34. Sitzung
Irgendwie gehen mir diese Stühle auf die Eier. Und der Schreibtisch auch. Bisschen nervt auch die Bloomfield und dieses Meerjungfrauen-Bild. Was soll das überhaupt hier? Ich meine, was ist wenn die Typen behandelt die Angst vor Meerjungfrauen-Bildern haben? Gibt ja auch schließlich Kerle, die Angst vor Freitagen haben. Ich bin mir nicht mehr sicher, aber ich meine zu wissen dass es sich Friggaphobie nennt. Welcher Tag ist heute nochmal? Mittwoch. Geil, heute Abend läuft im Pay-TV diese japanische Quizshow – auf japanisch. Ich liebe es.
„Guten Morgen, Jack."
Ex-Supermodel lächelt, trägt keinen Ring und wirkt allerdings etwas zerzaust. Aber nicht so schlimm, dass ich jetzt sagen würde, dass es ihr miserabel geht. Eher wie diese Hunde, die immer Haare vor den Augen haben. Ach du scheiße, die ist nicht zerzaust! Die hat sich einen Pony geschnitten.
„Das sieht ja mal scheiße aus. Haben Sie den schwulen Friseur in Lower Manhattan ausprobiert?"
Ja, Carter. Sehr spezifisch ausgedrückt. Ist ja nicht so, dass Lower Manhattan bestimmt fünfzig schwule Friseure hat. Aber der den ich meine, hat seinen Laden gleich neben der NYU und ist dumm. Der hat mir mal die Haare abrasiert. Aber das lustige an meinen Haaren ist, dass egal was ich mache; sie bleiben hellbraun, perfekt frisiert und prinzipiell auf der selben Länge, wie ich sie mit siebzehn auch schon hatte. Deswegen hab ich auch kein Bart und werde vermutlich nur einen haben, wenn ich mir mit Permanent-Stift einen draufkritzeln würde. Dabei wollte ich immer so ein Ziegenbärtchen haben, das ich dann ganz nachdenklich streicheln kann. Aber hey, wer mit siebzehn keinen wirklichen Haarwuchs hatte und dann unsterblich wird; wird nie welchen bekommen. Ich kann von Glück sagen, dass 2007 keine Undercuts In waren. Mit dem Scheiß würde ich nie und nimmer den Rest meines ewigen Leben umher wandern wollen. Obwohl, wenn man sich Bilder von Taylor Lautner ansieht, wie er 2007 aussah, dann weiß man auch nicht so recht, was eine coole Frisur jetzt ausmacht und was nicht.
„Ist der Pony so schlimm?", gibt Elisabeth nun überraschend verunsichert von sich.
„Ziemlich sogar. Wenn Sie allerdings Pickel auf der Stirn hätten könnte man das aber auch schon wieder als Schutz für die Gesellschaft betrachten." Aber sie hat keine Pickel. Nicht mal Sommersprossen. Ihre Haut sieht aus wie aus den ganzen Make-Up-Werbungen.
Jetzt ein Seufzen, ein Blick auf meine Akte und dann runzelt Elisabeth die Stirn. „Vor ein paar Tagen war Valentinstag", spricht sie sachlich aus. Ich setze daraufhin ein falsches Lächeln auf und überlege wen von uns beiden ich töten sollte. Mich? Sie? Moment. Vielleicht das Meerjungfrauen-Bild? Die Zimmerpflanze? Oder diese beschissene Pralinenschachtel, die da so seelenruhig vor sich hin vegetiert. Rot, Herzchenform und die Schokolade drin schmeckt bestimmt zum kotzen. Aber Schokolade kann ich allgemein nicht ausstehen. Das tut niemand mehr, wenn man das mal zusammen mit Galle und anderen halbverdauten Gerichten wieder hochgewürgt zu Gesicht bekommen hat.
„Jack."
