42. Kapitel
„Also, ich bin mir inzwischen sicher, dass die Lóngs ihren Unterschlupf in Baris unterirdischem System gefunden haben, von dem ich dir erzählt habe." Konzentriert überflog ich meine Notizen, die ich auf Eriks gesamten Schreibtisch verteilt hatte.
„Zum einen, weil es der einzige Bereich ist, der für größere Gruppen infrage kommt und nicht von der Polizei überwacht wird. Zum anderen, weil diese unterirdischen Gänge, fast die gesamte Stadt umfassen und sie somit ein leichtes Spiel hätten unbemerkt eine Bombe hochgehen zu lassen. Beispielsweise das Krankenhaus. Sie mussten diese nicht einmal in das alte Gebäude transportiert haben, ein Stockwerk tiefer, unter der Erde, reicht genauso."
Stundenlang hatte ich die Dateien der Regierung durchgelesen, in denen ich unter anderem die Einsätze der Polizei analysiert hatte. Der Kindergarten, der gestern zerstört wurde, wurde aufgrund eines weiteren Drohbriefes bereits von der Polizei gesichert. Die Kinder wurden auf einen Ausflug in den Zoo geschickt und alle anwesenden Polizisten waren mit Spürhunden ausgestattet worden, die den Sprengstoff jedoch erst kurz vor der Explosion gerochen hatten.
„Und wenn es gar nicht die Lóngs waren, die die Bomben gelegt haben?"
„Dann würde trotzdem kein anderer Ort innerhalb der Stadt infrage kommen, wo sich die Anhänger der Dragãos befinden könnten."
„Aber es gibt ja noch weitere leerstehende Gebäude, die bestimmt nicht alle regelmäßig kontrolliert werden. Versteh mich nicht falsch, es würde schon zu ihnen passen sich wie Maden unter der Erde anzusammeln, aber ich will mich nicht auf etwas fixieren, bevor wir uns nicht hundert Prozent sicher sind. Schließlich haben die Polizisten die Quartiere der Guerras auch nicht entdeckt."
„Natürlich, aber du musst bedenken, dass die Dragãos mindestens dreimal so viele Mitglieder für ihre Mafia haben, als die Guerras. Und selbst das wäre ein Bruchteil von der ursprünglichen Größe der Lóngs."
Erik stützte sich neben mir am Schreibtisch ab und ich bewunderte kurz seine Muskeln, bevor ich meinen Blick abwandte. „Du darfst nicht vergessen, dass die Guerras auch einmal größer war, bevor meine Ex alles weitergeplaudert hat."
„Was nicht deine Schuld war."
„Carlo sieht das anders."
Vorsichtig legte ich ihm meine Hand auf seine und er drehte sich zu mir.
Zu nah. Unsere Gesichter waren viel zu nah.
„Du brauchst mich nicht aufmuntern und schon gar nicht so, wenn du Körperkontakt nicht magst."
„Wenn es dir hilft."
Eriks Mundwinkel zuckten nach oben und ich zog meine Hand weg. Seine selbstgefällige Art ging mir auf die Nerven.
„Aber was ist, wenn sie unter einem falschen Namen und mit einer Veränderung des Aussehens einen normalen Job und Wohnung haben? Außerdem meintest du, dass die Polizei die Gänge nicht patrouillieren würden, bist du dir da sicher?"
Daran hatte ich auch schon gedacht, aber alle anderen Schritte der Dragãos würden dann den Sinn verlieren.
„Dann hätten sie nicht das Risiko auf sich genommen, eine riesige Ladung Essen und Medikamente durch halb Italien zu schicken. Und was die Polizei angeht, die Regierung hat deren Aufgaben aufgelistet und die Gänge wurden seit Mai nicht mehr inspiziert."
Lange hatte ich darüber nachgedacht, warum sie die Dinge nicht hier in der Nähe besorgt hatten, doch vermutlich hatten sie niemanden gefunden der diese für sie ohne Fragen bereitgestellt hätten. Außerdem wurde fast jede Handelskette in Süditalien von einer Mafia kontrolliert.
„Was ist, wenn wir unsere Zeit verschwenden?", fragte ich leise und betrachtete ein Foto, welches mir zuvor noch nie aufgefallen war. Das musste Liam sein, der wie Erik ein pinkes Glitzerkleid trug. Die beiden wären nicht auseinander zu kennen, hätte Erik nicht schon mit drei Jahren das gleich freche Lachen gehabt wie jetzt.
„Anders als dieses Risiko einzugehen, werden wir nicht weiterkommen."
„Das stimmt schon, aber angenommen wir finden ihren genauen Aufenthaltsort. Was machen wir dann? Wir können doch nichts gegen sie unternehmen."
Besorgt betrachtete mich Erik. „Woher kommt diese Unsicherheit? Wir machen das, was von Anfang an der Plan war. Herausfinden was vor sich geht und soweit es möglich ist, gegen die Lóngs arbeiten. Informationen über sie verraten, die Polizei auf sie hetzen, Pläne durchkreuzen, also mir fällt viel ein."
Er hatte Recht, natürlich hatte er das. Wir mussten es nicht alleine gegen jeden einzelnen der Lóngs aufnehmen, um die Mafia zu schwächen. Wir würden es schaffen. Irgendwie.
„Wie wäre es mit einer Pause?"
Ein paar Minuten später saßen wir auf dem Sofa im Wohnzimmer und diskutierten welchen Film wir schauen wollten.
„Ich schaue ganz bestimmt keinen Action Film", entgegnete ich, „bei den ganzen unlogischen Stunts?"
„Und deine Liebesfilme sind realistischer?"
War er jetzt komplett verrückt?
„Das ist doch kein Liebesfilm, ich hasse diesen Kitsch! Das ist ein Horrorfilm Erik. Ein Horrorfilm!"
„Oh."
Ich begann zu kichern, woraufhin Erik mich kitzelte und ich mich schnell nach hinten fallen ließ, um ihn auszuweichen. Erschrocken stützte Erik sich ab, als er das Gleichgewicht verlor und fast auf mich gefallen wäre. Mein Lachen erstarb, als er über mir lag, und mein Herzschlag beschleunigte sich, als er auf meine Lippen starrte.
Oh mein Gott, Erik Alvarez liegt über mir.
Wäre er nicht Erik, würde ich ihn jetzt zu mir ziehen und ihn küssen, aber er war ein Serienmörder und nicht irgendein beliebiger gutaussehende Typ.
Die Klingel ließ uns zusammenzucken und Erik zögerte für ein paar Sekunden, bevor er aufstand.
Schnell sprang ich auf und hastete zur Haustür, um Matthias hereinzulassen. Heute war er wieder in der Stadt unterwegs gewesen und ich hoffte, dass er in keine Kämpfe involviert gewesen war.
Kurz hielt ich inne. Wie normal es sich anfühlte hier zu sein. Anderen die Tür zu öffnen, als würde ich hier fix leben. Ich spürte eine innere Wärme und eine Entspanntheit, von der ich nie gedacht hätte, sie hier zu spüren. Meine Tante, Matthias, selbst Erik, sie hatten es geschafft. Sie gaben mir das Wichtigste, das ich brauchte. Ich war daheim.
Glücklich machte ich die Tür auf und zuckte zusammen.
"Alles okay?", hörte ich Erik aus dem Wohnzimmer rufen.
"Ja", krächzte ich und wusste, dass er mir nicht glauben würde.
In diesem Moment kolierten zwei Welten aufeinander und ich wusste nicht, wie ich damit umgehen sollte.
"Hey", flüsterte ich.
"Hi", meinten sie gleichzeitig.
Meine wunderbare Lilith. Cousine und beste Freundin die man sich wünschen konnte. Sie stand vor mir. Wie ich schon zu Weihnachten gesehen hatte, waren ihre braunen Haare kürzer und sie trug nun ein Nasenpircing, wodurch sie um einiges älter aussah. Und da war Jonah, mit seinen Locken und dem gleichen schiefen Grinsen wie immer. Der Freund, der Lilith und mich jahrelang angelogen hatte.
"Können wir rein?", fragte meine Cousine ohne Umschweife und ich nickte perplex.
Besorgt sah ich zu Erik, der in diesem Moment in den Flur trat. Ich hoffte, dass Eileen kein Problem damit hatte, Mitglieder der Rostovas bei sich zuhause zu haben. Mir fiel nur kein Grund ein, warum es ihr recht sein sollte.
In dem Moment wurde die Tür aufgerissen und Matthias betrat das Haus.
„Hallo Matthias,", meine Stimme klang verunsichert, „das sind Lilith und Jonah. Freunde von mir."
Es war so still, dass ich die Uhr aus der Küche ticken hören konnte.
„Ich bin Erik", durchbrach dieser die Stille und reichte den beiden die Hand, „und dieser Hagrid-Artige Kerl namens Matthias, ist der Verlobte von Cataleyas Tante."
Wäre ich nicht so angespannt hätte ich über Eriks Beschreibung von Matthias gelacht, doch ich konnte mich nicht rühren. Die ganze Situation fühlte sich einfach falsch an.
Als Lilith Erik die Hand gegeben hatte, hatte sie ihn unauffällig abgecheckt. Vermutlich dachte sie gerade darüber nach, woher er ihr bekannt vorkam. Oder sie brachte ihn mit dem Typen in Verbindung, der sie bei unserem letzten gemeinsamen Kampf festgehalten hatte, während man sie fast angeschossen hätte.
„Matthias ist es okay, wenn sie in die Küche kommen?", fragte ich ihn, woraufhin er zögernd nickte.
„Es reicht", meinte Erik, als jeder ein Glas Wasser in der Hand hielt. „Wieso seid ihr hier?"
„Cat ist unsere Freundin", meinte Jonah.
„Wieso jetzt und nicht ein Monat zuvor?"
Nervös spielte Lilith mit einer Strähne. Mit glänzenden Augen sah sie mich an. „Es tut mir leid, dass ich nicht früher gekommen bin. Bitte glaube mir, ich habe dich unendlich vermisst, aber ich wusste nicht wie. Herr Rostovas setzt alles darauf, dich zu finden und ich und Jonah bekamen eine eigene Security, um uns zu überwachen, wenn wir Kontakt zu dir aufnehmen."
Alarmiert schaute Matthias aus dem Fenster, doch Jonah schüttelte beschwichtigend den Kopf.
„Wir hatten Glück und unser Plan hat funktioniert sie abzuhängen."
„Glück würde ich das nicht nennen", entgegnete ihn Lilith.
„Was sonst, ich habe meine Cornicello-Kette getragen." Als wäre dies ein Beweis, zog Jonah sein rotes Glückshörnchen unter seinem Shirt hervor.
„Also verändert hast du dich kein bisschen", zog ich ihn auf.
„Es war so", begann Lilith, „wir haben nicht immer dieselben Bodyguards, wenn man die so nennen kann. Das heißt, wir haben mithilfe von Shoulder Surfing das Passwort eines der Handys herausgefunden."
Unsicher wanderten ihre Augen immer wieder zu Matthias und Erik. Ihr war bewusst, dass die beiden du den Guerras gehörten, doch ich würde ihr nicht den Gefallen tun und die beiden wegschicken.
„Dann habe ich Kampfgeräusche abgespielt und den Aufpasser weggelockt, wodurch Lilith sich Zugriff zum Dienstplan verschaffen konnte. Ich habe es als Prank abgetan, habe aber trotzdem eine saftige Strafe kassiert."
„Auf jeden Fall haben wir heute Morgen ein Arzneimittel in sein Essen gegeben, welches unser heutiger Bodyguard nicht verträgt, sodass er ausfiel. Worauf er allergisch reagiert, habe ich einmal zufällig durch ein Gespräch mitbekommen. Jetzt musste natürlich ein Ersatz her, aber heute waren die meisten unterwegs. Deswegen haben wir auch den heutigen Tag ausgewählt. Tja, Sean hat nun die Aufsicht übernommen und in der Dokumentation die unsere Bodyguards abends über uns abgeben müssen, wird diesmal nicht die Wahrheit stehen. Außerdem ist Sean gerade mit unseren Handys, falls James uns zwischenzeitlich per GPS überwacht, im Gym."
Verwundert stellte ich fest, dass Jonahs Bruder uns geholfen hatte. Sean, der mit Cleo zusammen war, hatte sich selten auf unsere Seite gestellt.
„Das ist ja ganz interessant", meinte Matthias, „aber warum seid ihr hier?"
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