Kapitel 6 - Malea
Maleas Sicht
«Ronja!», schreit Elliot zu gefühlt hundertsten Mal. Er hüpft fröhlich auf seinem kleinen Bett auf und ab. Der Lattenrost knarzt, nicht ganz so fröhlich.
«Aber wir haben den Film doch schon gesehen», erwidere ich, als er immer noch darauf beharrt, dass ich ihm Ronja Räubertochter als Gutenachtgeschichte vorlese.
«Trotzdem!» Er hört auf zu hüpfen und nickt ernst. «Ma, diese Geschichte müssen wir lesen!»
Dann hüpft er wieder wie wild. Sein Kinderbett hat die besten Jahre schon hinter sich, weswegen ich vermute, dass der Lattenrost kaputt gehen wird, wenn er so weiter macht. "Okay, okay! Ich lese Ronja vor, aber nur wenn du endlich aufhörst zu hüpfen."
Er setzt sich sofort unschuldig grinsend an den Bettrand. Das hätte ich von Anfang an machen sollen, denke ich seufzend. Schnell hole ich das Buch aus dem Bücherregal im kleinen Wohnzimmer und setze mich neben Elliot.
«Ronja Räubertochter von Astrid Lindgren», beginne ich und blättere zur ersten Seite.
«Nein warte!», unterbricht Elliot mich da schon. «Vorher will ich noch was wissen. Warum magst du Ismael nicht?»
Verwundert sehe ich ihn an. „Woher weisst du das?"
„Du redest kaum mit ihm. Und wenn, bist du immer so... so ohne Wärme.»
Ich seufze erneuert – meine neue Lieblingsbeschäftigung und streiche Elliot über die strohblonden Haare. „Weisst du Elliot, es ist nicht immer so leicht. Ich kann Fremden nicht so schnell vertrauen. Ausserdem wusste ich anfangs nicht ob er so ist wie der Vorherige Praktikant.»
Es tut mir leid Elliot anzulügen, aber es geht nicht anders. Ich kann niemanden von der Existenz der Werwölfe erzählen. Niemandem kann ich es antun in ständiger Angst vor diesen Bestien zu leben.
Auch wenn die letzten Tage - es sind schon fast zwei Wochen vergangen – mit dem Wolf weniger schlimm waren als gedacht. Ich muss zugeben Ismael kann ganz sympathisch sein und letzte Woche Mittwoch im Tram, war er wirklich eine grosse Hilfe. Ohne ihn wäre es wahrscheinlich in einer Schlägerei ausgeartet.
Seit dann scheint er mir jedoch ein wenig abwesend. Ich weiss nicht warum - habe aber den Verdacht, dass etwas Schlimmes vorgefallen ist. Sollte ich ihn vielleicht fragen?
«Aber jetzt ist Ismael nicht mehr Fremd und er mag Kinder, nicht so wie der alte Praktikant», sagt Elliot stur.
«Nagut, in Zukunft werde ich netter zu ihm sein. Okay?» Ich gebe es auf mit ihm zu diskutieren, ausserdem ist es sowieso eine gute Idee. Der Wolf hat sicher kein Interesse an Menschen, also ist es besser sich ihm gegenüber normal zu benehmen.
«Super! Dann kannst du ja jetzt weiterlesen.» Er schaut eifrig auf die erste Seite.
«Der Himmel war hell erleuchtet von den vielen Blitzen, während der Donner überall grollte. Der Sturm Riss an allen Bäumen und lies sie aussehen wie gefährlich Monster. In dieser Stürmischen Nacht zerteilte ein Blitz die Mattisburg, gleichzeitig wie die kleine Ronja zur Welt kam...»
@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@%@
Eine Stunde später sitze ich frisch geduscht in meinem Pyjama am Klavier. Elliot ist zum Glück schon nach dem ersten Kapitel eingeschlafen. Ich bin froh, dass es nicht länger gedauert hat, denn dann hätte ich nicht die fabelhafte Welt der Amélie üben können.
Am Montag gibt es an meinem Gymnasium ein Vorspielen bei dem ich unbedingt teilnehmen will. Sie brauchen einen Pianisten für das Theaterstück, bei dem alle Schüler sich anmelden können. Es ist ein grosses Ereignis, weswegen ich ziemlich aufgeregt bin. Ich habe beschlossen das ganze Wochenende dafür zu üben, um auch ja alles flüssig zu spielen.
Genau wie in der Gutenachtgeschichte für Elliot stürmt es an diesem Freitagabend, mit dem Unterschied, dass der Blitz nirgends einschlägt – zumindest soweit ich weiss.