Sie klingt mahnend. Scheiße, erwartet die echt, dass ich ihr von meinem Leben erzähle?
„Was willst du, Babe?"
Vielleicht ist der Pony Teil einer Midlifecrisis oder das ist so ein Trennungsding: 'Ich bin geschieden – ich brauch einen Pony'. Normalerweise schreibt man in diesem Fall einen beschissenen Liebesroman und nennt es Shades of Gay. Oder man kauft sich ein Cabrio. Beides ist aber lukrativer als sich einen Pony schneiden zu lassen.
„Wie haben Sie den Tag verbracht?"
Komplizierte Geschichte.
„Ich hab zu lange auf meinem Steak gekaut."
Dabei ging Valentinstag eigentlich ganz nett los.
Da lag ich also in meinem Bett, führte das morgendliche Ritual des Deckenanstarrens durch und wartete darauf, dass meine Morgenlatte abließ. Vielleicht hab ich auch darauf gehofft, dass der Sensenmann sich neben mich legt und mir sagt, dass ich jetzt verreckt bin. Daraufhin hätte es dann einen Regen aus Zuckerwatte und Gummibärchen gegeben, mein Bett hätte angefangen zu schweben und dann wäre ich durch die Decke gekracht. Jedes Mal wenn dieses Szenario an der Stelle ist, wirft das die altbekannte Frage auf: wer wohnt in der Wohnung über mir? Und dann habe ich das Bild davon im Kopf, wie ich durch die Decke – also quasi durch den Boden – in eine Badewanne krache.
'Jack, hast du meine Sonnenbrille gesehen?'
Wade neigt nicht dazu anzuklopfen, wenn er sich parallel panisch die Haare rauft und so tut als ginge es um Leben und Tod.
'Es regnet draußen.'
'Ich fahr in die Hamptons, du Spast.'
'Da regnet es bestimmt auch', hab ich gegrinst und Wade mich mit irgendwas beworfen – allerdings komplett verfehlt.
'Komm schon, Carter. Ich weiß, dass die bei dir ist.'
'Dann such selbst. Ich versteh nicht mal wieso dein Zeug bei mir im Zimmer liegt.'
Er hat mit den Augen gerollt und provokativ laut angefangen alles umzuwühlen. Dabei ein paar Kisten umgeschmissen, welche er daraufhin wieder sorgfältig an ihren Platz geräumen musste. Schlussendlich ist Wade an meinem Schreibtisch, an der leicht psychopathischen Messersammlung in der obersten Schublade, hängen geblieben.
'Carter', hat er den Satz ernst begonnen. 'Hast du mit dem Scheiß wieder angefangen?'
'Nein, ich wollte eigentlich ein Kaninchen häuten.' Da hab ich ganz schnell das Thema wechseln müssen, denn mit Wade übers Schlitzen zu reden ist und war schon immer irgendwie peinlich. 'Deine Sonnenbrille liegt beim Schrank.'
„Jack?", erinnert mich Bloomfield unnötig an meinen Namen. Da steht die doch insgeheim drauf. „Ich hab was mit Renee gemacht und Wade weiß, dass ich wieder mit dem Ritzen angefangen habe." Und ich hab Philipp getroffen. Zehnjährige Jungs sollten um halb vier morgens eigentlich nicht in der U-Bahn rumhängen. Aber gut, schlimmer als das Essen mit Renee kann es nicht gewesen sein.
Ich habe Anzüge schon immer gehasst und wirklich so oft wie nur irgend-möglich versucht keinen zu tragen. Doch Samstag Abend trug ich dann doch einen und führte meine Freundin aus. Hier ist allerdings anzumerken, dass sie mich darum gebeten hatte und ich halt nachgegeben habe. Vielleicht ist das dieses 'Problem' von dem Nana an Weihnachten gesprochen hatte. Und dann saß ich also in einem Restaurant dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe – war vermutlich eh irgendwas wie 'Wir sind überteuert und unsere Kellner sehen aus wie Pinguine'. So würde ich zumindest den französischen Namen übersetzen.
'Überrascht?', hat Renee gefragt. Irgendwie hatte sie diesen irren Blick drauf. Aber nicht so einer wo man sich in die Hose scheißen will, eher der wo man sie flachlegen will.
'Wovon?'
'Das Restaurant und die Reservierung.'
Nein Babe, war klar dass du alles geplant hast.
'Ist schön hier', murmelte ich ein bisschen undeutlich.
'Jack, das geht jetzt schon länger so. Wenn dir der Einzug zu schaffen macht, musst du mir das sagen.'
Daraufhin hab ich in meinem Steak rumgestochert und es gegessen. Wenn ich ihr gesagt hätte, was ich denke würde ich einen Heulanfall riskieren. Obwohl, quatsch. Renee ist zu kalt zum heulen. Was wohl passiert wäre, wenn ich losgeheult hätte?
'Deine Einrichtung stresst bisschen, aber ansonsten ist alles gut.'
'Du warst gestern nicht da, als ich nach hause gekommen bin.'
Ich presste die Lippen aufeinander. Wieso aß sie nicht einfach ihren beschissenen Reis?
'Ich hatte Therapie. Bin danach nach hause..' Ich stockte. Das ist eine ziemlich blöde Wortwahl gewesen. 'Ich meine..'
'Schon gut, Jack.'
Das Essen mit Renee war zum Kotzen und insgeheim hab ich mich riesig gefreut, als es vorbei war. Außerdem war das Steak beschissen. Kommt davon, wenn man die ganze Zeit auf dem selben Stück rumkaut – damit man nicht reden muss, versteht sich. Ich wäre eine verdammt schlechte Magersüchtige.
„Wie war es mit Renee?"
„Nett."
Irgendwann stech ich das Stimmchen in mir ab, das permanent 'gelogen' singt. Und das auch noch schief. Das Miststück sollte Unterricht nehmen oder einfach damit aufhören mein Gewissen darzustellen.
„Jack", bittet Elisabeth.
„Nein, danke. Ich verzichte", grummle ich und werfe ihr einen möglichst vernichtenden Blick zu.
„Wo ist das Problem?"
„Ich hab kein Problem."
„Sie wollen nicht über Valentinstag reden?"
Schulterzucken zur Antwort. Es gibt einen sehr guten Grund ihr nichts zu erzählen; es gäbe diese verflucht siegessichere Lächeln und mein Selbstbewusstsein würde praktisch angeschossen werden. Das kann und will ich nicht riskieren.
Schlussendlich standen wir vor der Eingangstür zu Renees Wohnhaus und während ich leicht betreten auf den Boden starrte – warum auch immer, sah sie mich eindringlich an – warum auch immer. 'Kommst du noch mit hoch?', fragte sie und runzelte die Stirn. Ja, der Abend war merkwürdig. Vor allem weil Renee mir in der Regel selten die Wahl zwischen irgendwas ließ. Allerdings schien ihr Blick nicht so als hätte ich wirkliche Entscheidungsfreiheit.
'Ich glaub, ich hab mein Handy im Restaurant vergessen', log ich also. Vergebens. 'Du hattest es grade im Taxi noch in der Hand, Schatz.' Scheiß Whatsapp-Gruppe und Dannys permanenten Spam von Bildern seiner neuen Xbox One. Ich weiß noch nicht mal, wieso ich da immer drauf drücken muss. 'Es ist Valentinstag. Wir sollten den Abend zusammen ausklingen lassen.' Daraufhin griff sie nach meiner Hand und zog sich selbst zu mir. Entweder ich hatte Halluzinationen oder ihre grünen Augen schienen für einen Moment wirklich mit Goldpartikeln durchzogen zu sein.
'Ich würde wirklich gerne. Aber Wade hat vorhin im Taxi geschrieben und gemeint, dass er was zuhause vergessen hätte – allerdings keinen Schlüssel dabei hätte. Und jetzt soll ich nach East Village und ihm die Wohnungstür aufschließen. Tschuldige, Babe.'
Entschuldigendes Lächeln und einen flüchtigen Kuss auf die Lippen. Daraufhin hätte ich mich eigentlich gerne umgedreht und wäre gegangen, aber Ledoux hielt mich am Jackett fest. 'Ein paar Stunden kann Wade ja warten', flüsterte sie und fing mit der einen Hand an, an den Hemdknöpfen herumzuspielen, während die andere immer noch mein Jackett festhielt. Als hätte ich ihr in dem Moment sonst irgendwie abhauen können. 'Es dauert ja nicht lange. In einer Stunde bin ich wieder da.' Daraufhin dann noch ein möglichst überzeugender Blick. Allerdings ließ sie mich immer noch nicht los. 'Eine Stunde ist zu lang.' Sie schlang ihre Hände um meinen Nacken und legte den Kopf leicht schief. Plötzlich war der irre Blick verschwunden und übrig blieb ein fast schon kindlich flehendes Lächeln. 'Ich komm so schnell wie möglich zurück. Versprochen', versicherte ich Renee und küsste sie erneut. Dieses Mal ließ sie mich dann auch los. Allerdings sagte sie dann etwas zum Abschied, was in mir vor Nervosität schon die Galle aufstiegen ließ.
'Ich liebe dich.'
„Jack, das Hier erinnert stark an unser Gespräch nach Weihnachten. Sie sind abwesend, wirken verunsichert und es erscheint unfassbar schwer eine Unterhaltung mit Ihnen aufzubauen."
„Sie sind Psychologin. Sie müssten doch wissen, wie das geht."
Sie seufzt, stützt ihren Kopf in die Hände und presst die Lippen aufeinander. Nicht unbedingt die pure Verzweiflung, aber doch ein gutes Stück davon.
„Ist etwas passiert?"
Schulterzucken.
„Ich weiß es nicht genau. Ich habe etwas gesagt, was ich lange nicht mehr gesagt habe."
Anstatt mit dem Taxi zu fahren, bin ich einfach in die nächste U-Bahn gestiegen. Vollkommen gleichgültig wohin diese gefahren ist. Ich musste einfach nur weg. Weg von der Upper West Side. Weg von diesem verschissenem Tag. Weg von Manhattan und vor allem weg von Renee und diesen drei Wörtern.
Ich hatte Angst.
Wirkliche Angst.
Wovor konnte ich nicht sagen.
Keine Ahnung wohin die Fahrt ging, doch von Stunde zu Stunde hatte sich die Bahn geleert. Ich vergaß die Uhrzeit vollkommen und auch meine Lüge, dass ich nach East Village müsste. Ursprünglich hatte ich eigentlich nur geplant zuhause zu schlafen. Doch stattdessen saß ich bis halb vier Morgens in der U-Bahn, befand mich mittlerweile schon nicht mehr in Manhattan, sondern in Queens. Ich weiß noch ganz genau, dass ich in diesen Stunden nicht einmal an Selbstmord hatte denken können. In dieser Zeit tat ich nichts außer auf dem Plastiksitz sitzen und den Blick auf den grauen Boden zu fixieren. Anfangs hatte ich gezittert und hatte mich gedanklich über Bauchschmerzen beklagt, aber nach einer Zeit war das alles in dem altbekannten grauen Nebel verschwommen.
'Haben Superhelden nicht immer sowas wie ein Bat-Mobil?'
Ich kannte die Stimme, aber ignorierte sie. Vielleicht klang er auch einfach zu leise, um durch den Nebel durchdringen zu können. Dann hörte ich, wie er sich auf den Sitz neben mich setzte und anfing mit den Füßen auf den Boden zu klopfen. 'Danke nochmal fürs Retten', sprach der Kleine weiter, wohl bemüht ein Gespräch zu beginnen. Allerdings funktionieren Gespräche nicht, wenn nur eine Partei spricht und die Andere sich in unendliche Leere gehüllt hat. 'Wie viel Uhr ist es?', stellte er eine neue Frage. Wieder blieb die Antwort aus.
'Okay, dann reden wir halt nicht.'
Die nun enttäuscht klingelnde Stimme gehörte Philipp, der kleine Junge aus der Spielzeugabteilung im Shopping Center. Kurz schloss ich die Augen, versuchte genug Antrieb aufzubringen um zu antworten und tat dies dann auch.
'Spiderman ist auch mit der U-Bahn gefahren und das Bat-Mobil ist unpraktisch in Manhattan.'
'Wir sind in Queens.'
Philipp hatte versucht es zu verbergen, aber schien einfach zu glücklich dass ich ihm nun einen kleinen Funken Aufmerksamkeit schenkte.
'Was machst du überhaupt hier?', murmelte ich, abgelenkt von mir selbst.
'Dasselbe könnte ich dich fragen. Dachte du wohnst in Manhattan oder so.'
'Tue ich auch. Du nicht?'
Kopfschütteln. Also habe ich angenommen – hat sich so angehört.
'Queens, 81st Straße, Waisenhaus. Ist gleich neben der Saint Mark's Kirche.'
Jetzt hatte er meine Aufmerksamkeit.
'Ist ja scheiße.'
'Jo. Und sind deine Eltern auch tot – wie die von Batman?'
'Nö', verneinte ich. Philipp klang locker, als würde ihm das offensichtliche Fehlen seiner Familie nichts ausmachen. Nach einem Blick auf mein Handy wusste ich dann auch die Uhrzeit. 'Kleiner, es ist halb vier Morgens. Was zur Hölle hast du hier verloren?'
'Meine Freundin hat mich sitzen gelassen.'
'Nett. Meine Freundin hat gesagt, dass sie mich liebt.'
Daraufhin dann Stille, bis die U-Bahn schließlich an der nächsten Station hielt. Dann stand ich auf und verließ den Waggon dicht gefolgt von Philipp. Keine Ahnung wo wir genau waren und vermutlich wäre Google Maps jetzt lebensrettend gewesen, aber ich war viel zu faul um die Tastensperre zu deaktivieren.
'Wieso bist du nicht bei deiner Freundin?' Philipp folgte mir von dem Bahnsteig weg, die Treppe hinauf und schlussendlich standen wir dann an irgendeiner Straße. Parkende Autos an deren Rändern und fahrende Fahrzeuge in dessen Mitte. Reklame-Tafeln gab es drei Stück und nur eine davon konnte ich einer bekannten Marke zu ordnen – McDonalds. 24 Stunden geöffnet, wobei man bereits durch die Glasscheiben sehen konnte, dass der Typ an der Kasse einzuschlafen schien.
'Hast du Hunger?', fragte ich gedankenverloren und überlegte, wie viel Geld ich überhaupt dabei hatte. Für ein Sparmenü müsste es eigentlich reichen. Scheiße, dass ein BigMac nie in denen enthalten ist.
'Ich brauch kein Mitleid, weil ich im Waisenhaus lebe.'
'Das juckt mich nicht. Ich hab Hunger und frag aus Höflichkeit.'
'Muss ich selbst zahlen?'
'Ja. Batman ist nämlich grade pleite.'
Elisabeth sieht mich immer noch so an, dabei sind bereits bestimmt schon fünf Minuten vergangen. „Was haben Sie gesagt, Jack?"
Ich will es ihr nicht sagen. Also wende ich den Blick dem Schreibtisch zu und betrachte einfach nur das lasierte Holz.
Die Tische im McDonalds waren aus rotem Plastik und das Ganze schien vermutlich die kleinste Filiale in ganz New York zu sein. Mal ganz davon abgesehen, dass eine Renovierung und ein dazugehöriges McCafé überfällig waren. Während ich mein Geld also dann doch in einen BigMac und eine dazu passende Cola investierte, brachte es Philipp auf Pommes mit Ketchup und Mayonnaise.
'Wie alt bist du eigentlich?', hab ich ihn gefragt und an der Coke geschlürft. Der Kassierer war derweil wirklich eingepennt. Ich hab aus den Augenwinkeln sehen können, wie sein Kopf auf dem Tresen lag. Er selbst hatte sich hinter diesem einen Stuhl aus der Küche gestellt.
'Elf. Und du?'
'Auf ewig dreiundzwanzig. Allerdings bin ich jetzt vierundzwanzig geworden. Keine Ahnung, wie ich mein Alter definieren soll.'
'Hm', gab der Kleine mit vollem Mund von sich und fuhr nach einem kräftigen Schlucken dann fort. 'Also, deine Freundin hat dir die Liebe gestanden und du bist jetzt nicht bei ihr?'
'Ist bisschen komplizierter. Aber ja, das ist die Situation.'
'Das ist doch Schwachsinn. Wenn Hannah mir sagen würde, dass sie mich liebt, dann würde ich sie sofort heiraten.'
Ich hab so laut losgelacht, dass die Schlafmütze hinterm Tresen aufgewacht ist.
'Was ist daran so lustig?', hatte Philipp verwirrt gefragt und ich nur den Kopf geschüttelt.
'Weißt du in ein paar Jahren.'
'Ich mein das aber ernst. Ich würde Hannah heiraten.'
Anstatt zu antworten biss ich ein großes Stück von meinem Burger ab und kaute es sorgfältig. Philipp redet derweil weiter.
'Sie ist so super. Hannah ist total gut in der Schule und hat mir das gesamte letzte Jahr bei den Hausaufgaben geholfen. Und überhaupt; sie weiß einfach unglaublich viel und ist so hübsch. Wenn sie jetzt nicht so krass sauer auf mich wäre, würde ich ihr einen Ring schenken und mich mit ihr verloben.'
'Wieso ist sie sauer auf dich?'
'Sie glaubt, ich hab Elena geküsst. Aber das hab ich gar nicht getan! Youri erzählt das nur überall rum. Voll der Vollidiot.'
Ich nickte verständnisvoll. 'Liebst du deine Freundin?', fragte Philipp dann aus heiterem Himmel und einen Moment starrte ich ihn nur perplex an. Dann entschied ich mich dafür zu essen, anstatt zu reden.
'Wenn du sie lieben würdest, wärst du nicht hier. Andererseits kann es ja auch sein, dass du dir nicht sicher bist. Ich weiß nicht wie das bei Erwachsenen läuft. Vielleicht bist du dir auch sicher und weißt nicht wie du es ihr sagen sollst', mutmaßte der Kleine und erst nach dem er mich ein paar Sekunden eindringlich musterte, gab ich eine Antwort heraus. 'Sie will dass ich bei ihr einziehe. Ich schlafe nebenbei mit meiner Ex-Freundin, die wiederum verlobt ist und mich nicht liebt. Und meine Therapeutin glaubt, dass ich eine Bindungsstörung habe.' Ich grinste unpassend überlegen und wartete allen ernstes auf einen möglichen klugen Rat eines Zehnjährigen, doch der blieb längere Zeit still.
'Man sucht sich kein Leben aus, Jack. Man lebt eins.'
Für einen Moment vergaß ich wie klein der Knirps war und dachte über seine Worte nach. Vielleicht liebte ich Renee in Moment nicht, aber vielleicht würde ich es lernen? Vielleicht musste ich endlich damit anfangen unsere Beziehung ernst zu nehmen und nicht alles ihr überlassen.
Er hatte Recht.
Ich wende den Blick von dem Tisch wieder ab und sehe Elisabeth direkt in die Augen. „Ich habe ihr gesagt, dass ich sie liebe."
„Wem? Kerry?"
Ich schüttle langsam den Kopf, presse zuerst die Lippen aufeinander und entscheide mich dann doch für ein Lächeln.
Nachdem ich per Google Maps herausgefunden hatte, wie weit es bis zum Waisenhaus ist, hab ich mich entschlossen Philipp dorthin zurück zu bringen. Eine Forderung, der der Kleine ohne Protest nachgekommen ist. Unter dem tötenden Blick eines Sozialarbeiters hab ich ihn abgeliefert, mich selbst dafür verantwortlich gemacht, dass er mitten in der Nacht noch draußen war und erzählt, dass ich ein alter Freund seiner Mutter wäre. Ob der Sozialarbeiter das abgekauft hatte, ließ sich seinem bösen Blick nach schlecht glauben.
'Sag Hannah einfach wie gerne du sie hast, dann klärt sich das wieder', flüsterte ich Philipp zum Abschluss zu und er nickte eifrig.
'Bist übrigens immer noch ein Superheld.'
„Sie haben das Renee gesagt, Jack?" Das Ex-Supermodel wirkt extrem überrascht, wenn nicht sogar verwirrt. Scheint, als wäre ich ein unlösbares Rätsel für sie. Mein anfängliches Lächeln, wird zu dem arroganten Grinsen, was man von mir so gut kennt und ich sehe Bloomfield spielerisch entgegen.
„Damit ich das richtig verstehe; Sie haben einer Frau, von der Sie sich nicht einmal sicher sind, dass Sie ihr überhaupt vertrauen gesagt, dass Sie sie lieben?"
Ich nicke. Weiterhin das Grinsen in der Fresse.
Ich bin also um etwa viertel nach vier Morgens zurück nach East Village, hab meine Reisetasche unter dem Bett hervorgezogen und Klamotten reingeworfen. An der Schublade mit den Klingen bin ich hängen geblieben. Einen Moment starrte ich eins der japanischen Küchenmesser an und fuhr leicht apathisch die Adern meiner Unterarme nach. Es wäre ein leichtes gewesen den Druck zu verstärken und es ins Fleisch schneiden zu lassen. Doch das tat ich nicht, stattdessen legte ich das Messer zurück zu den Anderen und konzentrierte mich wieder auf das Packen. Schlussendlich schlug die Tür hinter mir ins Schloss und ich nahm das nächste Taxi zur Upper West Side.
Und dann stand ich da, um bereits fünf Uhr – dabei war nur die Rede von einer Stunde gewesen. In Filmen hätte es jetzt geregnet, ich wäre vollständig durchnässt gewesen und das Ganze hätte die pure Romantik gehabt. In der Realität war ich einfach nur leer. Kein Herzklopfen, keine Schmetterlinge im Bauch und nicht einmal Lächeln auf den Lippen. Kein Gedanke wurde an die Wörter verschwendet, die ich ihr gleich sagen würde.
Verschlafen öffnete Renee Ledoux ihre Wohnungstür und sah zugleich in meine Augen.
'Du hast mir gesagt, dass du dich mich liebst und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte. Ich selbst habe diese Wörter lange nicht mehr gesagt, zu niemandem. Ich hab etwas Zeit gebraucht um es zu verarbeiten und es tut mir leid, dass ich dich geweckt habe. Ein kluger Mensch hat mir gesagt, dass man sich sein Leben nicht aussucht, sondern es einfach lebt. Renee, du bist mittlerweile fester Bestandteil meines Lebens und ich weiß nicht, wieso es so lange gebraucht hat bis das in meinem Hirn angekommen ist.'
Daraufhin eine kurze Pause, ein tiefer Atemzug und die altbekannten drei Wörter.
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