12. Kapitel
Die Zeit stand still.
Jeder Schlag ihrer Standuhr verhöhnte mich. Viel zu langsam dauerte die Abfolge des leisen Tickens des Sekundenzeigers. Viel zu langsam verging die Zeit.
Ich sollte handeln. Etwas tun.
Doch ich konnte nicht.
Sollte sie mich verraten gab es keinen Ausweg.
Auf der rechten Seite des Raumes befand sich eine Tür, die in ihr Bad führte, doch aus diesem gab es keinen weiteren Ausgang.
Neben dem großen Fenster stand ein Bett, sodass Lilith vor dem Einschlafen bequem nach draußen schauen konnte. Als Fluchtmöglichkeit unbrauchbar, diesen Sprung würde ich nicht überleben.
Ich starrte auf die verschlossene Tür, suchte krampfhaft nach einem guten Plan. Eine Chance die Kontrolle zu behalten.
Unruhig stand ich auf und ging durch ihr Zimmer.
Auf ihrem Schreibtisch lagen ihre Schulsachen, auf dem Boden hatte sie ihr Glas Wasser abgestellt und auf ihrem Nachtkasten lag ein unfertiges Sudoku.
An den mintgrün gestrichenen Wänden hingen Fotos. Die meisten von uns drei.
Lilith, Jonah und ich als Piraten verkleidet.
Wir, wie wir ein Wettessen veranstalteten und uns unsere Lieblingseissorten reinstopfen. Mein Mund war mit Schokoeis verschmiert, während Lilith fein und brav ihr Erdbeereis zu löffeln schien. Gewonnen hatte Jonah. Wie auch immer er den Geschmack von diesem Minze-Zitrone aushielt.
Mein Blick wanderte weiter nach rechts.
Je weiter ich kam, desto älter waren die Bilder. Am liebsten mochte ich das Bild, welches Liliths Mutter Maria gemacht hat als wir sieben waren. Wir und Cleo die damals elf war, hatten uns hinter einer Pflanze versteckt, um ein Gespräch zu belauschen. Unsere Münder waren leicht geöffnet und unsere Augen strahlten Anspannung aus.
Ich schaute wieder zur Tür.
Wann hatte ich aufgehört meiner besten Freundin zu vertrauen?
Benommen schluckte ich. Es war doch Lilith. Sie würde mich nicht verraten.
In dem Moment ging die Tür auf und hinter meiner Freundin kam ein hellbrauner Lockenkopf zum Vorschein. Erleichtert umarmte ich Jonah, doch unser Lächeln war anders als sonst. Gezwungener.
Sie starrten mich an. Eine stille Aufforderung zu erklären, wo ich war.
"Ich hab Eileen getroffen. Ich war bei ihr."
Kein guter Start.
"Lilith, als du gegangen bist, um dein Gewand zu holen, wurde ich angegriffen. Sie haben mich erkannt. Ich schätze von unserem Kampf letzte Woche, wegen McLiar. Aber das ist nicht wichtig."
Ich greife nach einem herumliegenden Bleistift, um das Zittern meiner Hände zu stoppen.
"Sie haben mich entführt, wollten Informationen von mir. Dort habe ich etwas über die Rostovas herausgefunden. Wir sind selbst kriminell."
Nervös lachte ich kurz auf. Dann erzählte ich den Rest der Geschichte.
Je weiter ich kam, desto größer wurden Liliths Augen und entsetzter ihr Gesichtsausdruck.
"Es tut mir leid, dass ich nicht früher gekommen bin."
Jonah raufte sich die Haare, während Lilith verzweifelt versuchte etwas zu sagen.
Eine Schwere legte sich auf meinen Brustkorb, als ich Jonah beobachtete. Er wirkte durcheinander, doch irgendetwas passte nicht.
"Du hast es gewusst."
Diese Stille war nicht mit Ruhe zu vergleichen. Ruhe war entspannend, baut auf. Das hier war der Horror. Man ahnte was kommt und doch will man die Antwort nicht hören.
"Cat. Ich, ich bin doch erst so mit fünf zu euch gekommen. Als meine Eltern beigetreten sind, war ihnen das schon bewusst."
Seine Stimme klang entschuldigend, doch das brauchten wir nicht. Nichts konnte die Enttäuschung in Liliths Gesicht wett machen.
"Was hätte ich den tun sollen? Wenn ich was gesagt hätte, wären meine Eltern wahrscheinlich gefeuert worden und hätten einen hohen Geldbetrag zahlen müssen. Oder keine Ahnung was sich dein Papa dann ausdenkt! Und tut nicht so, als hättet ihr anders gehandelt!"
"Hätten wir," flüsterte sie mit bebender Stimme, "Für was waren wir denn befreundet?"
"ACH JA? ALSO KANN ICH WAS DAFÜR, DASS MAN EUCH ZU WENIG VERTRAUT?"