Ich persönlich mag Gewitter, aber weiss auch nicht warum. Irgendwie ist es dann immer so gemütlich mit Jogginghose und Pullover im trockenen zu sitzen und raus in den dunklen Wald zu schauen. Oder Klavier zu spielen.
Ich spiele das Stück fürs Vorspielen mehrmals, bis ich es einigermassen kann. In früherem Klavierunterricht habe ich es auch schon geübt, aber vieles vergessen, da dies mindestens fünf Jahre her ist. Heute nehme ich keinen Klavier Unterricht mehr. Entweder ich bringe mir die Stücke selbst bei oder ich lerne von Videos auf YouTube. Ich denke, dass ist um einiges effektiver, als viel Geld für einen Lehrer auszugeben.
Anschliessend stehe ich auf, um aus dem Fenster in meinem Zimmer zu schauen.
Ich sollte Nereus anrufen, er wollte morgen eine Botsfahrt auf dem Bodensee machen, was wahrscheinlich eingestellt wird, wenn bei ihm ähnliches Wetter herrscht. Ein Blick auf die Armbanduhr verrät mir aber, dass es schon halb zehn ist und er wahrscheinlich bereits schläft. Für viele unvorstellbar, aber Nereus steht lieber jeden Tag um sechs Uhr auf und geht schon um neun schlafen, statt umgekehrt. Ich stehe ebenfalls lieber früher auf, aber sechs Uhr am Wochenende kommt mir dann doch ein wenig übertrieben vor.
Als ich dem, aus Eimern schüttenden Regen lausche, kommt er mir wie eine Melodie vor. Wahrscheinlich ist es nur mein müdes Gehirn, dass mir einen Streich spielt, aber der Regen klingt wie die Melodie von tired. Ein Lied mit dem ich so viel verbinde – leider mehr schlechtes als gutes.
Mir fällt ein, dass es lange her ist seit ich tired das letzte Mal gespielt habe. Mit schnellen Schritten gehe ich wieder zu meinem Keyboard und setze mich auf den hölzernen Hocker.
Schon das erste Mal, vor fast einem Jahr, als ich tired von gehört habe, hat es mich an sie erinnert. An sie und mich – an unsere Beziehung.
Ich setze meine Finger an die Tasten und lasse sie darüber schweben. Am liebsten würde ich den Text dazu singen, aber befürchte, dass es jemand hören könnte, weswegen ich nur mit Summe. In meinem Hirn spielt sich allerdings der Text ab und Erinnerungen von uns tauchen auf.
Ref: I see those tears in your eyes
I feel so helpless inside
Oh love, there's no need to hide
Just let me love you when your heart is tired
Cold hands, red eyes
Packed your bags at midnight
They've been there for weeks
You don't know what goodbye means
Just roll up a cigarette
Just forget about this mess
Waiting on the sidelines
From the sidelines
Ref.
If your ghost pulls you up high
And it feels like you've lost who you are
My love, there's no need to hide
Just let me love you when your heart is tired
Just let me love you
Just let me love you
Just let me love you
Just let me love you when your heart is tired
And you whisper, I'm alright
But I see through your white lies
But these walls don't talk
And if they could, they'd say
Can't hide the secrets
You can't forget about this mess
I'm waiting on the sidelines
From the sidelines
Ref.
If your ghost pulls you up high
And it feels like you've lost who you are
My love, there's no need to hide
Just let me love you when your heart is tired
Just let me love you
Just let me love you
Just let me love you
Just let me love you when your heart is tired
Ref.
Auch wenn es eigentlich ein Liebeslied ist steht es für mich für etwas anderes – für die Liebe zwischen Mutter und Kind.
Mama war depressiv, hat sich immer in den Schlaf geweint und doch zu mir gesagt es sei alles okay. Sie hat mir Kuckuck, kuckuck, ruft's aus dem Wald und Alle meine Entchen auf dem Klavier zu spielen und zu singen beigebracht, obwohl ich sah, sie würde am liebsten nur im Bett liegen. Ich wollte ihr helfen und habe mich immer so hilflos gefühlt als ich es nicht konnte.
Mama hat mich jeden Tag in den Kindergarten gebracht, obwohl ich ihr sagte, dass ich es alleine schaffe. Obwohl sie jedes Mal als sie raus ging ausgelacht und gemobbt wurde, obwohl alle auf sie gezeigt haben und gesagt haben wie dumm und schwach sie doch sei. Dabei ist das alles nur eine Lüge.
Mama hatte vielleicht nicht den besten Abschluss oder viel Geld, aber sie war die beste Mutter, Freundin und Lehrerin, die es je geben könnte.
Ich muss mich beherrschen um nicht zu weinen.
Kurz nach meinem sechsten Geburtstag ist mein Vater abgehauen. Dies hat Mama in ein noch tieferes Loch gezogen. Sie hat kaum mehr geredet, nur noch geweint. Ich habe nicht verstanden was los war und in meiner kindlichen Naivität nur gehofft, dass bald alles wieder gut wird.
Vier Tage nach dem er uns verlassen hat, ist Mama wie jeden Tag mit mir in den Kindergarten gegangen. Alleine, weil mein Vater mich sonst immer abgeholt hat, kam ich um vier Uhr nachmittags nachhause. Mama lag wie so oft auf dem Sofa, zugedeckt von ihrer lieblingsdecke. Nur, irgendwas war anders.
Sie war bleich, ihre schwarzen Locken waren stumpf, nicht weich und sie roch nicht so vertraut wie sonst. Neben ihr lag eine leere, weisse Schachtel – im Nachhinein weiss ich, dass es Schlaftabletten waren. Aber damals als kleines Kind habe ich nur Panik bekommen. Ich habe verzweifelt versucht Mama wach zu schütteln – habe mich geweigert einzusehen, dass sie nicht schlief.
Viele könnten jetzt sagen, sie war eine schlechte Mutter, weil sie mich alleine lies. Aber das stimmt nicht. Ihr ganzes Leben lang wurde sie schikaniert und gedemütigt – nie wurde sie in ruhe gelassen. Und dann, als der einzige Mann der Mama je geliebt hatte, sie auch verlassen hat, konnte sie nicht mehr. Ich könnte Mama deswegen nie einen Vorwurf machen, viel mehr bin ich froh sechs ganze Jahre mit ihr verbracht zu haben.
Das Lied ist schon zu ende, aber ich lasse es und die Erinnerung verklingen, während ich stumm auf die schwarz-weissen Tasten starre.
Es erklingen harte schritte aus dem Flur, weswegen ich mir schnell die Nässe aus den Augen streiche und mich umdrehe. Keine Sekunde später wird meine Tür aufgestossen.
Karl tritt ein, mustert mich und lehnt sich an den Türramen. «Wie geht es mit dem üben fürs Vorspielen voran?»
Ich frage mich woher er davon weiss, denn erzählt habe ich ihm vom Vorspielen für das Theater ganz bestimmt nicht. «Ganz gut, ich habe ja noch dieses Wochenende Zeit», antworte ich deshalb nur.
Karl nickt, sagt aber nichts.
«Ist was bestimmtes?» frage ich nach, weil ich im Moment eigentlich nur alleine sein will. Ich habe allerdings irgendwie den Verdacht, dass er etwas Privateres sagen will, als das was er sagen wird.
«Ja. Waldheim erweitert die Bibliothek, weil lesen pädagogisch wertvoller ist als Computerspiele. Welche Bücher würdest du vorschlagen, Malea?» antwortet Karl ungewöhnlich freundlich.
Endlich! Ich habe mich schon Monate lang dafür eingesetzt, dass Waldheim mehr Bücher kauft. «Ich denke Kinderbücher gibt es genug, aber Jugendbücher für zum Beispiel Fiona sind bei uns selten gesehen. Die Insel der besonderen Kinder und der Rest der Trilogie, ebenso wie die restlichen vier Harry Potter Bücher finde ich müssen gekauft werden.» Ich stehe auf und sehe auf die Uhr – es ist schon nach zehn.
«Ich werde es mir notieren», sagt Karl, klingt aber irgendwie nicht als würde ihn das kümmern. Er tritt näher zu mir und sieht mir in die Augen.
«Hast du Lust am Samstag mit mir auf ein Konzert zu gehen?»
~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~~
Was denkt ihr? Wird Malea zu sagen?
Das neue wunderschön mystische Cover ist von Sonnenfunke
Ronja Räubertochter ist ein super Kinderbuch! Es ist eine wirklich süsse Geschichte für 6 bis 12 Järige.
Ich wollte eigentlich das Musikvideo von tired hochladen, damit ihr es während dem lesen hören könnt, aber mein Computer weigert sich. Ich schaffe es generell nicht Videos und Fotos hochzuladen. Wenn Jemand Tips hat um das zu ändern, dann nur her damit!
~ Linea
1847 Wörter
Bạn đang đọc truyện trên: Truyen247.Pro