37. Kapitel
Ich wusste nicht, wann ich zuvor so lange und schnell gerannt war. Ich bekam zu wenig Luft, meine Lunge brannte und ich hatte krampfartige Schmerzen in der Leber.
Links von mir traf eine Patrone die Mauer und die nächsten Schüsse ließen nicht lange auf sich warten. Ohne das Tempo zu verringern, schoss Erik nach hinten, doch ich bekam nicht mit, ob er jemanden getroffen hatte, da wir nach rechts abbogen. Wir liefen nie länger als nötig gerade aus, sobald es möglich war, flohen wir in einen seitlich wegführenden Gang.
Nicht langsamer werden. Auf keinen Fall durften wir langsamer werden. Etwas weniger Tempo und wir waren tot.
Es kam mir vor wie ein Wunder, als wir eine Treppe erblickten und die Stufen nach oben stolperten.
„Bitte sei offen", flüsterte Erik und verzog unglücklich das Gesicht, als er versuchte die hölzerne Tür zu öffnen.
Ich nahm Anlauf und rammte meine Schulter gegen das Holz, das durch den Aufprall Risse bekam. Ein weiteres Mal ließ ich mich dagegen fallen und die Tür zerbrach weit genug, sodass wir uns durchzwängen konnten.
Wir waren draußen. Die Luft roch nach Pizza und Fröhlichkeit lag in der Luft. Irgendwo sang jemand „Felicità", während ich einen kurzen Moment brauchte, um mich zu orientieren.
Das Kolosseum. Das Event mit dem Papst. Unsere Verfolger.
Es war nicht die Treppe gewesen, mit der wir in das Innere des Kolosseum gekommen waren, stattdessen befanden wir uns in der Mitte des Events und nun war es die Menschenmenge, die uns den Weg versperrte, während die Lóngs immer näherkamen.
Wir drängten uns zwischen den Touristen durch, bis wir draußen waren und den Trubel hinter uns ließen.
Glücklich sahen wir uns an und vergewisserten uns, dass wir auch wirklich nicht mehr verfolgt wurden. Mit den roten Masken wären unsere Verfolger sehr auffällig zwischen den vielen Polizisten, die das Event überwachten.
Zu meinem Entsetzen entdeckte ich sie und Erik raufte sich genervt seine Haare, bevor wir wieder weiterrannten. Wir hatten einen großen Vorsprung, doch wir durften nichts riskieren. Erik rannte voraus und wählte eine Vielzahl an Seitenstraßen.
Kurz befanden wir uns wieder auf der Hauptstraße und Erik deutete auf ein Gebäudekomplex in der Ferne. Mit französischem Akzent sprach er: „Das ist das Musei Capitolini, Museum für diverse Antikensammlungen und Kunstgalerien. Geht auf das Jahr 1478 zurück. Interessant, aber es einmal zu sehen reicht."
Also das war gerade mein kleinstes Problem. Ich sah über meine Schulter und entdeckte unsere Verfolger aus der Nebengasse kommen, woraufhin ich Erik in die nächste Seitenstraße zog, bevor die Lóngs uns erkennen konnten.
Erik kannte anscheinend jede einzelne Straße, denn zu fast jedem Stein konnte er mir den geschichtlichen Hintergrund erzählen.
Als wir ein weiteres Mal auf die Hauptstraße kamen, sah ich eine Vielzahl an Säulen, die jedoch zu keinem Gebäude gehörten. „Das Forum Romanum, diese Ruinen bilden das Zentrum des alten antiken Roms."
„Erik, danke für deine kostenlose Stadtführung, aber wir haben gerade echt andere Sorgen."
Dieser zuckte nur grinsend mit den Schultern. „So schnell werden wir nicht wieder in Rom sein." Dann begann er auf einer provozierenden Art „Felicità" vor sich hin zu summen. Er war zu leise, als dass wir dadurch Aufmerksamkeit erregen konnten, trotzdem nervte mich sein Verhalten.
Wie konnte er so unüberlegt handeln? Wir wussten nicht, wie lange wir noch rennen würden und er verschwendete dafür seinen Atem?
Aber am wenigsten verstand ich, warum es mich störte. Es konnte mir so egal sein, was er tat. Er war immer noch Erik Alvarez.
Für den du jemanden umgebracht hast.
Krampfhaft versuchte ich meine Gedanken zu ignorieren. Rechts von mir war ein Fluss, ich glaube der Tiber. Das Wasser sah schmutzig aus, aber das lag vermutlich auch daran, dass die Sonne schon fast untergegangen war. Vor mir befand sich eine breite Brücke. Diese sollten wir nicht benutzen, denn dort würden wir uns nicht verstecken können.
„Erik bleib stehen", befahl ich, als Erik begann den Tiber zu überqueren.
„Diese Pfälzer Brücke, nennt man auch Ponte Palatino", erklärte er, als wäre er ein Touristenführer. Er hatte sogar aufgehört zu laufen.
„Hör auf damit und geh schneller", unterbrach ich ihn, „wir müssen hier runter, bevor die Lóngs uns entdecken."
Erik grinste verschmitzt und beschleunigte seinen Schritt wieder. „Die Pfälzer Brücke ist 155 Meter lang und 19 Meter breit. Früher fanden hier oft Steinschlachten zwischen den Bezirken statt."
„Interessiert", meinte ich sarkastisch.
Ich hatte jemanden wegen ihm umgebracht und er benahm sich wie ein Kleinkind.
Als wir uns von der Brücke aus nach links begaben verlangsamte Erik seinen Schritt wieder und blieb vor einem Hotel stehen. Hinter uns war niemand von unseren Verfolgern zu sehen.
Langsam betrachtete ich die goldene Fassade und legte meinen Kopf in den Nacken, um das oberste Stockwerk zu sehen. Die Aussicht von dort musste überwältigend sein.
"Dort oben werden wir schlafen."
Witzig.
"Wenn du zahlst", entgegnete ich herausfordernd.
"Dachte, das wäre logisch", meinte Erik und zog eine goldene Karte aus seiner Jacke.
"Das hat 5 Sterne", meinte ich fassungslos.
Da begann Erik zu lachen.
"Das wird von den Guerras bezahlt, das Zimmer ist sogar schon reserviert. Ist aber nur eins, die Ausgaben von der Kreditkarte sind leicht nachzuverfolgen."
„Die bezahlen das?"
"Ja," antwortete Erik lachend, „ich habe dir das im Zug erzählt."
Fassungslos starrte ich ihn an, bis mir seine Aussage richtig bewusstwurde. Es gab nur ein Zimmer. Ich konnte nicht neben ihm schlafen, vor allem jetzt, wo ich wusste, wer er wirklich war.
Alvarez.
Ich schaute zu ihm und schüttelte den Kopf.
„Wir kommen da nicht rein, hast du uns angeschaut? Wir sind voller Blut, die glauben wir sind verrückt. Wir suchen einfach ein billigeres Motel. Dafür habe ich auch genug Geld mit."
Frustriert rieb sich Erik die Stirn.
„Das Hotel hier steht unter Carlo Morenos Kontrolle. Der wird mich nicht hinterfragen, wenn ich mit der Karte von Moreno zahle. Nur du musst dich reinschleichen."
Ein Hotel der Guerras. Wird ja immer besser.
~*~
„Wow", entfuhr es mir, als wie in das Hotelzimmer traten und Erik seinen Rucksack auf den weichen Teppichboden fallen ließ. Entgegen meinen Erwartungen war ich problemlos durch einen Hintereingang ins Hotel gekommen.
Ich war schon in vielen teuren Hotels übernachtet, aber keines war vergleichbar gewesen mit diesem hier. Das Zimmer war riesig, durch den großen Fernseher und der Romantik artigen Wandverzerrung modern und edel zugleich und hatte einen Balkon mit einer atemberaubenden Aussicht über Rom.
Nur das Bett gefiel mir nicht. Ich konnte nicht neben ihm schlafen. Das wäre...zu nah. „Also", unterbrach Erik meine Gedanken, „was willst du essen?" „Ich kann jetzt nicht ins Hotelrestaurant gehen, als wäre ich ein normaler Gast." „Süß", meinte Erik. „Was?" „Du. Du bist süß." Ich zog meine Augenbrauen in die Höhe und drehte mich weg, als meine Wangen anfingen zu brennen.
Er tötet, ohne zu zögern.
Als meine Hormone sich wieder beruhigten drehte ich mich wieder zu Erik, der mich immer noch erwartungsvoll ansah. Diesmal hielt er ein silbernes Tablet in der Hand. „Schon einmal etwas von Zimmerservice gehört?"
Ach, deswegen das „Süß", ich war eindeutig zu müde zum Denken. „Pizza Hawaii mit Mais und Zwiebel bitte", antwortete ich ihm verlegen. „Perfekte Wahl", meinte er, während er etwas ins Tablett tippte. Sein Gesichtsausdruck zeigte jedoch, dass er meine Liebe zu meinem Lieblingsgericht nicht teilte.
Während wir auf das Essen warteten, ging ich ins Badezimmer, um mich umzuziehen, nur um zu realisieren, dass ich nichts anderes zum Anziehen mithatte. Müde betrachtete ich mich im Spiegel, der die komplette linke Wand einnahm. Mein Gesicht war schmutzig, an meiner Schläfe befand sich ein Bluterguss und meine Kleidung war teilweise rot eingefärbt und klebte an meiner Haut. An meinem rechten Bein war die Hose eingerissen und plötzlich begann die Haut darunter zu brennen.
Vorsichtig zog ich mich aus und versorgte die Wunde. Zumindest schien das die tiefste Wunde zu sein. Die aufgeplatzten Handknöchel hatten aufgehört zu bluten und auch die anderen schmerzenden Stellen würden morgen höchstens als blauer Fleck sichtbar sein. Nur mein dröhnender Kopf machte mir Sorgen. Sollte ich eine Gehirnerschütterung haben, bräuchte ich Bettruhe, für die mir die Zeit fehlte.
Meine Finger zitterten, als ich das Wasser in der Dusche aufdrehte. Es würde nicht mehr lange dauern, bis mir die Panik überfallen würde wie eine Lawine.
Schritt für Schritt handeln, du schaffst das.
Vorsichtig wusch ich das getrocknete Blut meiner Haut. Als nächstes die Haare. Eriks brauner Farbspray löste sich von meinen Haaren und die blonde Farbe kam wieder zum Vorschein.
Ich konnte nicht neben Erik schlafen. Es ging nicht.
Mein Hals fühlte sich an, als hätte ich Staub geschluckt und ich hustete.
Ich hatte jemanden umgebracht. Ich hatte jemanden umgebracht und wusste nicht einmal seinen Namen.
Hey ihr Lieben <3
Habt einen schönen Tag.
Eure KS
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