Als er Liliths Blick sah, wurde er still und verließ den Raum, ohne mich noch einmal anzuschauen.
Schulterzuckend wandte sich Lilith an ihren Schreibtisch. "Deine Schulsachen", sie überreichte mir meinen Rucksack, "der lag am Boden als ich wieder gekommen bin."
Eine Träne rann über ihre Wange.
"Vielleicht kannst du sie ja noch brauchen."
Nun eine zweite.
Vorsichtig nahm ich ihr den Rucksack ab und umarmte sie, worauf sie anfing zu schluchzen. Wir standen still da, unsere Herzen im Gleichtakt.
"Du musst los", flüsterte sie nach einer Weile. "Sollte Jonah wirklich melden, dass du hier bist, du wärst am Arsch."
Ich wollte nicht gehen.
"Was machst du jetzt?"
"Ich werde vorerst mit meiner Mama reden. Sie muss es auch gewusst haben."
Benommen nickte ich.
"Da ist noch was Cat. Ich habe zufällig ein Gespräch zwischen Herr Rostovas und Cleo mitbekommen. Es wird vermutet das ein Rostovas Mitglied ein Verräter ist. Und sie haben nicht von dir gesprochen."
"Zufällig?", ich grinste.
"Also geplant war es nicht, von dem her." Sie grinste nun auch.
Ich wünschte ich könnte noch irgendwelche aufmunterten Worte sagen, da schob sie mich schon zur Tür.
Vorsichtig spähte sie nach draußen und zuckte zusammen.
"Hallo Lilith, könnte ich bitte mit Cataleya reden?"
Zögernd ging sie zur Seite, wodurch ich James direkt gegenüberstand. Hinter ihm befanden sich weitere Agenten.
Das kann nicht gut ausgehen.
Mein Kopf fing an zu pochen und eine Müdigkeit überfiel mich, die meine Augenlider schwer werden ließ.
Mit gesenktem Kopf folgte ich ihm. Wir gingen die grauen Stiegen nach unten, bis in den ersten Stock.
Als wir stehen blieben hob ich meinen Kopf. Sofort wurden die Schmerzen größer.
Er führte mich in sein Büro, die anderen folgten ihm.
Ohne auf seine Aufforderung zu warten ließ ich mich auf den Sessel fallen, der seinem gegenüberstand. Dazwischen war nur sein Bürotisch.
"Cataleya Isra Rostovas, ich nehme an deine Entscheidung steht fest."
"Ja, meine Entscheidung steht. Ich werde nicht mehr für dich malochen."
Vater und Tochter, und die gemeinsame Unfähigkeit ihre Anspannung zu zeigen.
"Nun denn, dann unterschreiben wir das hier schnell und die Sache ist erledigt."
Gleichgültig kramte er einen Stapel Papiere aus einer Schublade, um sie vor mir abzulegen.
Kurz verharrte ich, dann las ich sie mir durch.
Am Ende des zweiten Zettels realisierte ich langsam, warum mir die Polizei angehängt wurde.
"Ich werde meinen Namen nicht auf diese Papiere schreiben."
"Interessant."
"Ich werde mich nicht von euch abhängig machen, nur damit ihr sicher sein könnt, dass ich nichts versehentlich ausplaudere."
"Dass, oder du malochst weiterhin für uns."
Ich müsste mein Kontodaten mit ihnen teilen, sodass mir alles genommen werden kann, sollte ich auch nur irgendwas erzählen. Mein erster Gedanke war ein zweites Konto anzulegen. Jedoch würde ich zusätzlich überwacht werden. Sollte nach mehreren Monaten Arbeit kein Geld auf meinem Konto landen, wäre mein Plan aufgedeckt.
Wie kam Eileen bei diesem Vertrag davon?
"Wie lange gibt es solche Verträge schon?"
James schaute mich lange an, bevor er antwortete: "Seitdem es notwendig ist."
"Seit vier Jahren", meldete sich ein Umstehender zur Wort.
Eileen war davor gegangen, sie würde mir nicht helfen können.
"Wieso verfolgte mich die Polizei."
Ein kurzes Zucken seines rechten Auges verriet ihm. Er wurde zornig.
Trotzdem blieb seine tiefe Stimme ruhig als er antwortete.
"Zeit aufschieben, weil du nicht weißt, was du machen sollt. Das ist also aus meiner Tochter geworden?"
Meine kurz verdrängten Kopfschmerzen benebelten meine Gedanken, hinderten mich daran klar zu denken.
Alles war so laut.
Selbst das Öffnen der Tür.
Heyy
Ich wünsche euch allen ein schönes neues Jahr!
Natürlich wird Corona nicht einfach verschwinden, nur weil wir 2022 haben, aber wir können das beste daraus machen. :)
❤❤❤❤❤❤
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro