei Sätzen aber bereits wieder.
„Können Sie das eventuell ausführlicher beschreiben?"
„Neuer Plan; wir sind beide gleichzeitig Single. Fabelhafter Zeitpunkt um zu der Sache mit dem Vögeln wieder zurück zu kommen."
Doch Ex-Supermodel-Psycho-Doc übergeht den Kommentar eiskalt.
„Vielleicht mag die Frage bescheuert sein, aber wurde Ihnen das Herz gebrochen, Jack?"
Meint sie das graue Stück Scheiße links neben meiner Lunge?
„Es fühlt sich an, wie der heftigste Kater aller Zeiten und ist zugleich ein Schlag in die Fresse. Ich nenne es den kompletten totalen Verrat an meinen Eiern", erkläre ich. „Und wenn das 'Herz' schon in Staubpartikel gesplittert ist, kann es nicht mehr brechen."
Sie nickt verständnisvoll. Gott, wie ich das Miststück jedes Mal dafür hasse.
„Wie kam es dazu, dass Sie sich von Renee getrennt haben?"
„Sie hat sich von mir getrennt. Da liegt ein gewaltiger Unterschied. Hätte ich nämlich mit ihr Schluss gemacht, dann würde ich jetzt nicht meine Männlichkeit vermissen. Die hat sie nämlich genommen und ich würde am liebsten irgendwas krass männliches machen, um sie wiederzubekommen. Sowas wie Motorrad-Stunts machen oder Profi-Skateboarder werden. Oder dieser eine Engländer, der sich immer in der Wildnis aussetzen lässt und dann in der Wüste in dem Körper von einem Kamel pennt. Das ist männlich." Ich verstumme angesichts Elisabeths undefinierbarem Gesichtsausdruckes. Irgendwas ist da zwischen Besorgnis und Verwirrung. „Das macht Falten, Babe", erkläre ich ihr gelassen und wünsche mir parallel dazu, mal kurz auf die Toilette verschwinden zu können, um mir das Koks in meiner Hosentasche durchzuziehen.
„Es muss Sie wirklich unglaublich verletzt haben."
Was zur Hölle?
„Was?"
„Die Trennung. Sie wollen es verdrängen, überspielen und wenn man Sie nicht kennen würde, dann würde man Ihnen dieses Schauspiel auch noch abkaufen können."
Dramatisches Seufzen meinerseits.
„Was wollen Sie hören, Lizzy?"
„Die Wahrheit."
Der Mord an meinen Eiern ereignete sich Freitag-Abend in der Küche und begann sehr harmlos – so harmlos wie Mord halt beginnen kann. Ahnungslos saß ich auf der Küchenzeile und hab an dem Kaffee – der zur Hälfte aus Whisky bestand – geschlürft. Die Mörderin betrat die Wohnung wie so üblich auch, beladen mit einem Stapel Papier in den Händen, welchen sie wie sonst auch auf dem Tresen platzierte, der Küche und Wohnzimmer voneinander trennen sollte. 'Hey, Schatz', hatte sie mich mit einem Lächeln auf den Lippen begrüßt. Ob sie da bereits wusste, dass sie mein Männlichkeit vernichten würde? Ich hatte den Mund voll, deswegen hatte ich mit einem Nicken geantwortet und mein Interesse kurzzeitig auf den Papierkram gelenkt. Eigentlich auch nur, weil mein Name drauf stand – hatte irgendwas mit Projekt November zu tun.
'Sind das die Test-Ergebnisse?'
'Was?'
Ich deutete auf die Akten.
'Achso, nein. Das sind nur Statistiken – wird dich nicht interessieren.'
'Aber da steht mein Name drauf.'
'Tut es auf deiner Versicherungskarte auch und trotzdem interessiert es dich kein Stück.'
Daraufhin stellte ich die Tasse ab und widmete der Sache noch mehr Aufmerksamkeit. Ich begab mich also zu dem Stapel hin, unter dem immer düster werdendem Blick meiner Freundin.
'Jack, ich meine es ernst. Das sind Regierungsunterlagen, mit denen du nichts zu tun hast und die dich auch nichts angehen.'
'Da steht mein Name drauf. Das ist doch wohl Grund genug', hab ich mich verteidigt und versucht möglichst schnell nach den eventuellen Geheimdienst-hoch-super-geheimen-vertraulichen-geheimen Unterlagen zu greifen. Allerdings war Renee schneller und zog sie außerhalb meiner Reichweite. 'Ich sagte; Nein', erklärte sie mir bissig und die Art wie sie es gesagt hatte, wäre eigentlich einschüchternd genug gewesen – theoretisch. Praktisch hingegen hab ich ihr ganz ungeniert einen Papierfetzen fast schon aus der Hand gerissen.
'Jack!', fuhr sie mich wütend an, doch das beachtete ich nicht. 'Gib das sofort wieder her!'
'Bla, bla, ba.'
Ich sprang mit dem Fetzen in der Hand über den Tresen und grinste sie breit an.
'Scheiße, das ist verdammt nochmal nicht lustig, du Arsch!'
'Beruhig dich, du bekommst es ja wieder.'
Vielleicht hätte ich es wirklich zurück geben sollen. Allerdings wäre ich dann niemals von den X-Men zu den Turtles gekommen. Ich las also ihren Protest ignorierend das Blatt durch und stockte bereits nach dem ersten Absatz. Es war ziemlich formell formuliert und aus dem Kontext gerissen, aber es schien sich um die Blutproben zu handeln und behandelte vor allem den Gen-Fehler. An für sich ziemlich unspektakulär. Wäre da nicht das Datum gewesen – Dezember. Und wäre da einfach nicht die verdammte nachgewiesene Blutsverwandtschaft, die ich mit diesen Spasten habe!
'Wieso steht da, dass ich mit den anderen Freaks verwandt bin?'
'Weil eine biologische und genetische Verwandtschaft besteht.'
Ich starrte sie fassungslos an.
'Was du nicht sagst. Und wieso steht da, dass diese Ergebnisse von Dezember sind? Was ja quasi bedeuten würde, dass sie schon zwei Monate alt sind. Was ja quasi bedeuten würde, dass du es schon zwei verdammte Monate weißt und es noch nicht für nötig gehalten hast, mir das zu sagen. Oder Johnny, Danny oder Zac!'
Da war er wieder. Der irre Blick und die von Goldpartikel durchzogene Iris.
'Ich wollte es dir nicht sagen, Jack. Und ich möchte auch nicht mehr, dass du bei mir wohnst.'
Sie klang kalt – mörderisch. Und die Tatsache, dass sie sich so unangenehm langsam auf mich zu bewegte verlieh der ganzen Sache noch mehr Horror-Film-Potenzial.
'Ehrlich gesagt fände ich es besser, wenn wir getrennte Wege gehen würden. Aber wir könnten ja Freunde bleiben.'
Dann hat Renee gelächelt. Das war der Moment wo ich mich so unfassbar verarscht gefühlt habe und es nicht mal auf die Reihe bekommen habe sie anzuschreien.
'Scheiß auf Freunde bleiben.'
„Ich weiß ja, dass sie kontrollsüchtig und ziemlich besitzergreifend war. Aber sie war so scheiße heiß. Das bricht mir immer das Herz", bemerke ich sarkastisch und Elisabeth schüttelt den Kopf. „Sie mochten sie. Vermutlich haben Sie sie nicht geliebt. Aber Sie mochten Renee sehr gerne. Es ist in Ordnung wenn es jetzt weh tut, Jack. Das ist normal."
Kurz bleibe ich still. Es gibt einfach zu viele mögliche Antworten.
„Es ist so süß, wenn du glaubst mich zu verstehen, Babe. Ich mach mir doch nichts draus, ob mich jetzt eine Frau in Manhattan mehr hasst. Das würde ja bedeuten, dass es mich interessiert."
Bloomfield notiert sich etwas.
„Wollen Sie mich gerade ernsthaft davon überzeugen, dass Ihnen Renee nichts bedeutet hat? Als hätten Sie nicht von Anfang an Interesse an ihr gehabt, oder Sie Ihren Eltern vorgestellt. Herrgott, Jack; Sie sind sogar bei ihr eingezogen und haben ihr gesagt, dass Sie sie lieben. Jack, es ist vollkommen normal, dass Sie verwirrt sind und dass Sie sich verletzt fühlen. Sie dürfen das auch und müssen es keinesfalls runterspielen."
„Sie wusste zwei Monate lang, dass ich mit den anderen gen-manipulierten Schildkröten verwandt bin. Sie hat es mir nicht gesagt. Und jetzt soll ich 'Herz-Schmerz' haben.. Weil?"
Das Ex-Supermodel presst nachdenklich die Lippen aufeinander und spielt mit ihrem Kugelschreiber.
„Sie zweifeln es an."
„Was?"
„Das Leben, Jack. Bis jetzt hatten Sie immer Selbstmord-Gedanken aus Provokation. Sie wissen, dass Sie nicht sterben können, aber Sie wollen es provozieren. Sie machen für sich selbst ein Spiel daraus. Aber gleichzeitig ist es trotzdem selbstverletzendes Verhalten. Und momentan sind Sie vor allem wütend auf sich selbst. Es hängt mit Ihrer Soziopathie zusammen. Sie haben Renee schlussendlich vertraut und sie hat es missbraucht", erklärt sich vorsichtig. „Doch das Schlimme an der Geschichte ist etwas ganz anderes. Sie haben die Ehe Ihrer Eltern immer als 'Muster-Ehe' beschrieben. Eine Bilderbuch-Beziehung, die in dieser Form wohl nicht existiert hat. Ihr Vater hat Ihre Mutter offenbar mehrfach betrogen und das zerstört Ihr Bild von ihm. Er war in diesem Sinne ein Vorbild für Sie – denn trotz all Ihren Eskapaden, pubertären Grenzaustestungen und Ihrem Fehlverhalten, haben Sie immer an die Ehe Ihrer Eltern geglaubt, insgeheim vermutlich sogar gehofft selbst irgendwann so etwas zu haben." Ich bleibe still, höre einfach nur zu und spüre gleichzeitig wie mir die Situation immer unangenehmer wird. „Und jetzt stellt sich alles nur als eine weitere Lüge heraus."
Verdammte Scheiße, ist die gut.
„Erzählen Sie den ganzen Serienkillern eigentlich auch von diesen ungelösten Vaterkomplexen?"
Elisabeth lacht und theoretisch könnte es die Stimmung lockern. Allerdings krallen sich meine Hände gerade in meine Oberschenkel und mir ist kotzübel, deswegen lockert sich da überhaupt nichts.
„Das ist kein Vaterkomplex. Ich würde es als Teilauslöser der Soziopathie bezeichnen, aber das ist eigentlich sehr wage."
Sie wirft einen flüchtigen Blick auf ihre Armbanduhr und seufzt. Scheint als hätten wir nicht mehr so viel Zeit. Gut so.
Ich will nicht mehr.
„Wie geht es jetzt weiter mit Ihrer Familie?"
Schulterzucken.
„Na ja, wir 'Geschwister' wissen es ja alle. Vermutlich sprechen wir mal Dad drauf an, oder so. Ehrlich gesagt kein Plan. Johnny weiß bestimmt was zu tun ist – weiß er ja immer."
Wenn man so bisschen drüber nachdenkt, war es ja eigentlich klar dass wir verwandt sind. Einzigartige Gen-Fehler verteilen sich ja nicht von selbst in New York. Obwohl eine Samen-Spende als Erklärung eventuell hinhauen würde. Wir sind ja auch 'Superhelden' weil wir Pillentester waren. Aber es ist schon eigenartig, dass wir die letzten paar Tage damit verbracht haben herauszufinden wer von uns fünf die beschissenste Kindheit gehabt hatte. Vio war ganz klar Siegerin. Ihre Kindheit bestand nämlich aus Ballett-Akademie und Leistungsdruck. Johnny hingegen hatte die beste und harmloseste Kindheit. Er erinnert mich immer ein bisschen an Wade – nur nicht so liebenswert. Dafür ist Johnny zu viel Realist, vielleicht aber doch auch einfach sehr bodenständig. 'Bodenständig' das Wort hört man immer wenn es um irgendwelche Prominente geht deren Stadtvilla mal zur Abwechslung keine Millionen gekostet hat und die sich ihren Namen nicht in Wassermelonen schnitzen lassen.
„Das was Sie gerade fühlen geht vorbei, Jack", versichert die Bloomfield mir und lächelt aufmunternd.
„Und wenn nicht?"
„Dann machen wir aus den achtundvierzig Sitzungen halt ein paar mehr."
„Sie wollen mich nicht aufgeben, weil ich ein gefühlskaltes Wrack bin?"
„Gerade das sind doch immer die interessantesten Fälle, Mister Carter."
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