40. Kapitel
Still saßen wir hier auf dem Balkon eines der bestbewerteten Hotels Roms und beobachten den nächtlichen Tumult auf den Straßen und den wolkenlosen Sternenhimmel. Um uns herum herrschte Hektik und Stress, doch hier mit Erik zu sitzen fühlte sich an, wie in einer friedlichen Seifenblase.
Es war, als würden bunte Farben um mich tanzen, so hell und positiv kam mir die Welt auf einmal vor. Dieser Moment war kostbar und ich schätze ihn aus vollem Herzen.
Bloß konnte eine Seifenblase jeden Augenblick platzen und ich wusste nicht, wann es so weit sein würde.
Er würde es ausnutzen. Ich habe ihm mein persönlichstes Geheimnis erzählt, obwohl ich wusste, wer er war. Was hatte ich mir dabei gedacht?
Du hast jemanden davon erzählt.
Ein warmes Gefühl machte sich in mir breit. Ich hatte ausgesprochen, was ich mir Jahre lang nicht getraut hatte überhaupt zu denken. Trotz meiner Ängste hatte ich es geschafft mich einer anderen Person zu öffnen.
Ich spähte zu Erik und meinte: „Wir sollten reingehen, erfroren bringst du mir nichts mehr."
Leise lachend schüttelte Erik den Kopf, stand jedoch trotzdem auf. „Ich und erfrieren", murmelte er und beobachtete meine zitternden Arme, „also das wollen wir ja wirklich nicht."
„Und du schläfst nicht am Boden", mahnte ich ihn. Er musste sich schonen, ich wollte nicht der Grund sein, warum er das nicht konnte.
Erik wollte sich zur Wand legen, dort wo ich davor gewesen war, doch ich unterbrach ihn. „Kann ich auf dieser Seite sein bitte?"
Verwirrt schaute er mich an und nahm kommentarlos die andere Seite des Bettes. Vermutlich dachte er, mir so weniger das Gefühl zu geben eingeengt zu werden. Meine Wangen brannten, doch ich würde auf der falschen Seite noch schlechter schlafen können, wie ich es diese Nacht vermutlich sowieso tun würde. „Ich bin es gewohnt, die Wand am Rücken zu spüren", versuchte ich ihm zu erklären und Erik nickte beschwichtigend. „Kein Stress. Hauptsache du kommst nicht wieder auf die Idee mit dem Boden, du musst genauso wie ich deine Wunden schonen. Wenn du dich auf den Teppich legst, mache ich es dir nach."
Als ich mich diesmal ins Bett legte, kam mir der Abstand zu Erik viel größer als zuvor vor. Vielleicht war es echt besser im Bett zu liegen, schließlich war es hier viel bequemer, als der Teppich es sein konnte. Müde kuschelte ich mich ins Kissen und augenblicklich entspannten sich meine Muskeln. Wie konnte etwas so gemütlich sein?
Verschlafen kniff ich die Augen zusammen. Durch meine geschlossenen Lider konnte ich erkennen, dass der Raum erhellt sein musste. So entspannt war ich schon lange nicht mehr aufgewacht, vielleicht zahlte es sich doch aus die teureren Zimmer zu buchen.
Langsam kehrten meine Sinne zurück und ich realisierte, dass etwas nicht passte. Zum einen spürte ich ein Pochen im Kopf, zum anderen fühlte sich so kein Kissen an. Erschrocken öffnete ich die Augen und starrte auf Erik der sich im Schlaf gedreht haben musste. Mein Kopf lag an seiner Brust, während sein Kinn gegen meine Kopfhaut drückte.
Wie lange lagen wir schon aneinander gekuschelt da?
Vorsichtig kletterte ich aus dem Bett, ohne Erik aufzuwecken. Natürlich war es kindisch von mir, es war schließlich nichts passiert, aber wenn er nichts davon wusste, mussten wir nicht darüber reden.
Ich ging ins Bad und wollte mich fertig machen, doch viel konnte ich nicht anrichten. Da die Reise nach Rom sehr spontan erfolgt war, hatte ich ausschließlich ein paar Hygieneartikel dabei, die ich beim Bahnhof gekauft hatte. Ein Blick auf meine zerrissene Kleidung von gestern reichte, um Eriks Oversized-Pulli anzulassen, selbst wenn dieser zu sehr nach seinem Parfum roch. Ich spürte immer noch meinen Herzschlag, als ich mit meinen Fingern mein Haar bändigte.
Wie konnte es sein, dass Erik mich so aus der Bahn werfen konnte?
Es war nicht zu leugnen, dass er verdammt gut aussah und nicht wie vielen anderen in seinem Alter, die Welt mit einer kindlichen Naivität sah, oder keine Verantwortung übernehmen konnte. Außerdem konnte er kämpfen und war nicht wehrlos.
Ihr seid nicht auf einer Wellenlinie. Solltest du nicht eher über die gestrigen Geschehnisse nachdenken?
Meine kurzzeitig aufgetauchte Energie verschwand wieder und ich realisierte, dass ich nicht ewig so tun konnte, als wäre der gestrige Tag nicht passiert. Ein halbes Jahr. Mindestens sechs Monate waren die Lóngs schon in Italien, ohne dass die Regierung die geringste Ahnung davon hatte.
Selbst den Mafiaorganisationen war nicht bewusst, wie lange sich ihr größter Konkurrent wieder im selben Land befand.
Es sollte mir egal sein. Ich war nicht mehr Mitglied der Rostovas, ich musste nicht mehr mein eigenes Leben riskieren, um einer Mafia auf die Schliche zu kommen. Ich musste der Polizei nicht die Arbeit erleichtern.
Das Problem war, dass ich das nicht konnte. Ich wusste, dass mein Land und dessen Einwohner durch die Mafias in Gefahr waren und ich etwas dagegen tun konnte. Im Gegensatz zu vielen anderen Italienerinnen und Italienern hatte ich die benötigte Ausbildung erhalten, um gegen die Mafia anzukämpfen und das sollte ich nutzen.
Wäre es nur der Drogenhandel, hätte ich mit dem Thema abschließen können, aber die Versuche die Regierung zu ihren Gunsten zu lenken, ohne auf die Auswirkungen gegenüber der Bevölkerung zu achten waren verachtenswert. Am schlimmsten war der Menschenhandel, bei dem sogar Kinder zur Prostitution gezwungen wurden.
Letztes Jahr konnten wir noch rechtzeitig eine Gruppe Jugendlicher retten, die mit einem gutbezahlten Job in Deutschland gelockt wurden. Die jüngste unter ihnen, die zwölfjährige Agata, hatte stundenlang weinend neben mir gesessen und keinen an sich herangelassen.
Meine Hand zitterte vor Wut bei dieser Erinnerung. Die Lóngs würden nicht wieder an die Macht kommen. Nicht, solange ich noch lebte.
Es klopfte an der Tür und ich war einen schnellen, prüfenden Blick in den Spiegel, bevor ich die Tür öffnete.
„Alles okay?"
Schlagartig spürte ich wieder das schmerzhafte Pochen an der Seite meines Kopfes.
„Ich glaube ich habe eine Gehirnerschütterung, bei dir?"
Erik zuckte mit den Schultern, was wohl Antwort genug war und gab mir eine Schmerztablette.
„Ich wollte fragen, ob du etwas bestimmtes essen möchtest, oder ob ich einfach das Frühstücksset für Zwei bestellen soll."
„Das Frühstücksset klingt super, aber fällt es nicht auf, wenn du etwas für zwei Personen bestellst?"
Erik grinste hinterlistig: „Nö, mach ich meistens, damit ich noch etwas für die Fahrt habe."
Wie oft war er auf solchen Missionen?
„Wir sollten anfangen die Zettel von gestern durchzugehen", meinte ich und Erik stimmte mir zu. „Wenn dort jetzt nichts Wichtiges drinsteht, war alles umsonst."
Daran hatte ich auch schon gedacht.
„Aber wenn ich die Zettel nicht mitgenommen hätte, würde ich mir ewig Vorwürfe machen, die Chance nicht genutzt zu haben und eventuell bedeutende Informationen verloren zu haben."
„Ich weiß."
Es dauerte nicht lange, bis das Frühstück ans Zimmer geliefert wurde und ich holte die Zettel aus meiner Jackentasche.
Gespannt blätterten wir durch die Dokumente. Es waren Mails, zwischen zwei Personen, mit gründlich weggeschnittenem Absender.
„Ich frage mich, wofür diese gedruckt wurden und wer sie hätte holen sollen", überlegte ich laut und Erik stimmte mir zu.
In den Nachrichten ging es um die Besorgung von Lebensmitteln und Heilmittel und wie diese großen Mengen beschafft werden sollten. Doch es musste einen Grund geben, wieso diese nicht mit dem Rest der Festplatte für immer gelöscht wurden.
„Das Datum", murmelte ich, „die wurden alle geschrieben, nachdem die Lóngs das Kolosseum verlassen hatten."
„Die siedeln sich woanders an", bestätigte Erik grimmig meinen Verdacht.
Vermutlich hatten sie schon längst weitere Unterschlüpfe in der italienischen Hauptstadt gefunden. Solange sie ihren Standort wechselten, wussten wir wenigstens, dass sie sich noch nicht sicher genug fühlten, um sich mit gefälschten Ausweis, wie normale Bürger zu verhalten.
Es wäre jedoch auch ein guter Schachzug sich zuerst die kleinen Städte unter den Nagel zu reisen, bis sich die Regierung nicht mehr gegen alle Gemeinden währen konnte.
Oder es war alles eine Falle. Eine durchgeplante Intrige, um uns weißzumachen, dass sie sich nicht mehr im Kolosseum befanden.
„Irgendwo muss es doch einen Hinweis geben, wohin die Essenslieferungen erfolgen sollen", beharrte ich, nachdem ich Erik von meinen Theorien erzählt hatte.
Ich spähte zu Erik der die Bestellungen prüfte.
„Es richtet sich eindeutig an einen Ort und der Menge nach zu urteilen, wird diese Stadt ein gewaltiges Problem haben. Ich glaube wir können alleine von den Nachkommenden mit etwa 110 Mitgliedern der Lóngs rechnen."
Ich nickte, aber viel brachte uns diese Info nicht, solange wir die Stadt nicht wussten, in die gesiedelt wurde.
„Die haben schon neue Mitglieder, die jetzt natürlich frei herumlaufen dürfen, weil sie nicht auf der Liste der Gesuchten stehen", merkte ich eine Weile später an.
Frustriert vergrub Erik sein Gesicht in seinen Händen, bevor er mich mit einem müdem Blick anschaute. „Ganz ehrlich, ich kann nicht behaupten, dass ich es an Stelle der Lóngs anders gemacht hätte. In den Mails, die ich gerade gelesen habe, wird sehr oft ein Güterzugunternehmen für den Transport der Nahrung und Medikamente erwähnt. Ich gehe stark davon aus, dass dieses Unternehmen Mitarbeiter hat, die Teil der Lóngs sind."
„Zeig her."
Erik reichte mir den Zettel und las weiter.
„Ah jetzt versteh ich", meinte er, ohne mein entsetztes Gesicht zu bemerken, „irgendeine Madelin Kommschung ist die vorübergehende Leiterin der noch im Kolosseum verbliebenen Mafiamitglieder und für sie sind die gedruckten Mails, da sie sich um die restlichen Käufe kümmern muss."
Wie in Watte gepackt starrte ich Erik hilflos an, doch er hatte nur Augen für seinen Zettel.
„Also ich schätze einmal, wenn die restlichen Leute aus dem Kolosseum ausziehen, dass für diese dann auch genug Essen vorhanden ist. War gedruckt vermutlich einfach sicherer, als es ihr aufs Handy zu schicken."
Panik stieg in mir hoch.
„Aber die haben nicht mit uns gerechnet, nicht wahr Cat? Cataleya, alles in Ordnung?"
Ich schüttelte den Kopf, brachte jedoch kein Wort heraus. Dann begann ich plötzlich zu lachen. Es klang schrill, doch ich konnte es nicht stoppen.
„Kennst du diese Zug Linie nicht?", fragte ich japsend.
„Es ist ein kleines Zugunternehmen, der genau zwischen zwei Stationen hin und her fährt. Nämlich Rom und unserer Stadt Bari."
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro