5| Louis
„Gott, siehst du süß aus."
Als das laute Klingeln im Inneren des Hauses ertönt, trete ich einen Schritt zurück und betrachte die weißen Klinkersteine der Hauswand. Als Haus würde ich es eigentlich gar nicht unbedingt bezeichnen wollen. Es ist mindestens dreistöckig und ziemlich breit. Das Haus, in dem wir wohnen hat zwar fünf Stockwerke, jedoch sind in jedem drei Wohnungen, weswegen dieses Haus vor mir der wahre Luxus sein muss.
Das moosgrüne Gras rechts und links neben dem Weg und die akkurat zurechtgeschnittenen Buchsbäume, die Engelsstauen zwischen den Bäumen im sauberen weißen Kies, was mich ein wenig an die Steine aus Hensel und Gretel erinnert und die süßen Laternen, welche den Weg abends bestimmt in ein wunderschönes Licht tauchen.
„Kann ich Ihnen helfen?", ertönt plötzlich eine Stimme von der Tür, weswegen ich mich kurz erschrecke und mich dann wieder umdrehe. „Oh, ehm ich wollte zu Harry.", sage ich nervös und kratze mich unwohl an meinem Hals. „Ach, Sie sind Louis?", fragt der Mann und lächelt mich freundlich an. Ich nicke nur und werde plötzlich in eine Umarmung gezogen, welche ich etwas unbeholfen erwidere und etwas schockiert schaue, als ich wieder losgelassen werde. „Paps, lass ihn doch erstmal rein.", kommt es von Harry, welcher auf einmal im Flur erscheint und mich entschuldigend anschaut. „Ja, entschuldige. ich bin Lee, Harrys Vater.", stellt er sich vor und schließt die Tür hinter mir. „Louis, aber das hat Harry anscheinend schon erzählt.", entgegne ich und knete nervös meine Hände.
„Du kannst deine Schuhe hier ausziehen, wenn du willst. Die Jacke nehme ich dir ab.", bietet Harry nach einer unangenehmen Stille an und hält mir eine Hand hin, als ich meine Jacke ausziehe. „Dankeschön.", lächle ich und streife mir dann meine Schuhe aus, welche ich neben ein anderes Paar stelle und mich dann wieder zu Harry und seinem Vater drehe, die gerade schweigend irgendwas austauschen. „Eigentlich bist du ja hier, um mit mir einen Film zuschauen, jedoch haben meine Väter mich dazu gezwungen, mit ihnen Kuchen zu essen, und dich indirekt auch.", grinst er und zuckt mit den Achseln.
„Das habe ich nie gesagt, dein Vater und ich haben nur gesagt, dass wie uns freuen würden, wenn ihr zwei mit uns ein Stück Kuchen esst.", stellt Lee anscheinend alles richtig, worauf Harry die Augen verdreht. „Also ich hätte nichts dagegen.", sage ich und lächle beide Männer vor mir an. Dann klatscht Harrys Vater in die Hände und bedeutet mir, ihm zu folgen. „Weißt du, ich darf doch du sagen?" Schnell nicke ich und schaue zu ihm rauf. Auch er ist ziemlich groß, vielleicht liegt es in der Familie, aber Lee ist locker zwei Meter groß. „seitdem ich mit meinem Mann zusammen bin, steht er jedes Wochenende in der Küche, um zu backen oder zu kochen. Egal was er macht, am Ende des Tages steht definitiv etwas leckeres auf dem Tisch.", erklärt er, als wir in ein ziemlich gemütliches Esszimmer kommen. Schwarze, matte Fliesen und weiße Wände, an denen Bilderrahmen mit blauen Akzenten hängen. An der einen Wand steht eine ziemlich breite Vitrine mit Sammlerstücken, zum mindestens gehe ich davon aus, und in der Mitte ein fast quadratischer Esstisch aus Glas, auf welchem schon vier Plätze hergerichtet wurden und in der Mitte eine Schwarzwälder Kirschtorte.
„Schatz!", ruft Harrys Dad plötzlich und legt kurz die Hand auf meine Schulter, ehe er sich kurz entschuldigt und dann durch einen Durchgang verschwindet, anscheinend zu Harrys anderem Vater. „Hey erstmal.", grinst Harry dann, als er neben mir steht und fährt sich durch die Haare. „Hi.", kichere ich und deute zum Durchgang, wo sein Vater eben verschwunden ist. „Dein Dad ist cool.", lächle ich dann und schaue mich nochmal im Esszimmer um. „Ja, ein wenig zu offen und überfreundlich, wenn man mich fragt, aber ja.", entgegnet er und kräuselt die Nase ein wenig, was mich grinsen lässt. „Ich hätte gerne so einen Vater, vielleicht nicht ganz so überschwänglich.", kichere ich und schaue etwas panisch zu Harry, als zwei Stimmen immer näher kommen. Höchstwahrscheinlich seine Väter.
„Bleib locker, aber Dad ist noch offener als Paps. Nimm es ihm nicht übel, wenn er seine Meinung einfach frei ausspricht.", warnt er mich noch vor, ehe er eine Hand auf meinen Rücken legt und ich etwas nach vorne gehe, da ich diesen Körperkontakt dann doch nicht habe kommen sehen.
Außerdem habe ich nicht wirklich eine Ahnung, was ich hier überhaupt mache. Ich wollte mit Harry, einem Mann, den ich gerade mal etwas mehr als drei Wochen kenne, einen Film gucken, in seinem Zimmer, wohlgemerkt-alleine und dann noch einen Film von einem meiner Lieblingsschauspieler. Und wir dürfen definitiv nicht Magic Mike schauen, weil wenn das der Fall wäre, würde es für mich äußerst unangenehm werden. Vielleicht, aber auch nur ganz vielleicht finde ich Channing Tatum äußerst attraktiv und es macht es nicht besser, wenn er dort halbnackt auftaucht, wenn jemand anderes neben mir sitzt.
Und jetzt, jetzt lerne ich gerade die Eltern eines für mich beinahe Fremden kennen, der mir seit drei Wochen beibringt, wie man vernünftig schwimmt. Dass das alles so wichtig ist, wusste ich nicht, aber Harry und auch Miss Grey wissen hoffentlich, was sie machen.
„Du musst Louis sein, Gott siehst du süß aus. Ich bin Ian, Harrys Dad." Mit einem „Lass dich umarmen.", werde ich ein zweites Mal fest umarmt und löse mich dann langsam von dem Mann, Harrys Dad. „Schön, Sie kennenzulernen.", lächle ich schüchtern und trete dann einen Schritt zurück, die Bemerkung, dass ich süß sei, immer noch im Kopf. Als süß würde ich mich nämlich nicht gerade betiteln. Klein, dünn und blass, so wie Harry es gesagt hat, als wir uns das erste Mal gesehen haben, trifft es dann wohl eher.
„Nenn mich Ian, ich fühle mich sonst so alt.", entgegnet er und fährt sich durch das kurze krause Haar. Ich nicke nur schüchtern und blicke dann auf die schwarzen Fliesen.
„Ich hoffe, du isst Schwarzwälder Kirschtorte?", fragt er dann und deutet auf den gedeckten Tisch. „Ich habe sie noch nicht oft gegessen, aber sicherlich wird diese hier fantastisch schmecken.", lächle ich und gehe neben Harry an den Tisch, wo er für mich einen Stuhl zurückzieht, weshalb ich leicht erröte und mich mit einem leisen „Danke" hinsetze. „Kein Problem." Dann setzt er sich neben mich und lächelt mich kurz an.
„Kannst du mir deinen Teller geben?", fragt Lee mich lächelnd, worauf ich schnell nicke und die Serviette auf den Tisch lege, bevor ich ihm meinen Teller gebe. „Was wollt ihr trinken? Trinkst du Kaffee, Louis?", fragt Ian, worauf ich den Kopf schüttle. „Für mich reicht ein Wasser.", entgegne ich, worauf Harry sich einen Kakao wünscht, was mich schmunzeln lässt. „Du bleibst bei dem Wasser?", hakt Harry nach und schaut mich von der Seite an. Ich nicke und ziehe den Stuhl noch etwas näher an den Tisch. „Okay, ihr könnt schon mal anfangen zu essen.", sagt Ian dann und verschwindet durch den Durchgang dann anscheinend in die Küche.
Nachdem jeder ein Stück Kuchen auf dem Teller liegen hat, schaut Lee lächelnd zu mir und rückt seinen Teller zurecht. „Und ihr beide, was habt ihr gleich noch vor?", will er schließlich wissen, schaut jedoch durchgehend mich an, weswegen ich kurz schlucke und mich am Hinterkopf kratze. Gott bin ich froh, wenn ich endlich wieder Haare auf dem Kopf habe. „Wir wollten gleich einen Film gucken, mehr haben wir noch nicht geplant.", antworte ich dann und schaue zu Harry, der mich lächelnd anschaut. „Louis hat einen Crush auf Magic Mike.", kichert er, worauf ich ihn mit großen Augen anschaue.
„Das stimm nicht. Ich finde Channing Tatum äußerst attraktiv und wäre definitiv nicht abgeneigt, mit ihm etwas anzufangen, aber nicht Magic Mike.", rechtfertige ich mich und hebe eine Augenbraue. „Jeder findet den Film hot, Louis.", grinst er und zwinkert mir zu. Brummend senke ich den Blick auf den Teller und beiße mir auf die Lippe.
„Welchen Film findest du denn am Besten?", will Lee wissen, worauf ich den Blick wieder hebe. „Dear John. Ich weiß nicht wieso, aber die ganze Geschichte fasziniert mich einfach. Auch wenn ich jedes Mal am Ende weine, lohnt es sich immer wieder, den Film anzuschauen. Früher habe ich ihn immer mit einer meiner Schwestern angeschaut, jetzt eher alleine. Mein bester Freund steht nicht auf Schnulzen und meine Mum hat nicht die Kraft dazu.", erkläre ich und bedanke mich bei Ian, als er mir ein Glas Wasser hinstellt.
„Und dein Dad?", hakt Lee nach, worauf ich mir auf die Lippe beiße und tief durchatme. „Er hat uns vor ein paar Jahren sitzengelassen, als meine Mum die Diagnose bekommen hat. Da waren die Zwillinge drei Jahre alt, jetzt dreizehn.", erkläre ich dann und zucke unwohl die Achseln.
„Das tut mir leid.", antwortet Lee und schaut zu seinem Mann, welcher von seinem Kaffee nippt. „Diagnose, ist deine Mum krank?" Ich nicke nur und schaue dann flehend zu Harry, in der Hoffnung, er versteht, dass ich da nicht drüber reden will. Doch leider schaut er mich nicht an, weshalb ich natürlich gefragt werde, was für eine Krankheit meine Mum denn hätte. Nicht zu antworten fände ich unhöflich, weswegen ich nur „Leukämie", murmle und dann mein Stück Kuchen inspiziere. „Oh fuck.", haucht Harry neben mir und schaut mich traurig an. Darauf zucke ich nur mit den Achseln und nehme den ersten Bissen des Kuchen, als auch alle anderen anfangen zu essen. Versucht die Tränen runterzuschlucken, esse ich langsam und höre schweigend den Gesprächen am Tisch zu. Gerade geht es um irgendeinen Verein, jedoch merke ich, wie ich mit den Gedanken immer weiter abdrifte.
Bis mein Handy plötzlich anfängt zu klingeln und ich eine Entschuldigung murmle, ehe ich es aus meiner Hosentasche ziehe und sehe, dass es die Handynummer meiner Mum ist. „Das ist- da muss ich dran.", hauche ich und wische mir über die Augen, bevor ich aufstehe und in den Flur gehe, wo ich neben der Tür stehen bleibe und mein Handy ans Ohr halte.
„Mum?", frage ich direkt und atme erleichtert aus, als ich ihre Stimme höre. „Hey Boo Bear.", entgegnet sie ziemlich schwach, aber sie kann reden. „Wie geht es dir?", will ich sofort wissen und kaue an meinem Daumen herum. „Du weißt, ich gebe mein bestes.", sagt sie, was mich lächeln lässt. „Du bist stark Mum, das wissen wir beide.", hauche ich dann und atme tief aus, damit ich nicht anfange zu weinen. „Wir wissen aber auch, dass es nicht mehr lange dauern wird, bis ich tot bin.", entgegnet sie und schluchzt leise auf. „Du wirst nicht sterben, Mum. Du kannst mich nicht alleine lassen. Die anderen auch nicht. Sie werden wieder zu dir zurückkommen, wenn es dir besser geht. Versprochen.", sage ich direkt und schüttle den Kopf. „Boo Bear, sei realistisch. Das Leben muss weiter gehen und für mich hat es einen anderen Weg vorhergesagt.", will sie mich beruhigen. „Aber ich will dich bei mir haben, Mum. Ich vermisse unsere gemeinsame Zeit, das Familienleben. Ich bin gerade bei Harry und seine Familie ist perfekt, Gott, ich würde alles tun, um mit dir und Dad wieder gemeinsam an einem Tisch zu sitzen. Und mit deinen anderen Kindern, meinen Schwestern. Ich will wieder gerne nach Hause kommen, gemeinsam mit dir kochen, Spiele spielen und Spaß haben.", fange ich jetzt auch an zu weinen.
Warum ich ihr gerade jetzt mein Herz ausschütte, weiß ich nicht, aber es war schon lange überfällig. „Ich weiß und es tut mir so unfassbar leid, dass ich für dich nicht die Mutter sein kann, die du verdienst.", haucht sie, worauf ich ihr direkt widerspreche. „Du bist die beste Mum, die ich mir vorstellen kann.", antworte ich und schlucke laut. „Und du der beste Sohn.", höre ich sie lächeln und muss automatisch ebenfalls etwas schmunzeln.
„Aber wer ist Harry, Boo bear? Ist er dein Freund?", schockiert reiße ich die Augen auf und verschlucke mich an meiner eigenen Spucke. „Du- woher- was?", frage ich und huste leicht. „Woher ich weiß, dass du auf Männer stehst? Schätzchen, ich bin deine Mum.", grinst sie, worauf ich für ein paar Minuten schweigend in die Luft starre und mich dann leise räuspere. „Er ist nicht mein Freund, aber er ist nett und ihr würdet euch bestimmt gut verstehen, aber ich glaube nicht, dass da irgendwas draus wird. Ich meine, wenn man sich ihn mal anschaut, du würdest verstehen was ich meine. Aber ich weiß selbst nicht wirklich, was ich fühle.", murmle ich und seufze leise.
„Nimm ihn doch mal mit. Entweder wenn ich hier wieder raus bin oder ihr kommt doch einfach hier her. Es ist ziemlich langweilig." Zum Schluss gähnt sie laut, was mich lächeln lässt. „Ich frage ihn mal, wenn was ist, ruf an, ja?", lasse ich das Gespräch langsam enden, da Mum sicherlich ziemlich müde ist.
„Mache ich und viel Spaß bei deinem Date.", kichert sie, was mich rot werden lässt. „Es ist kein Date, wir gucken nur einen Film.", rechtfertige ich mich, obwohl ich mir selbst nicht sicher bin, was das heute ist. Immerhin kennen wir uns ja eigentlich nicht wirklich. Und um mich ihm zu öffnen, das würde mich ziemlich viel Überwindung kosten.
„Das schreit förmlich nach einem Date, Boo bear, deswegen will ich euch auch gar nicht stören, bestell ihm viele Grüße, ja? Ich habe dich lieb, Großer.", verabschiedet sie, worauf ich mit einem „Ich hab dich auch lieb." antworte und dann auflege, ehe ich langsam wieder ins Wohnzimmer gehe, wo direkt alle Blicke auf mir liegen.
„Sorry.", entschuldige ich mich und setze mich dann wieder neben Harry, welcher mich mit zusammengebissenen Zähnen kritisch mustert. „Viele Grüße von meiner Mum.", lächle ich und nehme die Serviette, um meine vom Weinen nassen Wangen zu trocknen. „Geht es ihr wieder besser?", fragt Harry vorsichtig und isst dann weiter von seinem fast aufgegessenen Kuchenstück. „Ein wenig, sie hat sich ziemlich müde angehört.", erkläre ich und lächle schüchtern.
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